TE Vfgh Erkenntnis 1996/6/28 KI-3/95

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.06.1996
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art129a
B-VG Art130 Abs1 litb
B-VG Art133 Z1
B-VG Art138 Abs1 litb
B-VG Art144 Abs1 / Säumnis
EMRK Art3
EMRK Art5
PersFrSchG 1988 Art1
VfGG §46 Abs1

Leitsatz

Zulässigkeit eines Antrags auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof nach Zurückweisung einer Säumnisbeschwerde gegen das Untätigbleiben des UVS durch beide Gerichtshöfe; Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs zur Entscheidung über diese Säumnisbeschwerde hinsichtlich der Geltendmachung der in die ausschließliche Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes fallenden Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte; kein Eintritt der in Art133 Z1 B-VG ausgeschlossenen Zuständigkeitskonkurrenz mangels Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs zur Fällung der der Verwaltungsbehörde obliegenden Sachentscheidung

Spruch

Der Verwaltungsgerichtshof ist zur Entscheidung über die vom Antragsteller an ihn gerichtete Säumnisbeschwerde vom 20. Mai 1994 zuständig.

Der entgegenstehende Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Oktober 1994, Zl. 94/01/0408, wird aufgehoben.

Der Bund (Verwaltungsgerichtshof) ist schuldig, dem Antragsteller, zu Handen seines Rechtsvertreters, die mit 12.830,-- S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) J S erhob beim Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) Wien eine mit 28. Juni 1993 datierte, am 29. Juni 1993 zur Post gegebene, auf Art129a B-VG gestützte (Administrativ-)Beschwerde. Darin stellte er den Antrag, der UVS Wien möge

"feststellen, daß der Beschwerdeführer dadurch, daß er von Organen der Bundespolizeidirektion Wien in der Nacht vom 8. Juni auf den 9. Juni 1993 festgenommen und angehalten wurde, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit gem. Art5 MRK und Art1 PersFrG, sowie dadurch, daß der Beschwerdeführer und während seiner Anhaltung durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien durch Fußtritte, Rippenstöße, Beschimpfungen und ähnlichem mißhandelt wurde, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, gem. Art3 MRK keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden, verletzt wurde."

Da der UVS über diese Administrativ-Beschwerde nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden hatte, erhob J S mit Schriftsatz vom 20. Mai 1994 gemäß Art132 B-VG Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Dieser wies die Säumnisbeschwerde mit Beschluß vom 19. Oktober 1994, Zl. 94/01/0408, als unzulässig zurück. Er begründete diese Entscheidung wie folgt:

"Gemäß Art133 Abs1 Z. 1 B-VG sind die Angelegenheiten, die zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gehören, von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Gemäß Art144 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate, soweit der Beschwerdeführer durch den Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

In der Frage, ob der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, die in einem unmittelbar gegen die Person gerichteten Zwang besteht (wie Verhaftung, Festnahme, Vorführung und Vollzug einer Arreststrafe), zuständig ist, vertritt der Verwaltungsgerichtshof seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 7. Dezember 1988, Slg. Nr. 12.821/A, die Auffassung, er sei unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einfachgesetzlich eingeräumter Rechte zur Entscheidung über Beschwerden zuständig, in denen jemand behauptet, in gesetzwidriger Weise festgenommen worden zu sein. Von diesem Grundsatz ausgehend erachtet sich der Verwaltungsgerichtshof auch für Säumnisbeschwerden gegen unabhängige Verwaltungssenate, in denen gemäß §67c AVG über die Rechtmäßigkeit der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt abgesprochen werden soll, für zuständig, sofern bereits in der Beschwerde an die belangte Behörde die Verletzung einer einfachgesetzlichen Norm behauptet wird.

Im Beschwerdefall käme somit die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zum Tragen, wenn der Beschwerdeführer im Rahmen seines Feststellungsbegehrens vom unabhängigen Verwaltungssenat nicht nur verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, deren Wahrung dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten bleibt, sondern auch die Verletzung einfachgesetzlich eingeräumter subjektiver Rechte behaupten würde. Dies ist jedoch im Hinblick auf den durch den Antrag des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde bestimmten Rahmen für den zu erlassenden Bescheid nicht der Fall. Der Beschwerdeführer begehrt - wie auch aus den vorgelegten Verwaltungsakten hervorgeht - ausschließlich den Abspruch über die Frage, ob er durch Ausübung von Zwangsgewalt in seinem Recht auf persönliche Freiheit gemäß Art5 MRK und Art1 (ff) des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, sowie in seinem Recht, gemäß Art3 MRK keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden, verletzt wurde.

Durch dieses ausschließlich auf die Feststellung der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte abzielende Begehren wird der Prozeßgegenstand des Beschwerdeführers bereits dahingehend eingeengt, daß er ausschließlich Rechte, deren Verletzung - unter Ausschluß der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes - der Verfassungsgerichtshof wahrzunehmen hat, umfaßt. Bei der vorliegenden Verfahrenskonstellation hatte der Verwaltungsgerichtshof seine Unzuständigkeit zur Behandlung der Säumnisbeschwerde wahrzunehmen."

b) Mit einer an den Verfassungsgerichtshof gerichteten, als "Säumnisbeschwerde" bezeichneten Eingabe vom 21. Februar 1995 begehrt J S, der Verfassungsgerichtshof möge über seine (Administrativ-)Beschwerde vom 28. Juni 1993 selbst entscheiden.

Der Verfassungsgerichtshof wies die an ihn gerichtete Beschwerde mit Beschluß vom 14. Juni 1995, Zl. B754/95, mit folgender Begründung zurück:

"Weder Art144 B-VG noch eine andere - dem Art132 B-VG vergleichbare - bundesverfassungsrechtliche Vorschrift beruft den Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung über Anträge, mit denen die Verletzung der Entscheidungspflicht einer Behörde geltend gemacht wird (vgl. zB VfSlg. 6434/1971, 8817/1980, 10799/1986, 11722/1988; VfGH 21.6.1994 B960/94; 16.3.1995 B2693/94)."

2.a) J S stellt in dem oben zu I.1.b erwähnten Schriftsatz vom 21. Februar 1995 - für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof die an ihn gerichtete Säumnisbeschwerde für nicht zulässig hält - den zu KI-3/95 protokollierten, auf Art138 Abs1 litb B-VG gestützten (Eventual-)Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge (kostenpflichtig) den derart aufgetretenen negativen Kompetenzkonflikt entscheiden und aussprechen, ob der Verfassungsgerichtshof oder der Verwaltungsgerichtshof zur Behandlung der Säumnisbeschwerde zuständig ist.

Der Einschreiter führt in diesem Zusammenhang aus:

"Der Antragsteller ist der Meinung, daß entgegen der vom Verwaltungsgerichtshof in dem oben angeführten Beschluß dargelegten Rechtsauffassung sehr wohl die Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegeben ist, da er hier nicht primär über 'Verfassungsangelegenheiten' zu entscheiden hat, sondern über die behördliche Untätigkeit im Sinne des §73 Abs1 AVG.

'Mangels bestehender Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes kann daher der Ausnahmetatbestand der Z1 (Art133 B-VG) für die Säumnisbeschwerde nicht greifen' (Winkelhofer, Säumnis von Verwaltungsbehörden; S 232).

Das Ergebnis der Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichtshofes führt schlichtweg dazu, daß dem Normunterworfenen das Rechtsschutzinstitut der Säumnisbeschwerde in einem Fall wie dem des Antragstellers überhaupt nicht offen stünde und besteht daher auch im Sinne der Rechtstaatlichkeit ein immanentes Interesse, daß der Verfassungsgerichtshof für den Fall, daß er selbst seine Zuständigkeit bezüglich einer Säumnisbeschwerde verneint und daher ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen beiden Gerichtshöfen vorliegt, ausspricht, welcher der beiden Gerichtshöfe zur Behandlung einer Säumnisbeschwerde im vorliegenden Fall zuständig ist."

b) Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Verfahren zur Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes eine Äußerung erstattet.

Der Antrag wäre nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes zurückzuweisen, weil im Zeitpunkt seiner Einbringung noch kein die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes verneinender Beschluß vorgelegen sei.

Im übrigen verweist der Verwaltungsgerichtshof auf die Begründung seines Beschlusses vom 19. Oktober 1994 (s.o. I.1.a).

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.a) Gemäß Art138 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte "zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und allen anderen Gerichten, insbesondere auch zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof selbst, sowie zwischen den ordentlichen Gerichten und anderen Gerichten".

Nach der zitierten Verfassungsbestimmung iVm §46 Abs1 VerfGG besteht ein verneinender Kompetenzkonflikt u.a. dann, wenn "in

derselben Sache ... der Verwaltungsgerichtshof und der Verfassungsgerichtshof ... die Zuständigkeit abgelehnt haben",

obwohl eines der beiden Gerichte zuständig gewesen wäre; mit anderen Worten: wenn sich einer der beiden Gerichtshöfe zu Unrecht aus dem Grund der Unzuständigkeit geweigert hat, über einen vom Einschreiter gestellten Antrag eine Entscheidung in der Sache zu treffen (vgl. zB. VfSlg. 2429/1952, 4554/1963, 6046/1969, 13249/1992, 13409/1993; VfGH 14.12.1994 KI-1/94; 30.6.1995 KI-6/95 u.a. Zlen.).

b) Im vorliegenden Fall haben sowohl der Verwaltungsgerichtshof als auch der Verfassungsgerichtshof dem Einschreiter eine Sachentscheidung über die von ihm erhobenen Säumnisbeschwerden verweigert; beide Höchstgerichte erachteten sich als unzuständig.

Der Antragsteller hat den Antrag auf Entscheidung des Kompetenzkonfliktes für den Fall gestellt, daß der Verfassungsgerichtshof seine gleichzeitig eingebrachte Säumnisbeschwerde wegen Unzuständigkeit zurückweisen sollte. Dieser Fall ist inzwischen eingetreten (s.o. I.1.b). Es liegt daher (nunmehr) ein Kompetenzkonflikt vor.

Wie in der Folge (II.2) dargetan wird, ist einer der beiden Zurückweisungsbeschlüsse unrichtig.

Da sohin alle Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist der Antrag zulässig.

2. Zu erörtern ist, ob und welcher der beiden Zurückweisungsbeschlüsse nicht dem Gesetz entspricht.

a) Die Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes, über eine Säumnisbeschwerde zu entscheiden, ist offenkundig. Es genügt, auf die im Beschluß VfGH 14.6.1995 B754/95 genannte Vorjudikatur (angeführt oben zu I.1.b) hinzuweisen.

b)aa) Der Verwaltungsgerichtshof erkennt nach Art130 Abs1 B-VG unter anderem über Beschwerden, womit die Verletzung der Entscheidungspflicht der Verwaltungsbehörden behauptet wird (litb; Fassung BGBl. 685/1988). Art133 B-VG schließt jedoch bestimmte Angelegenheiten von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes aus, darunter (in Z1) "Angelegenheiten, die zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gehören". In die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes fallen neben anderen hier nicht in Betracht kommenden Anbringen Beschwerden gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden, soweit der Beschwerdeführer durch den Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet (Art144 Abs1 B-VG). Diese Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes kann schon von ihrem Wortlaut her eine Ausnahme von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art133 Z1 B-VG nur insoweit bewirken, als auch dieser Gerichtshof über Beschwerden zu erkennen hätte, welche die Rechtswidrigkeit von Bescheiden der Verwaltungsbehörden behaupten (Art130 Abs1 lita B-VG):

Bekämpft der Beschwerdeführer den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nämlich wegen Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder Rechtsverletzung durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm, so geht die besondere Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes, über diese Behauptung abzusprechen, der allgemeinen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Prüfung der behaupteten Rechtswidrigkeit vor: Art133 Z1 B-VG vermeidet die sonst entstehende Zuständigkeitskonkurrenz. Macht der Beschwerdeführer jedoch die Verletzung der Entscheidungspflicht geltend, rügt er nicht einen Bescheid (wie dies Art130 Abs1 lita B-VG und Art144 Abs1 B-VG

voraussetzen), sondern gerade die Untätigkeit einer Verwaltungsbehörde. Der Verfassungsgerichtshof ist aber durch keine Bestimmung berufen, über die Untätigkeit von Behörden zu befinden und ihnen dabei allenfalls die Erlassung eines Bescheides aufzutragen oder an ihrer Stelle in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. hingegen §42 Abs4 VwGG). Der in Art133 Z1 B-VG zum Ausdruck kommende Vorrang der speziellen gegenüber der generellen Kompetenz hat daher - wie schon 1955 K.Ringhofer,

Der Verwaltungsgerichtshof, 148, aufgezeigt hat - für Säumnisbeschwerden keinen Anwendungsbereich.

Der Verwaltungsgerichtshof geht offenbar davon aus, daß er selbst dann nicht in die Lage kommen dürfe, über die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte zu erkennen, wenn er diese Entscheidung nicht bei Prüfung der Rechtmäßigkeit von Bescheiden, sondern nur anstelle der säumigen Behörden zu treffen hätte. Ob freilich seine Prämisse zutrifft, er könne - falls er zuständig wäre - in Bindung an den vor der Behörde gestellten Antrag nur darüber absprechen, ob der Beschwerdeführer durch Ausübung von Zwangsgewalt in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde, kann angesichts der Pflicht der behaupteterweise säumigen unabhängigen Verwaltungssenate, einen fehlerhaften Verwaltungsakt nach §67c Abs4 AVG schlechthin "für rechtswidrig zu erklären", dahingestellt bleiben. Die einer Verwaltungsbehörde obliegende Sachentscheidung zu fällen ist nämlich niemals Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes; die in Art133 Z1 B-VG ausgeschlossene Zuständigkeitskonkurrenz kann daher von vornherein nicht eintreten.

Selbst wenn man die Aufgabe des Art133 Z1 B-VG darin sieht, über die Vermeidung einer Zuständigkeitskonkurrenz hinaus sicherzustellen, daß in Fragen der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte der Verfassungsgerichtshof das letzte Wort hat - was bei Abspruch des Verwaltungsgerichtshofes über eine solche Frage wegen der Unanfechtbarkeit seiner Erkenntnisse nicht mehr in Betracht kommt -, kann dies der Geltendmachung der Entscheidungspflicht nicht entgegenstehen. Würde doch ein Ausschluß des Verwaltungsgerichtshofes nicht bewirken, daß die Angelegenheit auf einem wie immer gearteten Weg vor den Verfassungsgerichtshof kommt, sondern nur zur endgültigen Verweigerung der Sachentscheidung führen. Es ist aber dem Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1946, der die Säumnisbeschwerde im B-VG zu einem Zeitpunkt verankerte, in dem Art133 Z1 B-VG schon längst bestanden hatte und nur die Kompetenzen der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in bezug auf Bescheidbeschwerden abgegrenzt haben konnte, nicht zusinnbar, dem Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung über eine Angelegenheit vorenthalten zu haben, die zu entscheiden der Verfassungsgerichtshof gar nicht in die Lage kommt. Er hätte damit gerade im Bereich erhöhter Schutzbedürftigkeit eine durch nichts zu rechtfertigende Rechtsschutzlücke geschaffen (dazu besonders R.Novak, Die Säumnisbeschwerde in Verfassungsangelegenheiten - eine offene Rechtsschutzfrage, FS Hellbling 1981, 299ff, 309ff; vgl. auch §36 Abs5 (später 4) DatenschutzG und die Begründung der Aufhebung dieser Verfassungsbestimmung in der Regierungsvorlage 1640 BlgNR 18. GP, 8, zu BGBl. 632/1994).

Die auf die vorrangige Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes abstellende Z1 des Art133 B-VG unterscheidet sich eben ihrem ganzen Inhalt nach wesentlich von den auf bestimmte Verwaltungsmaterien bezogenen Ausnahmen der (inzwischen allerdings aufgehobenen) Z2 - Disziplinarangelegenheiten - und der noch in Geltung stehenden Z3 - Patentwesen -, und auch von der zusammen mit der Regelung der Entscheidungspflicht (§73 AVG) zu lesenden Z4, dem normativen Ausdruck dessen, daß nach Einschätzung des Verfassungsgesetzgebers die Möglichkeit der Anrufung einer Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle an sich erübrigt.

Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nach Art130 Abs1 litb B-VG zuständig, über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht auch dann zu erkennen, wenn er dadurch genötigt sein sollte, anstelle der Verwaltungsbehörde ausschließlich über die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte zu erkennen. Mit diesem Urteil befindet sich der Verfassungsgerichtshof, der bisher diese Frage zu beantworten noch keine Gelegenheit hatte, in Übereinstimmung mit dem - soweit zu sehen einhelligen - Schrifttum: vgl. die nähere Darstellung bei K.Ringhofer, Über verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte und die Kompetenzgrenze zwischen Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof, in FS Melichar, 1983, 161ff, 163; sowie die Stellungnahmen von R.Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1972, 669 FN 26: "...der Zuständigkeitsausschluß nach Art133 Z. 1 B.-VG. nicht denkbar"; G.Winkler, Der gerichtliche Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt in Österreich, 1969, neu in: Orientierungen im öffentlichen Recht, 1979, 159;

P.Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1983, 41, und F.Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1986, 740;

ausführlich F.Eberhard in Ermacora-Nowak-Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 1983, zu Art13 MRK, 533ff; Chr.Keller, Rechtsschutz - eine Auslegungsfrage? FS Rosenzweig, 1988, 233ff;

und R.Winkelhofer, Säumnis von Verwaltungsbehörden, 1991, 231ff.

bb) Daraus folgt, daß der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die an ihn gerichtete Säumnisbeschwerde vom 20. Mai 1994 zuständig gewesen ist.

Demnach entsprach der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Oktober 1994, mit dem er die Säumnisbeschwerde wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen hatte, nicht dem Gesetz.

3. Sohin war einerseits auszusprechen, daß die Entscheidung über die Säumnisbeschwerde in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes fällt; andererseits war dessen entgegenstehender Beschluß aufzuheben (§51 VerfGG).

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

5. Dem Antragsteller waren gemäß §52 VerfGG die begehrten Kosten in der Höhe von S 12.830,-- zuzusprechen.

Schlagworte

VfGH / Zuständigkeit, Verwaltungsgerichtshof, Zuständigkeit Verwaltungsgerichtshof, Säumnisbeschwerde, VfGH / Kompetenzkonflikt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:KI3.1995

Dokumentnummer

JFT_10039372_95K00I03_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten