TE OGH 2019/12/12 6Rs69/19t

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Veröffentlicht am 12.12.2019
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Das Oberlandesgericht Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch den Senatspräsidenten Dr.Bott (Vorsitz), den Richter Dr.Deu und die Richterin Maga.Gassner als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *****, vertreten durch den Erwachsenenvertreter *****, dieser vertreten durch Mag.Karl Heinz Fauland, Rechtsanwalt in Leibnitz, gegen die beklagte Partei *****, vertreten durch die Landesstelle Steiermark, diese vertreten durch ihre Angestellte Maga.Silke Fleischhacker in Graz, wegen: Gewährung einer Waisenpension (hier: Kosten [Rekursinteresse EUR 472,87]), über den Rekurs der beklagten Partei gegen die Kostenentscheidung im Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 16.September 2019, 28 Cgs 51/19p-19, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Kostenentscheidung wird abgeändert; sie lautet:

„Die Klägerin hat die Kosten ihrer Vertretung selbst zu tragen.“

Ein Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Mit dem nur hinsichtlich der Kostenentscheidung angefochtenen Urteil weist das Erstgericht ein auf Gewährung der Waisenpension ab 19.Jänner 2018 nach dem am 18.Jänner 2018 verstorbenen Vater der Klägerin, *****, gerichtetes Klagebegehren ab.

In seiner Kostenentscheidung verpflichtet es die Beklagte zum Ersatz der mit EUR 472,87 (darin EUR 78,81 USt) bestimmten (anteiligen) Verfahrenskosten der Klägerin.

Die am 20.Oktober 1968 geborene Klägerin habe ab Vollendung des 18.Lebensjahres über ein Leistungskalkül auf niedrigem Niveau verfügt und sei in der Lage gewesen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten auszuüben. Zwischen dem 25. und 32.Lebensjahr der Klägerin sei es zu einer Regression und Herabsinken des Gesundheitszustands in der Form gekommen, dass danach nicht mehr habe ein Mindestleistungskalkül erzielt werden können.

Trete die Erwerbsunfähigkeit erst nach Ausübung der Erwerbstätigkeit ein, so lebe die Kindeseigenschaft auch nach der Neuregelung des § 252 Abs 3 ASVG nicht wieder auf, sondern trete die Erwerbsunfähigkeit neu ein. Damit seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung der begehrten Waisenpension nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung begründet es damit, dass im Falle des Unterliegens ein Kostenersatz nach Billigkeit im Sinne des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG in Betracht komme. Dieser setze einerseits entsprechend angespannte Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten voraus und andererseits tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens, wobei es Sache des Versicherten sei, für den Kostenzuspruch nach Billigkeit sprechende Umstände geltend zu machen.

Wenngleich die Klägerin ein derartiges Vorbringen nicht erstattet habe, könne aus dem Akteninhalt auf entsprechende Einkommensverhältnisse geschlossen werden, sodass es diesbezüglich einer weiteren Bescheinigung nicht bedürfe. Die rechtlichen Schwierigkeiten hätten sich daraus ergeben, dass die Entscheidung vom Ergebnis der medizinischen Sachverständigengutachten in Verbindung mit der Lösung einer Rechtsfrage abhängig gewesen sei. Damit entspreche es der Billigkeit, der zur Gänze unterlegenen Klägerin die Hälfte der Kosten ihres Vertreters mit Ausnahme der vorprozessualen Kosten zuzuerkennen, wobei für den zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Schriftsatz vom 16.April 2019 (gemeint: ON 7) der halbe Ansatz auf Basis TP3 RATG gebühre.

Nur gegen diese Kostenentscheidung - die Entscheidung in der Hauptsache bleibt unangefochten - richtet sich der Rekurs der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung in Abweisung des Kostenersatzbegehrens.

Die Klägerin hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Der Rekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Unter dem einzigen Anfechtungsgrund macht die Beklagte geltend, für einen Kostenersatz nach Billigkeit gemäß der Bestimmung des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG müssen einerseits entsprechend angespannte Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten vorliegen und andererseits (kumulativ) auch tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens, wobei das Fehlen derselben einem Kostenersatz entgegenstehe. Umstände, die einen Kostenzuspruch rechtfertigen könnten, seien vom Versicherten geltend zu machen.

Das vorliegende Verfahren habe weder sachliche noch rechtliche Schwierigkeiten beinhaltet, wobei die Einholung mehrerer (medizinischer) Gutachten und deren Erörterung für ein derartiges Verfahren nichts Außergewöhnliches sei.

Bereits im Verfahren 23 Cgs 126/98d des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht sei festgestellt worden, dass die Klägerin beim Eintritt ins Erwerbsleben noch imstande gewesen sei, ohne Entgegenkommen des Dienstgebers verwertbare Tätigkeiten auszuüben und es erst zwischen dem 25. und 32.Lebensjahr der Klägerin zu einer Regression und einem Herabsinken des Gesundheitszustands gekommen sei. Der Klagsvertreter hätte demnach erkennen müssen, dass die Erwerbsunfähigkeit frühestens mit dem 25.Lebensjahr eingetreten sei, womit die Klagsführung auch als mutwillig angesehen werden könne.

Diesen erstgenannten Argumenten ist letztlich zu folgen.

Im Hinblick auf das Unterliegen der Klägerin in der Hauptsache ist die Berechtigung ihres Kostenersatzanspruchs an den Kriterien des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG zu messen. Diese Bestimmung sieht einen Kostenersatz dem Grunde und der Höhe nach aus Billigkeitserwägungen dann vor, wenn der Versicherte zur Gänze unterliegt, wobei in diesem Fall besonders auf die tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens sowie auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten Bedacht zu nehmen ist. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung setzt der Kostenersatz nach Billigkeit demnach voraus, dass sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens als auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten einen Kostenersatzanspruch nahe legen. Es entspricht ganz gefestigter Judikatur in Sozialrechtssachen, dass es sich bei den von der genannten Bestimmung geforderten Voraussetzungen für den Kostenersatzanspruch nach Billigkeit um kumulative und nicht alternative Voraussetzungen handelt (10 ObS 144/09p, 10 ObS 21/01p; hg 6 Rs 45/18m, 6 Rs 6/11s, 6 Rs 9/18t; 7 Rs 61/17w uva). Es ist Sache des Versicherten, Umstände, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen können, vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatz unmittelbar vorangehenden Verhandlung geltend zu machen, es sei denn, sie würden sich aus dem Akteninhalt ergeben (RIS-Justiz RS0085829; 8 ObS 17/16g; 10 ObS 70/15i; hg 6 Rs 9/18t uva).

Ergeben sich also etwa die (entsprechend angespannten) wirtschaftlichen Verhältnisse nicht aus den Akten, so hat die Partei die diesbezüglichen Voraussetzungen jedenfalls zu bescheinigen, zumal im Regelfalle zumindest die Vermögensverhältnisse nicht aktenkundig sind, womit die für eine Billigkeitsentscheidung maßgeblichen Grundlagen fehlen. Die Klägerin hat (auch) zu dieser Voraussetzung kein Vorbringen erstattet, jedoch ist das Erstgericht dem Inhalt der Klage zu den Einkommensverhältnissen entsprechend davon ausgegangen, dass die darauf beruhende Anspruchsvoraussetzung keiner weiteren Bescheinigung bedürfe.

Dies mag zwar zutreffen, kann jedoch für sich allein nicht zu einem Kostenersatz nach Billigkeitserwägungen führen, da - wie bereits ausgeführt - die hiefür vom Gesetz geforderten Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen.

Das Kriterium der tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens wird in der Rechtsprechung etwa dann als erfüllt angesehen, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 ZPO abhängt; in diesem Fall wird dem unterliegenden Kläger regelmäßig die Hälfte der Kosten seines Vertreters zugesprochen (RIS-Justiz RS0085871; 10 ObS 70/15i, 10 ObS 64/15g uva). Die geforderten rechtlichen Schwierigkeiten eines Falls ergeben sich also regelmäßig daraus, dass die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung abhängt (vgl 10 ObS 4/16k; hg 6 Rs 9/18t uva). Ein weiteres Kriterium bildet nach der Judikatur etwa der Umstand, dass es sich um ein Verfahren handeln muss, welches sich deutlich aus der Masse von Sozialrechtsverfahren hervorhebt (SVSlg 57.428, 55.104; hg 6 Rs 9/18t uva).

Diese zuletzt behandelte Anspruchsvoraussetzung ist jedoch entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts nicht gegeben.

Das Erstgericht hat den Kostenzuspruch diesbezüglich damit begründet, dass die rechtlichen Schwierigkeiten des Falls sich daraus ergeben hätten, dass die Entscheidung vom Ergebnis der medizinischen Sachverständigengutachten in Verbindung mit der Lösung einer Rechtsfrage abhängig gewesen sei. Zutreffend zeigt die Beklagte auf, dass diese Begründung den Kostenzuspruch nicht zu tragen vermag.

Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, ob bei der am 20.Oktober 1968 geborenen Klägerin die Kindeseigenschaft (als Anspruchsvoraussetzung für die begehrte Waisenpension) auch seit der Vollendung des 18.Lebensjahres infolge Krankheit oder Gebrechens vorliegender Erwerbsunfähigkeit gegeben war oder aber - wie die Beklagte einwendet - diese Erwerbsunfähigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt nach ihrem Eintritt ins Erwerbsleben weggefallen ist, wobei sie sich diesbezüglich auf die Ergebnisse des Verfahrens 23 Cgs 126/98d des Landesgerichts Eisenstadt beruft, in welchem festgestellt worden sei, dass die Klägerin beim Eintritt ins Erwerbsleben auch ohne Entgegenkommen des Dienstgebers imstande gewesen sei, verwertbare Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben und erst seit 1.Mai 1998 im Bezug einer Invaliditätspension stehe.

Es kann dahinstehen, ob im Hinblick auf diese Verfahrensergebnisse die Einholung mehrerer medizinischer Gutachten durch das Erstgericht erforderlich war - die Beklagte hat diesbezüglich den Antrag gestellt, davon Abstand zu nehmen (Seite 3 der ON 8/AS 55 oben) - , da auch dies kein Kriterium für das Vorliegen tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten bildet. Das Rekursgericht hat schon mehrfach ausgesprochen, dass die Einholung mehrerer (medizinischer, berufskundlicher etc) Gutachten für Sozialrechtsverfahren geradezu als typisch anzusehen ist und einen im Fall des Unterliegens nur ausnahmsweise vorgesehenen Kostenersatz nach Billigkeit ebenso wenig zu rechtfertigen vermag wie der Umstand, dass es wegen notwendiger Verfahrensergänzungen allenfalls auch zu mehreren Rechtsgängen gekommen ist (hg 6 Rs 9/18t, 6 Rs 12/11y uva). Die Einholung mehrerer Gutachten aus verschiedensten Fachgebieten, die Erörterung derselben und auch die Vorlage medizinischer Unterlagen gehört geradezu zum Kernbereich von auf eine Pensionsleistung gerichteten sozialgerichtlichen Verfahren (SVSlg 55.084, 57.428, 57.458; hg 6 Rs 9/18t; 8 Rs 97/10m; 7 Rs 36/19x uva). Dass die Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs letztlich auf der Grundlage gewonnener Tatsachenergebnisse auch von der Beantwortung einer Rechtsfrage abhängig ist, erfüllt die Anspruchsvoraussetzung ebenso wenig, zumal - wie dargelegt - es sich dabei um eine Rechtsfrage in der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO handeln muss. Dass eine solche im Fall der Klägerin nicht vorliegt, bedarf keiner Erörterung.

Es ist daher dem Rekurs Folge zu geben und die angefochtene Kostenentscheidung dahingehend abzuändern, dass die Klägerin die Kosten ihrer Vertretung selbst zu tragen hat.

Kosten im Rekursverfahren wurden nicht verzeichnet.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 6

Textnummer

EG00176

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0639:2019:0060RS00069.19T.1212.000

Im RIS seit

16.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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