TE Lvwg Erkenntnis 2019/6/13 VGW-131/018/3443/2019

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Veröffentlicht am 13.06.2019
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Entscheidungsdatum

13.06.2019

Index

90/02 Führerscheingesetz

Norm

FSG 1997 §3 Abs1 Z3
FSG 1997 §24 Abs1
FSG 1997 §24 Abs4
FSG-GV §3 Abs1 Z1
FSG-GV §5 Abs1 Z2
FSG-GV §5 Abs1 Z3
FSG-GV §5 Abs1 Z4
FSG-GV §13 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter DDr. Lacina über die Beschwerde der Frau A. B., vom 18.02.2019, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, vom 06.02.2019, Zl. ..., betreffend Führerscheingesetz (FSG),

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

II. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

1. Mit dem angefochtenen Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, vom 06.02.2019, Zahl ..., wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 24 Abs. 4 FSG 1997 aufgefordert, sich binnen zwei Wochen, nach Zustellung des Schreibens, einer amtsärztlichen Untersuchung im Verkehrsamt der Landespolizeidirektion Wien zu unterziehen.

Bei Nichterfüllen dieser Aufforderung müsse ihr die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung entzogen werden.

Begründend führte die belangte Behörde folgendes aus:

„…Gemäß § 24 Absatz 4 Führerscheingesetz 1997 ist vor der Entziehung oder Einschränkung der Gültigkeit der Lenkberechtigung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gem. § 8 Führerscheingesetz 1997 einzuholen.

Gemäß § 24 Absatz 4 Führerscheingesetz 1997 ist die Lenkberechtigung dann zu entziehen, wenn der Besitzer einer solchen einem rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, bzw. die zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen, keine Folge leistet.

Voraussetzung für die Einleitung eines Entziehungsverfahrens im Sinne § 24 Absatz 1 und 4 FSG sind begründete Zweifel am aufrechten Vorliegen einer der Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung zum Lenken der entsprechenden Führerscheinklassen.

Im vorliegenden Fall ersieht die Behörde begründete Bedenken in der Richtung, dass der Inhaber die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klassen (n) AM, B nicht mehr besitzt.

Die Kraftfahrbehörde stützt die Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen auf die Meldung des Polizeikommissariates ... vom 07.12.2018.

Am 07.12.2018 um 16.50 Uhr wurden Sie von den verständigten Exekutivbeamten auf Grund Ihrer Selbstmorddrohung in Ihrer Wohnung im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzend angetroffen. Dabei konnten die Beamten bei Ihnen an beiden Unterarmen zahlreiche, deutlich sichtbare, tiefe Schnittverletzungen wahrnehmen. Weiters haben Sie mehrere alkoholische Getränke konsumiert sowie mehrere Medikamente eingenommen…“

2. Die dagegen eingebrachte Beschwerde der rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführerin vom 18.02.2019 hat folgenden Inhalt:

„… In der umseits näher bezeichneten Rechtssache erhebt die Beschwerdeführerin binnen offener Frist

BESCHWERDE

gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, ..., vom 06.02.2019 an das Bundesverwaltungsgericht.

Der Bescheid wird in seinem gesamten Umfang bekämpft.

1. Sachverhalt

Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, ...,vom 06.02.2019 ist der Beschwerdeführerin aufgetragen worden, sich binnen 2 Wochen nach Zustellung des Bescheides einer amtsärztlichen Untersuchung im Verkehrsamt der Landespolizeidirektion Wien zu unterziehen.

Die Einleitung eines Entziehungsverfahrens gemäß § 24 Abs. 1 und 4 Führerscheingesetz ist nur zulässig, wenn begründete Zweifel am Vorliegen einer der Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkerberechtigung zum Lenken der entsprechenden Führerscheinklassen bestehen.

Die belangte Behörde begründet Ihre Bedenken, dass der Beschwerdeführerin die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klassen AM und B fehlt, mit einer Meldung der anlässlich eines Vorfalls vom 07.12.2018 einschreitenden Exekutivbeamten, bei dem die Beschwerdeführerin alkoholisiert in ihrer Wohnung angetroffen worden sei und sich Schnittverletzungen hätten wahrnehmen lassen.

2. Zulässigkeit und Rechtzeitigkeit der Beschwerde

Durch den angefochten Bescheid wird die Beschwerdeführerin in ihren einfachgesetzlich- und verfassungsrechtlich gewährleisteten subjektiven Rechten verletzt.

Eine entgegen den gesetzlichen Bestimmungen erfolgte Anordnung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, verletzt einfachgesetzlich und verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte. Eine medizinische Untersuchung stellt einen Eingriff in die Freiheit der Beschwerdeführerin dar. (Art 63 Abs 1, auch Art. 6 EM RK1958).Darüber hinaus sind der Gleichheitssatz und das einfachgesetzlich gewährleistete Recht, dass ihr nicht entgegen den gesetzlichen Vorschriften eine amtsärztliche Untersuchung vorgeschrieben wird, verletzt.

Gemäß § 7 Abs 4. VwGhG beträgt die Beschwerdefrist nach Art, 130 Abs 1 Z 1 B-VG vier Wochen ab Zustellung des Bescheides. Darüber hinaus wird in der Rechtsmittelbelehrung von der belangten Behörde selbst auf die vierwöchige Beschwerdefrist hingewiesen. Der Bescheid datiert vom 06.02.2019. Der Beschwerdeschriftsatz ist mit Erstellungsdatum 18.02.2019 postalisch versendet worden, sodass die Beschwerde jedenfalls fristgerecht erhoben worden ist.

3. Beschwerdegründe

Es handelt sich bei dem Anlassfall offenkundig um einen isolierten Vorfall, der in keiner Weise in einem Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder der öffentlichen Sicherheit steht, geschweige denn ein Licht auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin wirft.

Der von der belangten Behörde herangezogene (singuläre) Alkoholexzess begründet keinen wie auch immer gearteten Krankheitswert, der nachvollziehbare Zweifel an der Befähigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen hervorrufen könnte. Die belangte Behörde hat das auch ein ihr durch den unbestimmten Gesetzeslautwort vom Gesetzgeber stillschweigend eingeräumte Ermessen im Sinne des Gesetzes auszuüben. Die Beschwerdeführerin geht seit Jahren einer geregelten Tätigkeit im Pflegebereich nach. Sie ist sozial und persönlich voll integriert, was bei einer die Befähigung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges infragestellenden Erkrankung nicht der Fall wäre. Es liegt auch auf der Hand, dass ein Alkohol- oder Medikamentenkonsum in den eigenen 4 Wänden keine nachvollziehbaren Gründe für die Annahme einer gesundheitlichen Beeinträchtigung bildet, der die Einleitung eines Entziehungsverfahrens rechtfertigen würde.

Die Anordnung einer medizinischen Untersuchung durch einen Amtsarzt nachzukommen, stellt daher im konkreten Fall einen nicht durch Eingriffsnormen gerechtfertigten Eingriff in die persönliche Freiheit dar.

Zudem ist die Entscheidung gleichheitswidrig. Das Gleichheitsrecht wird nach stRspr dann durch einen Bescheid verletzt, wenn sich der Akt a) auf ein gleichwidriges Gesetz stützt, b) wenn die Behörde einem Gesetz fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder, wenn sie c) Willkür übt. Die denkunmögliche Gesetzesanwendung indiziert in der Regel ebenso Willkür, wie das Fehlen jeder Begründung. Der Rückschluss von einem einmaligen Anlassfall auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung im Sinne eines Bedenkens gegen die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen erscheint als eine überschießende Auslegung des Gesetzestextes

Aus den genannten Gründen stellt die Beschwerdeführerin die nachstehenden

ANTRÄGE,

nämlich:

1. das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde Folge geben und den bekämpften Bescheid aufheben, allenfalls unter Rückverweisung an die belangte Behörde zur neuerlichen Entscheidung.

2. Anberaumung einer mündlichen Verhandlung

C., am 18.02.2019                                                          A. B.“

3. Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen zur Entscheidung berufenen Richter erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des FSG 1997 lauten (auszugsweise) wie folgt:

„Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3 (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§ 8 und 9)

5. Abschnitt

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24 (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diesfalls ist gemäß § 13 Abs. 5 ein neuer Führerschein auszustellen.

(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen. Bei Bedenken hinsichtlich der fachlichen Befähigung ist ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen. Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahrprüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.

…“

Die einschlägigen Bestimmungen der FSG-GV lauten (auszugsweise):

„Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung

zum Lenken von Kraftfahrzeugen

§ 3 (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften

1. die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt

Gesundheit

§ 5 (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend gesund gilt eine Person, bei der keine der folgenden Krankheiten festgestellt wurde:

2. organische Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnten,

3. Erkrankungen, bei denen es zu unvorhersehbaren Bewusstseinsstörungen oder -trübungen kommt,

4. schwere psychische Erkrankungen gemäß § 13

Psychische Krankheiten und Behinderungen

§ 13 (1) Als ausreichend frei von psychischen Krankheiten im Sinne des § 3 Abs. 1 Z 1 gelten Personen, bei denen keine Erscheinungsformen von solchen Krankheiten vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen. Wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung der Verdacht einer psychischen Erkrankung ergibt, der die psychische Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, ist eine psychiatrische fachärztliche Stellungnahme beizubringen, die die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit mitbeurteilt,

(2) Personen, bei denen

1. eine angeborene oder infolge von Krankheiten, Verletzungen oder neurochirurgischen Eingriffen erworbene schwere psychische Störung,

2. eine erhebliche geistige Behinderung,

3. ein schwerwiegender pathologischer Alterungsprozess oder

4. eine schwere persönlichkeitsbedingte Störung des Urteilsvermögens, des Verhaltens und der Anpassung

besteht, darf eine Lenkberechtigung nur dann erteilt oder belassen werden, wenn das ärztliche Gutachten auf Grund einer psychiatrischen fachärztlichen Stellungnahme, in der die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit mitbeurteilt wird, die Eignung bestätigt."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung aussagt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.02.2007, ZI. 2004/11/0004, mwH), ist Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 24 Abs. 4 FSG, dass begründete Bedenken in der Richtung bestehen, dass der Inhaber einer Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt. Hiebei gehe es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssten aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner auch darauf hingewiesen, dass ein Aufforderungsbescheid nur dann zulässig sei, wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung von Seiten der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichtes (nach wie vor) begründete Bedenken bestehen. Im zitierten Erkenntnis vom 22.02.2007 hat der Verwaltungsgerichtshof etwa einen Vorfall (Suchtmittelkonsum), der bereits länger als ein Jahr zurücklag, nicht mehr als geeignet angesehen, begründete Bedenken an der – aktuellen – Eignung des Betreffenden zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu erwecken.

Die belangte Behörde führte im angefochtenen Bescheid aus, die Bedenken gründeten sich auf die Meldung des Polizeikommissariats ... vom 7.12.2018. In dieser sei ausgeführt, dass die Bf von den verständigten Exekutivbeamten auf Grund ihrer Selbstmorddrohung in Ihrer Wohnung im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzend angetroffen wurde. Dabei konnten die Beamten bei ihr an beiden Unterarmen zahlreiche, deutlich sichtbare, tiefe Schnittverletzungen wahrnehmen. Weiters habe Sie mehrere alkoholische Getränke konsumiert sowie mehrere Medikamente eingenommen.

Im vorliegenden Fall wäre der Aufforderungsbescheid dann rechtens, wenn ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht bestanden hätten, der Bf ermangle es an der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Dies ist auf der Grundlage der von der belangten Behörde übernommenen Sachverhaltsdarstellung der Anzeige nicht der Fall.

Nach der Aktenlage erfolgte die Verzweiflungstat der Bf. nicht in Zusammenhang mit dem Lenken eines Kfz. Dass Menschen auch depressiv verstimmt sein können, liegt in der Natur des Menschen. Der Schluss, ein depressiver Mensch werde einen Suizidversuch durch Inbetriebnahme eines Kfz unternehmen, stellt jedoch nur eine der möglichen Handlungsweisen eines suizidal Gefährdeten dar, die auch bei Entziehung seiner/ihrer Lenkberechtigung weder erschwert noch verhindert werden kann.

Die österreichische Rechtsordnung steht nach wie vor auf dem Standpunkt, dass das unveräußerliche Rechtsgut des menschlichen Lebens im Interesse der Gesamtheit grundsätzlich unabhängig vom Willen des Trägers dieses Rechtsgutes geschützt werden muss, der einzelne daher über sein Leben nicht verfügungsberechtigt ist. Ein Paradoxon, beinhaltet doch das Recht auf Leben auch das Recht auf den eigenen Tod, weshalb die Selbsttötung vom StGB auch nicht unter Strafe gestellt wird, sondern lediglich die Bestimmungs- und Beitragstäterschaft, was wiederum rechtlich problematisch ist, da die Bestimmungs- und Beitragstäterschaft gewöhnlich voraussetzt, dass die Haupttat strafbar ist, was im Falle des Selbstmord(versuches) aber nicht der Fall ist. Aus § 78 StGB (Mitwirkung am Selbstmord) kann im Übrigen auch nicht geschlossen werden, dass jeder Mensch zum Weiterleben verpflichtet ist.

Das Verwaltungsgericht Wien ist sich der Problematik suizidgefährdeter Lenker und Lenkerinnen durchaus bewusst, sieht aber nach der derzeitigen Judikatur des VwGH keine Möglichkeit, die betreffende Person zu einer amtsärztlichen Untersuchung mit Erfolg aufzufordern, wenn kein Zusammenhang mit dem Lenken oder beabsichtigten Lenken eines Kfz gegeben ist.

Es darf aber in diesem Zusammenhang noch auf die Ausführungen von Mayer, Karl. C.: Fahrtüchtigkeit und psychische Störungen, hingewiesen werden, worin der Verfasser Folgendes ausführt (http://www.neuro24.de/fuehrerschein.htm):

„Bei jeder schweren Depression, die z.B. mit depressiv- wahnhaften, depressiv stuporösen Symptomen oder mit akuter Suizidalität einhergeht und in allen manischen Phasen ist die Fähigkeit zur angepassten Teilnahme am Straßenverkehr als aufgehoben anzusehen. Nach Abklingen der schweren depressiven Symptome oder der manischen Symptome und unter psychiatrischer Überwachung und vorbeugender Behandlung ist in der Regel die Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr wieder gegeben. In manchen Fällen ist eine Überwachung der Therapiecompliance durch Kontrollen sinnvoll.  Bei leichten bis mittelgradigen Depressionen ist meistens keine kognitive Leistungsschwäche vorhanden, hier kann der Betroffene entsprechend auch ein Kfz lenken.  In Zweifelsfällen ist immer eine kognitive Testung, und eine Fahrprobe sinnvoll. Zu beachten ist dabei, auch das spontan entschieden oder teilweise länger geplant, nicht wenige tödlich endende Unfälle sich bei genauer Untersuchung als Suizide herausstellen. Nach einer finnischen Studie wurden 2,6% aller Verkehrstoten als Fahrer offiziell als Suizid klassifiziert, der wahrscheinliche Prozentsatz toter Fahrer die sich mit dem Auto suizidierten lag bei 5,9%- ein nicht unerheblicher Teil der Verkehrstoten.“

Es hat nach der Aktenlage auch zu keinem Zeitpunkt einen Selbstmordversuch gegeben (auch Hinweise darauf, dass die Bf etwa wegen psychischer Probleme in Behandlung gewesen wäre, sind nicht hervorgekommen). Die von den Exekutivbeamten wahrgenommenen tiefen Schnittverletzungen an beiden Unterarmen der Bf. weisen keinen ausreichenden Bezug zu kraftfahrrechtlichem oder straßenverkehrsrechtlichem Fehlverhalten auf, welches einen Mangel der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung (und damit an der gesundheitlichen Eignung) indiziert (siehe dazu das Erkenntnis des VwGH vom 26.02.2015, Zl. 2003/11/0172).

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass sich im gesamten Verfahren keine ausreichenden Hinweise auf einen Mangel der gesundheitlichen Eignung der Bf ergeben haben.

Der angefochtene Bescheid war daher aus diesen Erwägungen aufzuheben.

4. Revisionsausspruch

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Lenkerberechtigung; Entziehung; gesundheitliche Eignung; Aufforderungsbescheid; amtsärztliche Untersuchung; Suizidgefährdung

Anmerkung

VwGH v. 27.4.2021, Ra 2019/11/0140; Aufhebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.131.018.3443.2019

Zuletzt aktualisiert am

05.05.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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