TE Vfgh Erkenntnis 2019/9/24 E3421/2018

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Veröffentlicht am 24.09.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §6 Abs1 Z1, §17
Flüchtlingskonvention Genfer Art1 Abschnitt D
Statusrichtlinie 2011/95/EU Art12
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Abweisung des Status der Asylberechtigten betreffend eine in Österreich nachgeborene minderjährige staatenlose Palästinenserin, deren Eltern subsidiärer Schutzstatus und eine UNRWA-Registrierungskarte zukommt; Erforderlichkeit einer Prüfung betreffend den Schutz und Beistand der internationalen Organisation bei fehlender Registrierung einer Minderjährigen

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die minderjährige Beschwerdeführerin ist eine staatenlose Palästinenserin und im Bundesgebiet geboren. Ihren Eltern, ebenfalls staatenlose Palästinenser aus Syrien, kommt der Status der subsidiär Schutzberechtigten zu. Der Vater brachte im Dezember 2017 für die Beschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §17 AsylG 2005 (für ein in Österreich nachgeborenes Kind) ein. Im Antrag wurde angegeben, dass die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe bzw Rückkehrbefürchtungen habe; der Antrag beziehe sich ausschließlich auf die Gründe des Vaters bzw der Mutter.

2.       Mit Bescheid vom 23. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigte gemäß §§3 Abs1 iVm 2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab, erkannte gemäß §§8 Abs1 iVm 34 Abs3 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3.       In einer mit der Beschwerde vorgelegten Kopie einer UNRWA-Registrierungskarte ("family registration card" vom 9. August 2011) sind die Eltern und zwei ältere Geschwister der Beschwerdeführerin eingetragen. Einträge zur Beschwerdeführerin sowie zum eineinhalb Jahren älteren, ebenfalls in Österreich geborenen Bruder der Beschwerdeführerin finden sich in der betreffenden Kopie der UNRWA-Registrierungskarte nicht.

4.       Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 6. Juli 2018 – ohne Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung – gemäß §3 Abs1 AslyG 2005 iVm §28 Abs2 VwGVG als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Entscheidung zusammengefasst damit, dass der Beschwerdeführerin nicht der Schutz oder Beistand der UNRWA zukomme und es den Eltern bzw dem Vater als gesetzlichen Vertreter der Beschwerdeführerin nicht gelungen sei, eine konkrete und gezielt gegen ihre Person bzw gegen die Beschwerdeführerin gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründen hat, glaubhaft zu machen.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführerin der Schutz oder Beistand der UNRWA nicht zukomme, begründet das Bundeverwaltungsgericht wie folgt (Unterstreichung nicht im Original):

"[…] Insoweit in der Beschwerdeschrift moniert wird, dass die Behörde es unterlassen habe, ihren Vater bezüglich seiner Registrierung bei UNRWA als palästinensischen Flüchtling in Syrien zu befragen, ist dazu lediglich darauf hinzuweisen, dass ihr gesetzlicher Vertreter bereits im eigenen Verfahren dazu ausführlich befragt wurde und die Möglichkeit gehabt hat, eine allfällige Unterschutzstellung nachzuweisen und seine Registrierungskarte vorzulegen. Diesen Umstand bzw das unfreiwillige und erzwungene Verlassen ihrer Heimat konnten er und seine Ehegattin offenbar nicht entsprechend nachweisen bzw glaubhaft machen, sodass ihnen der Status von Asylberechtigten letzten Endes rechtskräftig nicht zuerkannt wurde.

Neben der erfolgten Registrierung, welche durch die Vorlage einer UNRWA-Registrierungskarte nachgewiesen werden kann (erste Voraussetzung), ist bekanntlich eine zweite Voraussetzung zu prüfen, nämlich 'ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen' (EuGH 19.12.2012, Rs. C-364/11, El Kott, Rz 61). Aus diesem Grund ist die im Zuge der Beschwerde vorgelegt Urkunde, die darüber hinaus nur in Kopie vorliegt, alleine nicht geeignet, den in Art12 Abs1 lita der Status-RL angeordneten 'ipso facto' Schutz zu begründen. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die Behörde bei einer neuerlichen Einvernahme ihres Vaters zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Wenn in der Beschwerde nunmehr behauptet wird, dass die Eltern der Beschwerdeführerin aufgrund der Kriegssituation und der damit verbundenen prekären humanitären Situation – somit nicht aus in ihrer Sphäre gelegenen Gründen – zum Verlassen ihres Heimatgebietes gezwungen und daran gehindert gewesen seien, den von UNRWA gewährten Schutz in Anspruch zu nehmen, ist auf die Verfahren ihrer Erziehungsberechtigten hinzuweisen, in welchen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus entsprechend geprüft und letztlich rechtskräftig in Abrede gestellt wurden. […]"

5.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK, behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, die Abhaltung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

6.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

II.      Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. §3 Abs1 und 5 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 24/2016, sowie §6 AsylG 2005 idF BGBl I 70/2015 (samt Überschrift) lauten:

"Status des Asylberechtigten

§3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

       […]

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

§6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

1. und so lange er Schutz gemäß Art1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

2. einer der in Art1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder

4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des §73 StGB, BGBl Nr 60/1974, entspricht.

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. §8 gilt."

2. Art1 Abschnitt D der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955, idF BGBl 78/1974 (im Folgenden GFK) lautet:

"Artikel 1

Definition des Ausdruckes 'Flüchtling'

D. Dieses Abkommen wird auf Personen keine Anwendung finden, die derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten.

Wenn dieser Schutz oder diese Hilfe aus irgendeinem Grunde wegfällt, ohne daß die Stellung dieser Personen gemäß den bezüglichen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geregelt ist, so werden diese Personen ipso facto der Vorteile dieses Abkommens teilhaftig."

3. Die Art2 und 12 der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, AB. 2011 L 337, 10 ff (im Folgenden: Status-RL) lauten auszugsweise:

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

[…]

c) Genfer Flüchtlingskonvention das in Genf abgeschlossene Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der durch das New Yorker Protokoll vom 31. Januar 1967 geänderten Fassung;

d) 'Flüchtling' einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

[…]

Artikel 12

Ausschluss

(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er

a) den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie;

[…]"

III.    Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

3.       Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

4.       Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

5.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

5.1.    Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt dargelegt, wie sich die Rechtsstellung von Asylwerbern, die grundsätzlich unter dem Schutz oder Beistand einer von Art1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation der Vereinten Nationen stehen, von jener anderer Asylwerber unterscheidet (VfSlg 19.777/2013; VfGH 18.9.2014, U73/2014; 22.9.2017, E1965/2017; 24.9.2018, E761/2018 ua). Bei der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) handelt es sich um eine Organisation der Vereinten Nationen iSd Art1 Abschnitt D GFK, auf die sowohl Art12 Abs1 lita Status-RL sowie §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 Bezug nehmen (VfSlg 19.777/2013; VfGH 29.6.2013, U674/2012; 21.11.2013, U1900/2013; 24.9.2018, E761/2018 ua; EuGH 17.6.2010, Rs. C-31/09, Bolbol, Rz 44).

Gemäß §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 (in Umsetzung des Art12 Abs1 lita erster Satz Status-RL und dieser wiederum in Entsprechung des Art1 Abschnitt D erster Satz GFK) sind Personen, die unter dem Schutz oder Beistand der UNRWA stehen, von der Anerkennung als Flüchtling zunächst ausgeschlossen. Sie genießen aber – nach der in diesem Punkt im innerstaatlichen Recht nicht umgesetzten und sohin unmittelbar anwendbaren Bestimmung des zweiten Satzes des Art12 Abs1 lita Status-RL (vgl VfSlg 19.777/2013; EuGH 25.7.2018, Rs. C-585/16, Alheto, Rz 99) – dann "ipso facto" den Schutz der Status-RL bzw der GFK, wenn der Schutz oder Beistand einer solchen Organisation "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird. Dieser "ipso facto"-Schutz bewirkt insofern eine Privilegierung, als für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft zu machen ist, sondern nur, dass die Asylwerber erstens unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind und zweitens, dass dieser Beistand aus "irgendeinem Grund" weggefallen ist. Die erste Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union jedenfalls mit der Vorlage einer UNRWA-Registrierungskarte erfüllt (EuGH, Bolbol, Rz 52). Die zweite Voraussetzung erfordert eine Prüfung, "ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen" (EuGH 19.12.2012, Rs. C-364/11, El Kott ua, Rz 61). Ein Zwang zum Verlassen des Einsatzgebietes einer Organisation iSd Art12 Abs1 lita zweiter Satz Status-RL liegt nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott ua dann vor, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befand und es der betreffenden Organisation oder Institution unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der dieser Organisation oder Institution obliegenden Aufgabe im Einklang stehen (EuGH, El Kott ua, Rz 65; vgl auch EuGH, Alheto, Rz 86).

5.2.    Das Bundesverwaltungsgericht kommt in seiner Entscheidung zu dem Schluss, dass die vorgelegte Kopie der UNRWA-Registrierungskarte alleine nicht "geeignet sei", den in Art12 Abs1 lita Status-RL geregelten "ipso facto"-Schutz zu begründen. Das Bundesverwaltungsgericht zieht daher den Schluss, dass der Beschwerdeführerin mangels Registrierung bei UNRWA (nachgewiesen durch eine UNRWA-Registrierungskarte) nicht der Schutz oder Beistand dieser internationalen Organisation zukäme.

5.3.    Der EuGH hat jedoch bereits in seiner Entscheidung in der Rechtssache Bolbol (EuGH, Bolbol, Rz 45 f) unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Generalanwältin in ihren Schlussanträgen festgestellt, dass aus der Konsolidierten Anweisung betreffend die Berechtigungsvoraussetzungen und die Registrierung (Consolidated Eligibility und Registration Instructions) der UNRWA hervorgeht, dass – unter gewissen Voraussetzungen – auch nicht registrierte Personen den Beistand oder Schutz der UNRWA beanspruchen können. Es lässt sich daher nicht von vornherein ausschließen, dass die nicht bei UNRWA registrierte Beschwerdeführerin unter den Anwendungsbereich des Art1 Abschnitt D GFK (und somit unter den Anwendungsbereich des Art12 Abs1 lita erster Satz Status-RL) fällt.

5.4. Da das Bundesverwaltungsgericht ohne nähere Prüfung davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin ohne Registrierung bei der UNRWA nicht unter den Schutz oder Beistand dieser internationalen Organisation fällt, belastet es seine Entscheidung mit Willkür.

IV.      Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, EU-Recht Richtlinie, Entscheidungsbegründung, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E3421.2018

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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