TE OGH 2019/8/22 4Ob142/19i

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Veröffentlicht am 22.08.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Kindes P***** R*****, geboren am *****, wohnhaft bei seiner Mutter M***** R*****, geboren am *****, vertreten durch das Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt St. Pölten, Jugendhilfe, St. Pölten, Heßstraße 6), wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des minderjährigen Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 5. Juni 2019, GZ 23 R 202/19g-62, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 23. April 2019, GZ 2 Pu 182/11t-55, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Das antragstellende Kind ist 13 Jahre alt und lebt im Haushalt seiner Mutter. Der geldunterhaltspflichtige Vater A***** R*****, geboren am *****, könnte bei pflichtbewusstem Verhalten ein anrechenbares Nettoeinkommen von monatlich 1.350 EUR erzielen; er ist für ein weiteres minderjähriges Kind sorgepflichtig. Seit 8. 4. 2019 befindet er sich wegen einer Verurteilung nach § 198 StGB in Haft. Aus diesem Grund bezieht das antragstellende Kind seit 1. 4. 2019 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG.

Das Kind begehrte die Erhöhung der Unterhaltsbeiträge – aufgrund des Haftantritts des Vaters letztlich nur für den Zeitraum vom 1. 1. 2019 bis 31. 3. 2019 – von bisher 225 EUR auf monatlich 280 EUR. Die Voraussetzungen für die Neubemessung des Unterhalts seien gegeben. Der Vater sei nicht nur auf ein angemessenes Arbeitseinkommen, sondern auch auf den halben Familienbonus Plus anzuspannen. Aus diesem Grund erhöhe sich die Unterhaltsbemessungsgrundlage von 1.350 EUR auf 1.475 EUR; unter Berücksichtigung einer weiteren Sorgepflicht ergebe sich nach der Prozentsatzkomponente (19 %) ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von 280 EUR.

Der Vater beteiligte sich am Verfahren nicht.

Das Erstgericht gab dem Antrag des Kindes teilweise statt und erhöhte den monatlichen Unterhaltsbeitrag des Vaters für den in Rede stehenden Zeitraum auf monatlich 255 EUR; das Mehrbegehren von monatlich 25 EUR wies es ab. Das vom Vater erzielbare Arbeitseinkommen betrage monatlich 1.350 EUR netto. Der Familienbonus Plus sei ein Steuerabsetzbetrag, der grundsätzlich nicht von der Unterhaltsbemessungsgrundlage ausgeschieden werden könne. Im Anlassfall sei der Hälftebetrag des Familienbonus Plus allerdings nicht zu berücksichtigen, weil der Vater keiner Beschäftigung nachgehe und daher auch keinen Anspruch auf diese Leistung habe. Außerdem gelte das „Zufluss-Abfluss-Prinzip“, weshalb der in Rede stehende Absetzbetrag erst dann berücksichtigt werden könne, wenn er vom Vater geltend gemacht werde.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Familienbonus Plus sei sowohl bei der steuerlichen Entlastung des Unterhaltsschuldners als auch bei der Ermittlung des Nettoeinkommens zu berücksichtigen. Die Erhöhung des Unterhalts dürfe aber nie mehr ausmachen als der Familienbonus Plus selbst. Im Anlassfall reichten die Unterhaltsabsetzbeträge für die gebotene steuerliche Entlastung des Unterhaltsschuldners aus, weshalb der Familienbonus Plus an sich bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen sei. Im Anlassfall habe eine Anspannung des Vaters auf den Hälftebetrag des Familienbonus Plus allerdings nicht stattzufinden. Beim geldunterhaltspflichtigen Elternteil hänge die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Familienbonus Plus aufgrund des Verweises auf den Unterhaltsabsetzbetrag davon ab, ob er seine Geldunterhaltspflicht zur Gänze erfülle. Diese Voraussetzung sei im Anlassfall nicht gegeben, weshalb der Vater keinen Anspruch auf den Familienbonus Plus habe. Außerdem sei die Anspannung des Vaters auch nach dem „Zufluss-Abfluss-Prinzip“ erst dann möglich, wenn er den steuerlichen Vorteil tatsächlich geltend mache. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Einführung des Familienbonus Plus zu einer wesentlichen Änderung der Rechtslage geführt habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes mit dem Antrag, den Unterhaltsbeitrag des Vaters vom 1. 1. 2019 bis 31. 3. 2019 mit 262 EUR festzusetzen.

Der Vater hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs erweist sich als unzulässig:

1. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses an den Zulässigkeitsausspruch des Rekursgerichts nicht gebunden. Der Revisionsrekurs ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt (vgl 8 Ob 144/09y). Trotz Zulässigerklärung des ordentlichen Revisionsrekurses durch das Rechtsmittelgericht muss der Rechtsmittelwerber daher den Revisionsrekurs ausführen und eine für die Entscheidung wesentliche Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer solchen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel zurückzuweisen. Diese Grundsätze gelten auch im Verfahren außer Streitsachen (8 Ob 44/15a).

2. Die Vorinstanzen haben die Anspannung des Vaters auf den (ausschöpfbaren Teil) des Hälftebetrags des Familienbonus Plus zum einen mit der Begründung abgelehnt, dass das „Zufluss-Abfluss-Prinzip“ gelte und eine Anspannung daher erst dann in Betracht komme, wenn der Unterhaltsschuldner den steuerlichen Vorteil tatsächlich geltend mache. Darüber hinaus haben sie die Anspannungsobliegenheit des Vaters auch mit dem Argument verneint, dass der Vater nach § 33 Abs 3a Z 3 lit b EStG keinen Anspruch auf den Familienbonus Plus habe, weil er die bisherige Geldunterhaltspflicht nicht vollständig erfüllt habe, was aufgrund des Verweises auf den Unterhaltsabsetzbetrag aber Anspruchsvoraussetzung sei.

3. In seinem Revisionsrekurs führt das Kind aus, dass der Anspannungsgrundsatz von der Obliegenheit des Unterhaltsschuldners ausgehe, bei Kenntnis seiner Unterhaltspflichten für deren Erfüllung alle seine Kräfte im Rahmen des Zumutbaren anzuspannen. Aus diesem Grund habe er auch von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, ab 1. 1. 2019 die Hälfte des Familienbonus Plus zu beantragen. Im Anlassfall sei – entsprechend der Berechnungen des Rekursgerichts – ein wirksam ausschöpfbarer Betrag von monatlich 30,80 EUR zu berücksichtigen. Dieser Betrag sei ab 1. 1. 2019 in die unterhaltsrechtliche Kalkulation miteinzubeziehen. Das von den Vorinstanzen herangezogene „Zufluss-Abfluss-Prinzip“ führe dazu, dass sich der Unterhaltsschuldner über viele Monate Unterhaltsleistungen erspare.

Diese Ausführungen im Revisionsrekurs beziehen sich auf die Anspannungsobliegenheit des Vaters lediglich in Bezug auf einen Antrag des Unterhaltsschuldners auf sofortige Auszahlung des Familienbonus Plus beim Arbeitgeber. Zum weiteren von den Vorinstanzen gegen den Anspannungsgrundsatz herangezogenen Aspekt (Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen mangels Erfüllung der Unterhaltspflicht) enthält der Revisionsrekurs keine Ausführungen.

4. Den Fragen, ob die dargelegten Rechtsansichten der Vorinstanzen zur verneinten Anspannung des Unterhaltsschuldners zutreffend sind (siehe dazu allerdings 5 Ob 236/18v und 5 Ob 92/19v), kommt im Anlassfall keine Relevanz zu.

Das Rekursgericht hat unwidersprochen festgehalten, dass der Familienbonus Plus nur insoweit berücksichtigt werden kann, als er vom Unterhaltsschuldner steuerlich wirksam ausschöpfbar ist und die Einkommensteuerbelastung vermindert. Im Anlassfall errechne sich dieser Betrag nicht mit dem halben Familienbonus Plus, sondern lediglich mit monatlich 30,80 EUR.

Selbst wenn man der Argumentation des Kindes folgt und davon ausgeht, dass dem „Anspannungseinkommen“ von netto 1.350 EUR der ausschöpfbare Betrag des Familienbonus Plus von 30,80 EUR hinzuzurechnen und die Bemessungsgrundlage mit 1.380,80 EUR anzusetzen ist, ergäbe sich ein Unterhaltserhöhungsbetrag von monatlich 7 EUR für nur drei Monate.

Dazu ist zu berücksichtigen, dass der Unterhalt nicht exakt mathematisch zu berechnen, sondern vielmehr nach den von Billigkeitsüberlegungen getragenen Rechtsprechungsgrundsätzen im Einzelfall auszumitteln ist (vgl 8 Ob 89/17x; 4 Ob 54/19y). Es entspricht daher auch der Rechtsprechung, dass kaum ins Gewicht fallende Erhöhungs- oder Herabsetzungsbeträge bei der Unterhaltsbemessung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben (vgl 6 Ob 15/09p; 9 Ob 75/15t; 8 Ob 3/18a). Dies gilt auch für den hier vorliegenden Fall; der rechnerische Erhöhungsbetrag von nur monatlich 7 EUR fällt in den sogenannten Rundungsbereich.

5. Da sich die im Revisionsrekurs argumentierte Anspannungsobliegenheit des Vaters in Bezug auf den (ausschöpfbaren) Hälftebetrag des Familienbonus Plus auf die Entscheidung nicht auswirkt, liegt keine entscheidungswesentliche Rechtsfrage vor. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

Textnummer

E126171

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00142.19I.0822.000

Im RIS seit

10.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

10.10.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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