TE OGH 2019/7/5 4Ob83/19p

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Veröffentlicht am 05.07.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Werner Loos, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. A***** G*****, vertreten durch die e/n/w/c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Räumung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. Dezember 2018, GZ 38 R 185/18i-26, womit das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 27. April 2018, GZ 5 C 153/17t-22, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 863,57 EUR (darin 143,93 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin (als „Sanierungsinvestorin“) hat dem Beklagten eine dem Teilanwendungsbereich des MRG (§ 1 Abs 4 Z 1 MRG) unterliegende (laut Mietvertrag vor der Vermietung „sanierte“) Wohnung ab Dezember 2013 vermietet.

Nach der Anmietung stellten sich Probleme an der Elektroanlage heraus; Leitungen waren unterdimensioniert, sodass Änderungen an der Anlage vorgenommen werden mussten. Einen aktuellen Elektrobefund urgierte der Beklagte danach zahlreiche Male ergebnislos. Aus diesem Grund und wegen Mängeln der Fußbodenheizung minderte der Beklagte erstmals den Mietzins. Anlässlich einer deshalb eingebrachten Mietzins- und Räumungsklage einigten sich die Parteien im Dezember 2015 darauf, dass die Vermieterin Elektroanlage und Fußbodenheizung durch Professionisten überprüfen lässt und die notwendigen Maßnahmen zur Herstellung eines in die Zukunft weisenden Sicherheitsstandards veranlassen wird. Dem Beklagten wurde in der Folge trotz seines wiederholten Verlangens nach Elektrobefund und Anlagenbuch kein aktueller Prüfbefund zur Verfügung gestellt. Er wurde im Laufe der Zeit immer unsicherer, dass die Elektroanlage in seiner Wohnung in Ordnung sei, hat Angst, dass etwas passieren könnte und traut sich deshalb auch nicht, bestimmte Geräte gleichzeitig in Betrieb zu nehmen.

Im November 2016 wurden dem Beklagten schließlich die ersten beiden Blätter eines vom Februar 2016 stammenden Elektrobefundes überlassen, im Dezember 2016 dann der vollständige Befund. In diesem ist von geringfügigen Mängeln die Rede. Eine Bestätigung, wonach diese Mängel im Februar 2016 behoben worden seien, wurde erst im September 2017 – während des erstinstanzlichen Verfahrens – vorgelegt und dem Beklagten vor diesem Zeitpunkt nicht zur Kenntnis gebracht.

Tatsächlich wurde der vorgelegte Elektrobefund nicht ordnungsgemäß erstellt: Es fehlen diverse Angaben, bestimmte sicherheitsrelevante Daten sind im Befund nicht dokumentiert, sodass auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie überprüft wurden, sicherheitstechnisch besonders relevante Punkte sind unrichtig oder gar nicht ausgefüllt, in einzelnen Punkten wurden technisch unmögliche Messwerte angegeben, und es fehlen notwendige Angaben, um festzustellen, ob ein Schutz gegen einen elektrischen Schlag gegeben ist. Insgesamt kann man aufgrund des Prüfberichts nicht davon ausgehen, dass die Elektroanlage in der Wohnung des Beklagten sicher ist. Ob tatsächlich Mängel der elektrischen Anlage bestehen und eine Gefährlichkeit gegeben ist, kann nicht festgestellt werden.

Die Wohnung des Beklagten ist ausschließlich durch eine Fußbodenheizung zu beheizen. Die Heizleistung war – trotz wiederholter Rügen des Beklagten, dass die Wohnung nicht ausreichend zu beheizen sei – so eingeschränkt, dass in den Monaten Februar und März 2017 im Schlafzimmer nur rund 15° C erreicht werden konnten, im Wohnzimmer überstiegen die erzielbaren Temperaturen trotz Dauerbetrieb auf Höchststufe 20° C nicht, teilweise blieben sie deutlich darunter. Die Ursache der mangelnden Heizleistung kann nicht festgestellt werden, sie ist jedoch nicht auf mangelnde Wartungsarbeiten des Beklagten zurückzuführen.

Dem Beklagten wurde im Zeitraum April 2016 bis November 2016 ein monatlicher Mietzins von gesamt 1.008,81 EUR vorgeschrieben, von Dezember 2016 bis September 2017 waren es je 1.024,65 EUR.

Der Beklagte bezahlte von April 2016 bis November 2016 891 EUR monatlich, in den Monaten Dezember 2016, Jänner 2017 sowie April 2017 bis September 2017 je 918,95 EUR und in den Monaten Februar und März 2017 je 816,84 EUR. Für die beiden letztgenannten Monate machte er eine Mietzinsminderung von rund 20 % geltend (je rund 10 % für Mängel an der Elektroanlage bzw den fehlenden Elektrobefund sowie für die mangelhafte Heizleistung), in den übrigen Monaten rund 10 % (nur Elektrik).

Die Klägerin begehrte die Räumung der Wohnung gemäß § 1118 ABGB unter anderem (soweit im Revisionsverfahren noch relevant) gestützt auf Mietzinsrückstände aus den Perioden April 2016 bis August 2017. Ein verspätet vorgelegter Elektrobefund rechtfertige keine Mietzinsminderung. Aus § 7a ETV 2002 ergebe sich keine Pflicht zur Vorlage eines Elektrobefundes. Spätestens ab Übergabe eines solchen im November 2016 habe dem Beklagten klar sein müssen, dass kein Mangel der elektrischen Anlage vorliege. Geringfügige Mängel seien behoben worden, eine Gebrauchsbeeinträchtigung habe nicht bestanden. Eine Funktionsuntüchtigkeit der im Mai 2016 sanierten Fußbodenheizung sei offenkundig auf mangelnde Wartung durch den Beklagten zurückzuführen.

Der Beklagte wandte ein, es bestehe kein Rückstand, weil er den Mietzins zu Recht gemindert habe. Es werde gegen den eine Beweislastumkehr normierenden § 7a ETV 2002 verstoßen. Der Elektrobefund sei verspätet, grob mangelhaft und entgegen den Ö-Normen erstellt worden. Von der elektrischen Anlage in der Wohnung gehe Gefahr aus bzw es könne von ihr Gefahr ausgehen. Mangels (ordnungsgemäßen) Befundes wisse er nicht und könne nicht wissen, ob bzw bei welchen Nutzungsverhalten er mit Gefährdungen zu rechnen habe. Er könne nicht davon ausgehen, dass die Anlage sicher sei, woraus eine Gebrauchsbeeinträchtigung folge. Er habe für diesen Umstand zu Recht nach § 1096 ABGB 10 % an Mietzinsminderung geltend gemacht. Weitere 10 % an Mietzinsminderung im Februar und März 2016 habe er geltend gemacht, weil die Bodenheizung im Schlafzimmer nicht funktioniert habe und trotz Anzeige nach § 1097 ABGB nicht behoben worden sei. Ohne zusätzliche mobile Elektroheizungen wäre die Wohnung im Winter unbenützbar.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Liege keine Dokumentation iSd § 7a ETV 2002 vor oder sei der später überreichte Prüfbefund mangelhaft, könne der Mieter nicht davon ausgehen, dass die elektrische Anlage den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Er müsse aufgrund dieser gesetzlichen Vermutung damit rechnen, dass die Anlage gefährlich sei. Insbesondere als Laie nicht zu wissen, welches Nutzerverhalten zu welchen Gefährdungen führen könne, sei eine nicht unerhebliche Gebrauchsbeeinträchtigung, die eine Mietzinsminderung von 10 bis 11 % jedenfalls rechtfertige. Auch die der Vermieterin zuzurechnende mangelhafte Heizung rechtfertige eine weitere Minderung von rund 10 %. Insgesamt bestehe kein Mietzinsrückstand.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur Fassung eines Beschlusses nach § 33 Abs 3 MRG zurück. Die Mietzinsminderung für die mangelhafte Heizung sei berechtigt, nicht jedoch jene infolge fehlenden oder mangelhaften Prüfbefundes nach der ETV 2002. Zwar sei nach jüngster Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu 5 Ob 66/18v anzunehmen, dass dann, wenn die Anlage iSd § 7a ETV 2002 nicht dem ETG 2002 entspreche oder der Vermieter seiner Dokumentationspflicht insoweit nicht nachgekommen sei, die Gefährlichkeit der Anlage vermuten lasse; dem Vermieter stehe es offen, im Einzelfall zu beweisen, dass von der Anlage keine Gefährdung ausgehe. Eine Mietzinsminderung nach § 1096 ABGB setze aber einen vom Mieter zu beweisenden Mangel voraus, der bei objektiver Betrachtung zu einer Gebrauchsbeeinträchtigung führe. Allein die subjektive Besorgnis des Mieters, dass die Anlage potenziell gefährlich sein könnte, reiche ohne Behauptung und Nachweis des Umstands, dass tatsächlich eine mangelhafte und gefährliche Anlage vorliege, für eine Mietzinsminderung nicht aus. Auch wenn der Umstand, dass ein Vermieter seiner Dokumentationspflicht gemäß § 7a ETV 2002 nicht nachgekommen sei, die Gefährlichkeit der Anlage vermuten lasse, könne das nichts daran ändern, dass derjenige, der sich auf Mietzinsminderung berufe, zumindest einen konkreten, seinen Gebrauchsnutzen beeinträchtigenden Mangel, wie etwa auch nur die gefährliche Anlage, behaupten müsse. Der Beklagte habe aber keine objektive Einschränkung des Gebrauchsnutzens, sondern nur das Fehlen bzw die Mangelhaftigkeit des Prüfbefundes behauptet.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zu, weil zu den Auswirkungen des § 7a ETV 2002 auf die Behauptungs- und Beweislast bei der Mietzinsminderung keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem erkennbaren Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist auch berechtigt.

Der Rekurswerber macht geltend, nach den Feststellungen lägen tatsächlich Mängel der Anlage vor, nämlich unterdimensionierte Leitungen, wozu er auch ausreichende erstinstanzliche Behauptungen aufgestellt habe. Es liege kein Befund vor, was ein objektiver Mangel sei. Er könne nicht davon ausgehen, dass die elektrische Anlage den gesetzlichen Anforderungen entspreche, und habe sie nicht bestimmungsgemäß nutzen können, was eine Gebrauchsbeeinträchtigung sei. Die Behauptungs- und Beweislast für Fehlen einer Gefährdung treffe die Vermieterin; dieser Gegenbeweis sei ihr nicht gelungen.

Dazu wurde erwogen:

1. Nach § 3 Abs 1 Elektrotechnikgesetz 1992 (ETG 1992, BGBl 1993/106) sind elektrische Betriebsmittel und elektrische Anlagen so zu errichten, herzustellen, instandzuhalten und zu betreiben, dass ihre Betriebssicherheit sowie die Sicherheit von Personen und Sachen gewährleistet ist.

Nach § 7a Elektrotechnikverordnung 2002 (ETV 2002, BGBl II 2002/222) ist seit dem 13. Juli 2010 bei der Vermietung einer Wohnung sicherzustellen, dass die elektrische Anlage des Mietobjekts den Bestimmungen des ETG 1992 entspricht; § 7a ETV 2002 idF BGBl II 2010/223 lautet:

Bei Vermietung einer Wohnung gemäß § 2 Abs. 1 MRG, BGBl. Nr. 520/1981 igF, ist sicherzustellen, dass die elektrische Anlage der Wohnung den Bestimmungen des ETG 1992 entspricht; bei Anlagen, die über keinen Zusatzschutz gemäß ÖVE/ÖNORM E 8001-1:2000-03-01, in der Fassung der Änderungen ÖVE/ÖNORM E 8001-1/A1:2002-04-01, ÖVE/ÖNORM E 8001-1/A2:2003-11-01, ÖVE/ÖNORM E 8001-1/A3:2007-10-01 und ÖVE/ÖNORM E 8001-1/A4:2009-04-01, verfügen, ist, unbeschadet des vorhandenen Anlagenzustandes, der Schutz von Personen in der elektrischen Anlage durch den Einbau mindestens eines Fehlerstrom-Schutzschalters mit einem Nennfehlerstrom von nicht mehr als 30 mA, unmittelbar vor den in der Wohnung befindlichen Leitungsschutzeinrichtungen, sicherzustellen. Liegt hierüber keine geeignete Dokumentation vor, so kann die Mieterin bzw. der Mieter der Wohnung nicht davon ausgehen, dass die elektrische Anlage diesen Anforderungen entspricht.“

2.1. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit dieser Bestimmung bereits eingehend beschäftigt und zur Frage, welchen Einfluss ein nicht normgerechter Fehlerstrom-Schutzschalter nach § 7a ETV 2002 auf die Kategorieeinstufung einer Wohnung hat, ausgeführt, dass Voraussetzung der Unbrauchbarkeit einer Wohnung wegen Mängeln der elektrischen Anlage auch nach Inkrafttreten des § 7a ETV 2002 eine von dieser Anlage ausgehende Gefährlichkeit ist und dem Umstand, dass die elektrische Anlage nicht § 7a ETV 2002 entspricht, Vermutungswirkung dahin zukommt, dass grundsätzlich von einer potenziellen Gefährlichkeit der Anlage auszugehen ist (5 Ob 66/18v; 5 Ob 180/18h). In Pkt 3.6 der Entscheidung 5 Ob 66/18v wurde diese Beurteilung auch darauf erstreckt, dass die in § 7a ETV 2002 genannte Dokumentation nicht vorgelegt wurde. In Pkt 4. dieser Entscheidung wurde dies so zusammengefasst: Der Umstand, dass die Anlage iSd § 7a ETV 2002 nicht dem ETG 1992 entspricht oder der Vermieter seiner Dokumentationspflicht insoweit nicht nachgekommen ist, lässt diese Gefährlichkeit vermuten lässt; dem Vermieter steht es offen, im Einzelfall zu beweisen, dass von der Anlage keine Gefährdung ausgeht (ähnlich schon Prader, Auswirkungen der Novellierung der ETV 2002 auf Mietverhältnisse, Zak 2010/565, 327 [328]; vgl Prader in H. Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner, GeKo Wohnrecht § 7a ETV 2002 [2017] Rz 12 mwH).

Bedenken an der Gesetzmäßigkeit der von den Gerichten nunmehr anzuwendenden (Art 89 Abs 2 B-VG) Verordnung (vgl Lenk, Anmerkungen zu § 7a ETV 2010, immolex 2012, 6) teilte der 5. Senat nicht, weil sie als bloße technische Konkretisierung der Vermieterpflichten unter Berücksichtigung geänderter Sicherheitsstandards zu werten ist und über die Frage der Brauchbarkeit einer Wohnung, deren elektrische Anlage nicht § 7a ETV 2002 entspricht, weder selbst noch das ETG 1992 unmittelbar etwas aussagen. Dass eine Anlage nicht den Vorschriften der ETV 2002 entspricht, ist daher für sich alleine noch nicht geeignet, eine Unbrauchbarkeit der Wohnung zu bewirken. Dieser Umstand kann aber nach dem erkennbaren Willen des Gesetz- bzw Verordnungsgebers, der ausdrücklich eine Nachweispflicht anordnete, nicht ohne Bedeutung bleiben: Ihm muss jedenfalls Vermutungswirkung dahin zukommen, dass bei Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 7a ETV grundsätzlich von einer potenziellen Gefährlichkeit der Anlage auszugehen ist.

2.2. Der erkennende Senat schließt sich dieser ausführlich begründeten und im Schrifttum (Prader, Mangelhafte Elektrodokumentation – Mängel in der Wohnung und ihre Folgen, Zak 2018/764, 407; Kothbauer, Unbrauchbarkeit wegen mangelhafter elektrischer Anlagen, immolex 2018, 308; Weixelbraun-Mohr EvBl 2019/45, 315 [318]; Pesek, wobl 2019/28, 92 [96 f];

Kolmasch, Zak 2018/601, 315) unwidersprochen gebliebenen Rechtsprechung an. Die Vermutungswirkung ist auch auf die Verletzung der Dokumentationspflicht zu beziehen, weil sich der Mieter mangels geeigneter Dokumentation nicht darauf verlassen kann, dass die elektrische Anlage den elektrotechnischen Anforderungen entspricht (§ 7a letzter Satz ETV 2002).

3.1. Der Beklagte hat sich ausdrücklich darauf berufen, dass die elektrische Anlage in der Wohnung gefährlich sei bzw sein könne und er nicht davon ausgehen könne, dass die Anlage sicher sei. Von der Klägerin in ihrer Berufung unbekämpft steht fest, dass bis November/Dezember 2016 gar kein Befund nach § 7a ETV 2002 vorlag, dass der danach vorgelegte Befund inhaltlich mangelhaft ist, und dass nicht festgestellt werden kann, ob tatsächlich Mängel der elektrischen Anlage bestehen und eine Gefährlichkeit gegeben ist.

3.2. Eine Besonderheit des vorliegenden Falls liegt zudem darin, dass es nach der Anmietung Probleme mit der Elektroanlage gab, worauf sich die Parteien nach einer bereits damals erfolgten Mietzinsminderung dahin einigten, dass die Elektroanlage und Fußbodenheizung durch Professionisten überprüft wird und die notwendigen Maßnahmen zur Herstellung eines in die Zukunft weisenden Sicherheitsstandards veranlasst werden. Die Vermieterin hat dafür aber keinen Prüfbefund oder sonstigen Nachweis erbracht.

3.3. Jedenfalls unter diesen Umständen ist im Sinn der zitierten Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0132189) als Zwischenergebnis hier von einer Vermutung der Gefährlichkeit der Anlage auszugehen, zumal der Klägerin der ihr obliegende Gegenbeweis, dass die Anlage nicht gefährlich sei, nicht gelang.

4. Nach § 1096 Abs 1 ABGB steht eine Mietzinsminderung für die Dauer und in dem Maß der Unbrauchbarkeit zu, wenn das Bestandstück bei der Übergabe derart mangelhaft ist oder während der Bestandzeit ohne Schuld des Bestandnehmers derart mangelhaft wird, dass es zu dem bedungenen Gebrauch nicht taugt. Demnach richtet sich die Brauchbarkeit einer Bestandsache nach dem Vertragszweck und muss damit eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte erfolgt. Mangels anderer Vereinbarungen ist eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit anzunehmen (RS0020926; RS0021054); bei der Beurteilung der Brauchbarkeit kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an (RS0021054 [T5]; RS0021324 [T3]).

Die subjektive Besorgnis einer wissenschaftlich nicht erwiesenen Gefährdung ist keine objektive Beeinträchtigung des Gebrauchs, die eine Mietzinsminderung rechtfertigt (RS0120135; 2 Ob 265/04s; vgl Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1096 [2017] Rz 96; Riss in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1096 [2016] Rz 26 f; Pesek/Nademleinsky in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKomm4 [2017] § 1096 Rz 22; Scharmer, wobl 2017, 252). Für Mängel, die objektiv zu keiner Gebrauchsbeeinträchtigung führen, braucht der Bestandgeber nicht einzustehen, hingegen grundsätzlich sehr wohl für Mängel, die zwar – mangels Kenntnis des Bestandnehmers – von diesem subjektiv nicht wahrgenommen wurden, aber an sich gebrauchsbeeinträchtigend sind; nach diesen Grundsätzen muss die Mangelhaftigkeit (wäre sie bekannt) bei objektiver Betrachtungsweise und vernünftigem Handeln des Mieters zu einer konkreten Gebrauchsbeeinträchtigung führen oder eine objektive reale und unzumutbare Gefahr darstellen (RS0127095).

Reagiert der Mieter auf ihm bekannte Mängel der Wohnung durch eine Einschränkung des Gebrauchs, liegt eine Gebrauchsbeeinträchtigung vor (vgl Pletzer in H. Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner, GeKo Wohnrecht § 1096 ABGB [2017] Rz 16).

5. Eine nach der ETV 2002 zu vermutende Gesundheitsgefährdung kann eine Beeinträchtigung des Nutzerverhaltens und damit eine Beeinträchtigung des Mietrechts zur Folge haben, wenn der Mieter seine Nutzung im Hinblick auf diese Unsicherheit sein Verhalten so ändert, dass er die Wohnung nicht so gebraucht, wie er es bei Vorliegen einer ordnungsgemäßen Anlage täte (vgl Prader Zak 2018/764, 408; vgl Prader Zak 2010/565, 328; Schäfer, Auswirkungen der ETV 2002/A2 auf Mietverhältnisse, Zak 2011/159, 89 [91]; vgl auch Prader/Pittl, Veraltete Elektroleitungen – Auswirkungen auf Mieteransprüche, Zak 2009/22, 23 [24]).

Hier ist dem Mieter bekannt, dass für die Anlage kein dem § 7a ETV 2002 entsprechender Befund vorliegt. Nach dieser Bestimmung folgt daraus, dass der Mieter der Wohnung nicht davon ausgehen kann, dass die elektrische Anlage diesen Anforderungen entspricht; es wird die Gefährlichkeit der Anlage vermutet. Ist – wie hier mangels Gelingens des Gegenbeweises – im Tatsächlichen von einer Gefährlichkeit der nach „Sanierung“ mitvermieteten elektrischen Anlage auszugehen und ändert der Mieter sein Verhalten wie beschrieben deshalb ab, folgt daraus auch eine Beeinträchtigung des (das Fehlen einer solchen Gefährdung einschließenden) bedungenen Gebrauchs einer Wohnung.

6. Aus diesem Grund vermag sich der erkennende Senat dem Argument des Berufungsgerichts nicht anzuschließen, auch in einem solchen Fall obliege es dem Mieter, über die Behauptung des Vorliegens eines Mangels an der elektrischen Anlage und des Fehlens des Befundes nach § 7a ETV 2002 hinaus konkrete, seinen Gebrauchsnutzen beeinträchtigende Mängel zu behaupten.

Tatsachen, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen nach § 270 ZPO keines Beweises; der Beweis des Gegenteils ist zulässig, sofern das Gesetz denselben nicht ausschließt. Da vermutete Tatsachen keines Beweises bedürfen, sind sie auch nicht Beweisthema. Behauptet und bewiesen zu werden braucht bloß die Vermutungsbasis; nur sie ist Beweisthema. Für vermutete Tatsachen trifft die begünstigte Partei daher zwar die Behauptungslast, aber keine Beweislast.

Die gesetzliche Tatsachenvermutung ist eine Beweislastregel, die zur Beweislastumkehr führt (Rechberger in Fasching/Konecny³ § 270 ZPO [2017] Rz 4).

Vermutete Tatsache ist hier die aufgrund des Fehlens des Befundes gesetzlich vermutete Gefährlichkeit der Anlage, jedoch nicht – dem Mieter in Konstellationen wie der vorliegenden gerade nicht bekannte – konkrete Mängel und eine aus diesen unmittelbar abgeleitete Gefährlichkeit. Ausreichende Behauptungen hierzu hat der Beklagte aber ebenso aufgestellt wie zur sich daraus ergebenden Gebrauchsbeeinträchtigung.

7. Zusammengefasst gilt:

Der Umstand, dass eine elektrische Anlage iSd § 7a ETV 2002 nicht dem ETG 1992 entspricht oder der Vermieter seiner Dokumentationspflicht insoweit nicht nachgekommen ist, ist vom Mieter, der deshalb den Mietzins nach § 1096 ABGB mindern möchte, zu behaupten und zu beweisen. Gelingt dieser Beweis, wird eine von der Anlage ausgehende Gefährlichkeit vermutet. Dies hat zur Konsequenz, dass die (Voraussetzung der Mietzinsminderung nach § 1096 ABGB bildende) Beeinträchtigung des bedungenen Gebrauchs einer Wohnung samt mitvermieteter „sanierter“ elektrischer Anlage so lange besteht, bis der Vermieter im Einzelfall bewiesen hat, dass von der Anlage keine Gefährdung und keine daraus folgende Gebrauchsbeeinträchtigung ausgeht.

8. Daraus folgt hier, dass die unbekämpft gebliebene Negativfeststellung zu Lasten der Vermieterin geht.

Dass eine – im Einzelfall und allenfalls nach § 273 Abs 1 ZPO zu bemessende (RS0021324 [T3, T4]) – Mietzinsminderung um hier 10 % im Lichte der Rechtsprechung (Kasuistik mwH bei Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht I23 [2015] § 1096 ABGB Rz 14; Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1096 [2017] Rz 112) keinesfalls überhöht ist, hat bereits das Erstgericht dargelegt und wird im Rechtsmittelverfahren auch nicht konkret in Frage gestellt.

9. In Bezug auf die Mängel der Fußbodenheizung und die daraus folgende Mietzinsminderung von weiteren 10 % für zwei Monate im Februar und März 2017 wurde – wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte – bereits die Berufung nicht gesetzmäßig ausgeführt, indem sie unzulässige Neuerungen geltend machte und nicht vom festgestellten Sachverhalt ausging.

10. Insgesamt erweisen sich die vom Beklagten vorgenommenen Mietzinsminderungen als berechtigt, nicht jedoch daher das Räumungsbegehren der Klägerin.

Der Oberste Gerichtshof kann gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über einen Rekurs gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Sache zur Entscheidung reif ist.

Der Beklagte hatte bereits im erstinstanzlichen Verfahren auf eine aus § 7a ETV 2002 abzuleitende Beweislastumkehr und die aus dem Fehlen des Elektrobefundes folgende Gebrauchsbeeinträchtigung hingewiesen. Die in erster Instanz unterlegene Klägerin hatte in ihrer Berufung keine Mängelrüge erstattet (vgl

RS0043111).

Dem Rekurs des Beklagten war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und in der Sache selbst im Sinn der Wiederherstellung des abweisenden Urteils des Erstgerichts zu erkennen.

11. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Rekursverfahrens ist in den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO begründet. Mehr als die für den Rekurs an den Obersten Gerichtshof (nach TP 3B RAT) verzeichneten Kosten waren nicht zuzusprechen.

Textnummer

E125736

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00083.19P.0705.000

Im RIS seit

07.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

20.08.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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