TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/9 W214 2186468-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.05.2019
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Entscheidungsdatum

09.05.2019

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
BFA-VG §20
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W214 2186468-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, Staatsangehörigkeit Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.01.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.04.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF (VwGVG), stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige muslimisch-sunnitischen Glaubens und Zugehörige der Volksgruppe der Araber, stellte am XXXX 04.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am selben Tag gab die Beschwerdeführerin an, aus XXXX zu stammen, verheiratet zu sein und im XXXX 2012 legal aus Syrien nach XXXX ausgereist zu sein. Sie habe ihr Land wegen des Krieges verlassen. In XXXX , wo sie mit ihrem Mann gelebt habe, sei inzwischen ihr Aufenthaltsrecht nicht verlängert worden. Sie sei nach Österreich gereist, weil ihre Kinder hier leben.

2. Am 01.09.2017 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für Arabisch niederschriftlich einvernommen. Sie legte einen syrischen Reisepass, einen syrischen Personalausweis, ein syrisches Familienbuch, einen Ehevertrag mit XXXX und eine Scheidungsurkunde betreffend die Scheidung vom Genannten sowie einen Auszug aus dem Familienstandsregister ihres Vaters und eine Scheidungsurkunde betreffend ihren zweiten Ehegatten vor. Sie habe von XXXX bis 2012 in XXXX im Bezirk XXXX gelebt und sei mit ihrem Ex-Mann und zwei Töchtern im XXXX 2012 nach XXXX ausgereist. Ihre Eltern seien bereits gestorben, sie habe sechs Schwestern, von denen sich fünf in Österreich befänden und vier bereits die österreichische Staatsbürgerschaft hätten. Sie habe drei Töchter und einen Sohn, wobei ihr Sohn und eine Tochter österreichische Staatsbürger seien, die zwei anderen Töchter würden ebenfalls in XXXX leben und seien anerkannte Flüchtlinge.

Nach den Fluchtgründen befragt führte sie aus, dass sie Syrien wegen des Krieges verlassen habe. Ihr Haus sei bombardiert worden, sie hätten dann woanders eine Unterkunft gemietet, wo es dann auch ein Gefecht gegeben habe, weshalb sie gezwungen gewesen wären, das Land zu verlassen.

3. Mit dem angefochten Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde stellte, neben allgemeinen herkunftsbezogenen Länderfeststellungen, die Identität und die Familienverhältnisse der Beschwerdeführerin fest; weiters, dass die Beschwerdeführerin legal aus Syrien ausgereist und illegal in Österreich eingereist sei. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin Syrien wegen des Krieges verlassen habe. Es könne nicht festgestellt werden, dass sie einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung in Syrien ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche zukünftig zu befürchten habe.

Hingegen wurde der Beschwerdeführerin aufgrund der allgemeinen Lage in Syrien der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG wurde der Beschwerdeführerin ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

4. Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wurde unter anderem ausgeführt, dass die belangte Behörde es unterlassen habe, die Beschwerdeführerin zu ihren Rückkehrbefürchtungen zu befragen. Hier hätte die Beschwerdeführerin ausführen können, dass neben ihren zwei in Österreich bereits asylberechtigten Töchtern auch ihr Sohn lebe, der sich in Österreich seit den Anfängen der syrischen Revolution engagiere und XXXX teilnehme. Dieser habe zahlreiche Demonstrationen zur Unterstützung der syrischen Revolution in XXXX unterstützt. Der Sohn habe an über XXXX Demonstrationen in XXXX teilgenommen und sei unter anderem auch im Vordergrund von Demonstrationen in einem YouTube-Video deutlich zu erkennen. Dazu wurde auch auf einen bestimmten Link verwiesen. Er habe auch an einem XXXX in XXXX teilgenommen, mit dem XXXX worden seien. Es werde daher die zeugenschaftliche Einvernahme des Sohnes beantragt. Es sei davon auszugehen, dass die syrischen Behörden über das politische Engagement des Sohnes der Beschwerdeführerin informiert seien und sie deswegen mit Verfolgungshandlungen zu rechnen habe. Weiters wäre auch zu prüfen gewesen, inwieweit der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr alleine wegen ihres langen Auslandsaufenthaltes und ihrer Asylantragstellung in Österreich eine oppositionelle politische Meinung unterstellt werden würde. Außerdem befänden sich neben dem Sohn auch noch fünf Schwestern und die drei Töchter der Beschwerdeführerin in Österreich, wobei zwei dieser Töchter asylberechtigt seien. Die Regierung gehe auch gegen Familienangehörige von Oppositionellen vor. Auch werde die Asylantragstellung in Österreich vom Regime als "illoyaler Akt" gesehen.

5. Am 02.04.2019 fand eine mündliche Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht statt, in der die Beschwerdeführerin ausführte, von ihrem ersten Ehemann geschieden zu sein. Sie sei diesem aber nach wie vor freundschaftlich verbunden und sei auch mit diesem gemeinsam nach XXXX ausgereist. Die Beschwerdeführer bestätigte, dass ihre Schwestern und ihre Kinder (und deren Familien) in Österreich leben und teilweise bereits die österreichische Staatsbürgerschaft hätten. Zwei ihrer Töchter seien in Österreich asylberechtigt. In Syrien befinde sich noch ein Bruder mit seiner Familie. Eine ihrer Schwestern sei mit einem ehemaligen Angestellten der syrischen Botschaft verheiratet, der zu Beginn der Revolution entlassen worden sei.

Nach den Fluchtgründen befragt führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie Syrien verlassen habe müssen, weil ihr Sohn, der ja schon lange in Österreich lebe, politische Aktivitäten gegen das Regime bzw. zur Unterstützung der Demonstranten gesetzt habe. Eine Nachbarin habe ihr Vorwürfe gemacht, weil ihr Sohn in Österreich an Demonstrationen teilnehme. Sie habe auch auf Facebook Drohnachrichten bekommen, in denen ihr vorgeworfen worden sei, dass ihr Sohn nicht nur in XXXX habe, sondern auch an Aktivitäten gegen das Regime beteiligt sei und die Rebellen unterstütze, nämlich XXXX . Es gebe in Syrien eine Sippenhaftung. Außerdem seien diese Demonstrationen XXXX und sie habe ihren Sohn bei den Aktivitäten des XXXX . Sie habe ihrem Sohn gesagt, dass er sie in große Schwierigkeiten bringen könne. Bei einer Rückkehr nach Syrien würde man sie verhaften, da ihre gesamte Familie außer Landes sei und dem Regime bekannt sei, welche Aktivitäten ihr Sohn gesetzt habe.

Der als Zeuge einvernommene Sohn der Beschwerdeführerin berichtete über seine exilpolitischen Aktivitäten und belegte diese auch mit Fotos und Links, die zu öffentlich zugänglichen YouTube-Videos führen.

6. Mit Schreiben vom 16.04.2019 führte die Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin nochmals näher die exilpolitischen Aktivitäten des Sohnes der Beschwerdeführerin aus und verwies auf die vorgelegten Beweismittel. Dazu wurden weitere YouTube-Links bekannt gegeben, auf welchen der Sohn der Beschwerdeführerin zu sehen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist syrische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens und Zugehörige der arabischen Volksgruppe. Sie trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX geboren. Die Beschwerdeführerin stammt aus XXXX , das unter der Kontrolle der Regierung steht.

Die Beschwerdeführerin lebte vor ihrer Ausreise mit ihrem Exmann in einem Haus und reiste wegen des Krieges und der Zerstörung ihres Wohnviertels mit diesem und zwei Töchtern im XXXX 2012 legal nach XXXX aus. Dort lebte sie einige Jahre mit ihrem Ex-Mann. Sie reiste im November 2016 in Österreich ein und stellte am XXXX 04.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführerin verfügt über keinen gültigen syrischen Reisepass, da dessen Gültigkeitsdauer abgelaufen ist.

Fünf Schwestern und alle vier Kinder der Beschwerdeführerin sowie deren Familien (auch eine Reihe von Enkelkindern der Beschwerdeführerin) leben in Österreich. Vier Schwestern, der Sohn und zwei Töchter der Beschwerdeführerin haben die österreichische Staatsbürgerschaft. Zwei Töchter der Beschwerdeführerin haben in Österreich den Status von Asylberechtigten.

Der seit fast 20 Jahren in Österreich lebende Sohn begann mit Beginn der syrischen Revolution in Österreich exilpolitische Aktivitäten zu setzen, bei denen er auch exponierte Positionen bekleidete, die auch auf YouTube und Facebook nachvollziehbar sind bzw. waren, wobei der Sohn dabei als Aktivist erkennbar ist. Auch XXXX waren einige Aktivitäten zu sehen.

Die Beschwerdeführerin wurde von Nachbarn telefonisch auf politische Aktivitäten ihres Sohnes aufmerksam gemacht.

Die Beschwerdeführerin und ihre Familie sind regimekritisch eingestellt.

Personen werden bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert.

Im Falle einer Rückkehr besteht für die Beschwerdeführerin als Mutter eines Sohnes, der relevante exilpolitische Aktivitäten gesetzt hat,als Oppositioneller aufgetreten ist und der inzwischen österreichischer Staatsbürger ist, die Gefahr, bereits bei der Einreise als Angehörige eines als Oppositionellen wahrgenommenen Sohnes eine unmenschliche Behandlung zu erfahren.

Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.

Es liegen keine Asylausschlussgründe vor.

1.2. Zur hier relevanten Situation in Syrien

1.2.1. Politische Lage

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche, eine politische Alternative zu schaffen, wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt. 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten. Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce".

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Am 13. April 2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden. Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen.

Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten.

Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt.

Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, lebt. Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte. Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht, wird auf etwa ein Viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt.

Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch.

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden. Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 14ff.)

1.2.2. Folter und unmenschliche Behandlung

Willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch die Einheiten der Regierung sind weit verbreitet und systemisch in Syrien und geschehen zudem in einem Klima der Straflosigkeit. Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren. Folter und andere Misshandlungen wurden durch das syrische Regime schon seit Jahrzehnten genutzt, um Widerstand zu unterdrücken. Das syrische Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten.

Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch von Minderjährigen sind weitverbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt. Manche Opfer von Folter werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind, oder weil sie nicht als ausreichend regimetreu wahrgenommen werden. Mitglieder oder Verwandte von Mitgliedern bewaffneter Gruppen werden auch Opfer von Folter. Berichten zufolge wurden Familienmitglieder durch die Sicherheitskräfte der syrischen Regierung festgenommen, darunter auch Kinder, um gesuchte Personen dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen. Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert.

Rebellengruppierungen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von (als solche wahrgenommenen) Andersdenkenden und Rivalen. Manche oppositionelle Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie wären Mitglieder von regierungstreuen Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel. Auch der IS begeht Misshandlungen, Folter, Bestrafungen von Individuen, und agiert mit Brutalität. Der IS bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, inklusive Kindern, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 39ff.)

1.2.3. Sunniten

In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass der syrische Präsident Muslim sein muss. Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit, was demographische Daten betrifft, Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74% der Bevölkerung stellen, wobei diese ethnische Araber, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und Turkmenen inkludieren. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Zwölfer Schiiten machen zusammen 13% aus, die Drusen 3%. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10%, wobei laut Medien- und anderen Berichten davon auszugehen ist, dass viele Christen aufgrund des Bürgerkrieges das Land verließen, und die Zahl nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jesiden. Diese Zahl könnte aufgrund des Zuzugs von Jesiden, die aus dem Irak nach Syrien flüchteten, mittlerweile höher sein.

Die syrische Regierung und die mit ihr verbündeten schiitischen Milizen töten, verhaften und misshandeln Sunniten und Mitglieder von bestimmten Minderheiten physisch, als Teil der Bemühungen den bewaffneten Aufstand von oppositionellen Gruppierungen niederzuschlagen. Laut mehreren Beobachtern des Konfliktes wandte das Regime Taktiken an, die darauf abzielten die extremsten Elemente der sunnitisch-islamistischen Opposition zu stärken, um den Konflikt dahingehend zu formen, dass dieser als ein Konflikt gesehen wird, in dem eine religiös moderate Regierung einer religiös extremistischen Opposition gegenübersteht.

Die Revolution wurde somit mit der sunnitischen Bevölkerung assoziiert, die Regierung zielte Berichten zufolge auf Städte und Nachbarschaften mit Belagerung, Beschuss und Luftangriffen auf Basis der Religionszugehörigkeit der Bewohner ab. Während sich Rebellen in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Islamisten identifizierten und eine Unterstützerbasis haben, die fast ausschließlich aus Sunniten besteht, und dadurch das Abzielen der Regierung konfessionell motiviert erscheint, merkten Beobachter jedoch an, dass zweifellos auch andere Motivationen für die Gewalt existierten. Experten argumentierten, dass Gewalt auf beiden Seiten oft religiös motiviert sei. Auch der IS ist für Menschenrechtsverletzungen Sunniten gegenüber verantwortlich.

Dies führte dazu, dass manche Mitglieder religiöser Minderheiten die Regierung Präsident Assads als ihren einzigen Beschützer gegen gewalttätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen. Gleichzeitig sehen sunnitische Araber viele der syrischen Christen, Alawiten und schiitischen Muslime aufgrund ihrer fehlenden Unterstützung oder Neutralität gegenüber der syrischen Revolution als mit der syrischen Regierung verbündet an. Die Minderheiten sind zwischen den konfessionellen Spannungen gefangen und in ihrer Loyalität gespalten. Viele entschieden sich dafür, das Regime zu unterstützen, da sie sich Schutz durch die syrische Regierung erhoffen, während andere Mitglieder von Minderheiten auf der Seite der Opposition stehen.

Die alawitische Gemeinde, zu der Bashar al-Assad gehört, genießt einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär. Nichtsdestotrotz werden auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter, Haft und Mord durch die Regierung. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes außerdem zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen. Durch den Aufstieg und die Verbreitung von extremistischen bewaffneten Gruppen seit 2014 werden Minderheiten vermehrt Menschenrechtsverletzungen durch diese Organisationen ausgesetzt. Gruppierungen wie der IS oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Minderheiten, in Gebieten unter ihrer Kontrolle Angriffen und Unterdrückung ihrer Religionsfreiheit aus, und bestrafen jene hart, die gegen ihre Kontrolle sind.

In Gebieten, welche der IS kontrolliert, wurden Christen gezwungen eine Schutzsteuer zu zahlen, zu konvertieren oder liefen Gefahr getötet zu werden. In Raqqa hielt der IS tausende jesidische Frauen und Mädchen, die im Irak entführt und nach Syrien verschleppt wurden, gefangen, um sie zu verkaufen, oder um sie an seine Kämpfer als Kriegsbeute zu verteilen. Jabhat Fatah ash-Sham und einige verbündete Rebellengruppen zielen im Norden des Landes mit Bomben und Selbstmordattentaten auf Drusen und Schiiten ab, was laut Jabhat Fatah ash-Sham eine Reaktion auf das "Massaker an Sunniten" durch die Regierung sei. Oppositionelle Gruppen entführen Mitglieder religiöser Minderheiten. Da sich die Motive politischer, ethnischer, konfessioneller und religiöser Gewalt überschneiden, ist es schwierig, Übergriffe als lediglich religiös motiviert zu kategorisieren.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 59ff.)

1.2.4. Frauen

Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des IS, zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind. Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation und vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch, weil Frauen Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Aufgrund der Kampfhandlungen zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt. In oppositionellen Gebieten, welche von radikalislamistischen Gruppen kontrolliert werden (z.B. in Idlib oder umkämpften Gebieten östlich von Damaskus), sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Außerdem ist es schwierig für sie zu arbeiten, weil sie unter Druck stehen, zu heiraten. Dies hängt jedoch von der Region ab.

Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. In Gebieten, die der IS kontrolliert(e), wurde ein Dokument veröffentlicht, welches Frauen unter Androhung der Todesstrafe die Befolgung von 16 Punkten vorschreibt. Die Punkte waren unter anderem, das Haus nicht ohne einen männlichen nahen Verwandten (mahram) zu verlassen, weite Kleidung, ein Kopftuch und einen Gesichtsschleier zu tragen, Friseursalons zu schließen, in der Öffentlichkeit nicht auf Stühlen zu sitzen und keine männlichen Ärzte aufzusuchen. In Raqqa gründete der IS die "al-Khansaa"-Brigade, welche hauptsächlich aus nicht-syrischen Frauen besteht und die Regeln des IS bei anderen Frauen durchsetzen soll. Familien werden auch gezwungen ihre Töchter an IS-Kämpfer zu verheiraten. Jabhat Fatah ash-Sham [Anm.: vormals Jabhat al-Nusra] ist Frauen gegenüber etwas weniger restriktiv, die Situation ist jedoch ähnlich. Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikalislamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet.

Frauen, deren Ehemänner als vermisst gelten, können sich unter bestimmten Umständen weder scheiden lassen, noch gelten sie als Witwen, solange es keinen Beweis für den Tod des Ehemannes gibt. Wenn der Ehemann vermisst wird, bleibt er dennoch der Vormund der Ehefrau, und sie gilt rechtlich weiterhin als verheiratet. Gleichzeitig hat sie aber den Ernährer der Familie verloren und ist so von ihrer Verwandtschaft abhängig. Dies gilt auch für Frauen, deren Männer inhaftiert sind, und die nicht wissen, ob diese überhaupt noch am Leben sind. Es gibt keinen rechtlichen Schutzmechanismus, der diesem Problem entgegenwirken würde. Dies kann zur Vulnerabilität von Frauen führen und sie dem Risiko einer Ausbeutung aussetzen, welche auch von Verwandten ausgehen kann.

Sexuelle Gewalt und deren Folgen

Vergewaltigungen sind weit verbreitet und die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigungen gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder ein, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Das tatsächliche Ausmaß von sexueller Gewalt in Syrien lässt sich nur schwer einschätzen, weil viele Vergehen nicht angezeigt werden. Es passieren auch Vergewaltigungen durch Wächter und Sicherheitskräfte in Haftanstalten. Frauen und Mädchen sind besonders im Kontext von Hausdurchsuchungen, an Checkpoints, in Haftanstalten, an Grenzübergängen und nach einer Entführung durch regierungstreue Einheiten von sexueller Gewalt betroffen, während Männer und Jungen vor allem während Verhören in Haftanstalten der Regierung von sexueller Gewalt betroffen sind. Vergewaltigung außerhalb der Ehe ist zwar laut Gesetz strafbar, die Regierung vollstreckt dieses Gesetz jedoch nicht. Außerdem kann der Täter Straffreiheit erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden. Die gesellschaftliche Tabuisierung von sexueller Gewalt führt zu einer Stigmatisierung von Frauen, die in Haft waren, zur Erniedrigung von Opfern, Familien und Gemeinschaften und zu einer hohen Dunkelziffer bezüglich der Fälle von sexueller Gewalt. Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird. Es gibt Fälle von Frauen, die nach einer Vergewaltigung Opfer von Ehrenmorden werden. Berichten von NGOs zufolge kam es seit dem Ausbruch des Konfliktes zu einem starken Anstieg bei Ehrenmorden infolge weit verbreiteter Fälle von Vergewaltigungen durch Regierungseinheiten und Ausbeutung durch den IS.

Alleinstehende Frauen

Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab. Man kann die gesellschaftliche Akzeptanz von alleinstehenden Frauen aber in keinem Fall mit europäischen Standards vergleichen, und Frauen sind potentiell Belästigungen ausgesetzt. In Syrien ist es fast undenkbar als Frau alleine zu leben, da eine Frau ohne Familie keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen besitzt. Beispielsweise würde nach einer Scheidung eine Frau in den meisten Fällen wieder zurück zu ihrer Familie ziehen. Vor dem Konflikt war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich alleine zu leben, z.B. für berufstätige Frauen in urbanen Gebieten. Der Zugang von alleinstehenden Frauen zu Dokumenten hängt von deren Bildungsgrad, individueller Situation und bisherigen Erfahrungen ab. Beispielsweise werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, mangels vorhandener Begleitperson und behördlicher Erfahrung nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können. Im Dezember 2017 hat das von Hay'at Tahrir ash-Sham gestützte Syrian Salvation Government (SSG) in der Provinz Idlib, die großteils von islamistischen Oppositionsgruppen kontrolliert wird, eine Entscheidung verkündet, laut welcher alle Witwen in ihrem Kontrollgebiet mit einem Shari'a-konformen männlichen Familienangehörigen wohnen müssen. Die Meldung warnt auch vor Bestrafung für "jeden der sich nicht nach dieser Regelung richtet", es ist jedoch noch unklar wie die Entscheidung umgesetzt wird.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 63ff.)

1.2.5. Rückkehr

Die Hauptfaktoren, die die Entscheidung zurückzukehren, beeinflussen, sind primär die Wiedervereinigung mit Familienmitgliedern, den Zustand des eigenen Besitzes/Grundstücks zu prüfen und in manchen Fällen auch die tatsächliche oder wahrgenommene Verbesserung der Sicherheitslage in Teilen des Landes. Andere Rückkehrgründe können eine Verschlechterung der ökonomischen Situation am Zufluchtsort oder soziokulturelle Probleme sein.

Länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen. Im Prinzip steht es syrischen Staatsangehörigen frei, mit ihrem syrischen Pass (oder bei einer Ausreise in den Libanon: mit gültigem Personalausweis) über alle funktionsfähigen Grenzübergänge, einschließlich dem Flughafen Damaskus, das Land zu verlassen. Syrische Staatsangehörige müssen eine Ausreisegebühr in einer Höhe zahlen, die vom Ausreisepunkt (Landgrenze oder Flughafen) abhängt. Auf Grundlage des Gesetzes Nr. 18 aus dem Jahr 2014 kann die Ausreise oder Rückkehr ohne gültigen Pass oder ohne die erforderliche Genehmigung oder über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt je nach Umständen des Einzelfalls Freiheits- und/oder Geldstrafen nach sich ziehen. Es ist nicht klar, ob das Gesetz tatsächlich angewandt wird und ob Personen, die aus dem Ausland zurückkehren, gemäß Gesetz Nr. 18 von 2014 einer Strafverfolgung ausgesetzt sind.

Personen werden bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter wird auch kontrolliert, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Männer im wehrfähigen Alter sind bei der Einreise besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird. Oder der Person wird die Einreise nach Syrien erlaubt, sie muss sich jedoch zu einem anderen Zeitpunkt erneut melden und verschwindet dann. Eine Person kann auch Opfer von Misshandlungen werden, ohne dass es dafür einen bestimmten Grund gibt.

Das System ist sehr unberechenbar. Bereits im Jahr 2012 hat ein britisches Gericht festgestellt, dass für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr besteht, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Seit dieser Feststellung hat sich die Situation weiter verschlimmert. Es kann jedoch auch sein, dass eine Person, trotz eines abgelehnten Asylantrages, auch nach der Rückkehr nach Syrien noch als Unterstützer des Assad-Regimes angesehen wird. Das syrische Gesetz bestraft auch Personen, welche versuchen in einem anderen Land Asyl zu suchen, um eine Strafe in Syrien zu vermeiden.

Wie aus Berichten hervorgeht, betrachtet die Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter Anträge auf Asyl, Teilnahme an regierungskritischen Protesten, Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien. Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland, auch deshalb, um oppositionelle Alternativen zum gegenwärtigen Regime zu unterbinden. Die Regierung überwacht Aktivitäten dieser Art im Ausland, auch in Österreich. Dass die syrische Regierung Kenntnis von solchen Aktivitäten hat, ist wahrscheinlich, und sie hat die Möglichkeit, ihr diesbezügliches Wissen zu nützen, wenn sich dazu die Gelegenheit ergibt. Eine Überwachung von exilpolitischen Aktivitäten passiert hauptsächlich an Orten mit einer größeren syrischen Gemeinde, weil sich dort eher Informanten der Regierung befinden können. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen.

Im September 2017 sprach der damalige Generalmajor der syrischen Republikanischen Garden Issam Zahreddine eine Drohung gegen syrische Flüchtlinge aus. In einem Live-Interview mit dem syrischen Staatsfernsehen sagte er "Kehrt nicht zurück! Selbst wenn der Staat euch vergibt, wir werden niemals vergessen und verzeihen. Ein Rat von diesem Bart: Kommt nicht zurück!", umstehende Offiziere hätten dazu gelacht. Zum Berichtszeitpunkt befehligte er mehrere tausend Soldaten und leitete die Eroberung von Deir ez-Zour.

Offiziell gibt das Assad-Regime vor, eine "nationale Versöhnung" in Syrien anzustreben. Syrer, die nicht gegen die Regierung kämpften, hätten demnach nichts zu befürchten. Zahreddine, der im Oktober 2017 durch eine Landmine getötet wurde, entschuldigte sich später für die Aussage und sagte, dass sie missinterpretiert worden sei und er sich lediglich auf IS und Rebellenkämpfer bezog, die syrische Truppen getötet haben. Im Dezember 2017 besuchte Ali Haidar, der syrische Minister für nationale Versöhnung (Minister of State for National Reconciliation), den Südlibanon und rief syrische Flüchtlinge aus den Provinzen Hama und Aleppo dazu auf, nach Hause zurück zu kehren, unter der Behauptung, dass die Situation in den Provinzen stabil sei.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 87ff.)

Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt, insbesondere aus den unter den Risikoprofilen unten beschriebenen Gründen, sind Berichten zufolge dem Risiko einer längeren incommunicado Haft und Folter ausgesetzt.

Für Rückkehrer besteht außerdem das Risiko, inhaftiert zu werden, weil Familienmitglieder von den Behörden gesucht werden, weil sie ihren Militärdienst nicht geleistet haben, weil sie aus einem Gebiet stammen, das sich unter der Kontrolle der Opposition befindet, oder weil sie aufgrund ihrer konservativen Kleidung als religiös wahrgenommen werden. Andere werden ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt.

(UNHCR-Bericht, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - "illegale Ausreise" aus Syrien und verwandte Themen vom Februar 2017 [deutsche Version April 2017], S. 5ff.)

1.2.6. Risikogruppen

In seinen Richtlinien "zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen" vom November 2017 geht UNHCR u.

a. von folgenden "Risikoprofilen" aus:

* Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen (u.a. Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern [Wehrdienstverweigerern])

* Weiters ist UNHCR der Auffassung, dass Frauen, die unter die nachstehenden Kategorien fallen, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der bestimmten sozialen Gruppe, die als "Frauen in Syrien" definiert wird, ihrer Religion, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung oder einer Kombination aus diesen und anderen maßgeblichen Gründen je nach den Umständen des Einzelfalls wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen:

a) Frauen, die sexuelle Gewalt überlebt haben oder gefährdet sind, Opfer sexueller Gewalt zu werden;

b) Frauen, die eine Zwangs- und/oder Kinderehe, häusliche Gewalt und "Ehrendelikte" überlebt haben oder gefährdet sind, davon betroffen zu werden;

c) Frauen, die Zwangsprostitution und Menschenhandel überlebt haben oder gefährdet sind, davon betroffen zu werden;

d) Frauen, denen Verstöße gegen die Scharia vorgeworfen werden und die in Gebieten leben, die unter der Kontrolle oder dem Einfluss extremistisch-islamistischer bewaffneter Gruppen stehen;

e) Frauen und Mädchen ohne echte familiäre Unterstützung, einschließlich Witwen und geschiedener Frauen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Beschwerdeführerin basieren auf den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen, ihren diesbezüglich glaubwürdigen Angaben bei der belangten Behörde und beim Bundesverwaltungsgericht, den Angaben des Sohnes der Beschwerdeführerin beim Bundesverwaltungsgericht sowie der am 09.05.2019 eingeholten Strafregisterauskunft.

Wenngleich die Beschwerdeführerin darzustellen versuchte, dass sie primär wegen der politischen Aktivitäten ihres Sohnes aus Syrien ausgereist sei, so ist zunächst aufgrund ihrer ursprünglichen Angaben und auch der Angaben ihres Sohnes davon auszugehen, dass sie primär wegen des Krieges und der Zerstörung ihres Hauses Syrien verlassen hat, wobei nicht auszuschließen ist, dass die damals bereits gesetzten Aktivitäten (öffentlichkeitswirksame Teilnahme an einem XXXX ) und die damit einhergehende Gefährdung der Familie dabei auch eine gewisse Rolle gespielt haben.

Sowohl die Beschwerdeführerin als auch der Sohn der Beschwerdeführerin konnten jedoch glaubwürdig ausführen, dass Letzterer sich exilpolitisch in exponierten Positionen oppositionell betätigte. So etwa führte er aus, dass er bereits früh politisch aktiv gewesen sei. Seine Familienmitglieder seien alle in irgendeiner Form gegen das Regime tätig gewesen. Als die Revolution ausgebrochen sei, habe er mit anderen Österreichern XXXX Er führte weiters glaubhaft aus, dann XXXX Der Zeuge erläuterte auch die Fotos, die von der Beschwerdeführerin vorgelegt wurden und die unter anderem ihn XXXX zeigen. Weiters wurde in der Verhandlung ein Link aufgerufen, der zu einem Video führte, auf dem unter anderem auch der Zeuge bei einer Demonstration XXXX zu sehen ist. Das Video ist mit kritischen Bemerkungen gegen das syrische Regime untertitelt. Weiters zeigte der Zeuge ein Foto auf seinem Handy, das ihn bei einer Demonstration XXXX.

Damit sind für das erkennende Gericht die exilpolitischen Aktivitäten des Sohnes der Beschwerdeführerin erwiesen.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beschwerdeführerin offenbar bestimmte Daten durcheinandergebracht hat, sodass sie etwa erst bei Ihrem Aufenthalt in XXXX von Personen kontaktiert worden sein kann, die die Fotos ihres Sohnes, die ihn in XXXX zeigen, kommentieren konnten.

Wie aus Berichten hervorgeht, betrachtet die Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter Anträge auf Asyl, Teilnahme an regierungskritischen Protesten, Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien. Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland, auch deshalb, um oppositionelle Alternativen zum gegenwärtigen Regime zu unterbinden. Die Regierung überwacht Aktivitäten dieser Art im Ausland, auch in Österreich. Dass die syrische Regierung Kenntnis von solchen Aktivitäten hat, ist wahrscheinlich, und sie hat die Möglichkeit, ihr diesbezügliches Wissen zu nützen, wenn sich dazu die Gelegenheit ergibt. Eine Überwachung von exilpolitischen Aktivitäten passiert hauptsächlich an Orten mit einer größeren syrischen Gemeinde, weil sich dort eher Informanten der Regierung befinden können.

Dass die Beschwerdeführerin auf verschiedene politische Aktivitäten ihres Sohnes angesprochen wurde, ergibt sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin und bestätigenden Aussagen ihres Sohnes.

Es ist daher aus den oben genannten Gründen davon auszugehen, dass auch der syrische Geheimdienst Kenntnis von den politischen

Aktivitäten des Sohnes der Beschwerdeführerin hat. Viele der Aktivitäten des Sohnes der Beschwerdeführerin wurden erst nach der Ausreise der Beschwerdeführerin gesetzt, so dass zum Zeitpunkt der Ausreise das syrische Regime davon noch gar keine Kenntnis haben konnte. Deshalb ist es auch glaubwürdig, dass eine legale Ausreise zum damaligen Zeitpunkt möglich war, jedoch bei Rückkehr eine veränderte Situation vorliegt.

Dass die Beschwerdeführerin und Ihre Familie regimekritisch eingestellt sind, ergibt sich aus ihren Angaben sowie den Angaben ihres Sohnes.

Dass die Beschwerdeführerin, deren Sohn an exponierter Stelle politisch und als Oppositioneller tätig war, im Falle einer Rückkehr Gefahr läuft, unmenschliche Behandlung zu erfahren, fußt auf aktuellen Länderfeststellungen, wonach Familienmitglieder mit entsprechenden Konsequenzen zu rechnen haben.

Wie aus den Länderberichten hervorgeht, werden Personen bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert. Auf Grundlage des Gesetzes Nr. 18 aus dem Jahr 2014 kann die Ausreise oder Rückkehr ohne gültigen Pass oder ohne die erforderliche Genehmigung oder über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt je nach Umständen des Einzelfalls Freiheits- und/oder Geldstrafen nach sich ziehen. Die Beschwerdeführerin verfügt über keinen gültigen syrischen Pass und wäre daher auch deshalb gefährdet, festgenommen zu werden.

Die Beschwerdeführerin würde vor allem als Mutter eines offensichtlich Oppositionellen identifiziert werden. Auch befindet sich der Großteil der Familie und jedenfalls die Kernfamilie der Beschwerdeführerin seit längerem im Ausland, einige der Familienangehörigen haben inzwischen die österreichische Staatsbürgerschaft. Auch die Beschwerdeführerin hat bereits vor fast sieben Jahren Syrien verlassen. Dies würde den Eindruck der Illegalität der Beschwerdeführerin noch verstärken. Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, ist die Schwelle dafür, von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, niedrig.

Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird. Oder der Person wird die Einreise nach Syrien erlaubt, sie muss sich jedoch zu einem anderen Zeitpunkt erneut melden und verschwindet dann. Eine Person kann auch Opfer von Misshandlungen werden, ohne dass es dafür einen bestimmten Grund gibt.

Das System ist sehr unberechenbar. Bereits im Jahr 2012 hat ein britisches Gericht festgestellt, dass für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr besteht, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Seit dieser Feststellung hat sich die Situation weiter verschlimmert. Es kann jedoch auch sein, dass eine Person, trotz eines abgelehnten Asylantrages, auch nach der Rückkehr nach Syrien noch als Unterstützer des Assad-Regimes angesehen wird. Das syrische Gesetz bestraft auch Personen, welche versuchen in einem anderen Land Asyl zu suchen, um eine Strafe in Syrien zu vermeiden.

Es ist aus oben genannten Gründen davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr eine Verhaftung und unmenschliche Behandlung droht.

2.2. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den genannten nun aktualisierten Quellen, die dem BFA bekannt sind. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt A) Stattgabe:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Grup-pe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befin-det und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines ge-wöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann. Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (vgl. VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

3.1.2. Bei der Beurteilung, ob wohlbegründete Furcht vor Verfolgung vorliegt, ist die Gesamtsituation der Asylwerberin zu berücksichtigen. Es können hierbei auch Schicksale von Familienangehörigen im Rahmen der Beurteilung der Gesamtsituation des Asylwerbers - je nach Sachlage - nicht unmaßgeblich sein (vgl. VwGH 22.01.2016, Ra 2015/20/0157; zur Asylrelevanz einer Verfolgung wegen der "bloßen" Angehörigeneigenschaft und zur Anerkennung des Familienverbandes als "soziale Gruppe" im Sinne der GFK sh. VwGH 14.01.2003, 2001/01/0508; vgl. auch VwGH 16.12.2010, 2007/20/0939).

Bei einer Rückkehr nach Syrien würde die Beschwerdeführerin aufgrund mehrerer Faktoren das Interesse der syrischen Behörden auf sich ziehen:

Der Beschwerdeführerin droht als Mutter eines Sohnes, der sich in exponierter Position exilpolitisch gegen das syrische Regime engagierte, verstärkt durch die Tatsache, dass sie und ihre Familie bereits seit Jahren ihre Heimat verlassen haben und regimekritisch eingestellt sind (und - soweit dies bekannt wird - auch aufgrund ihrer Antragstellung auf internationalen Schutz), die Gefahr bei einer Einreise nach Syrien verhaftet und unmenschlich behandelt zu werden.

Die für die Asylgewährung erforderliche Anknüpfung an einen Konventionsgrund ist somit gegeben, da der Grund für die Verfolgung der Beschwerdeführerin jedenfalls wesentlich in der ihr zugeschriebenen oppositionellen politischen Gesinnung zu sehen ist. Für das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr ist es im Übrigen nicht maßgeblich, ob die Asylwerberin wegen einer von ihr tatsächlich vertretenen oppositionellen Gesinnung verfolgt wird. Es reicht aus, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist, oder dass eine Strafe für ein Delikt so unverhältnismäßig hoch festgelegt wird, dass die Strafe nicht mehr als Maßnahme einzustufen wäre, die dem Schutz legitimer Interessen des Staates dient (vgl. VwGH 06.05.2004, 2002/20/0156). Davon, dass es sich bei den drohenden Repressalien um Maßnahmen zum Schutz legitimer Interessen des Staates handelt, kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Selbst wenn man der Beschwerdeführerin keine "oppositionelle Gesinnung" unterstellen würde, wäre sie wegen ihres Sohnes unter dem Blickwinkel des Konventionsgrundes der "Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe", nämlich jener der "Familie", mit asylrelevanter Verfolgung bedroht (zur Familie als soziale Gruppe vgl. VwGH 14.01.2003, 2001/01/0508). Die Bedrohung der Beschwerdeführerin wegen eines Familienangehörigen knüpft an den zuletzt genannten Konventionsgrund an; im Übrigen auch unabhängig davon, ob der Familienangehörige selbst aus Konventionsgründen verfolgt wird.

Es haben sich im vorliegenden Fall daher ausreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht. Diese Verfolgung geht von der syrischen Regierung aus und droht der Beschwerdeführerin aufgrund der Tatsache, dass ihr Sohn beim Regime als "Oppositioneller" gilt, im Wege der "Sippenhaftung". Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin mit willkürlicher Misshandlung zu rechnen hat. Die hinreichende Intensität solcher Verfolgungshandlungen bedarf aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien mit einer Vielzahl schwerer Menschenrechtsverletzungen keiner weiteren Begründung.

Die Beschwerdeführerin hat zwar bei der belangten Behörde nichts über die politischen Aktivitäten ihres Sohnes erzählt, allerdings wurde von der belangten Behörde nicht einmal nach der konkreten Rückkehrsituation der Beschwerdeführerin gefragt. Daher fallen diese Angaben, die auch vom Sohn der Beschwerdeführerin, der als Zeuge einvernommen wurde, glaubwürdig bestätigt wurde und die überdies bewiesen wurden, auch nicht unter das in § 20 BFA-VG normierte Neuerungsverbot.

Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht; die Annahme ebendieser würde im Widerspruch zum aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stehen (vgl. etwa VwGH 25.03.2015, Ra 2014/18/0168; 29.06.2015, Ra 2014/18/0070).

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Aus-schlussgründe vorliegt, war der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.1.3. Da die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 stellte, sind die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG i.d.F. BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. ("Asyl auf Zeit") hier anzuwenden.

3.2. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Eine Revision gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch mangelt es an einer derartigen Rechtsprechung (vgl. die oben unter Punkt 3.1. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes); schließlich ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor.

3.2.2. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

3.3. Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, Asylverfahren,
befristete Aufenthaltsberechtigung, begründete Furcht vor
Verfolgung, Bürgerkrieg, Demonstration, erhebliche Intensität,
exilpolitische A
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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