TE Lvwg Erkenntnis 2019/11/13 VGW-111/093/12403/2019, VGW-111/V/093/12404/2019, VGW-111/V/093/12405/

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Veröffentlicht am 13.11.2019
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Entscheidungsdatum

13.11.2019

Index

L82009 Bauordnung Wien
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

BauO Wr §17 Abs5
BauO Wr §§58 Abs2
AVG §13 Abs3

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Dr.in Oswald, LL.M. über die Beschwerden 1) der Frau Mag. A. B., 2) der Frau C. D. und 3) der Frau Dr. E. F. gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 64, vom 20.8.2019, Zl. MA 64-..., betreffend die Zurückweisung von Anträgen auf Entschädigung für Straßengrundabtretungen gemäß § 13 Abs. 3 AVG iVm § 15 Abs. 1 und 3 der Bauordnung für Wien (BO), nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 8. November 2019

zu Recht:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Gang des Verfahrens

1.       Der Vertreter der Beschwerdeführerinnen beantragte am 7.6.2019 namens der Beschwerdeführerinnen bei der belangten Behörde eine Entschädigung für Straßengrundabtretungen in Bezug die Liegenschaft Wien, G.-gasse ONr. ..., EZ ..., Katastralgemeinde .... Mit Schreiben vom 4.7.2019 forderte die belangte Behörde den Vertreter der Beschwerdeführerinnen gestützt auf § 13 Abs. 3 AVG auf, binnen zwei Wochen die Vollmachten aller übrigen entschädigungsberechtigten Eigentümer bzw. vormaligen Eigentümer der EZ ..., Katastralgemeinde ..., nachzureichen. Mit Schreiben vom 9.7.2019 teilte der Vertreter der Beschwerdeführerinnen mit, dass er lediglich die drei Beschwerdeführerinnen rechtsfreundlich vertrete und in deren Namen den Antrag auf Entschädigung, nämlich in Höhe von 8,85 % der Entschädigungssumme, stelle. Mit Schreiben vom 18.7.2019 forderte die belangte Behörde den Vertreter der Beschwerdeführerinnen erneut gemäß § 13 Abs. 3 AVG auf, binnen zwei Wochen die Vollmachten der übrigen entschädigungsberechtigten Eigentümer der EZ ..., Katastralgemeinde ..., vorzulegen.

2.       Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.8.2019 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerinnen auf Entschädigung für Straßengrundabtretungen in Bezug auf die Liegenschaft Wien, G.-gasse ONr. ..., EZ ..., Katastralgemeinde ..., gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurück. Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass gemäß § 17 Abs. 5 iVm § 58 Abs. 2 der Bauordnung für Wien (BO), LGBl. Nr. 11/1930, sämtliche Miteigentümer einer Liegenschaft, nicht jedoch einzelne Miteigentümer entschädigungsberechtigt seien.

3.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitige zulässige Beschwerde, in der die Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen vorbringen, dass der BO nicht zu entnehmen sei, dass nur sämtliche Grundeigentümer gemeinsam entschädigungsberechtigt seien. Da Geldansprüche teilbar seien, könnten auch einzelne Miteigentümer des betreffenden Grundstückes einen Teil der Entschädigung beantragen.

4.       Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt der Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

5.       Am 8.11.2019 fand vor dem Verwaltungsgericht Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der Vertreter der Beschwerdeführerinnen sowie eine Vertreterin der belangten Behörde teilnahmen.

II.      Feststellungen

Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

1.       Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 64, vom 2.4.2008, Zl  MA 64 – ..., wurde in Bezug auf die Liegenschaft Wien, G.-gasse, EZ ..., Katastralgemeinde ..., die Abteilung von in den Teilungsplänen näher bezeichneten Grundstücken genehmigt, wobei vorgeschrieben wurde, ein in den Teilungsplänen vorläufig mit .../4 bezeichnetes provisorisches Grundstück gemäß § 17 Abs. 1 und § 18 Abs. 2 BO gegen Entschädigung ins öffentliche Gut zu übertragen.

Der vom damaligen Eigentümer der Liegenschaft EZ ..., Katastralgemeinde ..., gestellte Antrag auf Festsetzung einer Entschädigung gemäß § 17 Abs. 5 iVm § 58 Abs. 4 BO wurde mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 64, vom 7.9.2017, Zl. MA 64-..., mit der Begründung abgewiesen, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Entschädigung, somit zum Zeitpunkt der Übernahme des abgetretenen Grundstückes in den physischen Besitz der Stadt Wien, nicht mehr Eigentümer der in Rede stehenden Liegenschaft EZ ..., Katastralgemeinde ..., gewesen sei. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 22.10.2018, GZ VGW-111/005/14556/2017, abgewiesen.

2.       Das abgetretene Grundstück .../4 wurde am 21.10.2016 in den physischen Besitz der Stadt Wien übernommen.

3.       Frau Mag. B. ist zu 66/2836 Anteilen, Frau D. zu 52/2836 Anteilen und Frau Dr. F. zu insgesamt 133/2836 Anteilen Eigentümerin der in Rede stehenden Liegenschaft. Die Beschwerdeführerinnen haben (wie auch eine Vielzahl weiterer Personen) an der genannten Liegenschaft EZ ..., Katastralgemeinde ..., Wohnungseigentum. Das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerinnen war zum Zeitpunkt der Übernahme des unter Pkt. 2. genannten Grundstückes in den physischen Besitz der Stadt Wien bereits im Grundbuch einverleibt.

III.    Beweiswürdigung

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, Einholung eines Grundbuchauszuges sowie Berücksichtigung des Vorbringens des Vertreters der Beschwerdeführerinnen und der Vertreterin der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung. Auf dieser Grundlage steht der entscheidungserhebliche Sachverhalt unzweifelhaft fest und wurde von den Parteien in der mündlichen Verhandlung auch nicht bestritten.

1.       Die Feststellungen betreffend das vorangegangene Grundabtretungsverfahren sowie die Abweisung des Antrages des früheren Eigentümers der EZ ..., Katastralgemeinde ..., auf Festsetzung einer Entschädigung ergeben sich aus der Aktenlage, an deren Richtigkeit und Vollständigkeit kein Zweifel besteht.

2.       Dass das abgetretene Grundstück .../4 am 21.10.2016 in physischen Besitz der Stadt Wien übernommen wurde, ergibt sich zweifelsfrei aus dem durch die belangte Behörde vorgelegten Schreiben der Magistratsabteilung 28 vom 27.12.2016, Zl. MA 28 – ....

3.       Die Feststellungen zu den Eigentumsanteilen der Beschwerdeführerinnen an der Liegenschaft EZ ..., Katastralgemeinde ..., ergeben sich insbesondere aus den im Akt befindlichen historischen Grundbuchsauszügen sowie aus einem eingeholten aktuellen Grundbuchsauszug betreffend diese Liegenschaft.

IV.      Rechtliche Beurteilung

1.       Eine im Zusammenhang mit einer Bauplatzbewilligung verfügte Abtretung einer Grundfläche in das öffentliche Gut ist eine Enteignung (VwGH 21.11.2017, Ro 2016/05/0015 mwN). Gemäß § 17 Abs. 5 BO ist in bestimmten Fällen der Grundabtretung (wenn die abzutretende Grundfläche mehr als 30 vH des zu schaffenden Bauplatzes oder Bauloses beträgt für das darüber hinausgehende Ausmaß sowie für alle übrigen abzutretenden und nicht von § 17 Abs.4 BO erfassten Grundflächen) von der Gemeinde Entschädigung zu leisten.

Für die Entschädigungsleistung sind gemäß § 17 Abs. 5 zweiter Satz BO die Bestimmungen der §§ 57 und 58 BO anzuwenden.

Gemäß § 57 Abs. 2 BO hat die bei Enteignungen zu leistende Entschädigung den Ersatz aller dem Enteigneten und den an enteigneten Grundflächen dinglich Berechtigten durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile zu umfassen. Der Enteignete ist so zu stellen, als ob die Enteignung nicht stattgefunden hätte (VwGH 21.11.2017, Ro 2016/05/0015 mwN). Die Ermittlung der Entschädigungshöhe ist in § 57 Abs. 3, 4 und 5 BO näher geregelt. Gemäß § 57 Abs. 6 BO ist die Entschädigung vorbehaltlich anderers lautender Vereinbarung in Geld zu leisten.

Nach § 58 Abs. 4 BO sind die von der Gemeinde zu leistenden Entschädigungen fällig, sobald die abzutretenden Verkehrsflächen übergeben worden sind, bzw. mit Rechtskraft des Bescheides über die Festsetzung der Entschädigung, wenn keine Abtretungsverpflichtung besteht. Bei einem Eigentumswechsel in der Zeit zwischen der Festsetzung und der Fälligkeit der Entschädigung ist diese an jene Person zu leisten, die zur Zeit der Fälligkeit Eigentümer ist.

Nach § 17 Abs. 5 dritter Satz BO ist die Entschädigung nach Eintritt der Fälligkeit und nach Geltendmachung durch den Berechtigten von der Behörde festzusetzen und von der Gemeinde zu leisten.

2.       Es kann im gegenständlichen Verfahren dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführerinnen nach den genannten Bestimmungen einen Anspruch auf Entschädigung haben oder nicht. Die Begründetheit des Antrages der Beschwerdeführerinnen auf Entschädigung ist nicht Gegenstand des gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

Verfahrensgegenständlich ist lediglich die Frage, ob die Zurückweisung des Antrages der Beschwerdeführerinnen gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurecht erfolgte (VwGH 1.9.2017, Ra 2016/03/0055 mwN). Nach dieser Bestimmung hat die Behörde im Fall von Mängeln schriftlicher Anbringen von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird.

2.1.    Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführerinnen einen solchen Mängelbehebungsauftrag erteilt (siehe dazu oben Pkt. I.), da ihrer Auffassung nach ein Antrag auf Zuerkennung einer Entschädigung gemäß § 17 Abs. 5 BO durch sämtliche Grundeigentümer gemeinsam zu stellen ist. Mangels Einbringung des Antrages durch sämtliche Miteigentümer der Liegenschaft EZ ..., Katastralgemeinde ..., wurde der Antrag der Beschwerdeführer in der Folge zurückgewiesen.

Die belangte Behörde ist zusammengefasst der Auffassung, dass der Antrag auf Entschädigung von sämtlichen Miteigentümern der Liegenschaft gemeinsam einzubringen sei. Gemäß § 58 Abs. 2 BO sei der „Eigentümer“ entschädigungsberechtigt, worunter im Falle einer Eigentümermehrheit sämtliche Eigentümer gemeint seien. Die BO normiere in mehreren Bestimmungen ausdrücklich Rechte oder Pflichten von „jedem Miteigentümer“ oder „allen Miteigentümern“, so etwa in § 129 oder in § 128 Abs. 4 BO. In § 58 BO sei dies gerade nicht der Fall. Es sei nicht davon auszugehen, dass in § 58 BO eine planwidrige Lücke vorliege, die durch Analogie zu schließen sei.

Die Frage, ob alle Miteigentümer gemeinsam oder auch nur einzelne Miteigentümer eine Entschädigung geltend machen können, sei für Entschädigungen gemäß § 17 Abs. 5 BO und solche gemäß § 58 BO gleich auszulegen, verweise § 17 Abs. 5 BO doch auf § 58 BO.

Wäre die Geltendmachung durch einzelne Miteigentümer zu unterschiedlichen Zeitpunkten zulässig, würde dies zu einer Ungleichbehandlung der Miteigentümer untereinander führen, da sich der Verkehrswert einer Liegenschaft verändern könne. Dass die Zustimmung aller Miteigentümer zur Geltendmachung der Entschädigung notwendig sei, sei unproblematisch, gehe es doch um die Auszahlung einer Entschädigung, die im Interesse aller Miteigentümer liege.

2.2.    Die Beschwerdeführerinnen sind zusammengefasst der Auffassung, dass aus der Verwendung lediglich des Begriffes „Eigentümer“ in § 58 BO nicht zu schließen sei, dass damit lediglich die Eigentümergemeinschaft als Gesamtheit gemeint sei. Aus anderen Bestimmungen der BO, in denen neben dem Begriff „Eigentümer“ auch der Begriff „Miteigentümer“ genannt werde, folge, dass in der BO insgesamt unter dem Begriff Eigentümer jeder Miteigentümer gemeint sein müsse. Auch in § 129 BO sei der Ausdruck „jeder Miteigentümer“ lediglich als Klarstellung zu verstehen. Hätte der Gesetzgeber in § 58 BO sämtliche Eigentümer gemeint, hätte er nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen auch die entsprechende Formulierung verwendet.

Allenfalls liege in § 58 BO eine planwidrige Lücke hinsichtlich Liegenschaften mit mehreren Miteigentümern vor. Der Gesetzgeber sei bei der Formulierung dieser Bestimmung von der althergebrachten Vorstellung ausgegangen, dass nur eine Person Eigentümerin eines Grundstückes sein könne.

Insbesondere bei einer Liegenschaft, an der Wohnungseigentum bestehe, sei es in der Praxis faktisch kaum möglich, die Zustimmung sämtlicher Eigentümer zur Geltendmachung der Entschädigung zu erlangen. Die Voraussetzung der Zustimmung aller Wohnungseigentümer würde eine – im Ergebnis gleichheitswidrige – Aushöhlung der Entschädigungsansprüche nach § 58 BO zur Folge haben.

Geldansprüche seien teilbar, weshalb auch ein Prozentanteil der Entschädigungssumme beantragt werden könne.

3.       Verfahrensgegenständlich ist somit die Frage, ob ein Antrag auf Entschädigung gemäß § 17 Abs. 5 BO unzulässig ist, wenn er nicht von sämtlichen Miteigentümern des Grundstückes (bzw. der Liegenschaft), in Bezug auf welche(s) der Entschädigungsanspruch behauptet wird, gemeinsam gestellt wird.

3.1.    Zunächst ist zu prüfen, wem der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 17 Abs. 5 BO zukommt.

3.1.1.  Hinsichtlich dem/der Anspruchsberechtigten differenziert der Wortlaut des Gesetzes nicht danach, ob es sich bei dabei um einen Alleineigentümer oder um mehrere Miteigentümer einer Liegenschaft handelt: Der Entschädigungsanspruch nach § 17 Abs. 5 BO stellt einen Ausgleich für die durch die Grundabtretung erfolgte Enteignung dar, weshalb der Anspruch gemäß § 57 Abs. 2 BO „dem Enteigneten“ und „den an enteigneten Grundflächen dinglich Berechtigten“ zukommt (siehe dazu bereits oben Pkt. 1.). § 58 Abs. 4 letzter Satz BO sieht für den Fall eines Eigentumswechsels in der Zeit zwischen der Festsetzung und der Fälligkeit der Entschädigung vor, dass diese an „jene Person zu leisten [ist], die zur Zeit der Fälligkeit Eigentümer ist“.

3.1.2.  Zwar trifft es zu, dass, wie die belangte Behörde ausführt, in einigen Bestimmungen der BO explizit angeordnet ist, dass bestimmte Verpflichtungen jeden Miteigentümer für sich treffen (z.B. Verpflichtungen in Bezug auf die Benützung und Erhaltung der Gebäude gemäß § 129 BO oder die Verpflichtung gemäß § 128 Abs. 4 BO, das Bauwerk oder die Anlage nicht vor Erstattung einer vollständig belegten Fertigstellungsanzeige zu benutzen).

Daraus ist jedoch nicht der Umkehrschluss zu ziehen, dass der Gesetzgeber immer dann, wenn er den Begriff „Eigentümer“ im Singular verwendet, alle Eigentümer als Gesamtheit berechtigten oder verpflichten wollte. Vielmehr lässt die Verwendung des Singulars mangels gegenteiliger gesetzlicher Anordnung keinen anderen Schluss zu, als das Gesetz auf jeden einzelnen Eigentümer abstellt, hätte der Gesetzgeber doch ansonsten den Plural verwendet. Damit steht nicht in Widerspruch, dass an manchen Stellen der BO ausdrücklich klargestellt wird, dass bestimmte Pflichten jeden Miteigentümer für sich treffen, also auch jeder Miteigentümer selbständig für die Nichteinhaltung dieser Pflichten zur Verantwortung gezogen werden kann.

3.1.3.  Eine planwidrige, durch Analogie zu schließende, Lücke in den die Entschädigung für Grundabtretungen regelnden Bestimmungen der BO betreffend Liegenschaften mit mehreren Eigentümern liegt nicht vor. So regelte § 17 Abs. 1 BO in der Fassung LGBl. Nr. 41/2008 seinem Wortlaut nach, dass über Auftrag der Behörde „der jeweilige Eigentümer (Miteigentümer) […] verpflichtet [ist], diese Grundflächen lastenfrei und geräumt der Stadt Wien zu übergeben.“ Bis zur Übergabe stand nach dem Wortlaut der Bestimmung in der genannten Fassung „dem jeweiligen Eigentümer (Miteigentümer)“ das Nutzungsrecht zu. Mit der Novelle LGBl. Nr. 25/2009 wurde der Klammerausdruck „(Miteigentümer)“ gestrichen. Die Materialien führen zur Änderung des § 17 BO aus: „Der erste und der vierte Satz des Abs. 1 werden einfacher formuliert.“ (siehe Erläuternde Bemerkungen, MA 64 – ..., 3). Eine Veränderung der Bedeutung des § 17 Abs. 1 BO war durch die Änderung daher nicht beabsichtigt.

Vielmehr zeigt die Novellierung des Wortlautes des § 17 Abs. 1 BO durch die Novelle LGBl. Nr. 25/2009, dass im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Grundabtretung unter dem Begriff „Eigentümer“ alle Miteigentümer zu verstehen sind, sodass dem Gesetzgeber der Zusatz „Miteigentümer“ entbehrlich erschien. Von diesem Verständnis des Begriffes „Eigentümer“ ist auch im Zusammenhang mit dem – das zur Abtretungsverpflichtung korrespondierende Recht darstellenden – Entschädigungsanspruch auszugehen.

3.1.4.  Auch die Natur des Anspruches auf Entschädigung für eine Grundabtretung gemäß § 17 Abs. 5 BO spricht nicht gegen eine Auslegung dahingehend, dass der Anspruch auf eine solche Entschädigung jedem Miteigentümer zukommt:

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Ansprüchen auf Rückstellung von abgetretenen Grundflächen bzw. auf Entschädigung gemäß § 58 Abs. 2 lit. d BO ausgesprochen, dass es sich hierbei um sachbezogenene, öffentlich-rechtliche, durch zivilrechtliche Vereinbarungen nicht veränderbare und nicht um personenbezogene Ansprüche handelt, die mit dem Eigentum am Bauplatz oder Baulos verbunden sind, anlässlich dessen Schaffung seinerzeit die Abtretung erfolgte (VwGH 20.7.2004, 2001/05/1126; siehe auch VwGH 19.1.1993, 92/05/0165). Diese Rechtsprechung lässt sich auf den Entschädigungsanspruch für Grundabtretungen gemäß § 17 Abs. 5 BO übertragen, ist doch für die Frage der Sachbezogenheit des Anspruches nicht relevant, ob es sich um eine Entschädigung aufgrund eines Rückstellungsanspruches oder um einen unmittelbar aus der Grundabtretung ableitbaren Entschädigungsanspruch handelt.

Gläubiger der Entschädigungszahlung ist also die Person, die zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Entschädigung Eigentümer der Liegenschaft ist, die seinerzeit mit der Grundabtretungsverpflichtung belastet war (vgl. § 58 Abs. 4 letzter Satz BO sowie VwGH 25.4.2002, 2000/05/0083).

Dass der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 17 Abs. 5 BO sachbezogen ist, sagt aber noch nichts darüber aus, ob im Fall, dass mehrere Personen Eigentümer der Liegenschaft, an der der Anspruch haftet, sind, der Anspruch teilbar ist. Im hier zu beurteilenden Fall handelt es sich um einen Anspruch in Geld (siehe § 57 Abs. 6 BO). Als solcher ist er – unabhängig von seiner Haftung am Eigentum an einem bestimmten Grundstück zu einem bestimmten Zeitpunkt – auch teilbar.

3.1.5.  Der Entschädigungsanspruch steht somit bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen jedem einzelnen Miteigentümer der betreffenden Liegenschaft (im Ausmaß seines Anteils am Eigentum) zu.

3.2.    Folglich stellt sich die Frage, ob dieser jedem Miteigentümer (anteilsmäßig) zustehende Anspruch nur durch sämtliche (potentiell) anspruchsberechtigten Miteigentümer gemeinsam geltend gemacht werden darf.

3.2.1.  Die BO enthält keine explizite Bestimmung, wonach der Entschädigungsanspruch nur durch einen gemeinsamen Antrag sämtlicher Miteigentümer geltend gemacht werden könne. Der durch die Bauordnungsnovelle 2014, LGBl. Nr. 25/2014, eingefügte dritte Satz des § 17 Abs. 5 BO spricht lediglich von einer Geltendmachung der Entschädigung durch „den Berechtigten“.

3.2.2.  Die BO schreibt in unterschiedlichen Zusammenhängen explizit die zwingende Zustimmung aller Miteigentümer vor, etwa zum Antrag um Abteilungsbewilligung und zur Abteilungsanzeige (§ 15 Abs. 1 Z 3 BO), zum Ansuchen um Baubewilligung (§ 63 Abs. 1 lit. c BO) oder zum Antrag auf Einlösung einer Liegenschaft (§ 59 Abs. 4 BO).

In den die Entschädigung für eine Grundabtretung regelnden Bestimmungen ist hingegen nicht normiert, dass sämtliche Miteigentümer der betreffenden Liegenschaft einem durch einen Miteigentümer gestellten Antrag auf Zuerkennung der Entschädigung zustimmen müssten. Folglich stellt eine solche Zustimmung auch keine Antragsvoraussetzung dar.

Vielmehr handelt es sich beim Entschädigungsanspruch um ein individuelles Recht jedes Miteigentümers (dazu oben Pkt. 3.1.), das mangels gegenteiliger gesetzlicher Anordnung auch individuell (im Ausmaß des jeweiligen Anteils) geltend gemacht werden kann (vgl. idZ OGH 21.10.1982, 7 Ob 739/82 zu Entschädigungsansprüchen nach dem Salzburger Raumordnungsgesetz und OGH 27.2.2002, 7 Ob 19/02y zur Entschädigung gemäß § 67 des Forstgesetzes 1975).

3.2.3.  Zwar besteht an der in Rede stehenden Liegenschaft EZ ..., Katastralgemeinde ..., Wohnungseigentum, weshalb der Eigentümergemeinschaft im Umfang des § 18 Abs. 1 und 2 des Wohnungseigentumsgesetz 2002 – WEG 2002, BGBl. I Nr. 70/2002 idF BGBl. I Nr. 58/2018, Rechtsfähigkeit zukommt (§ 2 Abs. 5 WEG 2002).

Die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft ist demnach auf die Verwaltung der Liegenschaft beschränkt und erfasst nicht die Ausübung von Eigentümerrechten; dies gilt auch für den Bereich des öffentlichen Rechts (VwGH 28.5.2019, Ra 2018/05/0188 mwN). Zur Verwaltung in diesem Sinne gehört alles, was die gemeinschaftlichen Interessen bei der Nutzung und Erhaltung des Gemeinschaftsguts beeinträchtigen könnte; demgegenüber greift eine Verfügung in die Substanz der Gemeinschaftsrechte oder Anteilsrechte ein (siehe VwGH 1.8.2018, Ro 2016/06/0026; 28.5.2019, Ra 2018/05/0188; jeweils mwN).

Zur Abwehr von Eingriffen in das gemeinsame Eigentum bzw. in die eigentumsrechtliche Rechtsposition jedes Miteigentümers ist jeder Miteigentümer selbst berechtigt (VwGH 20.12.2017, Ra 2017/03/0069 zur Verpflichtung von Vorarbeiten gemäß § 40a des Eisenbahngesetzes 1957 – EisbG; VwGH 22.10.2008, 2008/06/0071 zur Widmung einer Straße zum dauernden öffentlichen Verkehr nach dem Salzburger Landesstraßengesetz). Auch die Disposition über Enteignungsentschädigungen stellt keine Angelegenheit der gemeinschaftlichen Verwaltung dar, sondern ist Ausfluss des Verfügungsrechts jedes Miteigentümers über seinen Eigentumsanteil (vgl. OGH 21.8.2001, 5 Ob 193/01w zu einer Entschädigung nach dem Hochleistungsstreckengesetz).

Da die Regelungen der BO betreffend die Verpflichtung zur Grundabtretung und den Anspruch auf Entschädigung Rechte und Pflichten des/der Eigentümer normieren und die Eigentümergemeinschaft nicht Eigentümerin der Liegenschaft ist (vgl. VwGH 22.10.2008, 2008/06/0071; siehe etwa auch VwGH 20.3.2007, 2003/17/0030 ua. zur Abgabenschuld und VwGH 20.12.2005, 2005/05/0330 zu Bauaufträgen gemäß § 129 Abs. 10 BO), kommt eine Auslegung dahingehend, dass lediglich die Eigentümergemeinschaft, nicht jedoch einzelne Miteigentümer einen Antrag auf Entschädigung nach § 17 Abs. 5 BO stellen dürfte, nicht in Betracht.

3.2.4.  Dass aufgrund der Antragstellung durch einzelne Miteigentümer zu unterschiedlichen Zeitpunkten möglicherweise eine unterschiedliche Bewertung des Entschädigungsanspruches erfolgt, wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid darlegt, mag in der Praxis möglicherweise in bestimmten Fällen zu unbefriedigenden Ergebnissen für einzelne Miteigentümer oder zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand durch die Behörde führen (die Höhe der Entschädigung bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit: VwGH 18.2.1997, 96/05/0088; in bestimmten Fällen ist freilich eine Valorisierung notwendig: VwGH 21.11.2017, Ro 2016/05/0015 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des OGH). Diese faktischen Auswirkungen alleine lassen es jedoch nicht zu, dem Gesetz eine zwingende Anordnung eines gemeinsamen Antrages sämtlicher Miteigentümer oder der Notwendigkeit der Zustimmung sämtlicher Miteigentümer zur Geltendmachung der Entschädigung zu unterstellen.

3.2.5.  Mangels entsprechender gesetzlicher Anordnung ist daher nicht davon auszugehen, dass ein Antrag auf Leistung der Entschädigung nach § 17 Abs. 5 BO nur durch sämtliche Eigentümer der Liegenschaft, auf die sich die Entschädigung bezieht, gemeinsam eingebracht werden darf oder ein solcher Antrag durch einzelne Miteigentümer der Zustimmung der übrigen Miteigentümer bedürfte.

3.3.    Im Ergebnis steht jedem (Mit)eigentümer der von der Verpflichtung einer Grundabtretung gemäß § 17 BO betroffenen Liegenschaft unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 5 BO eine Entschädigung (im Umfang seines Eigentumsanteils) zu. Aus den anzuwendenden Bestimmungen ist nicht abzuleiten, dass dieser Anspruch nur durch einen gemeinsamen Antrag aller Miteigentümer der betreffenden Liegenschaft geltend gemacht werden kann. Vielmehr kann jeder Eigentümer einen Antrag auf Leistung (des seinem Eigentumsanteil entsprechenden Anteils) der Entschädigung stellen.

4.       Da dem Antrag der Beschwerdeführerinnen daher ein zur Zurückweisung führender Mangel iSd § 13 Abs. 3 AVG nicht anhaftete, erfolgte die Zurückweisung durch den angefochtenen Bescheid zu Unrecht. Der angefochtene Bescheid ist daher ersatzlos zu beheben (vgl. VwGH 16.12.2015, VwGH Ra 2015/21/0124).

5.       Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. So liegt– soweit für das Verwaltungsgericht Wien überblickbar – zur hier entscheidungswesentlichen Frage, ob Zulässigkeitsvoraussetzung für die Geltendmachung einer Entschädigung für eine Grundabtretung gemäß § 17 Abs. 5 BO ein gemeinsamer Antrag sämtlicher Miteigentümer bzw. die Zustimmung aller Miteigentümer einer Liegenschaft ist, noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor.

Schlagworte

Zurückweisung; Enteignung; Anspruch auf Entschädigung; Miteigentümer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.111.093.12403.2019

Zuletzt aktualisiert am

20.12.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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