TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/30 W153 1432194-2

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Veröffentlicht am 30.08.2019
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Entscheidungsdatum

30.08.2019

Norm

AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W153 1432194-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2017, Zl. 13-584134102/170254921, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 22.03.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 18.12.2012, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.).

Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.07.2014, XXXX , wurde dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Der BF habe glaubhaft dargelegt, dass er als Leibwächter für den afghanischen Präsidenten gearbeitet habe, die Taliban versucht hätten, ihn dazu zu bewegen, ein Attentat auf den Präsidenten auszuüben und der BF und seine Familie nach seiner Verweigerung der Zusammenarbeit mit den Taliban bedroht worden sei.

Mit Urteil eines Landesgerichts vom XXXX .2016 wurde der BF wegen § 28 Abs. 1 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, bedingt nachgesehen, für eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

Mit Urteil eines Landesgerichts vom XXXX .2017 wurde der BF wegen § 28a Abs. 1 5. und 6. Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt. Die mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom XXXX 2016 bedingte Strafnachsicht wurde widerrufen.

Wegen der rechtskräftigen Verurteilungen wegen Verbrechens wurde gegen den BF ein Verfahren zur Aberkennung seines Asylstatus von Amts wegen eingeleitet. Im Rahmen des Parteiengehörs gab der BF in seiner Stellungnahme vom 08.03.2017 im Wesentlichen an, dass er nicht wegen eines besonders schweren Verbrechens verurteilt worden sei. Vom BF gehe keine Gefahr für die Gemeinschaft aus.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hat mit Bescheid vom 20.03.2017 den mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.07.2014, XXXX zuerkannten Status des Asylberechtigten gem. § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und zugleich gem. § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan wurde gem. § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG für unzulässig erklärt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde zusammengefasst festgehalten, dass der BF zwei rechtskräftige Verurteilungen nach dem SMG aufweise. Zuletzt sei er am XXXX .2017 wegen des Verbrechens des Suchgifthandels zu acht Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Als erschwerend seien die einschlägige Vorstrafe und der rasche Rückfall miteinbezogen worden. Milderungsgründe würden nicht vorliegen. Insbesondere aufgrund der mehrmaligen Verurteilung wegen § 28 SMG liege ein besonders schweres Verbrechen vor. Von der Person des BF gehe eine Gefährdung der Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich aus. Im Fall des BF sei von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen. Aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilung sei dem BF der Status eines Asylberechtigten abzuerkennen und auch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen gewesen. Nichtsdestotrotz könne nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan dem realen Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Eine Abschiebung würde eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder N. 13 zur Konvention darstellen, weshalb diese nicht zulässig sei. Der BF habe keinen Familienbezug zu einem Angehörigen in Österreich. Auch liege kein schützenswertes Privatleben in Österreich vor. Der BF gehe in Österreich keiner Beschäftigung nach; sonstige soziale Anbindungen oder soziale Integration hätten nicht festgestellt werden können.

Gegen diese Entscheidung erhob der BF am 19.04.2017 Beschwerde und verwies im Wesentlichen auf die Ausführungen in der Stellungnahme vom 08.03.2017. Er führte aus, dass er im Zuge des Aberkennungsverfahrens nicht einvernommen worden sei. Dies entspreche nicht den Grundsätzen eines fairen Verfahrens und verletze die Behörde die allgemeinen Grundsätze des Ermittlungsverfahrens. Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des BF in Österreich wurde vorgebracht, dass sich drei Brüder und eine Schwester des BF rechtmäßig in Österreich aufhalten würden. Das BFA habe die amtswegige Ermittlungspflicht verletzt. Der BF habe sich in Österreich gut integriert und die begangenen Taten des BF würden keine schweren Verbrechen darstellen.

Am 16.05.2019 wurde das Bundesverwaltungsgericht darüber informiert, dass der BF zu einem Jahr und sechs Monaten unbedingter Haft in Deutschland verurteilt worden sei.

Am 03.07.2019 wurde Abschlussbericht betreffend den BF und drei weitere Personen, darunter zwei Brüder des BF, wegen des Verdachtes des § 27 Abs. 1 1. Fall SMG übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des BF:

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, er spricht auch Dari. Er wurde in Afghanistan geboren und lebte in Kabul. Der BF ist gesund, arbeitsfähig, ledig und kinderlos.

Der BF kam im März 2012 nach Österreich, wo er am 22.03.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dem BF wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.07.2014 der Status des Asylberechtigten gem. § 3 AsylG zuerkannt.

Der BF hielt sich nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet im März 2012 zunächst aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und anschließend aufgrund seines Status als Asylberechtigter durchgängig rechtmäßig in Österreich auf.

Der BF ist in Österreich von einem Landesgericht am XXXX .2016, wegen § 28 Abs. 1 2. Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten, nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt worden. Am XXXX .2017 wurde der BF wegen § 28a Abs. 1 5. und 6. Fall SMG zur einer unbedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten rechtskräftig verurteilt und die bedingte Nachsicht der letzten Strafe widerrufen. Bei den Strafbemessungsgründen wurden die einschlägige Vorstrafe sowie der rasche Rückfall als erschwerend angesehen. Milderungsgründe lagen keine vor. Am XXXX .2017 wurde der BF aus der Freiheitsstrafe, unter Setzung einer Probezeit für drei Jahre, entlassen.

Es kann - der BF befindet sich in Haft in Deutschland - kein strafrechtliches Wohlverhalten des BF festgestellt werden. Ein weiterer Aufenthalt des BF, der erst kürzlich erneut wegen eines Suchtmitteldeliktes in Deutschland verurteilt wurde und gegen den zurzeit der Verdacht des Erwerbes von Suchmitteln besteht, stellt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar.

Ein Abhängigkeitsverhältnis zu den in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen bzw. Verwandten des BF (Schwester mit Familie, drei Brüder) aus gesundheitlichen oder anderen Gründen besteht nicht.

Im Herkunftsstaat verfügt der BF noch über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Mutter und Geschwister.

Zur Situation im Falle der Rückkehr nach Afghanistan:

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat - Afghanistan - eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 sowie Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention droht.

Zur Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen aus dem BFA-Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zitiert. Hinsichtlich der Situation in Afghanistan hat sich seit den Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid (20.03.2017) für den vorliegenden Fall nichts Wesentliches geändert. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht auch in die vorliegenden, aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan Einsicht genommen, wobei sich - für den gegenständlichen Fall relevant - im Wesentlichen ein einheitliches Bild mit den bislang zugrunde gelegten Feststellungen zu Afghanistan ergibt.

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 19.12.2016: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die afghanischen Sicherheitskräfte führten ihre Frühjahrs- und Sommeroperationen erfolgreich durch. Schwierigkeiten in Schlüsselbereichen wie Spionage, Luftfahrt und Logistik, verbesserten sich, beinträchtigen aber die Schlagkraft (USDOD 12.2016). Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge, haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch unbeständig. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten herausforderten und versuchten Versorgungsrouten zu unterbrechen (GASC 13.12.2016).

Beispiele für Sicherheitsoperationen

Die afghanischen Sicherheitskräfte vereitelten einen koordinierten Angriff in der Provinz Nangarhar; dabei wurden mindestens 5 Aufständische getötet, sowie 6 weitere verwundet (Khaama Press 18.12.2016). Mindestens 8 IS-Kämpfer wurden bei Luftangriffen in der Provinz Nangarhar im Osten Afghanistans getötet (Khaama Press 15.12.2016). Im Rahmen von Militäroperationen durch afghanische Sicherheitskräfte in der Provinz Nangarhar, erlitten ISIS-Aufständische hohe Verluste (Khaama Press 30.11.2016). 5 Taliban, darunter ein lokaler Führer, wurden im Rahmen von Befreiungsoperationen in der Provinz Uruzgan getötet (Xinhua 27.11.2016). Im Oktober verlautbarte Vizepräsident Dostum, die Führung einer riesigen Militäroperation in der Provinz Kunduz, um diese von Aufständischen zu befreien (Tolonews 10.10.2016). Die afghanischen Sicherheitskräfte eroberten dabei Schlüsselbereiche des Distriktes Ghormach von den Taliban wieder zurück: die administrativen Distriktanlagen, das Polizeihauptquartier und den Markt von Ghormach (Khaama Press 21.10.2016).

2. Politische Lage

Verfassung

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet, die schließlich im Januar 2004 ratifiziert wurde (IDEA o.D.) und auf der Verfassung aus dem Jahr 1964 basiert. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und dass alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004).

Afghanistans Präsident und CEO

Am 29. September 2014 wurde Ashraf Ghani als Präsident Afghanistans vereidigt (CRS 12.1.2015). Nach monatelangem Streit hatten sich Ghani und Abdullah auf eine gemeinsame Einheitsregierung geeinigt. Das Abkommen sieht vor, dass für den Zweitplatzierten bei der Wahl der Posten eines bislang nicht vorgesehenen Ministerpräsidenten geschaffen wird (FAZ 15.6.2014). Abdullah, der Verlierer der Präsidentschaftswahl, bekam den Posten des Geschäftsführers der Regierung bzw. "Chief Executive Officer" (CEO) der Regierung (CRS 12.1.2015). Diese per Präsidialdekret eingeführte Position weist Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers auf (AA 8.2015). Der CEO fungiert quasi als Premierminister, auch wenn eine Verfassungsänderung zur formalen Schaffung des Postens des Premierministers noch ausständig ist (CRS 12.1.2015).

Regierungsbildung

Obwohl Ghani ursprünglich versprochen hatte, 45 Tagen nach seiner Vereidigung eine Regierung zu präsentieren, zeichnete sich bald ab, dass dieses Versprechen nicht einghalten werden kann, da für die Regierungsbildung in Afghanistan für die Kabinettsposten die Koalitionspartner aus Ghanis und Abdullahs Lager gleichermaßen berücksichtigt werden müssen. Eine Regierung muss die starken regionalen und ethnischen sowie Stammesbindungen und -befindlichkeiten berücksichtigen, soll sie im ganzen Land akzeptiert sein. Ferner beabsichtigte Ghani, die Ministerien nur Personen mit Fachkenntnissen anzuvertrauen und keine bisherigen Minister oder Parlamentarier ins Kabinett aufzunehmen, um so die Voraussetzungen für einen kompetenten Neuanfang zu schaffen. Doch wird die Übung unter solchen Prämissen zusätzlich erschwert. Ghanis Kabinettsliste war in Afghanistan mit Erleichterung aufgenommen worden, weil das Land endlich eine handlungsfähige Regierung braucht. Zwar fragten sich Beobachter wie das Afghanistan Analysts Network einerseits, inwieweit eine junge und recht unerfahrene Regierung den Herausforderungen gewachsen sei. Anderseits wurde Ghanis Festhalten am Versprechen, keine politischen Schwergewichte der Vergangenheit in die Regierung aufzunehmen, durchaus anerkennend kommentiert (NZZ 22.1.2015).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung, Shuraye Melli, basiert auf einem Zweikammersystem, das sich in ein Unterhaus, Wolesi Jirga, und ein Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt, gliedert. Das Unterhaus setzt sich aus 249 Sitzen zusammen, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kuchi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 25.6.2015; vgl. CRS 15.10.2015 und CRS 12.1.2015).

Das Oberhaus setzt sich aus 102 Sitzen zusammen. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Ein Drittel der Sitze, wovon wiederum 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst, (CRS 12.1.2015; vgl. CRS 15.10.2015). Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßig vorgegebenen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für die Ernennung eines Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 25.6.2015

Eine der wesentlichen Neuerungen, welche die Parlamentswahlen 2005 und 2010 betrafen, war die "single non-transferable vote (SNTV)"-Regelung. Jedem Wahlkreis ist, proportional zur Bevölkerungszahl, mehr als ein Sitz im Parlament zugeteilt. Die Wähler des Wahlkreises können jeweils eine Stimme abgeben. Die Sitze des Wahlkreises gehen an die Kandidaten des Kreises in der Reihenfolge der Anzahl der von ihnen gewonnenen Stimmen. Dieses System ist weltweit sehr selten (UNAMA o.D.; vgl. NDI 2011; vgl. CRS 15.10.2015). Durch das System treten die Kandidaten individuell gegeneinander an und erlangen die Sitze nicht über Parteilisten (CRS 15.10.2015).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments (Unterhaus "Wolesi Jirga", Oberhaus "Meshrano Jirga") bleibt trotz wachsenden Selbstbewusstseins der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Generell leidet die Legislative aber nicht nur unter ihrer schwachen Rolle im Präsidialsystem, sondern auch unter dem unterentwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 6.11.2015).

Parteien

Die afghanische Parteienlandschaft ist wenig entwickelt und mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen in der Regel mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des Parteiensystems ist auch auf das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes zurückzuführen sowie auf das Wahlsystem (Direktwahl mit einfacher, nicht übertragbarer Stimme). Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen der verschiedenen politischen Lager immer wieder gestört. (AA 6.11.2015).

Oppositionsbewegungen und Parteien - ganz gleich ob Kommunisten oder rechtsreligiös - wurden gezwungen entweder unterzutauchen oder ins Exil zu gehen. Unter einer neuen und formellen Verfassung haben sich seit 2001 früher islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine Organisation politischen Glaubens oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind. Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen, aber nicht immer durch Wahlerfolge (USIP 3.2015).

Die Machtstrukturen in Afghanistan sind vielschichtig und verwoben. Eignung, Befähigung und Leistung spielen oftmals eine untergeordnete Rolle bei der Verteilung politischer bzw. administrativer Ämter. Die Entscheidungen über viele Personalien, auch in entlegenen Provinzen, werden von der Zentralregierung in Kabul, häufig sogar vom Präsidenten getroffen. Im Vielvölkerstaat Afghanistan spielen informelle Beziehungsnetzwerke und der Proporz der Ethnien eine wesentliche Rolle. Die Machtverteilung wird national und auch lokal so austariert, dass die Loyalität einzelner Persönlichkeiten und Gruppierungen gesichert erscheint. Handeln lokale Machthaber entgegen der Regierungspolitik, bleiben Sanktionen allerdings häufig aus. Politische Allianzen werden in der Regel nach pragmatischen Gesichtspunkten geschmiedet. Dadurch kommt es, für Außenstehende immer wieder überraschend, zu Koalitionswechseln und dem Herauslösen von Einzelpersonen aus bestehenden politischen Verbindungen, unabhängig von Parteistrukturen (AA 6.11.2015).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches eine Neuregistrierung aller Parteien verlangte und ferner zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie bisher die Unterschrift von 700 Mitgliedern vorzuweisen, mussten sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen einbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Partein von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung von Parteiunterstützungsbasen oder institutionalisieren Parteipraktiken bei (USIP 3.2015).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Der afghanische Friedens- und Versöhnungsprozess ist nach einem ersten direkten und öffentlichen Treffen zwischen Regierung und Taliban in diesem Jahr wieder ins Stocken geraten. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte, Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Beide Seiten haben sich aber grundsätzlich weiter zu Verhandlungen bereit erklärt. Die Reintegration versöhnungswilliger Insurgenten bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 6.11.2015).

3. Sicherheitslage

Im Zeitraum 1.8.-31.10.2015 verzeichnete die UNO landesweit 6.601 sicherheitsrelevante Vorfälle. Diese Vorfälle beziehen sich auf Arbeit, Mobilität und Sicherheit von zivilen Akteuren in Afghanistan. Dies bedeutet eine Steigerung von 19% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2014. 62% dieser Vorfälle fanden in den südlichen, südöstlichen und östlichen Regionen statt. Im Berichtszeitraum gelang es den Taliban neben Kunduz City weitere 16 Distriktzentren einzunehmen. Deren Großteil befindet sich im Norden (Badakhshan, Baghlan, Faryab, Kunduz, Sar-e Pul und Takhar), im Westen (Faryab) und im Süden (Helmand und Kandahar) des Landes. Den afghanischen Sicherheitskräften war es jedoch möglich bis Ende Oktober 13 Distriktzentren wieder zurückzuerobern (UN GASC 10.12.2015).

Im Zeitraum 1.6.-31.7.2015 registrierte die UNO landesweit 6.096 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Rückgang von 4,6% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die geographische Reichweite des Konfliktes fokussierte sich hauptsächlich auf die nord-östlichen Regionen rund um Kunduz, Badakhshan und Badghis, im Nordwesten auf die Provinz Faryab und im Südosten auf Nangarhar und im Süden auf Helmand. Der Großteil der Vorfälle wurde in den südlichen und östlichen Teilen des Landes registriert. In Kandahar, Nangarhar, Ghazni, Helmand und Kunar wurden 44.5% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle des Berichtszeitraumes registriert (UN GASC 1.9.2015).

Einige Experten haben auf Leistungsverbesserungen der afghanischen Sicherheitskräfte hingewiesen (SCR 9.2015). Ein erhöhtes Operationstempo hat zu einer signifikant höheren Opferzahl unter den afghanischen Sicherheitskräften geführt (+27% im Zeitraum von 1.1. -15.11.2015 im Vergleich zu 2014) (USDOD 12.2015). Ähnliche Zahlen nennt WP, mit 7.000 getöteten und und 12.000 verletzten Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte (+26% zum Jahr 2014). Im gesamten Jahr 2014 wurde hingegen von 5.000 getöteten afghanischen Polizisten und Soldaten berichtet (SCR 9.2015). Zudem haben die Taliban ihre Angriffe auf Sicherheitskräfte seit Beginn ihrer jährlichen Frühjahrsoffensive im April 2015 erhöht (BBC 29.6.2015).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast allen Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind im Allgemeinen fähig die größeren Bevölkerungszentren effektiv zu beschützen, bzw. verwehren es den Taliban, für einen längeren Zeitraum Einfluss in einem Gebiet zu halten. Gleichzeitig haben die Taliban bewiesen, dass sie ländliche Gegenden einnehmen, Schlüsselgebiete bedrohen (z.B. in Helmand) und gleichzeitig high-profile Angriffe in Kabul durchführen können (USDOD 12.2015). Laut Angaben der afghanischen Regierung, kontrollieren die Taliban nur vier der mehr als 400 Bezirke landesweit, aber es ist bekannt, dass diese Zahl stark untertrieben ist. Die afghanische Regierung hat außerdem oftmals nur Kontrolle über die Distriktzentren, aber nicht über die ländlichen Gebiete (The Long War Journal 22.9.2015)

Es gab Vorschläge zur Gründung regierungsfreundlicher Milizen - sogenannter lokaler Verteidigungskräfte - um die afghanischen Sicherheitskräfte zu unterstützen. Diese existieren angeblich bereits in einer Anzahl von Provinzen (UNGASC 10.12.2015).

Es gibt drei Gründe für das Wiederaufleben der Taliban: Erstens das Ende der US-amerikanischen und NATO-Mission Ende 2014, sowie der Abzug der ausländischen Kräfte aus Afghanistan, hat den militärischen Druck auf die Taliban verringert. Krisen in anderen Teilen der Welt (Syrien, Irak und Ukraine) nährten bei den Taliban die Hoffnungen auf ein Desinteresse der internationalen Gemeinschaft. Wenn Taliban militärische Stützpunkte, Distriktzentren und Check-Points Afghanistans überrennen, erbeuten sie jedes Mal Waffen für den Kampf gegen die afghanische Regierung. Zweitens vertrieb die pakistanische Militäroperation Zarb-e Azb in den Stammesgebieten Nordwaziristans im Juni 2014 tausende Aufständische - hauptsächlich Usbeken, Araber und Pakistanis - die nach Afghanistan strömten und in den Rängen der Taliban aufstiegen. Die Taliban lenkten ohnehin eine große Anzahl ihrer eigenen Kämpfer von Pakistan aus. Drittens mangelt es den afghanischen Sicherheitskräften an Ausbildung und Ausstattung, vor allem in den Bereichen Luftstreitkräfte und Aufklärung. Außerdem nützen die Taliban interne Machtkämpfe der Kabuler Zentralregierung und deren scheinbare Schwäche in verschiedenen Bereichen in Kabul aus (BBC 5.1.2016).

Rebellengruppen

Durch die Talibanoffensiven in den Provinzen Helmand und Kunduz entsteht der Eindruck, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Hauptbevölkerungszentren nicht kontrollieren können. Dies untergräbt das öffentliche Vertrauen, selbst dann, wenn es afghanischen Sicherheitskräften möglich ist, die Zentren zurückerobern, und überschattet die zahlreichen Erfolge der afghanischen Sicherheitskräfte (USDOD 12.2015).

Militärische Operationen im pakistanischen Nordwaziristan haben hunderte gut ausgebildete ausländische Kämpfer nach Afghanistan abgedrängt, wo sie nun die Taliban und den islamischen Staat unterstützen (WP 27.12.2015; vgl. Pakistan Today 22.12.2015; UN GASC 10.12.2015; Tolonews 21.12.2015).

Doch die Taliban haben auch mit Rückschlägen zu kämpfen. Nach der Nachricht vom Tod Mullah Omars hat sich die Bewegung zersplittert und Auseinandersetzungen zwischen Talibanführern begünstigen Fortschritte des IS, vor allem im östlichen Afghanistan (DS 6.1.2016).

Taliban und Frühlingsoffensive

Während der warmen Jahreszeit (ca. Mai - Oktober) spricht man von der "Fighting Season", in der die meist koordinierten, Angriffe von Aufständischen, in Gruppenstärke oder stärker, auf Einrichtungen der ANSF (Afghan Security Forces) oder GIROA (Government of Islamic Republic of Afghanistan) stattfinden. Manchmal sind auch Einrichtungen der IC (International Coalition) betroffen. Diese werden aber meist gemieden, da es sich hierbei um sogenannte "harte Ziele" handelt. Gegen die IC werden nach wie vor nicht-konventionelle Mittel eingesetzt (Sprengfallen, Magnetbomben). Außerhalb der "Fighting Season" verlegen kampfwillige Aufständische ihre Aktivtäten in die Städte, da hier die ungünstige Witterung kein Faktor ist (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Die Taliban haben signifikante Verluste zu verzeichnen - abgesehen von der temporären Einnahme der Stadt Kunduz, war es ihnen nicht möglich ihre Hauptstrategie und ihre Operationsziele für die Fighting Season 2015 zu erreichen. Auch in Kunduz war es ihnen nicht möglich, das Territorium für einen längeren Zeitraum zu halten. Während der gesamten Fighting Season bewiesen die Taliban Erfahrung in der Durchführung von Angriffen und Bedrohungen von ländlichen Distrikten und zwangen so die afghanischen Sicherheitskräfte in eine reaktive Position (USDOD 12.2015).

Al-Qaida

Die amerikanischen Behörden gehen von einer Zahl von weniger als 100 Kämpfern der al-Qaida in Afghanistan aus. Die meisten von ihnen sind in den nordöstlichen Provinzen Afghanistans, wie Kunar, aktiv. Manche dieser Kämpfer gehören zu Gruppen, die an al-Qaida angegliedert und in Kunduz aktiv sind (CRS 22.12.2015).

Haqqani-Netzwerk

Die Gruppe wurde in den späten 1970er Jahren durch Jalaluddin Haqqani gegründet. Sie ist mit al-Qaida und afghanischen Taliban verbündet, sowie mit anderen terroristischen Organisationen in der Region (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (NYT 17.10.2014).

Obwohl angenommen wird, dass das Netzwerk der al-Qaida näher steht als den Taliban (CRS 9.10.2014), wurde nach der Meldung vom Tod Mullah Omars, Siraj Haqqani zum stellvertretenden Talibanführer befördert. Dies signalisiert, dass das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin eine wichtige Komponente des Taliban-geführten Aufstandes ist (USDOD 12.2015).

Der Aufstand des Haqqani-Netzwerks ist vermehrt in den östlichen Provinzen Khost, Paktia, Paktika und Kunar vorzufinden (DW 17.10.2014).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Die radikal-islamistische Rebellengruppe Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG) [Anmerkung: auch Hizb-i-Islami Gulbuddin] wird von Mujahed Gulbuddin Hikmatyar geführt (CRS 22.12.2015). Er war ein ehemaliger Verbündeter der USA im Kampf gegen die Besatzungstruppen der Sowjetunion in den 1980er Jahren. Die HIG wird als kleiner Akteur in den Kampfzonen Afghanistans gesehen (CRS 9.10.2014). Sie ist über die Jahre für ihre Grausamkeit bekannt geworden, sodass sogar die Taliban sich von ihr abwendeten (BBC 2.9.2014). Die Gruppe selbst ist ideologisch wie auch politisch mit al-Qaida und den Taliban verbündet. In der Vergangenheit kam es mit den Taliban jedoch zu Kämpfen um bestimmte Gebiete. (CRS 9.10.2014).

IS/ISIS/ISIL/Daesh - Islamischer Staat

Der Islamische Staat hat seinen Einfluss in Afghanistan seit Mitte des Jahres 2014 erhöht. Es wird berichtet, dass der Führer des Islamischen Staates Abu Bakr al-Baghdadi, Berichten zufolge, unter dem Talibanregime in Kabul gelebt und mit al-Qaida kooperiert hat. Die Präsenz der Gruppe in Afghanistan hat sich Anfang des Jahres 2013 aus mehreren kleinen afghanischen Taliban- und anderen Aufständischenfraktionen herausentwickelt (CRS 22.12.2015). Die Präsenz des islamischen Staates hat sich ausgeweitet, als immer mehr Talibanfraktionen dem IS Treue schworen. So kam es zur Einnahme kleiner Gebiete, hauptsächlich im östlichen Afghanistan, durch den IS (CRS 22.12.2015; vgl. Tolonews 12.7.2015). Ende 2015 gab es Berichte, über finanzielle Hilfe des IS für seinen afghanischen Zweig (CRS 22.12.2015). Ehemalige Kämpfer von al-Qaida, Taliban und Haqqani-Netzwerk steigen in den Rängen des IS auf (Pajhwok 26.5.2015).

Der afghanische Geheimdienst NDS hat eine Spezialeinheit damit beauftragt Razzien gegen den IS durchzuführen (Pajhwok 1.7.2015). Das afghanische Innenministerium konzentriert sich auf bessere Ausbildung und Ausrüstung der nationalen und lokalen Polizei, damit nicht die Notwendigkeit zur Selbstjustiz für Anrainer/innen entsteht (Pajhwok 26.5.2015).

Drogenanbau

Es ist im Jahr 2015 zu einer Reduzierung der Opiumproduktion um

3.300 Tonnen (48%) gekommen (UN News Centre 14.10.2015).

Zivile Opfer

Zwischen 1.1. und 30.6.2015 registrierte UNAMA 4.921 zivile Opfer (1.592 Tote und 3.329 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 6% bei getöteten bzw. von 4% bei verletzten Zivilisten (UNAMA 8.2015).

Konfliktbedingte Gewalt hatte in der ersten Hälfte 2015 Auswirkungen auf Frauen und Kinder. UNAMA verzeichnete 1.270 minderjährige Opfer (320 Kinder starben und 950 wurden verletzt). Das ist ein Anstieg von 23% im Vergleich zu den ersten sechs Monaten 2014. Es gab 559 weibliche Zivilopfer, davon wurden 164 Frauen getötet und 395 verletzt. Das bedeutet einen Anstieg von 13% gegenüber 2014 (UNAMA 8.2015).

Laut UNAMA waren 70% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben, 16% regierungsfreundlichen Kräften (15% den ANSF und regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen, sowie 1% den internationalen militärischen Kräften). UNAMA rechnete 4% der zivilen Opfer Unfällen mit Blindgängern zu (UNAMA 8.2015).

3.436 zivile Opfer (1.213 Tote und 2.223 Verletzte) gehen auf Operationen regierungsfeindlicher Elemente zurück. Das bedeutet einen Rückgang von 3% gegenüber 2014. UNAMA verzeichnete einen Anstieg von 78% bei zivilen Opfern aufgrund von komplexen Angriffen und Selbstmordattentaten, sowie einen Anstieg von individuellen Tötungen. UNAMA registrierte ebenso 46% Rückgang an zivilen Opfern in Bodenkämpfen und 21% Rückgang ziviler Opfer aufgrund von IEDs (improvised explosive devices) (UNAMA 8.2015). Regierungsfreundliche Kräfte - speziell ANSF - waren auch weiterhin Grund für einen Anstieg bei zivilen Opfern im Jahr 2015. UNAMA registrierte hierzu 796 zivile Opfer (234 wurden getötet und 562 verletzt). Dies deutet einen Anstieg von 60% im Vergleich zum Jahr 2014. Der Großteil dieser zivilen Opfer geht auf Bodenkämpfe regierungsfreundlicher Gruppen, bei denen hauptsächlich Explosivwaffen, wie Mörser, Raketen oder Granaten verwendet wurden. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 waren regierungsfreundliche Gruppen für mehr zivile Opfer verantwortlich, als regierungsfeindliche Elemente. Im Jahr 2015 haben die ANSF ihre Anzahl von Operationen, die am Boden durchgeführt wurden, signifikant erhöht, um den Regierungsbildungsprozess zu unterstützen und Angriffen regierungsfeindlicher Elemente entgegenzuwirken (UNAMA 8.2015).

Die UNAMA verzeichnete 37% Anstieg bei Entführungen von Zivilisten durch regierungsfeindliche Elemente, und mehr Morde und Körperverletzungen an den Entführungsopfern. Von 76 Entführten Zivilisten wurden im Berichtszeitraum (1.1. - 30.6.2015) 62 getötet und 14 verletzt. UNAMA dokumentierte die Entführung von Zivilist/innen durch regierungsfeindliche Elemente für finanzielle Zwecke, zur Einschüchterung der Bevölkerung und um Zugeständnisse von anderen Parteien im Konflikt zu erhalten, z.B. Geiselaustausch (UNAMA 8.2015).

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte

In einem Bericht der norwegischen COI-Einheit Landinfo wurde im September 2015 berichtet, dass zuverlässige Dokumentation von konfliktbezogener Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen, existiert. Andererseits, konnte nur eingeschränkte Dokumentation zu konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokale Angestellte ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Grundsätzlich sind Anfeindungen afghanischer Angestellter der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürgern verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis zu ISAF zurückzuführen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 10.11.2014). Des Weitern bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Job für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

4. Rechtsschutz/Justizwesen

Afghanistan ist eine Gesellschaft mit einer Vielzahl rechtlicher Traditionen, die historisch gesehen aus drei Komponenten bestehen:

dem staatlichen Gesetzbuch, dem islamisch-religiösen Gesetz (Scharia) und dem lokalen Gewohnheitsrecht. Die lokalen Gepflogenheiten beinhalten kulturelle und ethische Standards zur Beseitigung eines Disputs durch Mediation und Schlichtung in den Gemeinschaften (BU 23.9.2010).

Wegen des allgemeinen Islamvorbehalts darf laut Verfassung kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so dass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 6.11.2015).

Das Gesetz beinhaltet eine unabhängige Justiz, aber in der der Praxis ist die Justiz oft unterfinanziert, unterbesetzt, nicht adäquat ausgebildet, uneffektiv, Drohungen ausgesetzt, befangen, politisch beeinflusst und durchdringender Korruption ausgesetzt (USDOS 25.6.2015). Die meisten Gerichte sprechen uneinheitlich Recht, basierend auf dem kodifiziertem Gesetz, der Scharia (islamisches Gesetz) und lokalen Gepflogenheiten. Traditionelle Justizmechanismen bleiben auch weiterhin die Hauptgrundlage für viele Menschen, besonders in den ländlichen Gebieten (USDOS 25.6.2015 vgl. FH 28.1.2015). Die Einhaltung des kodifizierten Rechts variiert, wobei die Gerichte gesetzliche Vorschriften zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 25.6.2015). Laut Freedom House Report 2015 besteht der Oberste Gerichtshof in erster Linie aus Religionsgelehrten, die nur eine beschränkte Kenntnis der zivilen Rechtsprechung haben (USDOS 25.6.2015 vgl. FH 28.1.2015).

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an Kapazität um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu handhaben. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Verglichen mit 2012 gab es eine Steigerung in der Zahl der Richter, welche ein Rechtsstudium absolviert hatten (USDOS 25.6.2015). Es gibt etwa 1300 Richter im Land (SZ 29.9.2014). Präsident Ghani verfügte eine Reihe von Justizreformen, sodass im Oktober 2014 etwa 200 Richter und 600 Gerichtsangestellt aufgrund von Korruptionsvorwürfen entlassen wurden (FH 28.1.2015).

Das formale Justizsystem ist relativ stark verankert in den städtischen Zentren, wo die Zentralregierung am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten, wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben, schwächer ausgeprägt ist (USDOS 25.6.2015). Insbesondere in den ländlichen Gebieten wird von einem Großteil der Bevölkerung auf traditionelle Justizmechanismen oder Selbstjustiz zurückgegriffen (FH 28.1.2015).

Der Zugang zu Gesetzblättern und Regelwerken steigt an, die geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter und Staatsanwälte aber weiterhin eine Behinderung dar. In den großen Städten entscheiden die Gerichte nach dem Gesetz. In den ländlichen Gegenden hingegen ist der primäre Weg zur Beilegung krimineller oder ziviler Streitigkeiten, jener über lokale Älteste und Shuras (Ratsversammlungen), wobei allerdings auch rechtlich nicht sanktionierte Strafen ausgesprochen werden (USDOS 25.6.2.2015). Schätzungen lassen vermuten, dass 80% aller Streitigkeiten durch Shuras entschieden werden. In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (USDOS 25.6.2015; vgl. BFA Staatendokumentation 3.2014).

5. Sicherheitsbehörden

Nach der Übergangsphase sind die Vereinigten Staaten von Amerika nicht mehr verantwortlich für einen Kampfeinsatz in Afghanistan. Die afghanische Regierung ist selbst für die interne Sicherheit verantwortlich (USDOD 6.2015). Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD), das Büro des Präsidenten und das Parlament sind direkt in die zivile Aufsicht des Sicherheitssektors involviert (CGS 2.2014; vgl. USDOS 25.6.2015).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP) tragen unter der Leitung des Innenministeriums die Hauptverantwortung für die innere Ordnung, sind aber auch an der Bekämpfung der Aufständischen beteiligt (USDOS 25.6.2015).

Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF)

Am 1. Jänner 2015 haben die ANDSF in einer Zeremonie formell die Sicherheitsverantwortung für Afghanistan übernommen (USDOD 6.2015; vgl. AA 2.3.2015). Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2015; vgl. NYT 16.10.2015). Etwa 1.700 Frauen dienen in den afghanischen Streitkräften, davon sind ungefähr

1.370 bei der Polizei (CRS 15.10.2015). Die ANDSF bestehen aus folgenden Komponenten: der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der ANP die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei die Verbrechen bekämpft (AACP). Die afghanische Lokalpolizei (ALP), sowie ihre Komponenten, wie die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) sind unter der Führung des Innenministeriums, während die afghanische Nationalarmee (ANA) unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums steht (USDOD 6.2015; vgl. USDOS 25.6.2015).

Einige Experten deuteten eine Verbesserung der Leistung der afghanischen Sicherheitskräfte an. Leider mussten auch Verluste verbucht werden: So wurde berichtet, dass im ersten Halbjahr 2015 etwa 4.100 Sicherheitskräfte (Polizei und Militär) getötet, sowie weitere 7.800 verletzt wurden. Dies übertrifft die Gesamtzahl des Jahres 2014, die mit 5.000 getöteten Sicherheitskräften angegeben wurde (SCR 9.2015).

Die Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte hängt völlig von Fremdhilfen ab (BFA Staatendokumentation 3.2014). Es wird mit finanziellen Beiträgen an den NATO-Treuhandfond der ANA mit bis zu USD 1.2 Milliarden gerechnet. Zusätzlich haben Verbündete und Partnerländer der NATO bis Ende 2017 jährliche finanzielle Unterstützung in der Höhe von USD 450 Millionen zugesagt. Darüber hinaus liegt die finanzielle Hauptlast der afghanischen Sicherheitskräfte bei der afghanischen Regierung welche zugesagt hat, zu Beginn jährlich 500 Millionen Euro beizusteuern und diese Beiträge kontinuierlich zu erhöhen (NATO 6.2015).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Mit Stand Juni 2015 betrug die Personalstärke der ANP 157.000 Mann. Zusätzlich wurden für die ALP weitere 30.000 Mann autorisiert, die aber nicht in der allgemeinen ANDSF Struktur inkludiert sind (USDOD 6.2015; vgl. NYT 16.10.2015). Die monatliche Schwundquote ist während des Berichtszeitraumes zurückgegangen und beträgt durchschnittlich 1.8% im Vergleich zu einer Schwundrate von 2.1% des letzten Berichtszeitraumes (USDOD 6.2015).

Nationalarmee (ANA)

Die afghanische Nationalarmee (ANA) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist verantwortlich für die externe Sicherheit, bekämpft aber auch den internen Aufstand (USDOS 25.6.2015). Mit Stand Juni 2015 betrug der autorisierte Personalstand der ANA 195.000 Mann, inklusive 7.800 Mann in den Luftstreitkräfte (Afghan Air Force - AAF), 9.321 Zivilisten und

10.312 Trainees, Studenten und Andere (USDOD 4.2014).

Durch die Vereinigten Staaten von Amerika wurden fünf Militärbasen in verschiedenen Teilen des Landes errichtet: Herat, Gardez, Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul (CRS 17.8.2015).

National Directorate of Security (NDS)

Das National Directorate of Security (NDS) ist verantwortlich für die Ermittlung in Fällen der nationalen Sicherheit und hat auch die Funktion eines Geheimdienstes (USDOS 25.6.2015).

Aufgrund von Abgängen und anderen Faktoren, fluktuierte die tatsächliche ANDSF Truppenstärke zwischen 91 und 92 % der autorisierten Truppenstärke im Berichtszeitraum (USDOD 6.2015).

Eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz führte zum Beispiel zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. So hatte insbesondere die Schaffung spezialisierter Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen positive Auswirkungen (AA 6.11.2015).

6. Folter und unmenschliche Behandlung

Laut afghanischer Verfassung ist Folter verboten (Art. 29) (AA 6.11.2015; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004). Fälle von Folter durch Angehörige der Polizei, des NDS und des Militärs sind aber nachgewiesen und werden von den jeweiligen Behörden zumindest offiziell als Problem erkannt (AA 2.3.2015; vgl. OHCHR 8.1.2015).

Der Bericht der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) im Jahr 2015 besagt, dass trotz nationaler und internationaler Bemühungen Folter und Misshandlung von Häftlingen anhalten und ein ernstzunehmendes Problem in vielen Haftanstalten Afghanistans sind (UNAMA 2.2015; vgl. USDOS 27.2.2014). Obwohl die Verfassung solche Praktiken verbietet, gibt es Berichte, die besagen, dass Beamte, Sicherheitskräfte, Justizwachbeamte und die Polizei Misshandlungen durchführten (USDOS 25.6.2015). Folter wird hauptsächlich verwendet um ein Geständnis oder Informationen zu erhalten (OHCHR 8.1.2015). Generell sind Frauen und Kinder in Polizeigewahrsam und Haftanstalten besonders in Gefahr, misshandelt zu werden. Aber auch in Bezug auf Häftlinge, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan festgenommen werden, wurden in der jüngeren Vergangenheit grobe Missstände aufgedeckt (AA 2.3.2015).

Artikel 30 der afghanischen Verfassung besagt, dass Aussagen, Geständnisse und Zeugenaussagen von Beschuldigten oder anderen Personen, die durch Zwang erlangt worden sind, ungültig sind (Max Planck Institut 27.1.2004). Da die Abgrenzung zwischen polizeilicher und staatsanwaltlicher Arbeit nicht immer bekannt ist, werden Verdächtige oft lange über die gesetzliche Frist von 72 Stunden hinaus festgehalten, ohne einem Staatsanwalt oder Richter vorgeführt zu werden. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte zudem nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger. Schließlich liegt ein zentrales Problem in der Tatsache begründet, dass afghanische Richter sich bei Verurteilungen fast ausschließlich auf Geständnisse der Angeklagten stützen. Das Geständnis als "Beweismittel" erlangt so überdurchschnittliche Bedeutung, wodurch sich der Druck auf NDS und Polizei erhöht, ein Geständnis zu erzwingen. Da die Kontrollmechanismen weder beim NDS noch bei der afghanischen Polizei ("almost total lack of accountability", Quelle:

UNAMA-Update on the Treatment of ConflictRelated Detainees in Afghan Custody: Accountability and Implementation of Presidential Decree 129, Febr. 2015) durchsetzungsfähig sind, erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten. Allerdings scheint sich die Lage dieser Häftlinge insgesamt verbessert zu haben: Nur noch 35% der Befragten gaben an, gefoltert worden zu sein (im Gegensatz zu 49% im UNAMA-Bericht von Januar 2013) (AA 6.11.2015).

Es kommt immer wieder auch vor, dass Inhaftierte keinen Zugang zu Rechtsschutzmechanismen wie rechtlichem Beistand haben (AA 2.3.2015; vgl. UNAMA 2.2015; vgl. AA 6.11.2015).

Die Regierung hat in den letzten Jahren Berichte der Vereinten Nationen und AIHRC bestritten, dass afghanische Polizei und NDS Häftlinge foltern (HRW 21.1.2014). Aufgrund des UNAMA-Berichtes im Januar 2013 gründete die Regierung ein Komitee um Anschuldigungen, in Bezug auf Misshandlung von Häftlingen, nachzugehen. Das Komitee führte Besuche und Interviews durch - die Ergebnisse wurden jedoch nicht veröffentlicht. Die Regierung zog Folterer nicht durch glaubwürdige Untersuchungen und Straffverfolgung zur Rechenschaft (USDOS 25.6.2015). Obwohl es im Jahr 2013 eine Untersuchung zu den Vorwürfen der Misshandlung und Folter durch die Regierung gab, wurde - laut Human Rights Watch - kein Mitglied der afghanischen Sicherheitskräfte während des Berichtsjahres zur Rechenschaft gezogen (HRW 4.3.2015).

Im Februar 2013 erließ der damalige Präsident Karzai ein Dekret mit Anti-Foltermaßnahmen, welches Konsequenzen für folternde Beamte vorsieht (UNAMA 2.2015).

7. Korruption

Auf dem Korruptionsindex des Jahres 2014 belegte Afghanistan von 175 Ländern den 172. Platz(TI 12.2014; vgl. FH 28.1.2015). Noch im Jahr 2013 belegte Afghanistan gemeinsam mit Nordkorea und Somalia den

175. und damit letzten Platz (TI 3.12.2013; vgl. FH 19.5.2014).

Korruption, Nepotismus und Vetternwirtschaft wuchern auf allen Ebenen der Regierung. Zu niedrige Gehälter fördern korruptes Verhalten der öffentlich Bediensteten (FH 28.1.2015). Von allen Institutionen werden von den Afghanen Gerichte und Zivilverwaltung als die korruptesten wahrgenommen, während religiöse Körperschaften und die Medien als am wenigsten korrupt gelten (FH 19.5.2014).

Das Gesetz verordnet strafrechtliche Sanktionen für öffentliche Korruption. Die Regierung hat dieses Gesetz nicht effektiv umgesetzt und es wurde berichtet, dass öffentliche Beamte/Bedienstete regelmäßig und ungestraft in korrupte Praktiken involviert waren. Es gab aber auch Berichte von Korruptionsfällen, die erfolgreich auf Provinzebene vor Gericht gestellt wurden (USDOS 25.6.2015).

Die Regierung bemühte sich auch weiterhin Rechtsstaatlichkeit voranzutreiben und Korruption anzugehen (UN GASC1.9.2015). So verfügte Präsident Ghani im Rahmen von Justizreformen, dass im Oktober 2014 etwa 200 Richter und 600 Gerichtsangestellte aufgrund von Korruptionsvorwürfen entlassen wurden (FH 28.1.2015; vgl. UN GASC 1.9.2015). Als positiv kann gewertet werden, dass Präsident Ghani Untersuchungen in den Kabuler Bankskandal eingeleitet und ferner den Versuch gestartet hat, die fast 1 Milliarde US Dollar, die gestohlen wurden, wieder einzubringen (CAP 17.3.2015). Auch etablierte die Allparteienregierung eine nationale Behörde zur Beschaffungsvergabe (National Procurement Authorithy - NPA), die Transparenz beim öffentlichen Vergabesystem in Afghanistan unterstützen soll. Um dieses Ziel zu erreichen arbeitet die NPA mit unterschiedlichen nationalen und internationalen Organisationen zusammen (SIGAR 13.7.2015). Integrity Watch Afghanistan startete ein Callcenter "efshagar.af", welches der Öffentlichkeit die Möglichkeit bietet, korrupte Vorgehensweisen innerhalb des Landes zu melden (IWA 9.12.2014).

Die Hälfte der afghanischen Bürger/innen zahlte nach Schätzungen des UN Office on Drugs and Crime (UNODC) im Jahr 2012 Bestechungsgelder für öffentliche Leistungen. Die Gesamtsumme aller Bestechungszahlungen an Beamte der letzten drei Jahre, stieg laut UNODC auf USD 3.9 Milliarden an (UNODC 12.2012; vgl. CAP 17.3.2015). Laut Integrity Watch Afghanistan betrug die Summe der Bestechungen im Jahr 2014 1.2 Milliarden US Dollar und über 1.2 Millionen Acker Land wurden illegal beschlagnahmt (IWA 9.12.2014).

8. Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Eine Vielzahl an nationalen und internationalen Menschenrechtsgruppen arbeitet generell ohne Einmischung der Regierung, untersucht Menschenrechtsfälle und veröffentlicht ihre Ergebnisse. Während Regierungsbeamte einigermaßen kooperativ sind und auf deren Sichtweise eingehen, gibt es dennoch Fälle von Einschüchterung von Menschenrechtsgruppen durch Regierungsbeamte (USDOS 25.6.2015).

Die Arbeit von internationalen und afghanischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), aber auch von Vereinen wird üblicherweise nicht von den Behörden in einem formalen Sinn eingeschränkt. Die Möglichkeiten dieser Gruppen frei und effektiv zu arbeiten werden durch die Sicherheitslage behindert. Aktivist/innen der Zivilgesellschaft, speziell, jene, die sich mit Menschenrechten bzw. Rechenschaftsangelegenheiten befassen, sind weiterhin Bedrohung und Belästigungen ausgesetzt (FH 28.1.2015). Mit Stand Februar 2015 wurden seit dem Jahr 2005 3.415 lokale NGOs und 4.016 internationale NGOs beim Wirtschaftsministerium (MoE-Ministry of Ecomomy) registriert. Die Zahl aktiver lokaler NGOs beträgt 1.665 und die der internationalen 275 (ICNL 25.2.2015).

Eine systematische Politik der Einschränkung der Arbeit von Menschenrechtsverteidigern oder zivilgesellschaftlichen Akteuren gibt es in Afghanistan nicht. Gleichwohl sind sie regelmäßig Behinderungen bei der Informationsbeschaffung ausgesetzt; ihre Beteiligung an wichtigen Vorhaben (Gesetzesentwürfe, Ratsversammlungen/ Jirgas) wird nicht selten nur auf internationalen Druck ermöglicht. Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit ihrer Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 6.11.2015).

Derzeit stehen mehrere die Zivilgesellschaft betreffende Reforminitiativen an:

-

Änderungen des NGO-Gesetzes

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Gesetzentwurf bezüglich Stiftungen

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Gesetzentwurf über Freiwilligenarbeit

-

Vorschläge zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (ICNL 25.2.2015; vgl. AA 2.3.2015)

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women¿s Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit ihrer Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilwe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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