TE Lvwg Erkenntnis 2019/6/6 LVwG-S-300/001-2019

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Veröffentlicht am 06.06.2019
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Entscheidungsdatum

06.06.2019

Norm

StVO 1960 §16 Abs1 lita
StVO 1960 §16 Abs2 litb

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Dr. Kühnel als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn A, vertreten durch B Rechtsanwälte in ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld vom 11.01.2019 , Zl. ***, zu Recht:

1.   Die Beschwerde wird gemäß § 50 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtsverfahrens-gesetzes (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

2.   Der Beschwerdeführer hat gemäß § 52 Abs. 1 und 2 VwGVG einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in der Höhe von 28,-- Euro zu leisten.

3.   Gemäß § 25a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) ist gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) nicht zulässig.

Zahlungshinweis:

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher 188,-- Euro und ist gemäß § 52 Abs. 6 VwGVG iVm § 54b Abs. 1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, (VStG) binnen zwei Wochen einzuzahlen.

Entscheidungsgründe:

1.   Maßgeblicher Verfahrensgang:

1.1. Das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer, Herrn A, gründet sich auf die bei der Polizeiinspektion *** erstattete Anzeige vom 28.03.2018, GZ-P: ***, wegen zweier Verstöße gegen die StVO 1960 (Überholen eines Fahrzeuges vor einer unübersichtlichen Stelle [Kurve] und Gefährdung eines anderen Straßenbenützers beim Überholen).

Die Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld forderte nach Durchführung der Lenkererhebung den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18.04.2018 zur Rechtfertigung auf. Der Beschwerdeführer bestritt durch seine Rechtsvertretung in der Rechtfertigung vom 04.05.2018 Zeit und Ort der Tat und stellte Beweisanträge. Der Anzeigenleger bekräftigte in seiner zur Rechtfertigung abgegebenen Stellungnahme vom 11.05.2018 den Inhalt der Privatanzeige und legte Lichtbilder betreffend die Tatörtlichkeit vor.

In der Stellungnahme vom 22.05.2018 behauptete der Beschwerdeführer, der Beginn des Überholvorganges sei entgegen den Angaben des Anzeigelegers bei Straßenkilometer *** erfolgt und sei der Überholvorgang bei Straßenkilometer *** längst beendet gewesen.

Am 18.07.2018 erfolgte durch die Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld die Einvernahme des Anzeigelegers als Zeuge, wobei dieser angab, dass der Lenker des ihn überholenden Fahrzeuges vor der unübersichtlichen Rechtskurve bei Straßenkilometer *** zum Überholen angesetzt habe.

Im Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld erstellte der verkehrstechnische Amtssachverständige C das verkehrstechnische Gutachten vom 24.07.2018.

Nach der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 03.08.2018 erfolgte dazu die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 14.08.2018 und in der Folge mit Schreiben vom 17.09.2018 die Vorlage des verkehrstechnischen Gutachtens des Sachverständigen D vom 10.09.2018.

1.2. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld vom 11.01.2019 wurde der Beschwerdeführer wie folgt für schuldig befunden:

„Sie haben folgende Verwaltungsübertretungen begangen:

Zeit:     22.03.2018, 07:20 Uhr

Ort:       Gemeindegebiet ***, auf der Landesstraße ***,

Strkm. ***, in Fahrtrichtung ***

Fahrzeug:  *** Personenkraftwagen

Tatbeschreibung:

 

1.   Sie haben vor einer unübersichtlichen Straßenstelle (Kurve) überholt, obwohl die Fahrbahn nicht durch eine Sperrlinie geteilt war.

2.   Sie haben ein Fahrzeug überholt, wobei andere Straßenbenützer gefährdet wurden, weil der überholte Fahrzeuglenker unverzügich seine Fahrgeschwindigkeit verringerte, um den gefährlichen Überholvorgang schnellstmöglich zu beenden.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

 

zu 1.   § 16 Abs. 2 lit.b, § 99 Abs. 3 lit.a StVO 1960

zu 2.   § 16 Abs. 1 lit.a, § 99 Abs. 3 lit.a StVO 1960“

Über den Beschwerdeführer wurden deshalb Geldstrafen in der Höhe von jeweils 70,-- Euro (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 32 Stunden) verhängt. Zusätzlich wurde ein Kostenbeitrag in Höhe von insgesamt 20,-- Euro vorgeschrieben.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der im Verfahren einvernommene Anzeiger und Zeuge E anhand von Lichtbildern und der Angabe von Straßenkilometern die Tatörtlichkeit genauestens beschrieben habe und ausgehend von den Angaben des Anzeigers dem Gutachten des Amtssachverständigen für Verkehrstechnik C zu folgen gewesen sei.

An den Aussagen des Zeugen E sei nicht zu zweifeln, da der Zeuge seit knapp 20 Jahren als Polizist im exekutiven Außendienst tätig sei, Mitglied der Verkehrsdienstgruppe *** und Polizeimotorradfahrer sei und aufgrund dieser Sonderverwendung vorwiegend im Verkehrsdienst tätig sei. Aufgrund dieser besonderen Eignung sei es dem Zeugen zuzumuten, Zeit und Ort der Tat genauestens anzugeben. Der Zeuge habe in seiner 20-jährigen Polzeitätigkeit erst zwei Privatanzeigen erstattet und würde er nur schwerwiegende Verwaltungsübertretungen privat zur Anzeige bringen. Es wäre unerfindlich, welche Umstände den Anzeigenleger veranlasst haben sollten, zum Nachteil des Beschwerdeführers falsche Angaben zu machen, zumal dem Zeugen diesfalls massive rechtliche Folgen drohten.

Anders als ein Beschuldigter unterliege der Zeuge der Wahrheitspflicht und es könne die Verwaltungsübertretung auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers als erwiesen angenommen werden. Die Rechtfertigung sei nicht geeignet, den Beschwerdeführer von Schuld und Strafe zu befreien. Die verhängte Geldstrafe sei sowohl aus spezial- als auch aus generalpräventiven Gründen angemessen. Von einem durchschnittlichen Einkommen von 1,400,-- Euro und keinem Vermögen sei ausgegangen worden.

1.3. In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde wird vom Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:

Der Beschwerdeführer habe entgegen der Annahme der belangten Behörde den Überholvorgang ab Straßenkilometer *** vorgenommen, weil dort das Überholen möglich sei, und der Anzeigenleger mit rund 50 km/h gefahren sei. Aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Privatgutachten ergebe sich, dass bei einem Überholbeginn bei Kilometer *** freie Sicht nach vorne auf 400 m sei. Der Überholvorgang sei nach 9 Sekunden bzw. 170 m abgeschlossen. Bei dieser Situation ergebe sich auch, dass trotz eines entgegenkommenden Fahrzeuges mit 100 km/h der Überholvorgang abgeschlossen sei, ohne einen anderen Verkehrsteilnehmer zu behindern oder zu gefährden. Die Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld habe dieses Gutachten für nicht geeignet bezeichnet, das vom Amtssachverständigen erstellte Gutachten zu entkräften. Der Amtssachverständige habe den Beschwerdeführer vor Erstellung von Befund und Gutachten nicht gehört. Hätte der Amtssachverständige den Beschuldigten vor Erstellung von Befund und Gutachten gehört, wäre er zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beschwerdeführer sein Überholmanöver bei Kilometer *** begonnen habe, wo Sicht für 400 m sei und zum Überholvorgang 9 Sekunden bzw. 170 m benötigt würden. Er hätte damit den Gegenverkehr nicht behindert. Das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers sei verletzt worden. Das Gutachten des Amtssachverständige müsse unrichtig sein, wenn er sein Gutachten mache, ohne den Beschwerdeführer zu hören.

Der Amtssachverständige könne rechnen was er wolle, seine Befundaufnahme sei unrichtig, weil er den Beschwerdeführer vor der Befundaufnahme nicht gehört habe.

Festgestellt worden sei, der Beschwerdeführer habe bei Straßenkilometer *** zum Überholen angesetzt. Bei Straßenkilometer *** habe er sich auf der Gegenfahrbahn befunden. Um den Überholvorgang schnellst möglich zu beenden, habe E unverzüglich seine Fahrgeschwindigkeit verringert.

Aus den Feststellungen ergebe sich, dass der Beschwerdeführer bei Straßenkilometer *** zum Überholen angesetzt habe und er sich bei *** (also nach 100 m) auf der Gegenfahrbahn befunden habe.

Wenn ein Fahrzeug vom rechten auf den linken Fahrstreifen fahre, brauche es 2,5 Sekunden unabhängig von der Geschwindigkeit. 100 m seien zurückgelegt worden,

um vom rechten und auf den linken Fahrstreifen zu kommen. Das bedeute, in 2‚5 Sekunden sei der Beschwerdeführer 100 m gefahren. Das ergebe dann in 10 Sekunden 400 m. In 60 Sekunden sei er 2,4 km gefahren. In 60 Minuten sei er dann 144 km/h gefahren. Nirgends sei die Rede, dass der Beschuldigte mit 144 km/h gefahren sei bzw. auf 144 km/h fahren hätte können.

Festgestellt sei nur, dass der Beschwerdeführer zum Überholen angesetzt habe und bei Straßenkilometer *** die Gegenfahrbahn erreicht habe. Es sei nicht festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer dann weitergefahren wäre und das Fahrzeug des E überholt hätte. Es sei nur festgestellt worden, um den Überholvorgang abzuwenden, habe E unverzüglich seine Geschwindigkeit verringert. Wo und in welcher Weise aber der Beschwerdeführer weitergefahren sei, ob er das Fahrzeug des E überholt habe oder ob er sich auf den rechten Fahrstreifen zurückfallen lassen habe, sei nicht festgestellt worden.

Festgestellt worden sei, dass E mit 80 km/h gefahren sei. Welche Geschwindigkeit der Beschwerdeführer eingehalten habe, sei nicht genannt worden. Im Spruch sei nur der Tatort mit Straßenkilometer *** genannt. Mit Straßenkilometer *** alleine lasse sich ein Überholvorgang nicht definieren. Es fehlten Beginn und Ende des Überholvorganges.

Der Spruch sei rechtlich verfehlt. Dass tatsächlich ein Überholvorgang stattgefunden habe, sei nicht festgestellt worden. In der Tatbeschreibung heiße es, der Beschuldigte habe ein Fahrzeug überholt, wobei andere Straßenbenützer gefährdet worden seien, weil der überholte Fahrzeuglenker unverzüglich seine Fahrgeschwindigkeit verringert habe. Das bedeute, andere Straßenbenützer seien gefährdet worden, weil der überholte Fahrzeuglenker unverzüglich seine Fahrgeschwindigkeit verringert habe. Das heiße, die Gefährdung anderer Straßenbenützer sei darauf zurückzuführen, dass der überholte Fahrzeuglenker (E) unverzüglich seine Geschwindigkeit verringert habe. So etwas sei wohl strafbar. Wenn also der überholte Fahrzeuglenker E unverzüglich seine Geschwindigkeit verringert habe, wobei dadurch andere Straßenbenützer gefährdet worden seien, dann wäre wohl E zu belangen, aber nicht der Rechtsmittelwerber. Andere Fahrzeuglenker seien aber nicht hier gewesen. Der Tatbestand sei deswegen nicht gegeben.

Der Beschwerdefüher beantragte die Vernehmung des Beifahres des Beschwerdeführers als Zeugen zum Beweis dafür, dass der Zeuge E während des Überholvorganges beschleunigt habe.

E habe rechtswidrig und auch schuldhaft gehandelt, da während eines Überholvorganges das Beschleunigen des eigenen Fahrzeuges verboten sei.

Schon allein der Umstand, dass E nicht mit Gewissheit angeben habe können, dass eine Person am Beifahrersitz gesessen sei, zeige, dass die Aussagen des Anzeigers E in Bezug auf die einzelnen Positionen eines Überholvorganges, wie sie von E behauptet worden seien, unrichtig seien.

Zusammengefasst beantragte der Beschwerdeführer in Stattgebung der Beschwerde das angefochtene Straferkenntnis dahingehend abzuändern, dass das Verfahren nach § 45 VStG eingestellt werde.

1.4. Die belangte Behörde legte dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den Verwaltungsstrafakt mit dem Ersuchen um Entscheidung vor.

1.5. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich führte in der vorliegenden Rechtssache am 22.03.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Im Rahmen dieser Verhandlung wurde der Beschwerdeführer, der Zeuge F und der bereits von der belangten Behörde einvernommene Zeuge E einvernommen.

2.   Feststellungen und Beweiswürdigung:

2.1. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich geht von folgenden maßgeblichen Feststellungen aus:

Der Beschwerdeführer lenkte am 22.03.2018, 07:20 Uhr, den PKW (ein Fahrschulfahrzeug) mit dem behördlichen Kennzeichen ***, im Gemeindegebiet von *** auf der Landesstraße *** in Fahrtrichtung ***.

Etwa bei Straßenkilometer *** befand sich der Beschwerdeführer mit seinem PKW neben dem Fahrzeug des Zeugen E und überholte der Beschwerdeführer in einer unübersichtlichen Rechtskurve sodann den von E mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/h gelenkten PKW mit dem behördlichen Kennzeichen ***.

Die Sichtweite verringert sich im Bereich zwischen Straßenkilometer *** und *** von ca. 300 m auf ca. 150 m. Bei Straßenkilometer *** beträgt die Sichtweite ca 130 m.

In diesem Bereich (Freiland) ist eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erlaubt.

Die zu erwartende Fahrgeschwidigkeit des Gegenverkehrs im Bereich von Straßenkilometer *** bis *** beträgt 100 km/h.

Für das Überholen eines mit 80 km/h fahrenden Fahrzeuges ist bei Einhaltung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h eine Überholsichtweite von 550 bis 600 m erforderlich.

Der Lenker des überholten Fahrzeuges, E, hat unmittelbar nach dem Erkennen des Überholmanövers des Beschwerdeführers sein Fahrzeug wegen der Gefährdung durch eventuell entgegenkommende Fahrzeuge stark abgebremst, sodass der Überholvorgang des Beschwerdeführers so schnell wie möglich abgeschlossen werden konnte.

2.2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen gründen sich auf die Inhalte des vorliegenden Verwaltungsstrafaktes der belangten Behörde und des Gerichtsaktes des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, und auf die Ergebnisse der durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung.

Dass die erforderliche Sichtweite für die gefahrlose Durchführung des Überholmanövers nicht vorgelegen ist, ergibt sich eindeutig und schlüssig aus dem verkehrstechnischen Gutachten des Amtssachverständigen C vom 24.07.2018.

Soweit der Beschwerdeführer angibt, das Überholmanöver ab Straßenkilometer *** durchgeführt und bei Straßenkilometer *** bereits abgeschlossen zu haben, so steht dem die Aussage des Zeugen E entgegen. Dieser hat in Übereinstimmung mit seiner Anzeige auch in der Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht am 30.04.2019 eindeutig ausgesagt, dass der Überholvorgang in der unübersichtlichen Rechtskurve bei Straßenkilometer *** der ***, ungefähr 100 m vor dem Beginn des Waldes stattgefunden hat.

Die Angaben des Beschwerdeführers erkennt das Landesverwaltungsgericht als Schutzbehauptung um einer Bestrafung zu entgehen.

In der Verhandlung bezeichnete der Zeuge E die Stelle, an der er das überholende Fahrzeug erstmals bemerkte, zwar etwa bei Straßenkilometer *** (siehe Beilage 3 der Verhandlungsschrift). Diese Abweichung (50 m) ist jedoch daraus zu erklären, dass das ihm vorgelegte Luftbild aus „GoogleMaps“ selbst keinerlei Kilometrierungsangaben enthält und der gefragte Ort nur ungefähr bezeichnet werden sollte und konnte. Somit deckt sich dieser bezeichnete Ort auch im Wesentlichen mit seinen Angaben in der Anzeige und in seiner Stellungnahme gegenüber der belangten Behörde vom 11.05.2018.

Auch wenn in der Verhandlung der Zeuge F das Vorbringen des Beschwerdeführers bestätigt, das überholte Fahrzeug habe während des Überholmanövers beschleunigt, so sagt dies nichts zum tatsächlichen Ort des Überholmanövers aus.

Die Glaubwürdigkeit des Zeugen E wird dadurch nicht erschüttert, wenn dieser aussagt, während des Überholvorganges nicht beschleunigt zu haben, sondern im Gegenteil vielmehr abgebremst zu haben, sobald er den Überholvorgang bemerkte.

Wie auch aus der Einvernahme des Zeugen E in der mündlichen Verhandlung hervorgeht, hat er das Überholmanöver erst bemerkt, als das überholende Fahrzeug sich (ca. bei Straßenkilometer ***) neben seinem befand.

Es ist nicht auszuschließen, dass vor diesem Zeitpunkt eine Beschleunigung des zu überholenden Fahrzeuges erfolgt ist und somit auch die Beobachtung des F zutreffend ist.

Festzuhalten ist, dass der Zeuge E nach Wahrheitserinnerung und entsprechender Belehrung unter Wahrheitspflicht ausgesagt hat und keinen unglaubwürdigen Eindruck hinterlassen hat.

Für das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich sind keine Gründe zu erkennen, weshalb der Zeuge E den Beschwerdeführer wahrheitswidrig mit einer falschen Anzeige und Zeugenaussage belasten sollte.

Der Verantwortung des Beschwerdeführers kann vor dem Hintergrund der Aussage des Zeugen E nicht gefolgt werden.

Das vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgelegte verkehrstechnische Gutachten des D vom 10.09.2018, geht anders als das Beweisverfahren ergeben hat, davon aus, dass das Überholmanöver nach den Angaben des Beschwerdeführers bereits bei Straßenkilometer *** angesetzt wurde und das überholte Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von lediglich 50 km/h unterwegs war. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Gutachten kann daher entfallen.

Es sind daher – mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren notwendigen Sicherheit – die unter Punkt 2.1. ersichtlichen Feststellungen zu treffen.

3.   Maßgebliche Rechtslage:

3.1. § 16 der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159/1960 in der Fassung BGBl. Nr. 518/1994, (StVO 1960) lautet:

„§ 16. Überholverbote.

(1) Der Lenker eines Fahrzeuges darf nicht überholen:

a)

wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist,

b)

wenn der Unterschied der Geschwindigkeiten des überholenden und des eingeholten Fahrzeuges unter Bedachtnahme auf allenfalls geltende Geschwindigkeitsbeschränkungen für einen kurzen Überholvorgang zu gering ist,

c)

wenn er nicht einwandfrei erkennen kann, daß er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern,

d)

auf und unmittelbar vor Schutzwegen und Radfahrerüberfahrten, sofern der Verkehr in einem solchen Bereich nicht durch Arm- oder Lichtzeichen geregelt wird.

(2) Außer in den im Abs. 1 angeführten Fällen darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen:

a)

mehrspurige Kraftfahrzeuge auf Straßenstrecken, die durch das Vorschriftszeichen „Überholen verboten“ gekennzeichnet sind; es darf jedoch überholt werden, wenn rechts zu überholen ist“,

b)

bei ungenügender Sicht und auf unübersichtlichen Straßenstellen, z. B. vor und in unübersichtlichen Kurven und vor Fahrbahnkuppen; es darf jedoch überholt werden, wenn die Fahrbahn durch eine Sperrlinie (§ 55 Abs. 2) geteilt ist und diese Linie vom überholenden Fahrzeug nicht überragt wird,

c)

mehrspurige Fahrzeuge auf Kreuzungen, auf denen der Verkehr nicht durch Arm- oder Lichtzeichen (§ 36) geregelt wird; es darf jedoch überholt werden, wenn die Kreuzung auf einer Vorrangstraße durchfahren wird oder wenn rechts zu überholen ist (§ 15 Abs. 2),

d)

überholende mehrspurige Fahrzeuge; es darf jedoch überholt werden

1.

auf der Autobahn, wenn getrennte Fahrbahnen vorhanden sind, die in der Fahrtrichtung mindestens drei Fahrstreifen aufweisen,

2.

auf anderen Straßen, wenn die Fahrbahn durch eine Sperrlinie (§ 55 Abs. 2) geteilt ist, in der Fahrtrichtung mindestens drei durch Leitlinien (§ 55 Abs. 3) gekennzeichnete Fahrstreifen aufweist und die Sperrlinie vom überholenden Fahrzeug nicht überragt wird.

(3) Ob und inwieweit das Überholen im Bereich schienengleicher Eisenbahnübergänge verboten ist, richtet sich nach den eisenbahnrechtlichen Vorschriften.“

3.2. § 99 Abs. 3 lit.a StVO 1960 als maßgebliche Strafbestimmung lautet:

„§ 99. Strafbestimmungen.

[…]

(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen,

a) wer als Lenker eines Fahrzeuges, als Fußgänger, als Reiter oder als Treiber oder Führer von Vieh gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs. 1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 2c, 2d, 2e oder 4 zu bestrafen ist,“

4.   Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich:

4.1. Zur Strafbarkeit des Beschwerdeführers:

4.1.1. Zum Vorwurf der Übertretung des § 16 Abs. 2 lit. b StVO (Spruchpunkt 1 des bekämpften Straferkenntnisses):

Gemäß § 16 Abs. 2 lit. b StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges, bei ungenügender Sicht und auf unübersichtlichen Straßenstellen, z.B. vor und in unübersichtlichen Kurven und vor Fahrbahnkuppen nicht überholen. Gemäß Abs. 2 lit. b besteht vor und in einer unübersichtlichen Kurve Überholverbot (VwGH 17.10.1963, ZVR 1964/94; Grundtner, StVO, Bd I, § 16, zu Abs 2 lit b, E6).

Das Überholverbot des § 16 Abs. 2 lit. b StVO gilt bei den dort aufgezählten Gegebenheiten absolut und unabhängig davon, ob Gegenverkehr vorhanden ist oder nicht. Der Überholvorgang muss vor der unübersichtlichen Kurve abgeschlossen sein (VwGH 29.05.1974, 1391/73 ZVR 1975/31).;

Der Beschwerdeführer hat den ihm zur Last gelegten Überholvorgang in einer unübersichtlichen Kurve durchgeführt und somit den objektiven Tatbestand des § 16 Abs. 2 lit. b StVO erfüllt.

4.1.2. Zum Vorwurf der Übertretung des § 16 Abs. 1 lit. a StVO (Spruchpunkt 2 des bekämpften Straferkenntnisses):

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht der nach § 99 Abs 3 lit a StVO iVm § 16 Abs 1 lit a StVO strafbare Tatbestand darin, dass der Lenker eines Fahrzeuges einen Überholvorgang ungeachtet dessen, dass andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden könnten, durchführt, d.h. mit dem Überholen beginnt oder dieses nicht abbricht, solange dies noch möglich ist (siehe VwGH 22.02.1989, Zl 88/03/0113, 06.03.1990, Zl 89/11/0183, 29.08.1990, Zl 90/02/0044, 17.04.1991, Zl 90/02/0171, 10.09.1993, Zl 93/02/0003, 30.05.2001, Zl 99/11/0221).

Obwohl der Beschwerdeführer wahrnehmen konnte, dass dem Beschwerdeführer wegen der nicht ausreichenden Überholsichtweite bereits zu Beginn des Überholvorganges eine mögliche Gefährdung oder Behinderung der Insassen (Zeuge E und dessen damals achtjährige Tochter) des zu überholenden Fahrzeuges durch das Fortsetzen des Überholmanövers erkennbar sein hätte müssen, brach er das Überholmanöver – beispielsweise durch Abbremsen und Einordnen seines Fahrzeuges hinter dem zu überholenden Fahrzeug – nicht ab, sondern setzte seine Fahrt auf der Gegenfahrbahn fort, wodurch sich der Lenker des überholten Fahrzeuges genötigt sah, abrupt abzubremsen, um wegen der nicht ausreichenden Überholsichtweite einen möglichst frühzeitigen Abschluss des Überholmanövers zu ermöglichen, weil ein Zusammenstoß des überholenden Fahrzeuges des Beschwerdeführers mit einem entgegenkommenden Fahrzeug nicht auszuschließen war.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 20.11.1985, Zl. 84/03/0274, ausgesprochen hat, stellt die Verwaltungsvorschrift des § 16 Abs. 1 lit. a StVO in Ansehung des Tatbestandsmerkmales „anderer Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommender“ nicht schlechterdings auf deren Vorhandensein, sondern darauf ab, daß diese „gefährdet oder behindert werden könnten“.

Auf Grund des trotz nicht ausreichender Sichtweite erfolgten Überholmanövers des Beschwerdeführers in einer unübersichtlichen Rechtskurve waren die Personen im überholten Fahrzeug gefährdet. Der Lenker dieses Fahrzeuges wurde veranlasst zu bremsen, um den Überholvorgang so rasch wie möglich zu verkürzen.

Wie sich aus den getroffenen Feststellungen ergibt, hat der Beschwerdeführer die ihm angelastete Verwaltungsübertretung in objektiver Hinsicht begangen. Aus rechtlicher Sicht ist dabei darauf hinzuweisen, dass das Überholen schon dann zu unterlassen ist, wenn die Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung eines anderen Verkehrsteilnehmers gegeben ist (vgl. OGH 5.2.1970, 11 Os 133/69).

Da ein mangelndes Verschulden nicht glaubhaft gemacht wurde, hat der Beschwerdeführer die Verwaltungsübertretung auch zu verantworten (vgl. etwa VwGH 13.09.2016, Ra 2016/03/0060).

Die Strafbarkeit des Beschwerdeführers ist daher zu bejahen und es ist der Schuldspruch zu bestätigen.

4.2. Zur Strafhöhe:

Gemäß § 19 VStG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Im ordentlichen Verfahren sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 StGB sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Gemäß § 99 Abs. 3 lit.a StVO 1960 beträgt die gesetzliche Höchststrafe 726,-- Euro bzw. Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen.

Die vom Beschwerdeführer jedenfalls fahrlässig übertretenen Rechtsvorschriften dienen dem Schutz hochrangiger Interessen (vgl. etwa OGH 23.3.2007, 2 Ob 194/06b). Der Schutzzweck der Rechtsnorm wurde nicht bloß unerheblich beeinträchtigt und es ist ebenso auch ein bloß geringes Verschulden nicht zu erkennen.

Milderungsgründe liegen keine vor. Unbescholtenheit des Beschwerdeführers liegt auf Grund einer rechtskräftigen und nicht getilgten Bestrafung wegen einer Übertretung nach der StVO nicht vor. Ein sogenanntes „reumütiges Geständnis“ liegt nicht vor (vgl. etwa VwGH 23.05.2012, 2010/11/0156). Die bisherige Verfahrensdauer ist nicht als überlang zu werten und es liegt die Tathandlung auch noch nicht so lange zurück als dass von einem länger andauernden Wohlverhalten auszugehen wäre (vgl. VwGH 25.05.2007, 2006/02/0322).

Als Erschwerungsgrund ist zu werten, dass die Verwaltungsübertretungen vom Beschwerdeführer als Fahrlehrer im Beisein eines Fahrschülers der Fahrschule, bei der der Beschwerdeführer als Fahrlehrer tätig ist, begangen wurden.

Zu seinen Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnissen hat der Beschwerdeführer in der Verhandlung angegeben, dass er über ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen in Höhe von 1.200,-- Euro verfügt und keine Sorgepflichten hat. Der Beschwerdeführer war bis Ende des Jahres 2018 Fahrschullehrer. Seit 01.01.2019 befindet er sich in Pension. Gelegentlich arbeitet er noch aushilfsweise als Fahrschullehrer.

In einer Gesamtbetrachtung aller für die Strafbemessung maßgeblichen Umstände ist die im vorliegenden Fall festgesetzte Geldstrafe im Ausmaß von jeweils 70,-- Euro bzw. die Ersatzfreiheitsstrafe von jeweils 32 Stunden keinesfalls als zu hoch bemessen anzusehen, zumal die Strafe mit weniger als 10% der möglichen Höchststrafe ohnehin im unteren Bereich des Strafrahmens festgesetzt wurde (vgl. etwa VwGH 17.12.2007, 2003/03/0248). Auch soll nicht nur auf den Beschwerdeführer selbst spezialpräventiv eingewirkt werden, sondern es sollen durch die Strafe auch andere Normadressaten von der Begehung gleich gelagerter Verwaltungsstraftaten abgehalten werden (vgl. etwa VwGH 17.11.2004, 2002/09/0186).

Die Strafe wurde auch im gesamten Verfahren nicht substantiiert als überhöht bekämpft.

4.3. Zur Nichtanwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG (Einstellung bzw. Ermahnung):

Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG (Einstellung bzw. Ermahnung) ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Weder ist die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes noch die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat oder das Verschulden des Beschwerdeführers als dermaßen gering zu erkennen (vgl. allgemein etwa VwGH 20.11.2015, Ra 2015/02/0167; vgl. zum Begriff des „geringen Verschuldens“ etwa VwSlg. 16.030 A/2003).

4.4. Zur Kostenentscheidung:

Gemäß § 64 Abs. 2 VStG ist der Kostenbeitrag für das Verfahren erster Instanz mit 10% der verhängten Strafe, mindestens jedoch mit 10,-- Euro zu bemessen. Gemäß § 52 Abs. 1 VwGVG ist in jedem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes, mit dem ein Straferkenntnis bestätigt wird, auszusprechen, dass der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten hat. Dieser Betrag ist für das Beschwerdeverfahren mit 20% der verhängten Strafe, mindestens jedoch mit
10,-- Euro zu bemessen (§ 52 Abs. 2 VwGVG).

Ausgehend davon hat die belangte Behörde die Kosten für das Verfahren erster Instanz zu Recht mit insgesamt 20,-- Euro festgesetzt. Die Kosten für das Beschwerdeverfahren sind mit insgesamt 28,-- Euro festzusetzen.

4.5. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Derartige Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind im vorliegenden Fall weder vorgebracht worden noch sonst wie im Verfahren hervorgekommen. Die Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich folgen der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur (vgl. zur Strafbemessung als Ermessensentscheidung im Übrigen etwa VwGH 17.02.2015, Ra 2015/09/0008) und es ist das Vorliegen einer Rechtsfrage, die über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besäße, nicht zu erkennen (vgl. VwGH 04.08.2015, Ro 2015/02/0021). Eine öffentliche mündliche Verhandlung wurde durchgeführt.

Schlagworte

Verkehrsrecht; Straßenverkehr; Verwaltungsstrafe; Überholverbot; Gefährdung; Behinderung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2019:LVwG.S.300.001.2019

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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