TE OGH 2018/2/8 6Rs9/18t

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Veröffentlicht am 08.02.2018
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Das Oberlandesgericht Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch den Senatspräsidenten Dr.Bott (Vorsitz), den Richter Dr.Deu sowie die Richterin Dr.Kraschowetz-Kandolf als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *****, vertreten durch Dr.Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Schladming, gegen die beklagte Partei *****, vertreten durch ihre Angestellte Maga.Silke Fleischhacker, in Graz, wegen Invaliditätspension, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 11.Jänner 2018, 22 Cgs 11/17y-24, (Rekursinteresse EUR 1.597,68), in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs, dessen Kosten der Rekurswerber selbst zu tragen hat, wird nicht Folge gegeben.

Ein Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

begründung:

Mit seiner gegen den Bescheid der Beklagten vom 12.Jänner 2017 gerichteten Klage begehrt der Kläger die Gewährung der Invaliditätspension ab 13.September 2016 im Wesentlichen mit der Begründung, er sei aufgrund der bei ihm bestehenden Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage, auch nur Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil zu verrichten.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung unter Hinweis auf den Stichtag 1.Oktober 2016 mit der schon im Bescheid zum Ausdruck gebrachten Begründung, dauernde Invalidität liege nicht vor.

Nach Einholung verschiedener medizinischer Gutachten und auch eines berufskundlichen Gutachtens sowie deren Erörterung in der (einzigen) Tagsatzung vom 14.September 2017, die zur schriftlichen Ergänzung des orthopädischen Gutachtens erstreckt wurde, beraumte das Erstgericht mit Beschluss vom 11.Oktober 2017 (ON 20) für 14.Dezember 2017 die nächste Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung an.

Mit seiner beim Erstgericht am 11.Dezember 2017 eingelangten Eingabe zog der Kläger die Klage mit der Begründung zurück, aufgrund der Gutachtensergebnisse müsse er mit einem Prozessunterliegen rechnen. Da er keine Rechtsschutzversicherung besitze, müsse er sich die Vertretungskosten selbst bezahlen. Zwecks weiterer Kostenvermeidung ziehe er die Klage zurück, stelle jedoch gleichzeitig den Antrag, die Beklagte aus Billigkeitserwägungen zum Ersatz der bisher anerlaufenen Verfahrenskosten von EUR 1.597,68 laut der gleichzeitig vorgelegten Urkunde Beilage ./E zu verpflichten. Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt sei zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und nützlich gewesen, zumal der Sachverhalt nicht so eindeutig gewesen sei und der Kläger einfach nicht die nötigen Mittel zur Selbsttragung der Kosten besitze.

Die Beklagte trat diesem Antrag im Wesentlichen mit der Begründung entgegen, es handle sich beim gegenständlichen Verfahren um eine einfache Rechtssache ohne besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten. Überdies sei nach der auch hier anwendbaren Bestimmung des § 54 Abs 1 ZPO das Kostenverzeichnis vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatz unmittelbar vorangehenden Verhandlung zu übergeben, was bedeute, dass der Versicherte auch die Umstände, welche einen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit trotz Unterliegens in der Hauptsache rechtfertigen könnten, vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung geltend zu machen habe. Der Kläger habe jedoch die Klage zurückgezogen, ohne in der Streitverhandlung vom 14.September 2017 ein Kostenverzeichnis zu legen. Damit stehe ihm ein Kostenzuspruch auch dem Grunde nach nicht zu. Letztlich seien die verzeichneten Kosten auch überhöht, zumal die Gutachtenserörterungsanträge vom 3.Mai 2017 und 7.Juni 2017 ohne weiteres in der mündlichen Streitverhandlung hätten vorgetragen werden können und damit nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienlich seien.

Mit dem nun angefochtenen Beschluss weist das Erstgericht den gestellten Antrag ab.

Ein Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG könne zwar im Falle des Unterliegens gewährt werden, jedoch sei dabei besonders auf die tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens sowie auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten Bedacht zu nehmen, welche Voraussetzungen kumulativ gegeben sein müssten. Ein Kostenersatz nach Billigkeit sei zwar auch im Fall der Klagsrücknahme möglich, doch müssten auch in diesem Fall die genannten Voraussetzungen gegeben sein. Da im Fall des Klägers weder tatsächlich noch rechtliche Schwierigkeiten bestünden, müsse dies zur Abweisung des gestellten Antrags führen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers offenbar aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, diesen in Zuerkennung der verzeichneten Verfahrenskosten von EUR 1.597,68 abzuändern.

Die Beklagte, die eine Rekursbeantwortung erstattet, beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Voranzustellen ist, dass das Rekursgericht – wie bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat – in seiner zu 8 Rs 67/09y (veröffentlicht in RIS-Justiz RG0000060) ergangenen Entscheidung die Geltendmachung eines Kostenersatzanspruchs nach Billigkeit auch im Falle einer Klagsrückziehung bejaht hat (vgl dazu auch Obermaier, Kostenhandbuch2 Rz 445). Dies wurde damit begründet, dass der in Rede stehenden kostenrechtlichen Sonderregelung ein Schutzgedanke zugunsten des Versicherten innewohnt, der es rechtfertigt, einen Kostenersatz nach Billigkeit auch dann nicht auszuschließen, wenn der Versicherte sein Klagebegehren nicht aufrecht hält, sondern – wie hier – offenbar beruhend auf der Einsicht einer fehlenden Durchsetzbarkeit seines Anspruchs mit Klagsrücknahme vorgeht. An dieser Auffassung ist festzuhalten.

Dies bedeutet, dass die Berechtigung des vom Kläger erhobenen Kostenersatzanspruchs an den Kriterien des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG zu messen ist. Diese Bestimmung sieht einen Kostenersatz dem Grunde und der Höhe nach aus Billigkeitserwägungen dann vor, wenn der Versicherte zur Gänze unterliegt, wobei in diesem Fall besonders auf die tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens sowie auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten Bedacht zu nehmen ist.

Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung setzt der Kostenersatz nach Billigkeit voraus, dass sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens als auch entsprechend angespannte Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten einen Kostenersatzanspruch nahelegen (10 ObS 144/09b, 10 ObS 21/01p uva). Die genannten Billigkeitsgründe müssen demnach kumulativ vorliegen (Neumayr in ZellKomm2 Rz 13 zu § 77 ASGG; Obermaier aaO Rz 445). Nach ganz gefestigter höchstgerichtlicher Judikatur ist es Sache des Versicherten, Umstände, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen können, vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatz unmittelbar vorangehenden Verhandlung geltend zu machen, es sei denn, sie würden sich aus dem Akteninhalt ergeben (RIS-Justiz RS0085829; 8 ObS 17/16g, 10 ObS 70/15i uva).

Das Kriterium der tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens wird in der Rechtsprechung etwa dann als erfüllt angesehen, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 ZPO abhängt; in diesem Fall wird dem unterliegenden Kläger regelmäßig die Hälfte der Kosten seines Vertreters zugesprochen (RIS-Justiz RS0085871; 10 ObS 70/15i uva). Ein Kriterium bildet nach der Judikatur etwa der Umstand, dass es sich um ein Verfahren handeln muss, welches sich deutlich aus der Masse von Sozialrechtsverfahren hervorhebt (SVSlg 57.428, 55.104; hg 6 Rs 12/11y uva).

Davon kann hier jedoch keine Rede sein.

Im Anlassfall liegt ein Verfahren eines Klägers ohne Berufsschutz mit Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vor, welches geradezu typischerweise zur Masse der einfachen Sozialrechtssachen zählt, und daher weder sachliche noch rechtliche Schwierigkeiten bot. Das Argument des Klägers, es seien mehrere Gutachten eingeholt und auch entsprechend erörtert worden und es könne einem unvertretenen Kläger nicht zugemutet werden, Fragenkataloge zu erstellen, trifft schon deshalb nicht zu, da der Kläger von Beginn an einerseits nicht unvertreten war, und andererseits im Sozialrechtsverfahren sowohl der Grundsatz der Amtswegigkeit der Beweisaufnahme gilt (§ 87 Abs 1 ASGG) als auch eine erweiterte richterliche Anleitungs- und Belehrungspflicht, die garantieren soll, dass die Partei die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw Rechtsverteidigung dienenden, für sie günstigen Prozesshandlungen auch ergreift (§ 39 Abs 2 Z 1 ASGG).

Der Umstand, dass mehrere Gutachten eingeholt und erörtert wurden, ist für derartige Verfahren geradezu typisch und vermag einen im Fall des Unterliegens nur ausnahmsweise vorgesehenen Kostenersatz nach Billigkeit nicht zu rechtfertigen (stRsp des Rekursgerichts; vgl etwa 7 Rs 61/17w; 8 Rs 97/10m mzwN). Gerade die Einholung mehrerer Gutachten aus verschiedensten Fachgebieten, die Erörterung derselben und auch die Vorlage medizinischer Unterlagen gehört geradezu zum Kernbereich von auf eine Pensionsleistung gerichteten sozialgerichtlichen Verfahren (SVSlg 55.084, 57.428, 57.458 uva).

Mangels Erfüllung der in § 77 ASGG geforderten Voraussetzungen kommt demnach, wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat, ein Kostenersatz nach Billigkeit nicht in Betracht.

Demgemäß kann eine nähere Auseinandersetzung mit der von der Beklagten aufgeworfenen Frage, ob die Verzeichnung der Kosten durch den Kläger rechtzeitig erfolgt ist, unterbleiben. Der Vollständigkeit halber sei jedoch darauf verwiesen, dass das Argument des Klägers in seinem Rechtsmittel, eine frühere Verzeichnung der Kosten wäre gar nicht möglich gewesen, zutrifft. § 54 Abs 1 ZPO verlangt zwar eine Verzeichnung der Kosten vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatzanspruch unmittelbar vorangehenden Verhandlung, sieht jedoch auch vor, dass dann, wenn die Beschlussfassung ohne vorgängige Verhandlung erfolgen soll, eine Übergabe des Kostenverzeichnisses auch gleichzeitig mit dem der Beschlussfassung zu unterziehenden Antrag möglich ist. Gerade dies ist hier der Fall, zumal – wie dargestellt – die Tagsatzung vom 14.September 2017 erstreckt wurde und der Kläger die Klagsrückziehung noch vor der für 14.Dezember 2017 anberaumten Streitverhandlung erklärt und gleichzeitig den Kostenersatzantrag nach Billigkeit unter Vorlage des Kostenverzeichnisses geltend gemacht hat. Darauf kommt es aber, wie bereits ausgeführt, nicht mehr an.

Die angefochtene Entscheidung ist somit zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung für das Rekursverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 6

Textnummer

EG00146

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0639:2018:0060RS00009.18T.0208.000

Im RIS seit

13.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

13.02.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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