TE OGH 2019/11/27 6Ob97/19m

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Veröffentlicht am 27.11.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei g***** GmbH in Liqu, *****, vertreten durch Aschmann & Pfandl Partnerschaft von Rechtsanwälten GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei ***** Wohnungsgenossenschaft regGenmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, wegen 80.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 26. März 2019, GZ 3 R 152/18z-19, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. Oktober 2018, GZ 17 Cg 27/17h-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Im Jahr 2007 schlossen die damaligen Eigentümer der Grundstücke 363/1 bis 363/6 der EZ ***** GB ***** einen Servitutsbestellungsvertrag, mit dem sie einander die wechselseitige Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens mit Fahrzeugen aller Art und die Dienstbarkeit der Verlegung und Erhaltung aller notwendigen Versorgungsleitungen einräumten. Gegenstand war ein in der Natur bereits vorhandener Servitutsweg in der Breite von sechs Metern, der über die Grundstücke 363/1 bis 363/6 verlief.

Die Klägerin beabsichtigte im Jahr 2015, die in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke 363/1, 363/2 und 363/3 zu verkaufen. Über ihren Auftrag erstellte daher die I***** GmbH im Juni 2015 ein Exposé mit folgender Beschreibung:

Kurzinfo: Ebenes Grundstück – Dichte WA 0,2   bis 0,4

         Besonderheiten: Servitut für Zufahrt ist    vorhanden.

Beschreibung:

Dichte: 0,2 bis 0,4

Widmung: WA

Aufschließung:

Zufahrt: Servitut

Die beklagte Wohnungsgenossenschaft, die auf den von der Klägerin angebotenen Grundstücken einen Geschossbau errichten wollte, übermittelte daraufhin an die Alleingesellschafterin der Klägerin ein schriftliches und mit 23. 7. 2015 datiertes Kaufanbot mit einem Gesamtkaufpreis von 505.000 EUR. In diesem Angebot wies sie darauf hin, dass der Erwerb lastenfrei erfolgen und die Ausweisung des Areals im Flächenwidmungsplan in „Wohnen allgemein“ mit einer Bebauungsdichte von 0,4 gegeben sein müsse, was zum Zeitpunkt des Kaufanbots der Beklagten auch der Fall war. Das bis 31. 8. 2015 befristete Anbot unterfertigte die Klägerin und übermittelte es am 7. 8. 2015 an die Beklagte.

Die Zufahrtsmöglichkeiten zu den Grundstücken und die diesbezüglichen Servituten sowie das von einer Bietergemeinschaft zuvor gelegte Kaufanbot waren damals kein Thema. Wäre allerdings den Verantwortlichen der Beklagten vor Legung ihres Kaufanbots von der Klägerin mitgeteilt worden, dass mit der Bietergemeinschaft ein Kaufvertrag abgeschlossen worden war und es rechtliche Probleme daraus geben könnte, die einem Kaufvertragsabschluss mit der Beklagten entgegenstünden, hätte die Beklagte kein Interesse an einen Kaufvertragsabschluss gehabt und kein Kaufanbot gelegt. Tatsächlich hatte die Klägerin nämlich bereits zuvor für die genannten Grundstücke von einer Bietergemeinschaft ein mit 4. 5. 2015 datiertes Kaufanbot erhalten, das sie am 11. 5. 2015 durch ihren damaligen Geschäftsführer angenommen hatte. Nachdem die Bietergemeinschaft der Klägerin trotz mehrmaliger Aufforderung keinen Kaufvertragsentwurf übermittelt hatte, hatte die Klägerin aber nach fruchtlosem Ablauf der von ihr bis 6. 8. 2015 gewährten Nachfrist den Rücktritt vom Vertrag erklärt.

Nachdem die Klägerin das Kaufanbot der Beklagten angenommen hatte, beauftragte diese Rechtsanwalt Mag. J***** mit der Erstellung eines Kaufvertragsentwurfs. In diesem Entwurf wurde festgehalten, dass die Grundstücke 363/2 und 363/3 als Bauland/Wohnen allgemein und das Grundstück 363/1 teilweise als landwirtschaftliche Fläche/Wald und teilweise als Bauland/Wohnen – allgemein mit einer Bebauungsdichte 0,2 bis 0,4 ausgewiesen waren. Unter Punkt VI. „Zufahrt“ wurde festgehalten, dass die Zufahrt über den Tennisweg sowie über die Grundstücke 363/4, 363/5 und 363/6 erfolgt; den Vertragsparteien sei der Servitutsbestellungsvertrag bekannt. Die Verkäuferin gewährleiste, dass die Einräumung der Servitut zur Zufahrt auf die verfahrensgegenständlichen Grundstücke unabhängig von der Widmungsart der Grundstücke eingeräumt worden sei (ohne Einschränkung). Neben anderen Bedingungen war im Kaufvertragsentwurf festgehalten, dass für die Auszahlung des Kaufpreises die Zustimmungserklärungen der Eigentümer der Grundstücke 363/4, 363/5 und 363/6, wonach die Servitutseinräumung unabhängig von der Widmungsart erfolgt sei (nunmehr Bauland, vormals landwirtschaftliche Fläche), vorliegen müssen.

Nachdem der Rechtsanwalt der Beklagten den Vertragsentwurf der Klägerin mit E-Mail am 28. 8. 2015 übermittelt hatte, teilte ihm deren Geschäftsführer mit, dass eine Zustimmungserklärung des Eigentümers der mit der Servitut belasteten Liegenschaften nicht zu erlangen sein werde. Deshalb frage er an, ob die Bedingung des Vorliegens der Zustimmungserklärungen der Grundstückseigentümer für die Auszahlung des Kaufpreises wörtlich oder sinngemäß durch eine Passage ersetzt werden könne, wonach sich die Verkäuferin verpflichte, die Käuferin schad- und klaglos zu halten, sofern die Eigentümer der Liegenschaften 363/4 bis 363/6 versuchen sollten, Ansprüche aus einer behaupteten Servitutserweiterung abzuleiten; dies vor dem Hintergrund, dass die Klägerin einerseits sich ihrer aus dem Servitutsvertrag resultierenden Rechtsstellung vollkommen sicher sei und andererseits keine „schlafenden Hunde“ geweckt werden sollten. Weiters übermittelte der Geschäftsführer der Klägerin eine Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft G***** und teilte mit, dass eine neue Rodungsbewilligung jederzeit ausgestellt werden könne.

Mit Schreiben vom 4. 9. 2015 teilte Rechtsanwalt DDr. K***** der Beklagten mit, dass zwischen der von ihm rechtsfreundlich vertretenen Bietergemeinschaft und der Klägerin ein rechtsverbindlicher Kaufvertrag über die Grundstücke zustande gekommen sei und er mit der Errichtung eines Kaufvertrags beauftragt worden sei. Er ersuchte die Beklagte, mit der Klägerin keinen Kaufvertrag über die Grundstücke abzuschließen, um weitere Ärgernisse und/oder ein Gerichtsverfahren zu vermeiden.

Mit Schreiben vom 7. 9. 2015 ersuchte der Rechtsanwalt der Beklagten um dringende Aufklärung zu der vom Rechtsanwalt der Bietergemeinschaft in dessen Schreiben erhobenen Behauptung, dass bereits ein rechtsverbindlicher Kaufvertrag über die klagsgegenständlichen Grundstücke mit einer Kaufgemeinschaft zustande gekommen sei. Aus Sicht der Beklagten sei es aufgrund der Ausführungen des Rechtsanwalts der Bietergemeinschaft äußerst unwahrscheinlich, dass in diesem Zusammenhang eine Erklärung des Eigentümers der Liegenschaften, betreffend die Einräumung der Dienstbarkeit erreicht werden könne. Aufgrund der Tatsache, dass der Eigentümer behaupte, bereits selbst einen Vertrag mit der Klägerin abgeschlossen zu haben, sei von Seiten der Klägerin nicht gewährleistet, dass die Beklagte ungehindert und/oder nicht in dem Ausmaß, in welchem die Nutzung erfolgen solle, zum Grundstück zufahren könne. Es werde noch einmal auf den Servitutsvertrag verwiesen, welcher von einer landwirtschaftlichen Nutzung ausgehe. Die Beklagte ziehe sohin ihr Kaufanbot zum derzeitigen Zeitpunkt zurück. Sollte von der Klägerin eine Erklärung des Eigentümers beigeschafft werden, könnte sich die Beklagte, dies selbstverständlich nur mehr unpräjudiziell, vorstellen, dennoch einen Kaufvertrag mit der Klägerin abzuschließen.

Über Ersuchen der rechtsfreundlichen Vertretung der Klägerin fanden daraufhin weitere Gespräche über den Liegenschaftsverkauf statt, wobei der Rechtsanwalt der Beklagten in seiner Korrespondenz wiederholt auf den Rücktritt der Beklagten vom Kaufanbot hinwies. Die rechtsfreundliche Vertretung der Klägerin ging davon aus, dass vom Eigentümer der Liegenschaften eine Zustimmungserklärung für eine Servitutseinräumung unabhängig von der Widmungsart nicht zu erlangen sein werde. Aus diesem Grund besorgte sie sich sowohl den Servitutsbestellungsvertrag als auch den Kaufvertrag vom 19. 12. 2012 und holte eine Stellungnahme des seinerzeitigen Verfassers des Servitutsbestellungsvertrags ein. Dieser verwies schriftlich darauf, dass seiner Erinnerung nach der Sinn und die Geschäftsgrundlage des Servitutsbestellungsvertrags klar ausschließlich darin bestanden habe, dass die aufzuschließenden Flächen in Hinkunft verbaut werden können und daher eine allfällige Servitut des Gehens und Fahrens mit Fahrzeugen aller Art benötigt werde.

Sowohl die beigeschafften Unterlagen als auch die Stellungnahme des damaligen Vertragsverfassers wurden an den Rechtsanwalt der Beklagten übermittelt. Zur Bekräftigung des Anbots der Klägerin, die Beklagte gegenüber Forderungen von Seiten des Eigentümers der Liegenschaften schad- und klaglos zu halten, unterbreitete die Klägerin zur weiteren Absicherung ein unpräjudizielles Anbot, den Kaufpreis um einen Betrag von 30.000 EUR – letztlich erhöht auf einen Betrag von 60.000 EUR – bis zur Erteilung der Baubewilligung, längstens jedoch bis 30. 9. 2016, zurückzubehalten.

Am 12. 9. 2015 brachte die Bietergemeinschaft gegen die nunmehrige Klägerin eine Klage auf Vertragszuhaltung und/oder Schadenersatz beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz ein, das noch am selben Tag die gleichzeitig beantragte einstweilige Verfügung zur Sicherung der Klagsansprüche auf Untersagung der Veräußerung, Belastung oder Verpfändung der Grundstücke erließ, welche auch im Grundbuch angemerkt wurde.

Anlässlich einer Besprechung am 14. 10. 2015 wurde zwischen dem Rechtsanwalt der Beklagten und der rechtsfreundlichen Vertretung der Klägerin die Servitutsfrage erörtert, wobei Ersterer darauf hinwies, dass die Widmung der Grundstücke zum Zeitpunkt des Abschlusses des Servitutsbestellungsvertrags zu klären sei. Dazu erhielt die rechtsfreundliche Vertretung der Klägerin Mitte Oktober 2015 schließlich von der Gemeinde S***** telefonisch die Auskunft, dass die Grundstücke zum Zeitpunkt des Abschlusses des Servitutsbestellungsvertrags schon als Wohngebiet ausgewiesen gewesen seien, was dem Rechtsanwalt der Beklagten mitgeteilt wurde. Daraufhin meinte dieser gegenüber der rechtsfreundlichen Vertretung der Klägerin, dass die Servitutsfrage kein Problem mehr sei. Die Beklagte benötige aber jedenfalls noch die schriftliche Bestätigung der Gemeinde S***** sowie eine Mitteilung betreffend den Wiederaufforstungsbescheid dahingehend, welches Grundstück in welcher Größe betroffen sei.

Mit Schreiben vom 3. 12. 2015 informierte die rechtsfreundliche Vertretung der Klägerin den Rechtsanwalt der Beklagten darüber, dass die einstweilige Verfügung mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 12. 11. 2015 rechtskräftig aufgehoben worden sei. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 29. 2. 2016 wurde schließlich die Löschung des Belastungs- und Veräußerungsverbots im Grundbuch bewilligt. Bereits im Dezember 2015 hatte die Bietergemeinschaft ihre Klage unter Anspruchsverzicht zurückgenommen.

Mit E-Mail vom 9. 12. 2015 übermittelte der Rechtsanwalt der Beklagten an die rechtsfreundliche Vertretung der Klägerin nochmals den im August 2015 von ihm übermittelten Kaufvertragsentwurf und erhielt am 11. 1. 2016 eine korrigierte Fassung des Kaufvertrags betreffend die Auszahlung des Kaufpreises sowie die Situation betreffend die Rodungsbewilligung.

Mit Schreiben vom 19. 1. 2016 teilte der Rechtsanwalt der Beklagten der rechtsfreundlichen Vertretung der Klägerin mit, dass die Beklagte den mit Schreiben vom 7. 9. 2015 erklärten Rücktritt vom Kaufanbot bekräftige und dies damit begründe, dass im Kaufvertragsentwurf von einer Widmung als Bauland ausgegangen worden sei. Tatsächlich handle es sich aber bei den Grundstücken um ein Aufschließungsgebiet. Weiters sei die Beklagte bei Abgabe des Kaufanbots davon ausgegangen, dass keine verwaltungsrechtlichen Verfahren anhängig seien. Tatsächlich sei die Liegenschaft aber dahingehend belastet, dass diese nur unter Auflagen gerodet werden dürfe und liege dazu auch nur eine Befristung bis 31. 12. 2018 vor. Als wesentlicher Punkt sei jedoch nunmehr die Neuerstellung des örtlichen Entwicklungskonzepts des Flächenwidmungsplans der Gemeinde S***** anzusehen. Die Beklagte habe ein Kaufanbot betreffend die Liegenschaften als vollwertiges Bauland, gewidmet als allgemeines Wohngebiet, abgegeben. Im neuen Flächenwidmungsplan der Gemeinde S***** werde diese Fläche nunmehr als Aufschließungsgebiet/reines Wohnen ausgewiesen. Bei Abgabe des Kaufanbots sei die Beklagte von einer mehrgeschossigen Bebauung ausgegangen, im örtlichen Raumkonzept sei aber die Bebauung nur mehr mit Ein- bzw Zweifamilienhäusern zulässig. Die Beklagte wiederhole daher noch einmal den Rücktritt vom Kaufanbot.

Die rechtsfreundliche Vertretung der Kläger verwies in ihrem Antwortschreiben vom 3. 2. 2016 darauf, dass ein gültiger Kaufvertrag zwischen den Streitteilen zustande gekommen sei.

Am 1. 9. 2016 schloss die Klägerin mit der B***** GmbH einen Kaufvertrag über die Grundstücke, wobei ein Kaufpreis von 425.000 EUR vereinbart wurde.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem mit dieser ursprünglich vereinbarten Kaufpreis (505.000 EUR) und dem letztlich tatsächlich erzielten Kaufpreis (425.000 EUR). Die Kaufgrundstücke seien im Sommer 2015 als „Wohnen allgemein“, wie von der Beklagten zur Bedingung gemacht, ausgewiesen gewesen. Die Beklagte sei zu Unrecht vom Vertrag zurückgetreten; jedenfalls aber habe sie nach ihrer Erklärung weitere Verhandlungsgespräche geführt und die Kläger über Monate im Glauben gelassen, dass eine Kaufvertragsunterfertigung erfolgen werde.

Die Beklagte wendete ein, sie sei berechtigt vom Vertrag zurückgetreten und habe der Klägerin immer kommuniziert, dass sie nur noch unverbindliche Gespräche führe. Im Kaufvertragsentwurf der Beklagten sei festgehalten worden, dass die Auszahlung des Kaufpreises erst dann erfolge, wenn die Zustimmungserklärungen der Grundstückseigentümer 363/4, 363/5 und 363/6 vorliegen, wonach die Servitutseinräumung unabhängig von der Widmungsart erfolgt sei. Der Servitutsweg habe über das Grundstück eines Mitglieds der Bietergemeinschaft geführt, welches der Rechtsauffassung gewesen sei, die Grundstücke von der Klägerin rechtswirksam erworben zu haben. Dabei sei die Klägerin selbst davon ausgegangen, dass einer Benützung der Zufahrt durch die Beklagte nicht zugestimmt werden würde.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte habe sich bei Kaufanbotslegung in einem von der Klägerin veranlassten Irrtum befunden, habe sie doch keine Kenntnis darüber gehabt, dass Unklarheiten hinsichtlich des Eigentums der Klägerin an den Grundstücken und Probleme in Bezug auf die Zufahrt bestanden, weil es sich bei einem der mit der Servitut Belasteten um ein Mitglied der Bietergemeinschaft handelte, die Eigentumserwerb behauptete.

Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren – mit Ausnahme eines Teilzinsenbegehrens – statt und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist. Es vertrat die Auffassung, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Annahme des Kaufanbots der Beklagten bereits berechtigt vom Kaufvertrag mit der Bietergemeinschaft zurückgetreten gewesen sei. Im Zeitpunkt der Annahme des Kaufanbots sei die von der Beklagten geforderte Widmung der Grundstücke vorgelegen. Dass sich aufgrund der Zusammenlegung der beiden Gemeinden P***** und S***** mit Anfang 2016 der Flächenwidmungsplan geändert habe und nunmehr die Widmung auf „Bauland/Aufschließungsgebiet – reines Wohngebiet“ laute, habe die Klägerin nicht zu vertreten. Es liege auch kein Wegfall der Geschäftsgrundlage vor. Damit habe aber die Beklagte den Differenzschaden in Höhe von 80.000 EUR zu ersetzen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

1. Nach § 918 Abs 1 ABGB kann, wenn ein entgeltlicher Vertrag von einem Teil entweder nicht zur gehörigen Zeit, am gehörigen Ort oder auf die bedungene Weise erfüllt wird, der andere entweder Erfüllung und Schadenersatz wegen der Verspätung begehren oder unter Festsetzung einer angemessenen Frist zur Nachholung den Rücktritt vom Vertrag erklären. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 7. 9. 2015, ihr Kaufanbot zum derzeitigen Zeitpunkt zurückzuziehen, was das Berufungsgericht zwar als Erklärung des Rücktritts vom Vertrag ansah, diesen jedoch nicht für berechtigt hielt. Das Exposé der Klägerin habe für die angebotenen Liegenschaften eine Widmung „WA“ (= Allgemeines Wohngebiet) und den Umstand, dass eine „Servitut für die Zufahrt vorhanden“ sei, ausgewiesen; eine nähere Präzisierung, ob es sich dabei um „vollwertiges Bauland“ nach § 29 Abs 2 StROG oder um „Aufschließungsgebiet“ nach § 29 Abs 3 StROG handelte, sei dabei nicht erfolgt, sodass die Klägerin auch keinen Irrtum auf Seiten der Beklagten veranlasst habe. Bei Annahme des Kaufanbots der Beklagten sei die Klägerin vom Vertrag mit der Bietergemeinschaft bereits zurückgetreten gewesen, was sich im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz letztlich auch als berechtigt herausgestellt habe; dieses Verfahren sei von der Bietergemeinschaft erst mehr als ein Monat nach dem Vertragsrücktritt der Beklagten eingeleitet worden. Erst zu diesem Zeitpunkt sei auch die einstweilige Verfügung erlassen worden, mit der hinsichtlich der kaufvertragsgegenständlichen Liegenschaften ein Belastungs- und Veräußerungsverbot angeordnet worden sei. Schließlich seien die Bedenken der Beklagten hinsichtlich des Umfangs der Wegservitut (Zufahrt) unberechtigt gewesen und sei letztlich eine Rodungsbewilligung bis Ende 2018 erteilt worden.

Die Beklagte stützt sich in ihrer außerordentlichen Revision vornehmlich darauf, dass die mit Anfang 2016 erfolgte Widmungsänderung betreffend die Kaufliegenschaften zu Lasten der Klägerin gegangen sei und sie zum Vertragsrücktritt berechtigt habe. Damit bedarf es aber keiner weiteren Erörterung, ob die Erklärung der Beklagten vom 7. 9. 2015, ihr Kaufanbot zum derzeitigen Zeitpunkt zurückzuziehen, überhaupt einen Vertragsrücktritt darstellte. Bestanden nämlich die geltend gemachten Rücktrittsgründe zum damaligen Zeitpunkt nicht, fehlte also der Beklagten das von ihr behauptete Gestaltungsrecht, ging die Erklärung ins Leere; der Vertrag blieb aufrecht (P. Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB5 [2017] § 918 Rz 10). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann der Vertragspartner zwar den Rücktritt (stillschweigend) akzeptieren, wenn der andere Teil unberechtigt und daher rechtsunwirksam zurücktritt und er es dabei bewenden lässt (RS0018519). Allerdings haben die Vorinstanzen umfangreiche Feststellungen zum Verhalten der Klägerin nach der Erklärung vom 7. 9. 2015 getroffen, die nur dahin interpretiert werden können, dass die Klägerin am Vertrag festhalten wollte.

2. Mit Schreiben vom 19. 1. 2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie bekräftige ihren Rücktritt vom Kaufanbot vom 7. 9. 2015 und begründete dies damit, dass sie von der Widmung „Bauland“ ausgegangen sei, es sich aber um ein „Aufschließungsgebiet“ handle, dass keinerlei verwaltungsrechtliche Verfahren anhängig seien, die Liegenschaften aber nur unter Auflagen gerodet werden dürften und eine diesbezügliche Befristung bis 31. 12. 2018 vorliege, und dass „als ganz wesentlicher Punkt“ nunmehr die Neuerstellung des örtlichen Entwicklungskonzepts bzw des Flächenwidmungsplans der Gemeinde zu berücksichtigen sei; die Beklagte habe ein Kaufanbot betreffend vollwertiges Bauland, gewidmet als allgemeines Wohngebiet, abgegeben, die Liegenschaften seien nunmehr jedoch als Aufschließungsgebiet/reines Wohnen ausgewiesen, wodurch nur noch eine Bebauung mit Ein- bzw Zweifamilienhäusern zulässig sei, nicht mehr jedoch – wie ursprünglich geplant – in mehrgeschossige Verbauung auf Basis „allgemeines Wohngebiet/Bauland“.

2.1. Das Berufungsgericht hat diesen letztgenannten Einwand, der bereits im Verfahren erster Instanz erhoben worden war, mit der Überlegung abgetan, eine nachträgliche Änderung der Widmung führe nicht zum Wegfall der Geschäftsgrundlage und/oder einer anfänglichen Unmöglichkeit der versprochenen Leistung, die das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts überhaupt in Frage stellt. Jedenfalls sei es der Beklagten zuzurechnen, wenn sie nicht daran gedacht habe, dass der Flächenwidmungsplan der Gemeinde in der Zukunft geändert werden könne. Dem ist nicht zu folgen:

2.2. Wird die Sache nach Vertragsabschluss und vor ihrer Übergabe beschädigt oder zerstört, ohne dass dies eine der Parteien zu vertreten hat, oder wird sie durch ein Verbot außer Verkehr gesetzt, so ist entscheidend, wer die Gefahr zu tragen hat, wen also die wirtschaftlichen Folgen dieses Zufalls treffen (Apathy/Perner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB5 §§ 1048–1049 Rz 1). Übergabe iSd §§ 1048, 1049 ABGB setzt dabei voraus, dass die tatsächliche Verfügungsgewalt zum Zweck der Erfüllung des Vertrags übertragen wird, gleichgültig ob damit Eigentum übertragen werden soll oder nicht (7 Ob 243/73); eine solche Übertragung der Verfügungsgewalt an den Kaufliegenschaften von der Klägerin an die Beklagte lässt sich den Feststellungen der Vorinstanzen nicht entnehmen. Zwar wird bei vertraglicher Regelung in Liegenschaftsveräußerungsverträgen nach der Entscheidung 6 Ob 763/77 in der Regel der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses als Tag des Gefahrenübergangs festgesetzt; eine derartige Vereinbarung haben die Streitteile allerdings bei Abschluss des Kaufvertrags (Anbot der Beklagten vom 23. 7. 2015, Annahme durch die Klägerin am 7. 8. 2015 [Beilage ./C]) nicht getroffen. Damit trat aber die Änderung der Widmung der Kaufliegenschaften durch den Flächenwidmungsplan der Gemeinde zu Beginn des Jahres 2016 zu einem Zeitpunkt ein, in dem die Streitteile den Vertrag zwar bereits abgeschlossen, die Übergabe aber noch nicht erfolgt und auch die Beklagte noch nicht vom Vertrag zurückgetreten war (19. 1. 2016).

2.3. Wird die Kaufsache vor dem maßgeblichen Zeitpunkt der Übergabe durch Zufall zerstört bzw über die Hälfte entwertet, so ist gemäß § 1048 ABGB in Übereinstimmung mit § 1447 ABGB das Geschäft für nicht geschlossen anzusehen; die beiderseitigen Verbindlichkeiten erlöschen. Der Erwerber trägt zwar die Leistungsgefahr, er kann also nicht mehr Erfüllung verlangen (§ 1447 ABGB), muss aber seinerseits die Gegenleistung nicht mehr erbringen, das heißt der Veräußerer trägt das Risiko, die Gegenleistung nicht zu erhalten (Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1051 Rz 6 [Stand 1. 5. 2017, rdb.at] mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor; entsprechende Behauptungen haben die Parteien nicht aufgestellt.

2.4. Bei Verschlechterung der Kaufsache, die weniger als deren halben Wert betrifft, trägt die Gefahr bis zum maßgeblichen Stichtag der Besitzer (§ 1049 Satz 1 ABGB), das ist der Veräußerer. Der Kaufvertrag bleibt in diesem Fall nach bisheriger Rechtsprechung aufrecht, die Gegenleistung wird der verminderten Leistung angepasst, das heißt der Kaufpreis ist verhältnismäßig – im Verhältnis der Werte der Kaufsache im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und nach der Verschlechterung – zu mindern (8 Ob 533/91; 8 Ob 213/02k [Umwidmung von Grundstücken]). Ein Rücktrittsrecht steht dem Erwerber nach dieser Rechtsprechung jedoch nicht zu.

2.5. Allerdings hat Christian Rabl (Die Gefahrtragung beim Kauf [2002] 224 ff) eingehend begründet darauf hingewiesen, dass die starre „Hälftegrenze“ der §§ 1048, 1049 Satz 1 ABGB insofern im Widerspruch zum durch die Gewährleistungsreform 2001 (GewRÄG, BGBl I 2001/48) neu geregelten Verhältnis von Preisminderung und Wandlung stehe, als sie bei nach Vertragsabschluss und vor Übergabe eintretender zufälliger Verschlechterung der Leistung des Veräußerers um mehr als die Hälfte zum automatischen Wegfall des Vertrags führe und bei einer Verschlechterung bis zur Hälfte den Erwerber auf Anpassung der Gegenleistung beschränke, während der Erwerber, würde er gleichwohl die nachträglich verschlechterte Leistung übernehmen, in ersterem Fall zwischen Vertragsanpassung (Preisminderung) und, wenn der Mangel nicht nur geringfügig ist, Wandlung wählen könnte und in zweiterem Fall dieses Wahlrecht auch zustünde, wenn der verschlechterungsbedingte Mangel nicht nur geringfügig ist; daran zeige sich, dass das gesetzliche Konzept der §§ 1048, 1049 ABGB den Gläubigerinteressen nicht hinreichend gerecht werde. Das dem Gläubiger mehr Spielraum einräumende neue Gewährleistungsrecht, das als „Nichterfüllungsrecht“ konzipiert sei, müsse wertungsmäßig auch auf die Phase vor Übernahme ausstrahlen. Insofern sei den §§ 1048, 1049 Satz 1 ABGB für nachträgliche Verschlechterungen durch das neue Gewährleistungsrecht teilderogiert worden. Diesen überzeugenden Ausführungen haben sich zwischenzeitig Riedler (Reformbedarf bei Tausch-, Kauf- und Dienstleistungsverträgen, ÖJZ 2008, 934 [935]), Binder/Spitzer (in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2014] § 1049 Rz 1), Till/Nitsche (Zum Mythos der nachträglichen laesio enormis, JAP 2015/2016/19, 178 [181]), Aicher (in Rummel/Lukas, ABGB4 [2017] §§ 1048–1051 Rz 8) und Apathy/Perner (in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB5 §§ 1048–1049 Rz 4) angeschlossen; die Regelung des § 1049 Satz 1 ABGB sei obsolet (Apathy/Perner aaO).

2.6. Damit kann aber das Argument der Beklagten, durch die Umwidmung der Kaufliegenschaften mit Beginn des Jahres 2016 sei zum einen eine Wertminderung eingetreten und zum anderen sei eine (zugesagte) Eigenschaft der Liegenschaften (Widmung als „Wohnen Allgemein“) vor deren Übergabe weggefallen, wodurch der Vertrag „außer Kraft getreten“ sei, nicht übergangen werden. Sollte es durch die Umwidmung tatsächlich zu einer nicht bloß geringfügigen Entwertung der Kaufliegenschaften gekommen sein und hätte der Beklagten tatsächlich die ursprüngliche Widmung „Wohnen Allgemein“ die Errichtung von Geschossbauten erlaubt, während dies die nunmehrige Widmung nicht mehr zulässt, wäre die als Wandlungsbegehren zu verstehende Erklärung der Beklagten vom 19. 1. 2016 im Sinn der einhelligen Literatur als berechtigt anzusehen und das Klagebegehren abzuweisen. Andernfalls stünde der Klägerin – wie vom Berufungsgericht zutreffend dargestellt – die Differenz zwischen dem ursprünglich vereinbarten Kaufpreis und dem letztlich erzielten Kaufpreis zu (vgl 7 Ob 550/90; RS0018239).

Das Erstgericht wird dies mit den Parteien zu erörtern und sodann entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E127177

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00097.19M.1127.000

Im RIS seit

30.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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