TE OGH 2020/1/24 8ObA76/19p

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Veröffentlicht am 24.01.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Dr. Herwig Ernst, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die beklagte Partei Land Niederösterreich, *****, vertreten durch Mag. Thomas Reisch, Rechtsanwalt in Wien, wegen 17.993,07 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Oktober 2019, GZ 8 Ra 66/19p-17, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Nach allgemeinem Arbeitsrecht hat der Arbeitnehmer im Fall einer unwirksamen Auflösung bei bestehendem besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz das Wahlrecht zwischen der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Auflösung und der Forderung einer Kündigungsentschädigung bei rechtswidriger Beendigung (RIS-Justiz RS0101989 [T1]; vgl RS0028839; RS0028183).

1.2 Damit in Einklang steht, dass nach § 92 Abs 1 letzter (dritter) Satz NÖ LBG Bedienstete das Recht haben, eine sonst rechtsunwirksame Entlassung (oder Kündigung) gegen Entschädigung gemäß § 92 Abs 2 NÖ LBG als wirksam anzuerkennen. § 92 Abs 2 NÖ LBG sieht für nicht rechtswirksame Beendigungen, dann wenn Bedienstete diese im Sinne des „zweiten“ – gemeint offenbar „dritten“ – Satzes anerkennen, einen Anspruch auf Geldleistungen – ähnlich einer Kündigungsentschädigung – für den Zeitraum, der bis zum Ablauf der bestimmten Vertragszeit oder der zutreffenden Kündigungsfrist „hätte verstreichen müssen“, vor (vgl 8 ObA 55/18y). Gemäß § 92 Abs 3 NÖ LBG müssen solche Ansprüche bei sonstigem Ausschluss binnen sechs Monaten nach Ablauf des Tages, an dem sie erhoben werden konnten, geltend gemacht werden.

2. Die Beurteilung der Vorinstanzen, der Kläger habe, nachdem ihm das Entlassungsschreiben am 7. 10. 2017 zugegangen war, seine aus der ungerechtfertigten Beendigung resultierenden Entschädigungsansprüche mit Schreiben der Arbeiterkammer Niederösterreich vom 3. 11. 2017 fristgerecht geltend gemacht, ist von dieser Gesetzeslage gedeckt.

3. Die Ausführungen der Revision, dem Kläger wäre hier nur die 14-tägige „Anfechtungsfrist“ im Sinn der §§ 105, 106 ArbVG zur Verfügung gestanden, um entweder die rechtsunwirksame Entlassung anzufechten oder anzuerkennen, mangels Anfechtung bzw Anerkennung innerhalb dieser Frist stünden dem Kläger keine Ansprüche nach § 92 Abs 2 NÖ LBG mehr zu, wecken daran keine Zweifel.

3.1 Zum einen ist schon die Prämisse nicht nachvollziehbar, dass dem Kläger bloß eine 14-tägige Frist für die Einbringung einer auf die Fortsetzung des Dienstverhältnisses gerichteten Klage offen gestanden wäre. Die von der Beklagten herangezogenen Bestimmungen regeln den allgemeinen Motiv- und Sozialschutz; im vorliegenden Fall ist aber ein besonderer Kündigungs- und Entlassungsschutz zu beurteilen. Mit der (hier noch nicht anwendbaren) Novelle des NÖ LBG, LGBl 3/2018, wurde für die Einbringung einer Klage auf Anfechtung der Kündigung bzw Entlassung eine Frist von einem Monat nach Beendigung des Dienstverhältnisses eingeführt (§§ 88 Abs 3 und 90 Abs 7 NÖ LBG). Nach allgemeinen Grundsätzen konnte bereits vor dieser ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der die Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers voraussetzende Fortsetzungsanspruch nicht zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden (vgl RS0028233). Mangels Fristsetzung war davor zur Beurteilung der Unverzüglichkeit ein angemessener, zur Erkundigung und Meinungsbildung objektiv ausreichender Zeitraum heranzuziehen (RS0028233 [T24]). Gründe, warum im konkreten Fall eine einmonatige Frist, innerhalb derer der Kläger seine Entschädigungsansprüche geltend gemacht und damit sein Wahlrecht ohnehin ausgeübt hat, nicht jedenfalls angemessen gewesen wäre, wofür immerhin die nunmehrige gesetzliche Regelung spricht, nennt die Beklagte nicht.

3.2 Zum anderen vermengt die Beklagte die Frage, ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist, und die Frage nach der Rechtswirksamkeit der Beendigungserklärung, zwischen denen zu differenzieren ist (vgl 9 ObA 135/18w). Der Kläger leitet seine Schadenersatzansprüche nicht aus der (geheilten) Rechtsunwirksamkeit der Beendigungserklärung, sondern aus deren Unbegründetheit bzw Fristwidrigkeit ab. Dafür räumt ihm das Gesetz eine sechsmonatige Präklusivfrist ein. Eine unzulässige Erweiterung des Wahlrechts ist darin entgegen der Meinung der Beklagten nicht zu erblicken. Aus den von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Entscheidungen 8 ObA 213/96 (Ablehnung einer Konversion der unwirksamen zu einer wirksamen Beendigung zu einem späteren Zeitpunkt) und 8 ObA 37/17z (Verwirkung des Entlassungsgrundes wegen Verfristung der Zustimmungsklage) ergibt sich nichts anderes.

4. Der Beklagten gelingt es insgesamt nicht, eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

Textnummer

E127615

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00076.19P.0124.000

Im RIS seit

26.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.03.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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