TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/2 W211 2217834-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.08.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

02.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W211 2209683-1/9E

W211 2217834-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geboren am XXXX und 2) XXXX , geboren am XXXX , beide StA. Somalia, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX und XXXX , 1) Zl. XXXX , 2) Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Die Spruchpunkte II. - VI. werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die BF 1 ist die Mutter der BF 2; beide sind somalische Staatsangehörige. Die BF 1 stellte am XXXX .2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Für die BF 2, die in Österreich geboren wurde, wurde am XXXX .2019 ein solcher Antrag gestellt.

2. Die BF 1 wurde am XXXX .2016 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab dabei zusammengefasst an, sie stamme aus Janaale, gehöre den Sheikhal an und habe Somalia wegen der Islamisten verlassen.

3. Am XXXX .2018 fand eine Einvernahme der BF 1 bei der belangten Behörde statt, während der die BF 1 zusammengefasst angab, schwanger zu sein und in Janaale in einem Restaurant als Köchin gearbeitet zu haben. Sie sei telefonisch aufgefordert worden, dort nicht mehr zu arbeiten; später seien sie und ihre Familie auch weiter bedroht, und ihr Vater getötet worden.

4. Mit Bescheid vom XXXX .2018 wies die belangte Behörde den Antrag der BF 1 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF 1 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1-3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

5. Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig eine Beschwerde eingebracht.

6. Mit Bescheid vom XXXX .2019 wies die belangte Behörde den Antrag der BF 2 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF 2 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1-3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

7. Gegen den Bescheid betreffend die BF 2 wurde ebenfalls rechtzeitig eine Beschwerde eingebracht.

8. Am XXXX .2019 fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht statt, an der die BF1 und ihre Vertretung sowie eine Dolmetscherin für die somalische Sprache teilnahmen. Die belangte Behörde entschuldigte sich mit Schreiben vom XXXX .2019 von der Teilnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den BF:

1.1.1. Die BF sind Staatsangehörige Somalias.

Die BF 1 stellte am XXXX .2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Die BF 2 wurde am XXXX .2019 in Österreich geboren. Für sie wurde am XXXX .2019 ein Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt.

1.1.2. Die BF 1 besuchte in Somalia keine Schule und arbeitete in Somalia als Köchin. Sie gehört den Sheikhal an.

Die BF 1 verfügt über ihre Mutter, 5 Schwestern und 4 Brüder in Somalia. Es kann nicht festgestellt werden, ob Kontakt zu den Familienangehörigen in Somalia besteht.

1.1.3. Die BF 2 wurde in Österreich geboren.

1.1.4. Die BF sind gesund, und die BF 1 ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur relevanten Situation in Somalia wird festgestellt wie folgt:

Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung (FGM) (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, CEDOCA 9.6.2016), diese ist in Somalia aber weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, AA 1.1.2017). Nach einer Angabe sind 98% aller Frauen und Mädchen beschnitten (USDOS 3.3.2017), eine andere Quelle nennt eine FGM-Rate (alle Formen von FGM) von 99% in der Altersgruppe von 15-49 Jahren. Dabei ist die hohe Prävalenz nicht auf Somalia beschränkt, sondern betrifft auch ethnische Somali in Kenia und Äthiopien (CEDOCA 9.6.2016).

Zum Alter bei der Beschneidung gibt es unterschiedliche Angaben. Eine Quelle nennt ein Alter von zehn bis dreizehn Jahren (AA 1.1.2017); nach anderen Angaben findet die Verstümmelung bei mehr als 80% im Alter zwischen fünf und neun Jahren statt; bei 10% zwischen neun und vierzehn Jahren; und bei 7% zwischen null und vier Jahren (EASO 8.2014). Nach wieder anderen Angaben wird die Verstümmelung bei 80% der Mädchen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vorgenommen (USDOS 3.3.2017). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016). Quellen im Bericht des Danish Immigration Service erklären wiederum, dass die große Mehrheit vor dem achten Geburtstag einer Verstümmelung unterzogen wird. Eine Quelle gab an, dass Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr beschnitten werden. Dies wäre gesundheitlich zu riskant. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016).

Dabei ist vor allem die extremste Form der weiblichen Beschneidung (Infibulation; auch pharaonische Beschneidung/ WHO Typ III) weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Berichtet wird ein Anteil von rund 63% (EASO 8.2014). Eine andere Quelle schätzt die Zahl von Infibulationen auf 80% (DIS 1.2016). Verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen. Viele überleben die Verstümmelung nicht (AA 1.1.2017).

Bei den Benadiri und den arabischen Gemeinden in Somalia ist nicht die Infibulation sondern die Sunna (WHO Typen I und II) verbreitet. Bei diesen Gruppen scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Auch in anderen Teilen Somalias wird zunehmend die Sunna verwendet (DIS 1.2016).

Landesweit bemühen sich die Regierungen, die FGM-Praxis einzuschränken (AA 1.1.2017). Internationale und lokale NGOs führen Sensibilisierungsprogramme durch (USDOS 3.3.2017; vgl. CEDOCA 9.6.2016). Auch Medien, Prominente und religiöse Persönlichkeiten werden in die Kampagnen eingebunden. Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation (CEDOCA 9.6.2016). Es gibt allerdings keine Behörden oder Organisationen für Mütter, die hinsichtlich der Verhinderung einer FGM Unterstützung oder Schutz bieten (DIS 1.2016).

Die Hauptrolle bei der Entscheidung, ob eine Beschneidung stattfindet, liegt in erster Linie bei der Mutter, in geringerem Maße bei der Großmutter. Der Vater spielt bei dieser Entscheidung kaum eine Rolle (CEDOCA 9.6.2016). Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es also auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist dies aber in Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist (DIS 1.2016).

Es kann zu psychischem Druck kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Dieser Druck kann auch extreme Formen annehmen, derartige Fälle sind aber außergewöhnlich. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (DIS 1.2016). Aufklärungskampagnen versuchen, Väter mehr in die Sensibilisierung einzubinden, da sie Einfluss auf Mutter und Großmutter ausüben können (CEDOCA 9.6.2016).

Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten. Ohne das Wissen der Mutter kann eine FGM aufgrund der gesundheitlichen Folgen nicht von statten gehen (DIS 1.2016).

Mädchen, die nicht beschnitten sind, werden in der somalischen Gesellschaft immer noch stigmatisiert. Auch hier gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land. Laut Edna Adan ist es in der Stadt kein Problem, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land aber würden Eltern dies nicht wagen. Mädchen, die anstatt einer Infibulation mittels Sunna beschnitten wurden, werden oftmals als nicht so rein wie infibulierte Mädchen erachtet (CEDOCA 9.6.2016). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Mutter vorgibt, dass ihre Tochter einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016).

1.3. Festgestellt wird, dass der BF 2 im Fall einer Rückkehr nach Somalia eine Genitalbeschneidung droht.

Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass die BF 1 im Falle einer Rückkehr nach Somalia in der Lage wäre, dem sozialen Druck, an der BF 2 eine FGM vornehmen zu lassen, Stand zu halten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der BF 1 nicht festgestellt werden. Die Identität der BF 2 steht fest.

Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellungen zur Schulbildung und Berufstätigkeit sowie zu den Familienangehörigen in Somalia ergeben sich teilweise bereits aus den Feststellungen der belangten Behörde (vgl. S 8f des angefochtenen Bescheids zum Clan und zur Familie) sowie aus dem Akt und den Ergebnissen der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Keine Feststellung konnte dazu getroffen werden, ob Kontakt zu Familienangehörigen in Somalia besteht, da das diesbezügliche Vorbringen der BF 1 nur wenig nachvollziehbar ist.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der BF 1 fußt auf einem Strafregisterauszug.

2.3. Die Feststellungen zur Situation in Somalia basieren auf dem aktuellen Länderinformationsblatt aus dem Jänner 2018 (neueste, aber hier nicht relevante, Kurzinformation aus dem September 2018) und auf den folgenden Einzelquellen:

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-

CEDOCA - Documentation and Research Department of the CGRS, Belgien (13.6.2016): Somalië - Defibulatie en herinfibulatie bij geïnfibuleerde vrouwen in Zuid- en Centraal-Somalië

-

CEDOCA - Documentation and Research Department of the CGRS, Belgien (9.6.2016): Somalië - Vrouwelijke genitale verminking (VGV) in Somaliland en Puntland

-

DIS - Danish Immigration Service (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/D011EB99-7FB6-4693-921A-8F912F4079CB/0/FGMnotat2016.pdf, Zugriff 21.11.2017

-

EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

-

LI - Landinfo (14.9.2011): Somalia - Kjønnslemlestelse av kvinner, https://landinfo.no/asset/1747/1/1747_1.pdf, Zugriff 21.11.2017

-

LIFOS - Lifos/Migrationsverket (24.1.2014): Kvinnor i Somalia. Rapport från utredningsresa till Nairobi, Kenya i oktober 2013, http://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=31539, Zugriff 22.11.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

-

UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

-

WHO - World Health Organization (2017b): Female genital mutilation and other harmful practices,

http://www.who.int/reproductivehealth/topics/fgm/fgm_infibulated_women_norway/en/, Zugriff 21.11.2017

Diese Berichte wurden bereits im angefochtenen Bescheid betreffend BF 1 rezipiert, und zwar auf den Seiten 58 ff.

Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Aktualität, Verlässlichkeit und Relevanz der Länderinformationen zu zweifeln.

Die erkennende Richterin übersieht nicht, dass nach Ende der mündlichen Verhandlung vorgesehen war, eine Stellungnahmefrist zu den Berichten einzuräumen. Nach Durchsicht der Verfahrensunterlagen und des Protokolls der mündlichen Verhandlung entschied die erkennende Richterin jedoch, der BF 2 wegen der Gefahr einer FGM und der BF 1 in weiterer Folge im Familienverfahren den Status von Asylberechtigten zuzuerkennen. Eine weitere Recherchetätigkeit zur Situation in Janaale - wie in der mündlichen Verhandlung angedacht - schien daher nicht mehr notwendig bzw. nicht zielführend. Da daher außerdem den Beschwerden der BF stattgegeben wurde, und dies auf Basis der bereits im Bescheid der BF 1 rezipierten und damit bekannten Länderinformation, wurde auf die Einräumung einer weiteren Frist schließlich verzichtet.

2.4. Die Feststellung, dass die BF 2 in Österreich geboren wurde, ergibt sich aus der Geburtsurkunde vom XXXX .2019.

Die belangte Behörde nahm in Bezug auf die BF 2 keine Prüfung einer Gefährdungssituation im Lichte der Länderinformation, die ein hohes Risiko der Vornahme einer FGM an somalischen Mädchen ausweisen, vor.

Das Bundesverwaltungsgericht muss jedoch auf Basis dieser Länderinformation und auch nach den Eindrücken aus der mündlichen Beschwerdeverhandlung davon ausgehen, dass die BF 2 im Falle einer Rückkehr nach Somalia der Gefahr unterliegen würde, Opfer einer solchen zu werden. Zum einen geben die relevanten Bericht darüber Auskunft, dass zwischen 80 und 98% aller Mädchen und Frauen in Somalia beschnitten sind. Die Hauptrolle, ob eine Beschneidung stattfindet, liegt in erster Linie bei der Mutter, erst in zweiter bei der Großmutter. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es also in erster Linie auf die Standhaftigkeit der Mutter an.

Die Ergebnisse der mündlichen Verhandlung können die Angaben der BF 1 nicht widerlegen, dass sie keine Schule besucht hat und vorbringt, sich gegen eine Beschneidung ihrer Tochter nicht wehren zu können. Sie vermittelte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht den Eindruck, die notwendige Standhaftigkeit in Bezug auf ein gegebenenfalls familiäres, jedenfalls aber soziales Umfeld aufbringen zu können, um sich einer so tief verhafteten Tradition entgegenzustellen. Dass die BF 1 also einen sozialen Hintergrund aufweist, der sie für einen Widerstand gegen verfestigte Traditionen geeicht hätte, kann aus ihren persönlichen Umständen nicht abgelesen werden.

Die Zahlen betreffend die Prävalenz der FGM in Somalia und die Verbreitung der Typ III Beschneidung alleine deuten darauf hin, dass das Bekenntnis gegen eine Beschneidung in Bezug auf die eigene Tochter nicht ausreicht, um Mädchen tatsächlich vor der Vornahme eines Eingriffs zu schützen, der sie lebenslang schwer beeinträchtigt.

Die Länderfeststellungen gemeinsam mit den Feststellungen zu den persönlichen Umständen der BF 1 erlauben daher die Annahme nicht, dass sich die BF 1 gegen einen zweifellos gesellschaftlich und möglicherweise auch familiär bestehenden Druck ihres Umfelds, an der BF 2 eine FGM vornehmen zu lassen, ausreichend standhaft zur Wehr setzen könnte (vgl. auch VwGH, 12.12.2018, Ra 2018/19/0293).

2.5. Im Lichte der getroffenen Feststellungen muss auf das Fluchtvorbringen der BF 1 nicht näher eingegangen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Spruchpunkt I.:

Rechtsgrundlagen:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.

3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat der Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

3.1.4. Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen einer Asylwerberin gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status der Asylberechtigten oder der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jede_r Asylwerber_in erhält einen gesonderten Bescheid. Diese Bestimmungen gelten sinngemäß auch für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (§ 34 Abs. 5 AsylG).

Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Darüber hinaus differenziert das Gesetz beim Status der Asylberechtigten jedoch nicht. Weder kennt das Gesetz einen "originären" Status des Asylberechtigten, noch spricht das Gesetz in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 davon, dass im Familienverfahren ein anderer, nur "abgeleiteter" Status zuzuerkennen ist. Im Gegenteil spricht der zweite Satz des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ausdrücklich davon, dass "der" Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist, was nur bedeuten kann, dass der Status der Asylberechtigten an sich (ohne weitere Differenzierung) zuzuerkennen ist. Im Übrigen lässt sich auch der Status-Richtlinie 2011/95/EU eine solche Differenzierung bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entnehmen (vgl. insbesondere deren Art. 13). Ist einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status der Asylberechtigten zu gewähren, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären. Dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen (vgl. VwGH, 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständlichen Beschwerden:

3.2.1. Aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt, dass Genitalverstümmelung eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK darstellen kann (VwGH 01.03.2018, Ra 2017/19/0545; 20.06.2017, Ra 2017/01/0039; 27.06.2016, Ra 2016/18/0045 mwN). Aus dieser Judikatur ergibt sich allerdings auch, dass fallbezogen zu prüfen ist und die Umstände des Einzelfalls zu beachten sind.

Die BF 2 ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias, die in Österreich geboren wurde und die aufgrund ihres familiären und kulturellen Umfelds der aktuellen und maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr als Mitglied der sozialen Gruppe von Frauen unterliegt, in Somalia Opfer einer weiblichen Genitalbeschneidung zu werden.

3.2.2. Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht, da diese Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung grundsätzlich landesweit praktiziert wird. Doch auch in Hinblick auf die niedrigere Prävalenz von FGM in Somaliland und Puntland unter den 1 - 14 jährigen Mädchen muss in Hinblick auf die diesbezüglichen Länderinformationen darauf hingewiesen werden, dass diese Regionen normalerweise nur solchen Personen die Einreise gestatten, die früher in der Region gewohnt haben und Mitglieder lokaler Clans oder Subclans sind, was auf die BF nicht zutrifft. Daher kann nicht von einer möglichen bzw. zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen werden.

3.2.3. Von einer Schutzfähigkeit und -willigkeit der somalischen Sicherheitsbehörden kann nach der aktuellen Berichtslage ebenfalls nicht ausgegangen werden.

3.2.4. Im Lichte der Rechtsprechung des VwGH zum "originären" Asyl kann eine Prüfung des Vorbringens der BF 1 und einer sie treffenden allfälligen Verfolgungsgefahr entfallen.

3.2.5. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der BF 2 nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG und der BF 1 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag der BF 2 auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 2016/24 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall Anwendung finden (siehe § 3 Abs. 4b AsylG 2005).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, Genitalverstümmelung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W211.2217834.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten