TE Vwgh Erkenntnis 2020/1/23 Ra 2018/15/0107

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.01.2020
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §39 Abs2
BAO §115 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des W H in B, vertreten durch die Concin & Partner Rechtsanwälte GmbH in 6700 Bludenz, Mutterstraße 1a, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 16. August 2018, Zl. RV/1100116/2018, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2016, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Nach den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts war der im Jahr 1954 geborene Revisionswerber bis 30. Juni 2009 als Grenzgänger in Liechtenstein beschäftigt. Ab 1. Dezember 2009 nahm er eine nichtselbständige Tätigkeit in Österreich auf. Infolge der Beendigung des Dienstverhältnisses in Liechtenstein wurde auch das Vorsorgeverhältnis zur betrieblichen Pensionskasse der Arbeitgeberin aufgelöst, welche am 28. Juli 2009 eine Austrittsabrechnung erstellte und die Freizügigkeitsleistung in Höhe von 134.761,20 CHF auf ein Wartekonto bei der Stiftung Sozialfonds übertrug. Die Stiftung Sozialfonds leitete die Freizügigkeitsleistung an die Liechtensteinische Landesbank weiter, die es auf einem "Vorsorge-Sperrsparkonto" verbuchte. Am 13. September 2016 beantragte der Revisionswerber, der von der liechtensteinischen Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) seit 1. August 2015 eine Rente bezieht, die Auflösung des Vorsorgekontos und die Überweisung des auf diesem Konto befindlichen Kapitals von 144.408,94 CHF auf sein österreichisches Bankkonto.

2 Der Revisionswerber beantragte für die als Einmalbetrag ausbezahlte Freizügigkeitsleistung in Höhe von 144.408,94 CHF die Steuerfreistellung zu einem Drittel gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002.

3 Das Finanzamt erließ einen Einkommensteuerbescheid, in dem es diesen Betrag zur Gänze (ohne Berücksichtigung des beantragten steuerfreien Drittels) besteuerte, und begründete dies im Wesentlichen damit, dass bei Vorliegen eines (hier gegebenen) Wahlrechts eine begünstigungsfähige Pensionsabfindung zu verneinen sei.

4 Eine gegen den Einkommensteuerbescheid gerichtete Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung ab und führte zur Begründung aus, scheide ein Arbeitnehmer aus einem anderen Grund als wegen Alters, Invalidität oder Tod aus einer Vorsorgeeinrichtung aus, so habe diese gemäß Art. 11 des liechtensteinischen Gesetzes über die betriebliche Personalvorsorge (BPVG) eine Freizügigkeitsleistung zu erbringen, die dem zurückgestellten Deckungskapital entspreche. Die Freizügigkeitsleistung sei gemäß Art. 12 BPVG weiterhin für die Vorsorge des aus der Versicherung ausscheidenden Arbeitnehmers zu verwenden. Zu diesem Zweck werde sie an die Vorsorgeeinrichtung des neuen Arbeitgebers überwiesen. Falls dies nicht möglich sei, sei sie als Einlage für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice bei einem in Liechtenstein zugelassenen Versicherungsunternehmen oder auf ein für Vorsorgezwecke gesperrtes Konto bei einer liechtensteinischen Bank zu verwenden. Der Revisionswerber habe demnach zwischen der Einrichtung eines Freizügigkeitskontos und der Auszahlung der Vorsorgeleistung als Einmalbetrag oder dem Investment in eine Freizügigkeitspolice, mit dem späteren Anspruch auf eine Pension, wählen können. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stehe ihm aufgrund dieser "obligatio alternativa" keine Drittelbegünstigung zu.

5 Der Revisionswerber beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde keine Folge. Der Revisionswerber sei im Zeitpunkt der Auszahlung der Pensionskassenleistung 62 Jahre alt und bereits seit einem Jahr Bezieher einer AHV Rente gewesen. Er habe das gesetzliche Rentenalter bereits erreicht (Eintritt Vorsorgefall), weshalb ihm die freie Wahlmöglichkeit zwischen lebenslanger Rente und Einmalzahlung zugestanden habe (Art. 8 Abs. 1 und 2 BPVG iVm Art. 18 Abs. 1 Vorsorgereglement). Es habe für ihn kein Zwang bestanden, die kapitalisierte Auszahlung zu wählen. Bei Vorhandensein einer "obligatio alternativa" liege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine begünstigungsfähige Abfindung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 vor.

7 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig, weil die aufgeworfene Rechtsfrage in der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung Deckung finde.

8 In der gegen dieses Erkenntnis gerichteten außerordentlichen Revision wird zu deren Zulässigkeit im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesfinanzgericht gehe in seinem Erkenntnis vom Bestehen eines Wahlrechts auf Kapitalauszahlung und Rentenanspruch des Revisionswerbers aus. Bei der rechtlichen Würdigung des gegenständlichen Sachverhaltes zitiere es Art. 8 Abs. 1 und 2 BPVG iVm Art. 18 Abs. 1 Vorsorgereglement und ziehe diese Bestimmungen als Basis für die Entscheidung heran. Die angeführten Bestimmungen beträfen jedoch nur den - hier nicht vorliegenden - Fall, in dem das Ende des Dienstverhältnisses mit dem Pensionsantritt zusammenfalle. Im Revisionsfall kämen Art. 11 Z 1 BPVG (Freizügigkeitsleistung) und Art. 12 Z 4 BPVG (Verwendung der Freizügigkeitsleistung) zur Anwendung. Diese räumten dem Revisionswerber kein Wahlrecht ein. Bei Unterstellung des tatsächlich gegebenen Sachverhalts hätte ein der Beschwerde stattgebendes Erkenntnis ergehen müssen. Darüber hinaus stehe das Erkenntnis im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere zum Beschluss vom 19. April 2018, Ra 2016/15/0025.

9 Das Finanzamt hat - nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung erstattet.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revision ist zulässig und begründet.

12 Das Bundesfinanzgericht stellte im angefochtenen Erkenntnis fest, der Revisionswerber habe infolge Erreichens des gesetzlichen Rentenalters die Wahlmöglichkeit zwischen lebenslanger Rente und Einmalzahlung gehabt, und stützt diese Feststellung auf "Art. 8 Abs. 1 und 2 BPVG iVm Art. 18 Abs. 1 Vorsorgereglement". Abweichend dazu wird in der Revision der Standpunkt vertreten, dass die angeführten Bestimmungen nur den - hier nicht vorliegenden - Fall beträfen, in dem das Ende des Dienstverhältnisses mit dem Pensionsantritt zusammenfalle. Im Revisionsfall kämen Art. 11 und 12 BPVG zur Anwendung, die dem Revisionswerber kein Wahlrecht einräumten.

13 Ob die Bestimmungen, auf die das Bundesfinanzgericht seine Feststellung zum Vorliegen einer Wahlmöglichkeit stützt, auch auf Personen anwendbar sind, die Liechtenstein bereits vor Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters verlassen haben, wie dies beim Revisionswerber der Fall ist, vermag der Verwaltungsgerichtshof derzeit nicht zu beurteilen, weil das Bundesfinanzgericht entsprechende Feststellungen zum liechtensteinischen Recht und der hierzu in Liechtenstein gepflogenen Interpretation nicht getroffen hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat gilt in Bezug auf ausländisches Recht der Grundsatz "iura novit curia" nicht, sodass dieses in einem - grundsätzlich amtswegigen - Ermittlungsverfahren festzustellen ist (vgl. z.B. VwGH 27.8.2008, 2006/15/0117; 23.5.2007, 2006/13/0074, mwN).

14 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.

15 Sollte dem Revisionswerber nach liechtensteinischem Recht nicht schon deshalb eine freie Wahlmöglichkeit zwischen lebenslanger Rente und Einmalzahlung zugestanden sein, weil er das gesetzliche Rentenalter erreicht hat, wird im fortgesetzten Verfahren auch zu prüfen sein, ob ein Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch - wie vom Finanzamt in der Beschwerdevorentscheidung angenommen - durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitsleistung hätte aufrecht erhalten werden können (vgl. VwGH 22.11.2018, Ra 2018/15/0086).

16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 23. Jänner 2020

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018150107.L00

Im RIS seit

11.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.03.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten