TE OGH 2019/8/29 6Ob152/19z

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Veröffentlicht am 29.08.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei M*****, c/o ***** AG, *****, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung über den Revisionsrekurs der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 18. Juni 2019, GZ 3 R 29/19k-17, womit die einstweilige Verfügung des Handelsgerichts Wien vom 11. April 2019, GZ 68 Cg 13/19x-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende und gefährdete Partei hat die Kosten des Revisionsrekursverfahrens vorläufig selbst zu tragen; die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei hat die Kosten des Revisionsrekursverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin stützt ihre Klage und ihren Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung primär auf § 78 UrhG und auf § 1041 ABGB, weil die Beklagte Lichtbilder der Klägerin zu Werbezwecken für ihr Gewinnspiel nutze.

Die Beklagte wendet im Wesentlichen ein, dass der Bestimmung des § 78 UrhG durch die Datenschutz-Grundverordnung und das Medienprivileg des § 9 Abs 1 DSG materiell derogiert worden sei. § 78 UrhG sei nur noch auf Gemälde, Grafiken, Plastiken oder analoge Fotos anzuwenden. Auch die Bestimmungen der DSGVO seien nicht anwendbar, weil § 9 Abs 1 DSG eine Totalausnahme für journalistische Inhalte vorsehe. Daher sei § 78 UrhG nicht anwendbar und die Bestimmungen der DSGVO würden der Verwendung des Bildes aufgrund des Medienprivilegs ebensowenig entgegenstehen.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung und untersagte der Beklagten, Fotos der Klägerin ohne deren Zustimmung zu Werbezwecken zu verwenden.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass der Oberste Gerichtshof zum Verhältnis zwischen DSGVO und § 78 UrhG noch nicht Stellung genommen habe.

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

1. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine Rechtsfrage im Gesetz so eindeutig gelöst ist, dass nur eine Auslegungsmöglichkeit ernstlich in Betracht zu ziehen ist und Zweifel nicht entstehen können (RS0042656 [T8]). Einer Sachentscheidung des Obersten Gerichtshofs bedarf es dann nicht, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage bereits nach dem Wortlaut der anzuwendenden Norm so eindeutig gelöst ist, dass nur die in der angefochtenen Entscheidung erstmals vorgenommene – im Schrifttum nicht in Zweifel gezogene – Auslegung ernsthaft in Betracht zu ziehen ist (RS0042656 [T24]).

2.1. Die Revisionsrekurswerberin steht weiterhin auf dem Standpunkt, dass der Bestimmung des § 78 UrhG „im Wesentlichen“ materiell derogiert worden sei und daher die Bildverwendung durch die Zeitung schrankenlos, also insbesondere ohne persönlichkeitsrechtliche Überlegungen oder auch jegliche Interessenabwägung – auch für Eigenwerbung im Zusammenhang mit einem Gewinnspiel – zulässig sei.

Für diese Auffassung fehlt jegliche Grundlage.

2.2. Die Revisionsrekurswerberin zitiert für diese Ansicht lediglich Seling/Schelling, Bildnutzung in der Praxis: Alles neu nach der DSGVO?, ecolex 2018, 739 (740). Selbst wenn man deren Ausführungen „Daher sind aufgrund des Anwendungsvorrangs des europäischen Rechts die meisten (insb digitalen) Fotos nur mehr auf Basis der Bestimmungen der DSGVO zu prüfen. Für § 78 UrhG verbleibt dagegen lediglich ein schmaler alleiniger Anwendungsbereich, der sich insb auf ausschließlich analoge Fotos (sofern diese nicht auch eingescannt werden), Gemälde, Grafiken und Plastiken beschränkt.“ in diesem Sinne verstehen würde, würde dies nur eine vereinzelte Rechtsmeinung darstellen, die nicht schon allein zur Zulässigkeit des Revisionsrekurses führt. Zudem ist darauf zu verweisen, dass die beiden Autoren selbst auf die unzulässige Verwendung zu Werbezwecken hinweisen und vertreten, dass man diese Fallgruppe bei der Interessenabwägung nach der neuen Rechtslage beibehalten könne. Die Revisionsrekursbeantwortung zeigt zudem nachweisgestützt auf, dass die genannten Autoren ihre Meinung in der Zwischenzeit jedenfalls im Rahmen eines Vortrags auf dem 13. Österreichischen IP-Rechtstag revidiert haben.

2.3. Demgegenüber geht die Entscheidung 6 Ob 131/18k von einem Nebeneinander zwischen § 77 UrhG und den datenschutzrechtlichen Bestimmungen aus. Für die Bestimmung des § 78 UrhG kann aufgrund der vergleichbaren Zielrichtung nichts anderes gelten.

2.4. Auch die ganz überwiegende Lehre vertritt eine parallele Anwendbarkeit der DSGVO und des § 78 UrhG bzw tritt jedenfalls für eine Anwendung des § 78 UrhG ein.

2.5. Nach Höhne (DSGVO und Digitalfotografie, ZIIR 2018, 244 [248]) ist § 78 UrhG eine Spezialnorm im Verhältnis zu den datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Die Regelungen der DSGVO und des § 78 UrhG würden nebeneinander bestehen und einander ergänzen.

2.6. J. Wagner (Ein Praxisblick auf eventbezogene Bilddaten – ausgewählte Fragen zur Zulässigkeit der Erfassung, Verarbeitung und Veröffentlichung von Bilddaten bei [anmeldepflichtigen] Veranstaltungen, in Jahnel, Datenschutzrecht Jahrbuch 2018, 163 [170]) vertritt den Standpunkt, der Vorrang des Europarechts bedeute nicht, dass nationales Recht gegenstandslos werde. Komme es zu einem Konflikt zwischen europäischen und nationalen Regelungen, müsse der europäischen Regelung größtmögliche Geltung zugesprochen werden. Entscheidend für das Verhältnis zwischen § 78 UrhG und DSGVO sei daher der Anwendungsbereich der Letzteren. Außerhalb einer in Art 85 DSGVO erwähnten Nutzungsform (zB journalistische Nutzung) habe daher das allgemeine Datenschutzrecht Vorrang; umgekehrt bleibe es jedenfalls im Bereich der journalistischen Nutzung bei einer Anwendung des § 78 UrhG.

2.7. Nach Schiedermair (in Ehmann/Selmayr, DS-GVO² Art 85 Rz 26) besteht auch nach Inkrafttreten der DSGVO für Verletzungen des Rechts am eigenen Bild ein Unterlassungsanspruch nach §§ 22, 23 des deutschen KUG, welche Bestimmungen im Kern § 78 UrhG entsprechen. Auch Dix (in Simitis/Hornung/Spiecker, Datenschutzrecht Art 85 DSGVO, Rz 23) betont, dass das Recht am eigenen Bild auch nach der DSGVO weiter gelte.

3.1. Für die parallele Anwendung des § 78 UrhG und der DSGVO spricht, dass § 78 UrhG primär persönlichkeitsrechtliche und nicht datenschutzrechtliche Aspekte regelt. Die Bestimmungen haben unterschiedliche Regelungsbereiche, verfolgen verschiedene Zwecke und sehen demgemäß unterschiedliche Ansprüche vor.

3.2. § 9 Abs 1 DSG in der geltenden Fassung lautet: Auf die Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch Medieninhaber, Herausgeber, Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes im Sinne des Mediengesetzes – MedienG, BGBl Nr 314/1981, zu journalistischen Zwecken des Medienunternehmens oder Mediendienstes finden die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sowie von der DSGVO die Kapitel II (Grundsätze), III (Rechte der betroffenen Person), IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) keine Anwendung. Die Datenschutzbehörde hat bei Ausübung ihrer Befugnisse gegenüber den im ersten Satz genannten Personen den Schutz des Redaktionsgeheimnisses (§ 31 MedienG) zu beachten.

3.3. Die Vorgängerbestimmung, § 48 DSG 2000, lautete:

Publizistische Tätigkeit

§ 48. (1) Soweit Medienunternehmen, Medien-dienste oder ihre Mitarbeiter Daten unmittelbar für ihre publizistische Tätigkeit im Sinne des Mediengesetzes verwenden, sind von den einfachgesetzlichen Bestimmungen des vorliegenden Bundesgesetzes nur die §§ 4 bis 6, 10, 11, 14 und 15 anzuwenden.

(2) Die Verwendung von Daten für Tätigkeiten nach Abs 1 ist insoweit zulässig, als dies zur Erfüllung der Informationsaufgabe der Medienunternehmer, Mediendienste und ihrer Mitarbeiter in Ausübung des Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung gemäß Art 10 Abs 1 EMRK erforderlich ist.

(3) Im übrigen gelten die Bestimmungen des Mediengesetzes, insbesondere seines dritten Abschnitts über den Persönlichkeitsschutz.

3.4. Zur Vorgängerbestimmung, die ebenfalls ein Medienprivileg enthielt, war völlig unbestritten, dass jedenfalls persönlichkeitsrechtliche Schutzbestimmungen zur Anwendung kommen (vgl zB Dohr/Pollirer/Weiss/Knyrim, DSG2 § 48 Anm 13).

3.5. Es ist nicht nachvollziehbar, dass § 9 Abs 1 DSG in der geltenden Fassung nunmehr persönlichkeitsrechtlichen Bestimmungen derogieren soll. Weder aus den Materialien zu § 9 DSG in der nicht in Geltung getretenen Fassung des Datenschutz-AnpassungsG 2018, BGBl I 2017/120 (ErläutRV 1664 BlgNR 25. Gp 12 f; ErläutAB 1761 BlgNR 25. GP 7) noch aus jenen (abgedruckt bei Breisich/Dopplinger/Dörnhöfer/Kunnert/Riedl, DSG 124) zur geltenden Fassung des § 9 DSG durch das Datenschutz-Deregulierungsgesetz 2018, BGBl I 2018/24, lässt sich für die Auffassung der Revisionsrekurswerberin etwas gewinnen. Im Gegenteil halten die angeführten Materialien zum Datenschutz-AnpassungsG fest, dass für Verarbeitungen, die dem MedienG unterliegen, die Vorschriften des MedienG auch ohne ausdrückliche Anordnung gelten (vgl dazu § 48 Abs 3 DSG 2000). Daraus lässt sich schließen, dass der Gesetzgeber nicht von einer Derogation nationaler persönlichkeitsrechtlicher Schutzbestimmungen durch die DSGVO ausgeht.

3.6. Eine materielle Derogation des § 78 UrhG durch die DSGVO ist im Übrigen auf Basis der innerstaatlichen Rechtslage schon deshalb nicht möglich, weil § 9 Abs 1 DSG wesentliche Teile der DSGVO im Bereich des Journalismus für unanwendbar erklärt.

3.7. Nach der Ansicht der Revisionsrekurswerberin wären im vorliegenden Fall weder die Bestimmungen des UrhG noch die Bestimmungen der DSGVO anwendbar. Der Medieninhaber könnte dann in einem Regelungsvakuum agieren; für einen Persönlichkeitsschutz bestünde nach dieser Auffassung kein Raum. Eine solche Auslegung wäre auch nicht mit Art 10 EMRK bzw Art 11 der EU-Grundrechtecharta vereinbar. § 9 Abs 1 DSG möchte nur die Verarbeitung von personenbezogenen Daten zu journalistischen Zwecken aus datenschutzrechtlichem Blickwinkel vereinfachen, nicht aber eine Interessenabwägung mit anderen berechtigten Interessen der betroffenen Person abschneiden. Auch die von der Revisionsrekurswerberin für ihre Ansicht zitierten Autoren gehen nur davon aus, dass in manchen Bereichen nun das – strengere – Regime der DSGVO zur Anwendung kommt. Eine Reduktion des Schutzes lässt sich aus deren Auffassung daher nicht ableiten. Das Rekursgericht führt dazu überzeugend aus, dass die Bestimmungen der DSGVO eine Stärkung des Datenschutzes und nicht die Reduktion eines bisher in diesem Bereich gewährleisteten Schutzes anstrebe.

3.8. Auf die Frage, inwiefern die Ansprüche auch auf datenschutzrechtliche Regelungen gestützt werden können, insbesondere auf die Frage, ob die Bestimmungen hier überhaupt anzuwenden sind oder wie der Begriff der „redaktionellen Inhalte“ in § 9 Abs 1 DSG auszulegen ist (und allenfalls auch „Eigenwerbung“ umfasst), ist daher nicht näher einzugehen.

3.9. Dass die Voraussetzungen des § 78 UrhG inhaltlich nicht vorliegen, wird im Revisionsrekurs gar nicht mehr behauptet. Im Übrigen ist die von den Vorinstanzen vorgenommene Interessenabwägung nicht zu beanstanden, zumal die Fotos der Klägerin von der Beklagten eindeutig lediglich zu Werbezwecken für das Gewinnspiel verwendet wurden. Schutzwürdige Interessen der Beklagten, die höher als das Persönlichkeitsrecht der Klägerin einzustufen wären, sind daher nicht zu erblicken.

4.1. Im Übrigen würde sich auch bei Anwendung der DSGVO keine abweichende Beurteilung ergeben. Die Voraussetzungen, unter denen eine Verarbeitung als rechtmäßig angesehen werden kann, sind in Art 6 Abs 1 DSGVO geregelt. Darunter fällt auch der Fall, dass die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen (Art 6 Abs 1 lit f DSGVO; zu den Kriterien einer solchen Interessenabwägung Heberlein in Ehmann/Selmayr, DS-GVO² Art 6 Rz 28 ff).

4.2. Bei der Beurteilung des Vorliegens eines überwiegenden Interesses im Sinne dieser Bestimmung kann im Zusammenhang mit der Frage des Bildnisschutzes auf die bestehende Judikatur zu § 78 UrhG zurückgegriffen werden (Höhne aaO 252 mwN). Bei Verwendung eines Bildes für Werbezwecke ohne Zustimmung des Abgebildeten wird daher auch bei einer Interessenabwägung nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO das Interesse des Abgebildeten auch im Anwendungsbereich der DSGVO regelmäßig höher zu bewerten sein als das des Verwenders des Bildes (Seling/Schelling aaO 741 f).

5. Zusammenfassend vermag die Revisionsrekurswerberin sohin keine Rechtsfragen der von § 528 Abs 1 ZPO geforderten Qualität aufzuzeigen, sodass der Revisionsrekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf § 393 Abs 1 EO, §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.

Schlagworte

Mikaela S.,

Textnummer

E126215

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00152.19Z.0829.000

Im RIS seit

07.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

09.08.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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