TE Lvwg Erkenntnis 2019/6/11 VGW-031/032/15632/2018

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Veröffentlicht am 11.06.2019
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Entscheidungsdatum

11.06.2019

Index

90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §4 Abs1 litc
StVO 1960 §4 Abs2
StVO 1960 §99 Abs2 lita

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde des A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 2. Oktober 2018, Zl. …, betreffend Übertretungen 1.) des § 4 Abs. 1 lit. c Straßenverkehrsordnung – StVO und 2.) des § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO, nach mündlicher Verhandlung am 5. Juni 2019

zu Recht e r k a n n t:

                  

I. 1. Gemäß § 4 Abs. 1 lit. c und § 4 Abs. 2 zweiter Satz iVm § 99 Abs. 2 lit. a Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 159/1960 idF BGBl. I 39/2013, wird der Beschwerde insoweit stattgegeben, als die verhängten Geldstrafen von 1. € 220,— (Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tage und sechs Stunden) und 2. € 350,— (Ersatzfreiheitsstrafe drei Tage und 12 Stunden) auf jeweils € 100,— (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 24 Stunden) sowie der Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens auf insgesamt € 20,— herabgesetzt werden.

2. Der im angefochtenen Straferkenntnis genannte zu zahlende Gesamtbetrag hat auf € 220,— zu lauten.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Verfahrensgang

1.       Das angefochtene Straferkenntnis vom 2. Oktober 2018 hat folgenden Spruch:

" 1. Datum/Zeit: 06.03.2018, 19:30 Uhr

Ort: Wien, C.-gürtel 108-110, Wien, C.-gürtel Höhe ONr. 108-110

Betroffenes Fahrzeug: PKW, Kennzeichen: W-1 (A)

Sie sind mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben an der Sachverhaltsfeststellung nicht mitgewirkt, da Sie es durch Verlassen der Unfallstelle unmöglich gemacht haben, Ihre körperliche und geistige Verfassung zum Unfallzeitpunkt festzustellen.

2. Datum/Zeit: 06.03.2018, 19:30 Uhr

Ort: Wien, C.-gürtel 108-110, Wien, C.-gürtel Höhe ONr. 108-110

Betroffenes Fahrzeug: PKW, Kennzeichen: W-1 (A)

Sie sind mit einem Verkehrsunfall mit Personenschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben nicht sofort die nächste Polizeidienststelle verständigt.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

1. § 4 Abs. 1 lit. c StVO

2. §4 Abs. 2 2. Satz StVO

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:

Geldstrafe von  falls diese uneinbringlich ist,  […]      Gemäß

Ersatzfreiheitsstrafe von   § 99 Abs. 2 lit. a StVO

1. € 220,00   2 Tage(n) 6 Stunde(n)

0 Minute(n)

2. € 350,00   3 Tage(n) 12 Stunde(n)    § 99 Abs. 2 lit. a StVO

0 Minute(n)

[…]

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG zu zahlen:

€ 57,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens € 10,00 für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher

€ 627,00"

In der Begründung stützte sich die belangte Behörde auf die im Verwaltungsakt enthaltene Anzeige und ging bei der Strafbemessung von der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit als Milderungs- sowie von der "Schwere der Tat" als Erschwerungsgrund aus.

2.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitige und zulässige Beschwerde, mit welcher die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens begehrt wird.

3.        Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt der Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

4.       Das Verwaltungsgericht Wien führte am 5. Juni 2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer als Beschuldigter und mehrere Personen als Zeuginnen und Zeugen einvernommen wurden.

II.      Sachverhalt

1.       Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Am 6. März 2018 um 19:30 Uhr ereignete sich in Wien, C.-gürtel 108-110, ein Verkehrsunfall mit folgendem Ablauf:

Der Beschwerdeführer kam als Lenker des Personenkraftwagens mit dem Kennzeichen W-1 durch normales Abbremsen vor einer roten Ampel zu stehen, es herrschte dichter Verkehr. Infolge seines Stehenbleibens musste auch die Lenkerin des hinter ihm fahrenden Personenkraftwagens mit dem behördlichen Kennzeichen BN-1, D. E., stehen bleiben. Der hinter D. E. fahrende Lenker des Lastkraftwagens mit dem Kennzeichen W-2, F. G., konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und fuhr auf das von D. E. gelenkte Fahrzeug auf, welches durch den Aufprall nach vorn in das stehende Fahrzeug des Beschwerdeführers geschoben wurde. Zwischen dem Stehenbleiben des Beschwerdeführers und dem Zusammenstoß seines Fahrzeugs mit jenem der D. E. vergingen etwa drei bis vier Sekunden.

Das Fahrzeug des Beschwerdeführers wurde durch den Zusammenstoß nicht beschädigt, das von D. E. gelenkte Fahrzeug erlitt durch den Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Beschwerdeführers Beschädigungen im Bereich der vorderen Stoßstange und massive Beschädigungen im Heckbereich durch das von F. G. gelenkte Fahrzeug.

In dem von D. E. gelenkten Fahrzeug befanden sich drei weitere Personen: H. K. auf dem Beifahrersitz, Mag.a L. M. auf dem Rücksitz hinter der Fahrerin und N. K. auf dem Rücksitz hinter der Beifahrerin.

Nach dem Verkehrsunfall stellten alle Fahrzeuglenker ihre Fahrzeuge an den Fahrbahnrand und alle Insassen der Fahrzeuge stiegen aus. Der Beschwerdeführer besichtigte sein Fahrzeug, konnte keine Beschädigung feststellen und erkundigte sich bei der Zeugin K. oder der Zeugin E., ob jemand verletzt sei, was verneint wurde. Er erkundigte sich aber nicht bei allen Insassen der beteiligten Fahrzeuge – jedenfalls nicht bei der Zeugin Mag.a M. –, ob jemand verletzt sei. Die Zeugin K. machte ein Foto vom Kennzeichen des Beschwerdeführers, persönliche Daten wurden nicht ausgetauscht. Der Beschwerdeführer wurde von der Zeugin K. darüber informiert, dass die Polizei zur Unfallaufnahme verständigt worden sei, der Beschwerdeführer verließ aber vor Eintreffen der Exekutive mit seinem Fahrzeug die Unfallstelle, weil er einen privaten Termin einhalten wollte.

Die Polizei war von der Zeugin Mag.a M. verständigt worden. Nach Eintreffen der Exekutive verständigte diese den Rettungsdienst, weil die Zeugin Mag.a M. über zunehmende Kopfschmerzen klagte. Der eingetroffene Rettungsdienst führte keine weitere Versorgung durch, sondern verwies die Zeugin Mag.a M. an das nächstgelegene Krankenhaus. Im Anschluss an die Unfallaufnahme suchte die Zeugin Mag.a M. das Krankenhaus P. auf, wo eine Prellung der Halswirbelsäule diagnostiziert wurde; die Beschwerden (Kopfschmerzen) klangen am nächsten Tag ohne weitere Behandlung ab.

Dem Beschwerdeführer ist mittleres Verschulden vorzuwerfen.

Ein gegen den Beschwerdeführer aufgenommenes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verletzung von § 88 Abs. 1 und § 94 StGB wurde mit Benachrichtigung vom 14. September 2018 von der Staatsanwaltschaft Wien gemäß § 190 Z 1 StPO mit der Begründung "Fahrlässige Körperverletzung vom 06.03.2018 – Tatbestand nicht erfüllt" eingestellt.

Der Beschwerdeführer ist verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Es liegen unterdurchschnittliche Einkommensverhältnisse und Vermögenslosigkeit vor; der Beschwerdeführer hat keine Sorgepflichten.

2.       Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Würdigung des Beschwerdevorbringens sowie Einvernahme des Beschwerdeführers und des R. S., der Mag.a M., der H. K. und der D. E. als Zeuge bzw. Zeuginnen.

Die Feststellungen zum Unfallhergang gründen im Wesentlichen auf den eigenen Angaben des Beschwerdeführers, welche größtenteils mit den Angaben der restlichen einvernommenen Personen übereinstimmen. Der Beschwerdeführer hat selbst angegeben, nur eine Person zu Verletzungen befragt zu haben, was verneint worden sei. Nachdem die Zeugin Mag.a M. ausdrücklich direkten Kontakt mit dem Beschwerdeführer verneint hat und der Beschwerdeführer ein Gespräch mit einer Person in dem hinter ihm fahrenden Auto erwähnt hat, muss es sich um die Zeugin K. oder E. gehandelt haben, mit welcher der Beschwerdeführer über mögliche Verletzungen gesprochen hat. Der Beschwerdeführer hat selbst angegeben, gefragt worden zu sein, ob er nicht auf das Eintreffen der Polizei warten wolle, was den Schluss zulässt, dass ihm die Verständigung der Polizei bekannt war.

Die Feststellungen zum Einschreiten des Rettungsdienstes und der weiteren Behandlung im Krankenhaus P. gründen auf den glaubhaften und widerspruchsfreien Angaben der Zeugin Mag.a M.. Für das Verwaltungsgericht Wien besteht auch kein Grund, ihre Angabe, wonach im Krankenhaus eine Prellung der Halswirbelsäule diagnostiziert worden sei, in Frage zu stellen. Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung nicht den Umstand dieser Diagnose durch das Krankenhaus in Zweifel gezogen, sondern allgemein ausgeführt, wonach eine solche Verletzung erst am nächsten Tag diagnostiziert werden könne.

Das festgestellte mittlere Verschulden gründet darauf, dass es dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar gewesen wäre, vor Ort auf das Eintreffen der Polizei und die Unfallaufnahme zu warten. Es wäre ihm auch möglich gewesen, sich bei allen Unfallbeteiligten über ihren Gesundheitszustand zu erkundigen. Angesichts dessen, dass sein Fahrzeug nicht beschädigt wurde und keine anderen Beteiligten auf seinen Verbleib an der Unfallstelle beharrten, liegt aber bloß mittleres – und nicht wie von der belangten Behörde angenommen schweres – Verschulden vor.

Die Feststellungen zu den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dessen eigenen glaubhaften Angaben. Die Feststellungen zu seiner verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit wie auch die übrigen Feststellungen aus der Aktenlage.

III.     Rechtliche Beurteilung

1.       Anzuwendende Rechtsvorschriften:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO, BGBl. 159 idF BGBl. I 39/2013, lauten:

"§ 4. Verkehrsunfälle.

(1) Alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhange steht, haben

         a) wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten,

         b) wenn als Folge des Verkehrsunfalles Schäden für Personen oder Sachen zu befürchten sind, die zur Vermeidung solcher Schäden notwendigen Maßnahmen zu treffen,

         c) an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken.

(2) Sind bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden, so haben die im Abs. 1 genannten Personen Hilfe zu leisten; sind sie dazu nicht fähig, so haben sie unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen. Ferner haben sie die nächste Polizeidienststelle sofort zu verständigen. Wenn bei einem Verkehrsunfall, an dem ein Schienenfahrzeug oder ein Omnibus des Kraftfahrlinienverkehrs beteiligt ist, sich erst nach dem Wegfahren des Schienenfahrzeuges bzw. des Omnibusses nach dem Unfall eine verletzte Person meldet, kann auch das Unternehmen, dem das Schienenfahrzeug bzw. der Omnibus gehört, die Polizeidienststelle verständigen.

[…]

§ 99. Strafbestimmungen.

[…]

(2) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 36 Euro bis 2 180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen,

         a) der Lenker eines Fahrzeuges, dessen Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, sofern er den Bestimmungen des § 4 Abs. 1 und 2 zuwiderhandelt, insbesondere nicht anhält, nicht Hilfe leistet oder herbeiholt oder nicht die nächste Polizeidienststelle verständigt,

[…]"

2.       Unter einem Verkehrsunfall ist ein plötzliches, mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängendes Ereignis, welches sich auf Straßen mit öffentlichem Verkehr zuträgt und zumindest einen Sachschaden zur Folge hat, zu verstehen (VwGH 20.4.2001, 99/02/0176). Ein solcher liegt im Beschwerdefall auf Grund der eingetretenen Beschädigung zumindest eines Fahrzeugs zweifellos vor. Mit einem Verkehrsunfall in ursächlichen Zusammenhang steht auch das Verhalten von Personen, die nicht unmittelbar vom Verkehrsunfall betroffen sind, die aber den oder die unmittelbar Betroffenen zu einem Verhalten veranlasst haben, das zum Verkehrsunfall geführt hat (VwGH 22.3.2000, 99/03/0469).

Im vorliegenden Fall stand der Beschwerdeführer insofern in ursächlichem Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall, weil sich dieser erst nach – zulässigem und notwendigem – Abbremsen seines Fahrzeugs auf Grund dieses Abbremsens ereignete; auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an. Wenngleich das Fahrzeug des Beschwerdeführers selbst nicht beschädigt wurde, wurde durch den Zusammenstoß mit seinem Fahrzeug zumindest ein anderes Fahrzeug beschädigt, weshalb die Bestimmungen des § 4 Abs. 1 und 2 StVO auf den Beschwerdeführer Anwendung fanden.

3.       Dem Beschwerdeführer werden von der belangten Behörde zwei Verwaltungsübertretungen in Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vorgeworfen: die fehlende Mitwirkung an der Sachverhaltsfeststellung gemäß § 4 Abs. 1 lit. c StVO (Spruchpunkt 1. des angefochtenen Straferkenntnisses) und das nicht sofortige Verständigen der nächsten Polizeidienststelle gemäß § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO (Spruchpunkt 2. des angefochtenen Straferkenntnisses).

3.1.    Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. c StVO

3.1.1.  Die in § 4 Abs. 1 lit. c StVO normierte Verpflichtung kann nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sinnvoll nur dann bestehen, wenn es überhaupt zu einer amtlichen Aufnahme des Tatbestands kommt oder zu kommen hat. Dies trifft immer dann zu, wenn es sich um einen Unfall handelt, bezüglich dessen eine Verständigungspflicht im Sinn des § 4 Abs. 2 StVO besteht; darüber hinaus aber auch, wenn ein am Unfall Beteiligter das Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes verlangt oder wenn ein am Unfallort etwa zufällig anwesendes Sicherheitsorgan aus eigenem Antrieb eine Tatbestandsaufnahme vornimmt oder deren Vornahme veranlasst (vgl. jüngst VwGH 30.1.2019, Ra 2018/02/0311, mwN).

Diese Voraussetzung ist im Beschwerdefall zweifellos gegeben, hat doch eine der am Unfall Beteiligten jedenfalls das Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes verlangt und war dies dem Beschwerdeführer auch bekannt.

3.1.2.  Der Beschwerdeführer bezweifelt aber, dass ihn angesichts der eindeutig geklärten Schuldfrage am Verkehrsunfall eine weitere Mitwirkungspflicht getroffen hat und seine Anwesenheit bei der Unfallaufnahme überhaupt zur weiteren Feststellung des Sachverhalts beitragen hätte können.

3.1.3.  Die Mitwirkungspflicht an der Feststellung des Sachverhalts iSd § 4 Abs. 1 lit c StVO umfasst auch die Person des beteiligten Fahrzeuglenkers, so etwa, ob er zur Lenkung des am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeugs berechtigt war und ob er äußerlich den Anschein erweckte, dass er sich körperlich und geistig in einem zur Lenkung eines Kraftfahrzeugs geeigneten Zustand befinde. Entfernt sich daher ein Unfallbeteiligter während oder auch schon vor der Unfallsaufnahme vom Unfallsort, ohne einen Namen mitzuteilen, so hat er, unbeschadet der Übertretung anderer Vorschriften, gegen die Mitwirkungspflicht verstoßen (Pürstl, StVO-ON14.01, § 4 StVO, E 55).

Gemäß § 4 Abs. 1 lit. c StVO haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, an der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken. Der Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach dieser Vorschrift kann auch durch ein Verlassen der Unfallstelle erfüllt werden; Voraussetzung ist, dass die persönliche Anwesenheit des Unfallbeteiligten an der Unfallstelle noch zur ordentlichen Erhebung des Sachverhalts notwendig war. Die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhalts reicht nur so weit, als es zur Feststellung von Sachverhaltselementen, insbesondere zur Sicherung von Spuren am Unfallsort oder sonstiger konkreter Beweismittel, aber auch zur Person des beteiligten Fahrzeuglenkers erforderlich ist, so etwa, ob er zur Lenkung des am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeugs berechtigt war oder ob er äußerlich den Anschein erweckt, dass er sich geistig oder körperlich in einem zur Lenkung eines Kraftfahrzeuges geeigneten Zustand befindet (VwGH 15.5.1990, 89/02/0164).

Im Beschwerdefall waren nun den an der Unfallstelle verbleibenden Personen weder persönliche Daten des Beschwerdeführers, noch seine Lenkberechtigung bekannt, auch die geistige und körperliche Eignung des Beschwerdeführers zur Lenkung eines Kraftfahrzeugs konnte durch die Exekutive nicht mehr vor Ort geklärt werden. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien kommt ein Lenker seiner Mitwirkungspflicht nicht bloß dadurch nach, dass er dem Ablichten seines Kennzeichens zustimmt, könnte ein Fahrzeug doch auch widerrechtlich verwendet werden oder eine in der Folge betriebene Lenkererhebung aus sonstigen Gründen ergebnislos bleiben. Damit könnte ein Beteiligter am Verkehrsunfall nie ausfindig gemacht werden. Die Feststellung der körperlichen und geistigen Verfassung des Beschwerdeführers zum Unfallzeitpunkt – etwa durch einen standardmäßigen Alkomattest – unterblieb jedenfalls dauerhaft durch sein Entfernen von der Unfallstelle.

3.1.4.  Dem Beschwerdeführer ist somit durch das Verlassen der Unfallstelle vor Eintreffen der Exekutive eine Verletzung der Mitwirkungspflicht des § 4 Abs. 1 lit. c StVO vorzuwerfen. Der Beschwerdeführer hat iSd § 5 Abs. 1 VStG keine Umstände glaubhaft gemacht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Es wäre ihm möglich und zumutbar gewesen, an der Unfallstelle das Eintreffen der Exekutive abzuwarten.

3.2.    Übertretung des § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO:

3.2.1.  Der Beschwerdeführer hat unzweifelhaft nicht die nächste Polizeidienststelle vom Verkehrsunfall verständigt. Der Beschwerdeführer hat eine solche Verständigungspflicht nach der genannten Bestimmung aber in Abrede gestellt, weil bei dem Verkehrsunfall niemand verletzt worden sei.

3.2.2.  Die Verständigungspflicht nach § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO wird nicht nur durch äußere, auch für einen medizinischen Laien ohne weitere Untersuchung sofort erkennbare Verletzungen ausgelöst, weshalb sich aus dieser Bestimmung für die im Abs. 1 dieser Gesetzesstelle genannten Personen die Verpflichtung ergibt, sich bei einem Verkehrsunfall, der zwar keine äußerlich feststellbaren Verletzungen zur Folge gehabt hat, dessen Verlauf aber nach der allgemeinen Lebenserfahrung den Eintritt äußerlich nicht erkennbarer Verletzungen erwarten lässt, durch eine Befragung der Betracht kommenden Personen nach einer allfälligen Verletzung eine diesbezügliche Gewissheit zu verschaffen. Sind keine Verletzungen erkennbar und wird die Frage nach Verletzungen verneinend beantwortet, so besteht keine Verständigungspflicht im Sinne des § 4 Abs. 2 StVO, sofern die Frage nicht an Personen gerichtet wird, von denen schon nach dem äußeren Anschein angenommen werden muss, dass sie nicht in der Lage sind, den Inhalt oder die Tragweite ihrer Erklärung zu erkennen (VwGH 11.05.1984, 83/02/0515; und 5.9.1986, 85/18/0393). Die Verständigungspflicht besteht auch bei Vorliegen "nicht nennenswerter" Verletzungen (Pürstl, StVO-ON14.01, § 4 StVO, E 94).

3.2.3.  Dem Beschwerdeführer ist zuzugestehen, dass bei dem Verkehrsunfall keine offensichtlichen Verletzungen einzelner Beteiligter zutage getreten sind und er sich zumindest bei einer der beteiligten Personen erkundigt hat, ob jemand verletzt worden sei. Der Beschwerdeführer hat sich aber nicht persönlich bei allen potentiell Verletzten nach ihrem Gesundheitszustand erkundigt und hatte durch sein rasches Entfernen von der Unfallstelle auch keine Möglichkeit, den weiteren Zustand der einzelnen Betroffenen wahrzunehmen. Wäre er an der Unfallstelle verblieben, wozu er gemäß § 4 Abs. 1 lit. c StVO verpflichtet war, hätte er von den zunehmenden Kopfschmerzen der Zeugin Mag.a M. Kenntnis erlangt.

In seinem Erkenntnis vom 16. April 1997, 96/03/0370, hat der Verwaltungsgerichtshof die Verständigungspflicht nach § 4 Abs. 2 StVO bereits dann ausgelöst gesehen, wenn ein Unfalllenker Stunden nach dem Unfall einen Anruf bekommt, einem Unfallbeteiligten sei jetzt "schlecht", weshalb ein Krankenhaus aufgesucht werde. Umso mehr muss die Verständigungspflicht in der vorliegenden Konstellation angenommen werden, in welcher eine in den Unfall verwickelte Person noch an der Unfallstelle über Kopfschmerzen klagte und unmittelbar im Anschluss ein Krankenhaus aufsuchte, wovon der Beschwerdeführer nur deshalb nicht Kenntnis erlangte, weil er sich rasch von der Unfallstelle entfernte und sich auch nicht bei allen Beteiligten erkundigte, ob sie verletzt seien. Im Übrigen genügt der – nicht offenbar unbegründete – Verdacht, dass eine andere Person verletzt worden sein könnte, zum Entstehen der Verständigungspflicht (VwGH 22.3.1991, 90/18/0266). Es kann daher im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob die Zeugin Mag.a M. letztlich eine Verletzung durch den Verkehrsunfall erlitten hat, weil ein solcher Verdacht angesichts ihrer zunehmenden Kopfschmerzen zumindest nicht offenbar unbegründet war.

3.2.4.  Aus diesen Gründen ist dem Beschwerdeführer eine Verletzung des § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO anzulasten. Er hat auch in diesem Zusammenhang iSd § 5 Abs. 1 VStG keine Umstände glaubhaft gemacht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Es wäre ihm möglich und zumutbar gewesen, sich bei allen Beteiligten ernsthaft über mögliche Verletzungen zu informieren bzw. solange an der Unfallstelle zu verbleiben, bis eine Verletzung einer Person definitiv auszuschließen war.

3.2.5.  Zur Strafbemessung:

Gemäß § 19 Abs. 1 VStG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat.

Gemäß § 19 Abs. 2 VStG sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechts sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Die Milderungs- und Erschwerungsgründe sind im Verwaltungsstrafgesetz nicht taxativ aufgezählt. Auch die Dauer eines strafbaren Verhaltens kann im Rahmen der Strafbemessung maßgebend sein (VwGH 12.12.1995, 94/09/0197). Bei der Strafbemessung kommt es gemäß § 19 Abs. 2 letzter Satz VStG – unter anderem – auf die Einkommensverhältnisse im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht an. Die Strafbemessung setzt entsprechende Erhebungen dieser Umstände durch das Verwaltungsgericht voraus, wobei allerdings in der Regel mit den Angaben des Beschuldigen das Auslangen zu finden sein wird (vgl. zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 VwGH 22.12.2008, 2004/03/0029 mwN).

Der Beschwerdeführer ist verwaltungsstrafrechtlich unbescholten, dieser Umstand ist – wie schon von der belangten Behörde – mildernd zu werten, erschwerend ist – anders als noch von der belangten Behörde angenommen – kein Umstand zu werten. Dem Beschwerdeführer ist angesichts der konkreten Tatumstände der ihm anzulastenden Sorgfaltswidrigkeit durchschnittliches Verschulden vorzuwerfen. Es wäre ihm möglich und zumutbar gewesen, das Eintreffen der Exekutive vor Ort abzuwarten, sich umfassend über den Gesundheitszustand der anderen Beteiligten zu informieren und die nächste Polizeidienststelle zu informieren. Da das Verwaltungsgericht nunmehr einen von der belangten Behörde herangezogenen Erschwerungsgrund nicht berücksichtigt, sind die verhängten Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen – auch angesichts der ungünstigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers – deutlich auf ein schuld- und tatangemessenes Maß zu reduzieren.

4.       Angesichts dieser eben genannten Strafzumessungsgründe wie auch angesichts der Bedeutung der von § 4 Abs. 1 lit. c und § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO geschützten Rechtsgüter scheidet eine Ermahnung im Beschwerdefall mangels Erfüllung der in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Voraussetzungen aus.

 

5.       Im Ergebnis ist das angefochtene Straferkenntnis dem Grunde nach zu bestätigen, hinsichtlich der Strafhöhe ist der Beschwerde teilweise stattzugeben.

Der gemäß § 64 VStG von der belangten Behörde vorgeschriebene Kostenbeitrag und der zu zahlende Gesamtbetrag sind dementsprechend anzupassen.

6.       Für das Beschwerdeverfahren waren dem Beschwerdeführer infolge seines teilweisen Obsiegens gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keine Kosten aufzuerlegen.

7.       Die ordentliche Revision ist unzulässig, da im Beschwerdefall keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Verwaltungsgericht Wien hat sich bei seiner Entscheidung, insbesondere betreffend die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 lit.  c bzw. § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO an der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiert. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

Verkehrsunfall; ursächlicher Zusammenhang; Mitwirkungspflicht; Verständigungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.031.032.15632.2018

Zuletzt aktualisiert am

18.07.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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