TE Vwgh Erkenntnis 2008/5/7 2007/19/0466

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Veröffentlicht am 07.05.2008
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §5 ;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §75 Abs4;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Mag. Nedwed, Dr. N. Bachler, MMag. Maislinger und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des T, vertreten durch Dr. Klaus Kocher und Mag. Wilfried Bucher, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Juni 2007, Zl. 267.970-2/2E-XII/36/07, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache und § 10 AsylG 2005 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, suchte in Österreich erstmals am 20. Dezember 2005 um Asyl an. Die belangte Behörde wies diesen Antrag im Instanzenzug mit Bescheid vom 21. Februar 2006 gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) zurück und sprach aus, dass für die Prüfung des Antrages Polen zuständig sei. Unter einem wies sie den Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm Abs. 4 AsylG nach Polen aus. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 31. Mai 2007, Zl. 2006/20/0225, ab.

Am 6. Mai 2007 brachte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein, den die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid im Instanzenzug "gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache" zurück- und den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen auswies.

Begründend führte sie im Wesentlichen aus, der erste Asylantrag des Beschwerdeführers in Österreich sei wegen der Zuständigkeit Polens nach Art. 13 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung rechtskräftig zurückgewiesen worden. Seit Abschluss dieses Verfahrens habe sich der Beschwerdeführer nicht aus dem Bundesgebiet entfernt. Er habe sich vielmehr nach seinen eigenen Angaben innerhalb des Bundesgebietes an verschiedenen Adressen versteckt gehalten, um der Überstellung nach Polen zu entgehen. Es könnten daher offensichtlich seit Rechtskraft der ersten, den Asylantrag zurückweisenden Entscheidung keine neuen zuständigkeitsbegründenden Sachverhalte eingetreten sein. Soweit sich der Beschwerdeführer auf eine angebliche Traumatisierung stütze, sei ihm zu entgegen, dass eine solche bereits im ersten rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren nicht festgestellt worden sei. Neu entstandene Beweismittel, die auf eine derartige psychische Erkrankung hindeuteten, seien nicht vorgelegt worden. Es sei auch nicht behauptet worden, dass diese Erkrankung erst nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens eingetreten sei bzw. sich in relevanter Weise verschlechtert habe. Das Vorbringen, zwei seiner Freunde seien von Polen gleich in die Russische Föderation zurückgeschoben worden und dort verschwunden, hätte der Beschwerdeführer bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geltend machen können, zumal er von diesen Umständen bereits am 29. Dezember 2005 erfahren haben wollte. Im Übrigen erscheine dieses Vorbringen auch nicht glaubhaft und lägen keine konkreten Anhaltspunkte für eine dem Beschwerdeführer in Polen drohende "ungeprüfte Kettenabschiebung" vor. Im vorliegenden Verfahren seien auch keine Umstände hervorgekommen, aus denen abgeleitet werden könnte, dass der Beschwerdeführer - anders als im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren - in Österreich ein schützenswertes Familienleben führe. Zusammenfassend gelange die belangte Behörde zur Ansicht, dass sich gegenüber dem früheren (den ersten Asylantrag zurückweisenden und die Ausweisung nach Polen anordnenden) Bescheid weder die relevante Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert habe. Dass es in einem derartigen Fall zu einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache nach § 68 Abs. 1 AVG kommen soll, sei aus § 75 Abs. 4 AsylG 2005 abzuleiten. Die belangte Behörde sei der Ansicht, dass die vom Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 24. Februar 2005, Zl. 2004/20/0010, zur Rechtslage nach dem AsylG vorgebrachten Argumente, die (in Fällen der Unzuständigkeit nach § 5 AsylG) gegen eine Zurückweisung wiederholter Anträge wegen entschiedener Sache sprächen, aus näher dargelegten Gründen auf das AsylG 2005 nicht in demselben Maße zuträfen. Der gegenständliche (zweite) in Österreich gestellte Antrag des Beschwerdeführers (auf internationalen Schutz) sei deshalb gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1.) Mit hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2005, Zlen. 2004/20/0010 bis 0013, hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf § 5 AsylG (in der Fassung vor der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101) erkannt, dass sich ein Zurückweisungsausspruch nach dieser Gesetzesstelle nur auf den jeweiligen Asylantrag beziehe und jeder neue (wiederholte) Asylantrag daher (außer er wurde gemäß § 4 AsylG erledigt) nach der Systematik des AsylG einer eigenen Zuständigkeitsprüfung nach § 5 AsylG zu unterziehen sei. Das entspreche im Übrigen auch dem Zweck dieser Bestimmung, im Falle der Unzuständigkeit Österreichs - ohne fremdenrechtliches Verfahren - den rechtlichen Rahmen für eine rasche Umsetzung dieser Entscheidung (Überstellung des Asylwerbers aufgrund der unter einem auszusprechenden Ausweisung in den zuständigen Staat) zu schaffen. Dieses Ziel wäre bei einer Zurückweisung des Folgeantrags wegen entschiedener Sache verfehlt, weil für diesen Fall (nach der damals anzuwendenden Rechtslage) die Verbindung mit einer Ausweisung nicht vorgesehen sei.

Die Beschwerde stützt sich auf dieses Erkenntnis und meint, die belangte Behörde habe sich zu Unrecht über die darin aufgestellten Rechtsgrundsätze hinweg gesetzt. Diese Auffassung teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht:

Anders als in jenem Fall, der dem zitierten Vorerkenntnis zugrunde lag, wurde der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz nach Inkrafttreten des AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 gestellt. Die maßgebliche Rechtslage lautet wie folgt:

"§ 5. (1) Ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

...

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird;

...

§ 75. ...

(4) Ab- oder zurückweisende Bescheide auf Grund des Asylgesetzes, BGBl. Nr. 126/1968, des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, sowie des Asylgesetzes 1997 begründen in derselben Sache in Verfahren nach diesem Bundesgesetz den Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache (§ 68 AVG)."

Der Gesetzgeber hat in § 75 Abs. 4 AsylG 2005 klar gestellt, dass auch zurückweisenden Bescheiden nach dem AsylG 1997 (wozu auch Bescheide nach § 5 AsylG gehören) Sperrwirkung zukommt und Folgeanträge in derselben Sache wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen sind. Er hat überdies in § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 vorgesehen, dass zurückweisende Bescheide (somit auch solche nach § 68 Abs. 1 AVG) mit einer Ausweisung zu verbinden sind. Die im obgenannten hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2005 angestellten Überlegungen lassen sich daher auf Fälle im Anwendungsbereich dieser geänderten Rechtslage nicht übertragen. Unter der Voraussetzung, dass in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten Umständen, die zu einer Verneinung der Zuständigkeit Österreichs und zur Feststellung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union geführt haben, keine Änderung eingetreten ist, ist daher ein im Bundesgebiet neuerlich gestellter Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

2.) Es bleibt zu prüfen, ob sich im vorliegenden Fall der maßgebliche Sachverhalt nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens geändert hat.

Die belangte Behörde verneint diese Frage und führt in einer allgemeinen Einleitung ihrer Begründung aus, der Beschwerdeführer habe sich nach eigenen Angaben innerhalb des Bundesgebietes versteckt gehalten, um der Überstellung nach Polen zu entgehen. Es könnten daher "offensichtlich seit Rechtskraft der ersten den Asylantrag zurückweisenden Entscheidung keine neuen zuständigkeitsbegründenden Sachverhalte" eingetreten sein.

Diese Überlegungen überzeugen für sich betrachtet nicht. Selbst wenn sich der Beschwerdeführer nach (rechtskräftigem) Abschluss seines ersten, in Österreich geführten Asylverfahrens weiterhin im Bundesgebiet aufhielt, könnte unter bestimmten Voraussetzungen eine Zuständigkeitsverschiebung gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin-Verordnung erfolgt sein. Es ließe sich auch nicht von vornherein ausschließen, dass sich die persönliche Situation des Beschwerdeführers oder die Verhältnisse im Zielstaat relevant geändert hätten, weshalb - anders als im Erstverfahren - die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung geboten wäre.

Fallbezogen ist der belangten Behörde allerdings nicht entgegen zu treten, wenn sie in der weiteren Begründung des Bescheides im Einzelnen darlegt, dass beim Beschwerdeführer kein gegenüber dem Erstverfahren relevant geänderter Sachverhalt vorliegt.

Die Beschwerde sieht einen "geänderten Sachverhalt" dadurch verwirklicht, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vor der erstinstanzlichen Behörde (am 23. Mai 2007) angegeben habe, er habe nähere Umstände zum Verbleib seiner Freunde "erst nach dieser Einvernahme" (gemeint wohl: nach den Einvernahmen im Vorverfahren) erfahren. Damit wird allerdings nicht erklärt, wann der Beschwerdeführer diese "näheren Umstände", die nach seinem Dafürhalten eine Gefährdung auch seiner Person bei Überstellung nach Polen begründen sollen, erfahren hat und aus welchen Gründen sie auch in seinem Rechtsmittel im Vorverfahren keine Erwähnung gefunden haben. Abgesehen davon übersieht die Beschwerde aber vor allem, dass ein geänderter Sachverhalt nur dann vorläge, wenn nach (rechtskräftigem) Abschluss des ersten Asylverfahrens relevante Ereignisse stattgefunden hätten, die eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung des Beschwerdeführers in Polen hätten befürchten lassen. Derartiges wurde vom Beschwerdeführer vor den Asylbehörden aber nicht behauptet. Kein "neuer Sachverhalt" wird hingegen dadurch begründet, dass der Beschwerdeführer - wie die Beschwerde vermeint - erst nach Beendigung des ersten Asylverfahrens die näheren Umstände von Ereignissen erfahren hat, die sich schon vor Abschluss des Erstverfahrens ereignet haben.

Soweit die Beschwerde (neuerlich) auf eine Traumatisierung des Beschwerdeführers verweist und eine Kettenabschiebung aus Polen befürchtet, setzt sie sich mit den (schlüssigen) Erwägungen der belangten Behörde hiezu nicht substantiiert auseinander und vermag ihnen daher auch nichts Stichhältiges entgegen zu setzen.

Auch die Beschwerdebehauptungen zum Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers vermögen schon deshalb nicht zu überzeugen, weil auch die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers Österreich verlassen müssen und ihre Asylverfahren in Polen zu führen sind (vgl. die mit heutigem Tag erfolgten Ablehnungen von deren hg. Beschwerden zu den Zlen.2007/19/0465, 0467).

Abschließend bleibt zu ergänzen, dass fallbezogen auch kein Zuständigkeitsübergang nach Art. 20 Abs. 2 Dublin-Verordnung stattgefunden hat.

Der Kostenzuspruch an die belangte Behörde gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 7. Mai 2008

Schlagworte

Zurückweisung wegen entschiedener Sache Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007190466.X00

Im RIS seit

23.06.2008

Zuletzt aktualisiert am

06.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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