TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/3 I401 2147168-2

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Veröffentlicht am 03.09.2019
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Entscheidungsdatum

03.09.2019

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs10
AsylG 2005 §58 Abs13
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 8
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I401 2147168-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch Mag. Susanne SINGER, Rechtsanwältin, Ringstraße 9/1, 4600 Wels, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 07.02.2018, Zl. 1026232506 - 171050674, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 24.07.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Die belangte Behörde wies mit Bescheid vom 04.01.2016 diesen Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigen als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist und gewährte ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

1.3. Die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.07.2017, I415 2147168-1/6E, als unbegründet abgewiesen.

2.1. Mit Formularvordruck "Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK - Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens" vom 12.09.2017 beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.

Beigelegt waren dem Antrag eine Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers vom 08.09.2017, mehrere Empfehlungsschreiben, ein "Zeugnis" des DI C B vom 05.08.2017 über den regelmäßigen Besuch eines Bibelkurses durch den Beschwerdeführer seit ca. zwei Jahren und eine Zusage der Einstellung des Beschwerdeführers bei der Q GmbH vom 25.07.2017 als Hilfskraft in der Küche sowie das "ÖSD Zertifikat A2" vom 30.08.2016 über die bestandene Deutschprüfung.

2.2. Mit dem bekämpften Bescheid vom 07.02.2018 wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurück.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass seit dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.07.2017 eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes, auch wenn der Beschwerdeführer eine Einstellungszusage und Unterstützungsschreiben vorgelegt habe, nicht eingetreten sei.

2.3. Gegen diesen Bescheid erhob der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel einer Beschwerde.

Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass sich in seiner Person insofern maßgebliche Sachverhaltsänderungen ergeben hätten, als der Beschwerdeführer bei der Q GmbH bei Erhalt eines entsprechenden Aufenthaltstitels umgehend zu arbeiten beginnen könne und ein eigenes Einkommen erzielen werde. Selbst wenn diese Arbeitszusage nicht in Form eines verbindlichen Arbeitsvorvertrages vorgelegt worden sei, könnte er sofort zu arbeiten beginnen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde handle es sich dabei nicht bloß um ein ungewisses, zukünftiges Ereignis. Eine derartige Einstellungszusage wäre nicht möglich gewesen, wenn der Beschwerdeführer nicht über sehr gute soziale Kontakte verfügen würde und eine vertiefte Integration gegeben wäre. Zudem sei in der Arbeitszusage zugesichert worden, einen entsprechenden Arbeitsvertrag zu erstellen sowie den Beschwerdeführer ordnungsgemäß zur Sozialversicherung anzumelden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer stellte unter mehreren anderen Vor- und Familiennamen und verschiedenen Geburtsdaten in der Schweiz einen Asylantrag, der von den Schweizer Behörden am 25.01.2012 abgelehnt wurde.

Unter Angabe des auch im gegenständlichen Verfahren verwendeten Namens, jedoch mit einem anderen Geburtsdatum beantragte der Beschwerdeführer am 08.11.2013 in Ungarn Asyl, welcher mit Entscheidung der ungarischen Behörden vom 29.11.2013 ebenfalls negativ entschieden wurde.

1.2. Die gegen Bescheid der belangten Behörde vom 04.01.2016, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers vom 24.07.2014 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet abgewiesen, ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt wurde, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist, erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis vom 11.07.2017 als unbegründet ab.

Es hielt auf das Wesentlichste zusammengefasst Folgendes fest:

"Bis zu seiner Ausreise lebte er in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter, seinem Bruder und einer Schwester, welche sich nach wie vor in Nigeria aufhalten. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte. Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer um soziale und integrative Verfestigung bemüht ist. Deutsch spricht der Beschwerdeführer auf A2-Niveau. Er bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und verdient sich ein Einkommen als Zeitungskolporteur."

1.3. Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, gesund und Staatsangehöriger von Nigeria, wo er zehn Jahre zur Schule ging. Nach Absolvierung einer Berufsausbildung verdiente er sich als Friseur und Barbier seinen Lebensunterhalt.

Er hält sich seit zumindest 24.07.2014 in Österreich auf. Er bekennt sich zum christlichen Glauben. In Österreich leben keine Verwandten des Beschwerdeführers und er verfügt über keine privaten und familiären Beziehungen.

Er hat Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2. Er pflegt Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern. Er hat eine Einstellungszusage der Q GmbH. Er besuchte seit ca. zwei Jahren jede Woche einen Bibelkurs im Ausmaß von ca. zwei bis vier Stunden.

Der Beschwerdeführer ging keiner der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit (nach dem ASVG oder GSVG) nach und bezog bis 15.02.2018 Leistungen aus der Grundversorgung (Krankenversicherung, Verpflegung, Miete Einzelperson). Er verkaufte eine Zeitschrift.

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer ist trotz der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.07.2017 rechtskräftig ausgesprochenen aufrechten Rückkehrentscheidung seiner Ausreiseverpflichtung aus Österreich nicht freiwillig nachgekommen.

Die Abschiebung des Beschwerdeführers (per Charter) nach Nigeria erfolgte am 19.04.2018.

Unter Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers liegt ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht vor.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Akt der belangten Behörde und durch Einsichtnahme in den Akt bzw. das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zu I415 2147168-1.

Der Beschwerdeführer bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattet in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt ansieht und sich der von der belangten Behörde vorgenommenen, nachvollziehbaren Beweiswürdigung anschließt.

Zu keinem Zeitpunkt behauptete der Beschwerdeführer, in Österreich ein Familienleben zu führen; ein solches konnte daher nicht festgestellt werden.

Dass der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung bis 15.02.2018 bezog, keiner der Pflichtversicherung (nach dem ASVG und/oder GSVG) unterliegenden (geringfügigen) Erwerbstätigkeit nachging, strafgerichtlich unbescholten und am 19.04.2018 seine Abschiebung nach Nigeria erfolgt ist, fußt auf einer Abfrage der Daten aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Melderegister, einem Versicherungsdaten- sowie Strafregisterauszug jeweils vom 02.09.2019.

Dass er über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 und eine Einstellungszusage verfügt, ergibt sich aus dem vorliegenden, ihm bereits während des Asylverfahrens ausgestellten Zertifikat über die bestandene Prüfung "ÖSD Zertifikat A2" vom 30.08.2016 sowie der Einstellungszusage der Q GmbH vom 25.07.2017, wonach sie eine Hilfskraft in der Küche benötige. Die vom Beschwerdeführer vorgelegten Empfehlungsschreiben und der regelmäßige Besuch eines Bibelkurses dokumentieren die von ihm gepflegten Kontakte zu österreichischen Staatsangehörigen. Dass er in Österreich über keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen verfügt, ergibt sich aus seinen Angaben anlässlich seines Vorverfahrens sowie aus dem diesbezüglich unterbliebenen Vorbringen in der Beschwerde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Der mit "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" überschriebene § 55 AsylG 2005 (in der - wie auch die folgenden Bestimmungen zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides - geltenden Fassung BGBl. I Nr. 68/2017) lautete wie folgt:

"(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 (in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017) sind Anträge gemäß § 55 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57 AsylG 2005, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

Gemäß § 58 Abs. 13 leg. cit. begründen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 AsylG 2005 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 AsylG 2005 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.

Gemäß § 16 Abs. 5 BFA-VG (in der Fassung BGBl. I Nr. 140/2017) begründet eine Beschwerde gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 oder ein diesbezüglicher Vorlageantrag kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. § 58 Abs. 13 AsylG 2005 gilt.

§ 9 Abs. 2 BFA-VG (in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015) lautet:

"(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

3.1.2. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid den auf § 55 Abs. 1 AsylG gestützten Antrag auf Grund des § 58 Abs. 10 erster Satz AsylG 2005 zurückgewiesen, da aus dem Antragsvorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG seit Eintritt der Rechtskraft der gegen ihn erlassenen Rückkehrentscheidung mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.07.2017 ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich mache, nicht hervorgehe.

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1803 BlgNR 24. GP 50) legen zu § 58 Abs. 10 AsylG dar:

"Der neue (Abs. 10) entspricht im Wesentlichen § 44b NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011. Mit der Neuerrichtung des Bundesamtes und der damit einhergehenden Verfahrensvereinfachung und organisatorischen Umstrukturierung ist die Einbindung der zuständigen Sicherheitsdirektion entfallen. Die Beurteilung bzw. Prüfung erfolgt nun durch das Bundesamt. Dementsprechend sind Anträge als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 iVm § 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Diese inhaltliche Neubewertung des Sachverhaltes hat sich lediglich auf den Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Entscheidung nach dem FPG bis zur Entscheidung des zugrundeliegenden Antrages auf Erteilung des Aufenthaltstitels zu beziehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass - im Rahmen einer Neubewertung - wenn ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, ein Aufenthaltstitel zu erteilen sein wird."

3.2. Rechtsprechung:

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in seinem Erkenntnis vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, die Rechtsansicht, dass die zur Vorgängerregelung des § 58 Abs. 10 AsylG (also zu § 44b Abs. 1 NAG) ergangene Rechtsprechung auf die Auslegung des § 58 Abs. 10 AsylG zu übertragen ist (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101). Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt liegt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufweisen, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gebieten würde. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zulässig.

Da der Zurückweisungsgrund gemäß § 58 Abs. 10 AsylG (vormals § 44b Abs. 1 Z 1 NAG) der Zurückweisung wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) nachgebildet ist, können die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze für die Beurteilung, wann eine Änderung des Sachverhaltes als wesentlich anzusehen ist, auch für die Frage herangezogen werden, wann eine maßgebliche Sachverhaltsänderung iSd § 58 Abs. 10 AsylG vorliegt. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides (bezogen auf § 58 Abs. 10 AsylG: eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein; in dieser Hinsicht hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat. Für diese Prognose ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen (vgl. VwGH 09.09.2013, 2013/22/0161; vom selben Tag, 2013/22/0215, mwN).

Es hat also im Rahmen des Verfahrens nach § 55 AsylG 2005 eine Neubewertung einer Rückkehrentscheidung nur bei einem geänderten Sachverhalt zu erfolgen, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, wobei sich diese inhaltliche Neubewertung des Sachverhaltes lediglich auf den Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Entscheidung nach dem FPG bis zur Entscheidung des zugrundeliegenden Antrages auf Erteilung des Aufenthaltstitels zu beziehen hat (vgl. VwGH 16.12.2015, Ro 2015/21/0037).

Nach der Judikatur zu § 44b Abs. 1 letzter Halbsatz NAG haben nach der Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung eingetretene Umstände keinen Einfluss auf die Beurteilung, ob die auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG gegründete Antragszurückweisung von der Erstbehörde zu Recht vorgenommen wurde (vgl. VwGH vom 22.07.2011, Zl. 2011/22/0110).

3.3. Anwendung auf den gegenständlichen Beschwerdefall:

Im gegenständlichen Fall lässt sich ein im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG geänderter Sachverhalt zum Zeitpunkt der bekämpften Entscheidung vom 07.02.2018, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.07.2017 nicht erkennen.

Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass sich die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung durch den unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet um einige bzw. fünf Monate verlängert hat.

Auch im Hinblick auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Beschwerdeführers war ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht festzustellen, wobei er - auch in der Beschwerde - eine maßgebliche Änderung des Sachverhalts nicht behauptet hat.

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, er verfüge für den Fall des Erhalts einer Arbeitsberechtigung über eine Einstellungszusage, er pflege - wie den verschiedenen Empfehlungsschreiben zu entnehmen sei - soziale Kontakte zu österreichischen Staatsangehörigen und er habe die (vor Erlassung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung abgelegte) Deutschprüfung A2 im August 2016 bestanden, kann aus diesen Umständen keine solche maßgebliche Änderung des Sachverhalts abgeleitet werden, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erfordert hätte (vgl. VwGH 10.12.2013, 2013/22/0362; 19.11.2014, Zl. 2012/22/0056, mwN).

Es kann nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers mit der Begründung zurückgewiesen hat, dass "keine maßgebliche Sachverhaltsänderung stattgefunden hat".

Die Zurückweisung des gemäß § 55 Abs. 1 AsylG vom Beschwerdeführer gestellten Antrags erfolgte daher zu Recht.

3.4. Der Vollständigkeit halber ist zum Unterbleiben einer Rückkehrentscheidung auf die Entscheidung des VwGH vom 19.11.2015, Ra 2015/20/0082, hinzuweisen:

Durch den Verweis auf § 53 FrPolG 2005, der die Erlassung eines Einreiseverbotes regelt, geht in Zusammenschau mit den Materialien (vgl. EB RV 1803 BlgNR 24. GP, 67 zum FNG, BGBl. I Nr. 87/2012) hervor, dass sich § 59 Abs. 5 FrPolG 2005 nur auf solche Rückkehrentscheidungen bezieht, die mit einem Einreiseverbot verbunden sind. Nur im Fall der Änderung des für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes relevanten Sachverhaltes bedarf es einer neuen Rückkehrentscheidung, um allenfalls die Dauer des mit ihr zu verbindenden Einreiseverbotes neu festlegen zu können; ist die Rückkehrentscheidung allerdings von vornherein nicht mit einem Einreiseverbot verbunden, fällt sie nicht in den Anwendungsbereich dieser Norm. In solchen Fällen ist daher - mangels anderer gesetzlicher Anordnung - die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erforderlichkeit der Verbindung einer ab- oder zurückweisenden Entscheidung der Asylbehörden mit einer Ausweisung, unabhängig davon, ob zum Entscheidungszeitpunkt bereits eine rechtskräftige Ausweisung vorliegt (Hinweis Erkenntnisse vom 7. Mai 2008, 2007/19/0466, und vom 19. Februar 2009, 2008/01/0344) auf die ab 1. Jänner 2014 geltende Rechtslage übertragbar.

Gegen den Beschwerdeführer wurde zwar mit dem den Bescheid der belangten Behörde vom 04.01.2016 bestätigenden Erkenntnis vom 11.07.2017 eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig ausgesprochen, jedoch war diese mit keinem Einreiseverbot verbunden, weshalb § 59 Abs. 5 FPG nicht zur Anwendung kommt.

Zudem würde eine allfällige Säumnis mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung nicht zur Rechtswidrigkeit des Ausspruchs über den Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach Art. 8 EMRK führen. Dieser hängt nämlich nicht von der Rückkehrentscheidung ab (VwGH, 12.12.2018, Ra 2017/19/0553).

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Verwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem Verwaltungsgericht durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn - wie im konkreten Fall - deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052). Diese Regelung steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen. Aus dem Beschwerdevorbringen ergeben sich keine maßgeblichen neuen Sachverhaltselemente. Es lagen keine strittigen Sachverhalts- oder Rechtsfragen vor und waren auch keine Beweise aufzunehmen.

Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK, aufrechte
Rückkehrentscheidung, entschiedene Sache, geänderte Verhältnisse,
Interessenabwägung, öffentliche Interessen, Privat- und
Familienleben, private Interessen, Rechtskraft der Entscheidung,
Rechtskraftwirkung, res iudicata, Rückkehrentscheidung, wesentliche
Sachverhaltsänderung, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:I401.2147168.2.00

Zuletzt aktualisiert am

24.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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