TE OGH 2019/10/25 8Ob83/19t

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Veröffentlicht am 25.10.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Insolvenzsache des Schuldners T*****, vertreten durch Münzker & Riehs Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Einstellung des Abschöpfungsverfahrens nach § 211 Abs 1 Z 1 IO, über den Revisionsrekurs der Gläubigerin Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 2. Juli 2019, GZ 17 R 59/19a-123, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 25. Februar 2019, GZ 11 S 15/12w-114, als nichtig aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 30. 3. 2012 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Nach Scheitern des Zahlungsplans leitete das Erstgericht mit Beschluss vom 19. 2. 2016 das Abschöpfungsverfahren ein.

Die Gläubigerin Republik Österreich (in der Folge kurz Gläubigerin) beantragte am 14. 2. 2019 die vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens nach § 211 Abs 1 Z 1 IO, weil der Schuldner mit Urteil des Straflandesgerichts Wien vom 8. 1. 2019 zu 17 Hv 17/18i ua wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2, § 161 Abs 1 StGB rechtskräftig verurteilt worden sei. Diese Verurteilung sei weder getilgt noch unterliege sie der beschränkten Auskunft aus dem Strafregister gemäß § 6 Tilgungsgesetz. Unter einem legte die Gläubigerin ein Protokoll der Hauptverhandlung vom 8. 1. 2019 und eine Urteilausfertigung über ihre im Strafverfahren geltend gemachten privatrechtlichen Ansprüche samt Rechtskraftbestätigung vor.

Das Erstgericht stellte das Abschöpfungsverfahren mit dem (in der Insolvenzdatei bekanntgemachten) Beschluss vom 25. 2. 2019 gemäß § 211 Abs 1 Z 1 IO vorzeitig ein.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Schuldners Folge, hob den angefochtenen Beschluss als nichtig auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Werde der Antrag gemäß § 211 Abs 1 Z 1 IO auf eine Verurteilung des Schuldners nach §§ 156, 158, 162 oder 292a StGB gestützt, bestehe keine Pflicht zur Glaubhaftmachung; vielmehr habe das Gericht von Amts wegen eine Strafregisterauskunft einzuholen. Eine Einvernahme des Schuldners oder des Treuhänders sei nicht vorgesehen (§ 211 Abs 2 IO e contrario), weil die besondere Evidenz des Einstellungstatbestands in der Regel keine weitere Erhebungen erfordere. Das Erstgericht habe im vorliegenden Fall keine Strafregisterauskunft eingeholt und sich damit – soweit trotz fehlender Begründung erschließbar – ungeprüft auf die von der Gläubigerin vorgelegten Urkunden gestützt, ohne diese von Amts wegen (durch Einholung einer Strafregisterauskunft) zu prüfen oder zumindest den Schuldner hierzu zu hören. Infolge dessen sei der angefochtene Beschluss als nichtig aufzuheben gewesen. Vor einer neuerlichen Entscheidung über den Antrag der Gläubigerin werde das Erstgericht von Amts wegen eine Strafregisterauskunft einzuholen und dem Schuldner zu dieser sowie zum Antrag der Gläubigerin rechtliches Gehör zu gewähren haben.

Der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des dem Schuldner zu gewährenden rechtlichen Gehörs zum Gläubigerantrag nach § 211 Abs 1 Z 1 IO sowie zur hierzu eingeholten Strafregisterauskunft fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Gläubigerin, der auf die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung abzielt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

I.1.1 Ob eine individuelle Zustellung oder eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung zu wählen ist, bestimmt zwingend das Gesetz. Ein Abweichen von der gesetzlich vorgeschriebenen Zustellart bewirkt
die – heilbare – Nichtigkeit der Zustellung (RIS-Justiz RS0105980; vgl auch Konecny, Inoslvenzdatei: neue/auffallende Rechtsprobleme, in Konecny, Insolvenz-Forum 2001 [2002] 92 f).

Nach § 260 Abs 5 IO ist die Rekursentscheidung öffentlich bekannt zu machen, wenn die Entscheidung des Insolvenzgerichts öffentlich bekannt zu machen war und nicht zur Gänze bestätigt worden ist. Die öffentliche Bekanntmachung einer Rekursentscheidung dient der Rechtssicherheit über den Eintritt der Rechtskraft (ErläutRV 612 BlgNR 24. GP 35; Schneider, Allgemeine Verfahrensbestimmungen und Begleitregelungen, in Konecny, ZIK Spezial – IRÄG 2010, 184).

I.1.2 Gemäß § 211 Abs 4 IO ist der Beschluss über die vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens öffentlich bekanntzumachen. Dementsprechend hat das Erstgericht seinen Beschluss vom 25. 2. 2019 nach § 211 Abs 1 Z 1 IO in die Insolvenzdatei aufgenommen. Da das Rekursgericht diesen Beschluss nicht zur Gänze bestätigt, sondern als nichtig aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen hat, wäre entsprechend dem eindeutigen Wortlaut des § 260 Abs 5 IO auch die Rekursentscheidung in die Insolvenzdatei aufzunehmen gewesen (vgl zur Aufhebung des Insolvenzeröffnungsbeschlusses auch Senoner in Konecny, Insolvenzgesetze § 79 IO Rz 4).

Das ist hier zwar nicht geschehen, allerdings wurde die Rekursentscheidung individuell an den Schuldner und an alle Gläubiger und Gläubiger- bzw Schuldnerschutzverbände zugestellt.

I.2. Das Rechtsmittelverfahren in Insolvenzsachen ist nach ständiger Rechtsprechung – mit Ausnahme des Eröffnungsverfahrens (8 Ob 282/01f) sowie im Gesetz genannter Sonderfälle (zB § 125 Abs 2 Satz 5 und 6 IO) – grundsätzlich einseitig (§ 260 Abs 4 IO; RS0116129 [T2]). Es besteht hier auch keine Veranlassung, ausnahmsweise aus Gründen der „Waffengleichheit“ die Möglichkeit einer Rekursbeantwortung einzuräumen (vgl RS0118686), zumal der Schuldner seinen rechtlichen Standpunkt bereits im eigenen Rechtsmittel vor dem Rekursgericht ausführlich dargelegt hat (vgl 8 Ob 104/18d).

I.3. Damit steht einer inhaltlichen Entscheidung über das Rechtsmittel der Gläubigerin nichts entgegen.

II.1.1 Richtig erkannte das Rekursgericht, dass bei einer vorzeitigen Einstellung nach § 211 Abs 1 Z 1 IO eine Einvernahme des Schuldners vor Beschlussfassung nicht vorgesehen ist (§ 211 Abs 2 IO e contrario). Begründet wird dies mit der besonderen Evidenz des Einstellungstatbestands, die weitere Erhebungen in der Regel nicht erfordert (Kodek, Privatkonkurs2 Rz 659; Fink, ÖJZ 2003, 201 [216]).

Dennoch bejahte das Rekursgericht unter Verweis auf den Rechtssatz, wonach das rechtliche Gehör in einem Zivilverfahren nicht nur dann verletzt wird, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wurde, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrundegelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (RS0005915), die Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung.

Allerdings wird dieser Grundsatz auf jene Fälle eingeschränkt, in welchen wegen des Neuerungsverbots auch im Rechtsmittelverfahren nicht Stellung genommen werden kann (RS0005915 [T7]; vgl RS0006057).

II.1.2 Gemäß § 260 Abs 2 IO können in Rekursen neue Tatsachen, soweit sie bereits zur Zeit der Beschlussfassung in erster Instanz entstanden waren, und neue Beweismittel angeführt werden. Es besteht daher eine (beschränkte) Neuerungserlaubnis für nova reperta. Neue Beweismittel können ohne jede Beschränkung vorgebracht werden, sie müssen nur zum Nachweis bereits zur Zeit der Beschlussfassung entstandener Tatsachen dienen (RS0102849; Deixler-Hübner in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 176 KO Rz 30).

II.1.3 Daraus folgt, dass das rechtliche Gehör des Schuldners durch Erhebung des Rekurses gewahrt war (RS0005915 [T6; T7]; vgl RS0006057 [T1]) und die vom Rekursgericht angenommene Nichtigkeit der erstgerichtlichen Entscheidung nicht vorliegt.

II.2. Der Auffassung des Rekursgerichts, dass es hier noch der amtswegigen Einholung einer Strafregisterauskunft bedürfte, kann nicht beigetreten werden.

Es trifft zwar zu, dass nach Kodek (Privatkonkurs2 Rz 659) keine Pflicht zur Glaubhaftmachung besteht, wenn der Antrag des Gläubigers nach § 211 Abs 1 Z 1 IO auf eine Verurteilung des Schuldners nach §§ 156, 158, 162 oder 292a StGB gestützt wird, sondern von Amts wegen eine Strafregisterauskunft einzuholen ist. Das schließt freilich ebenso wenig wie der Gesetzestext aus, dass der Einstellungstatbestand vom Antragsteller auf eine Art und Weise bescheinigt wird, die die (zusätzliche) Einholung einer Strafregisterauskunft entbehrlich erscheinen lässt. Es liegt daher auch keine Nichtigkeit darin, dass sich das Erstgericht mit der Vorlage des das verkündete Strafurteil samt den Rechtsmittelverzichten des Schuldners und des Staatsanwalts beinhaltenden Hauptverhandlungsprotokolls durch die Gläubigerin begnügt hat. Im konkreten Fall ist nämlich nicht ersichtlich, welche weiterführenden Erkenntnisse aus einer Strafregisterauskunft gewonnen werden könnten. Der Schuldner bestreitet gar nicht, am 8. 1. 2019 rechtskräftig ua wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2, § 161 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt worden zu sein. Damit kann diese Verurteilung – ungeachtet allfälliger weiterer Verurteilungen, auf deren Feststellung die Einholung einer Strafregisterauskunft abzielt (vgl 8 Ob 135/12d) – aber weder bereits getilgt sein (§ 3 Abs 1 Tilgungsgesetz) noch der beschränkten Auskunft aus dem Strafregister (§ 6 Abs 2 und 3 Tilgungsgesetz) unterliegen. Derartiges behauptet der Schuldner auch nicht.

II.3.1 Vielmehr argumentiert der Schuldner damit, dass die betrügerische Krida nicht sein eigenes Vermögen, sondern das Vermögen einer GmbH (deren Geschäftsführer er war) betroffen habe; das gegenständliche Insolvenzverfahren sei durch sein deliktisches Verhalten nicht berührt worden. Schließlich sei das Abschöpfungsverfahren überhaupt nur deswegen (zum Zeitpunkt der Verurteilung) noch am Laufen gewesen, weil das Insolvenzgericht jahrelang nicht über den Eröffnungsantrag entschieden hätte. Es sei daher weder angemessen noch zielführend, § 211 Abs 1 Z 1 IO auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden.

II.3.2 Der Katalog der in § 211 Abs 1 Z 1 IO genannten Straftaten entspricht jenen, die auch ein Einleitungshindernis darstellen (Schneider, Privatinsolvenz3 218). Zur Bestimmung des § 201 Abs 1 Z 1 IO hat der Senat in der Entscheidung 8 Ob 135/12d darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber die Restschuldbefreiung als Vorteil ansieht, der nur redlichen Schuldnern gebührt, die sich den Gläubigern gegenüber nichts zu Schulden kommen lassen (ErläuRV 1218 BlgNR 18. GP zur KO-Novelle 1993). Auch die Bestimmungen über die vorzeitige Einstellung, die mit dem Verlust der Möglichkeit verbunden ist, im Abschöpfungsverfahren die Restschuldbefreiung zu erlangen, sollen sicherstellen, dass eine Restschuldbefreiung nur dem Schuldner zuteil wird, der diese auch verdient (vgl Kodek, Handbuch Privatkonkurs2 Rz 643). Vom Postulat der allgemeinen Rechtstreue ausgehend hat der Senat bereits in 8 Ob 135/12d ausgesprochen, dass ein Zusammenhang zwischen dem der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt und der Insolvenz nicht zu fordern ist (s auch Mohr in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 201 KO Rz 2). Schneider (Privatinsolvenz3 218) führt aus, dass die Verurteilung selbst ein hinreichender Grund für die vorzeitige Einstellung sei; einer Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger bedürfe es nicht.

Vor diesem Hintergrund gehen die Behauptungen des Schuldners, die im Strafverfahren erhobenen Vorwürfe hätten keinen Einfluss auf sein (der Insolvenz unterworfenes) Privatvermögen gehabt, ins Leere.

II.3.3 Der Einwand des Schuldners, bei einer früheren Einleitung des Abschöpfungsverfahrens noch im Jahr 2013 wäre ihm (aufgrund des IRÄG 2017) zum Zeitpunkt der strafgerichtlichen Verurteilung am 8. 1. 2019 die Restschuldbefreiung schon erteilt worden, ist rechtlich irrelevant und darüber hinaus unrichtig. Gemäß § 279 Abs 3 IO ist § 199 IO idF des IRÄG 2017 nur anzuwenden, wenn der Antrag auf Durchführung des Abschöpfungsverfahrens nach dem 31. 10. 2017 bei Gericht eingelangt ist.

III. Dem Rekurs der Gläubigerin war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Textnummer

E126879

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00083.19T.1025.000

Im RIS seit

02.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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