TE OGH 2019/4/3 1Ob13/19x

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Veröffentlicht am 03.04.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L*****, geboren am ***** 2008, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Vaters M*****, vertreten durch Mag. Thomas Kaumberger, Rechtsanwalt in Pressbaum, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 2. Oktober 2018, GZ 23 R 98/18a-112, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Schwechat vom 23. Juli 2018, GZ 9 Pu 107/14g-105, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Abweisung des Mehrbegehrens des Kindes in Rechtskraft erwachsen sind, werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung als Teilbeschluss lautet:

„1. M***** ist schuldig, dem mj L***** für den Zeitraum 1. September 2015 bis 31. Dezember 2015 einen Unterhaltsbetrag von monatlich 164 EUR und für den Zeitraum 1. Jänner 2017 bis 31. Dezember 2017 einen Unterhaltsbetrag von monatlich 175 EUR zu zahlen.

Dieser rückständige Unterhalt von 2.756 EUR ist im Umfang von 2.250 EUR binnen 14 Tagen, die weiteren monatlichen Raten von je 250 EUR sind beginnend mit 1. Mai 2019 zu zahlen, wobei die letzte Rate am 1. Juli 2019 6 EUR beträgt. Bei Zahlungsverzug mit auch nur einer Rate wird der gesamte noch offene Rückstand sofort fällig.

2. Das Mehrbegehren des mj L*****, M***** sei schuldig, vom 1. Juni 2015 bis 31. August 2015 monatlich 260 EUR, vom 1. September 2015 bis 31. Dezember 2016 monatlich 96 EUR, vom 1. Jänner 2017 bis 31. Juli 2018 monatlich 85 EUR sowie ab 1. August 2018 monatlich 65 EUR zu zahlen, wird abgewiesen.“

Im Übrigen (hinsichtlich der Unterhaltsfestsetzung für den Zeitraum 1. Jänner 2016 bis 31. Dezember 2016 von monatlich 164 EUR, für den Zeitraum vom 1. Jänner 2018 bis 31. Juli 2018 von monatlich 175 EUR und ab 1. August 2018 bis auf weiteres von monatlich 195 EUR) werden die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird insofern an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Eltern des Zehnjährigen sind verheiratet, leben aber getrennt. Das Kind hat den hauptsächlichen Betreuungsort bei seiner Mutter. Die Eltern vereinbarten zwar grundsätzlich eine 50:50-Betreuung, jedoch betreute der Vater seinen Sohn in den Monaten August bis Dezember 2015 nur an 65 (von 153) Tagen, im Jahr 2016 an 159 (von 365) Tagen, im Jahr 2017 an 125 (von 365) Tagen sowie im Jänner 2018 an 14 (von 31) Tagen. Daraus errechnet sich ein Betreuungsverhältnis zwischen Vater und Mutter im Zeitraum August bis Dezember 2015 von 42 zu 58 %, für das Jahr 2016 von 43,5 zu 56,5 %, für 2017 von 34 zu 66 % und für Jänner 2018 von 45 zu 55 %. Durchschnittlich betrachtet beträgt die Betreuungsleistung des Vaters von August 2015 bis Jänner 2018 363 Tage von 914 Tagen; das entspricht einem Betreuungsverhältnis von 39,7 zu 60,3 %.

Der Vater hätte (im Hinblick auf sein Alter und seinen Gesundheitszustand) nach einer rund neunmonatigen Arbeitsplatzsuche Beschäftigungen gefunden, die ihm ein monatliches Nettoeinkommen von 1.400 EUR im Zeitraum 1. 9. 2015 bis 31. 12. 2016 und ab 1. 1. 2017 von 1.500 EUR (jeweils inklusive anteiliger Sonderzahlungen) ermöglicht hätten.

Der Sohn beantragte am 19. 9. 2017 – vertreten durch die Mutter –, seinen Vater ab 1. 6. 2015 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 260 EUR zu verpflichten. Sein Vater sei arbeitslos, hätte aber ab Juni 2015 einen monatlichen Verdienst von 1.500 EUR erzielen können. Er beteilige sich nicht an den finanziellen Ausgaben für ihn. Die Kosten für ihn trage seine Mutter alleine; diese zahle monatlich 165 EUR für den Hort, für die Ferienbetreuung pro Woche 115 EUR, Essen hiefür komme extra dazu, sämtliche Schulkosten von rund 35 EUR sowie Kleidung, Freizeitaktivitäten etc.

Der Vater wendete sich gegen diesen Antrag und brachte vor, er habe Rückenprobleme, sodass er nicht als Kellner arbeiten könne. Er werde derzeit vom Arbeitsmarktservice umgeschult. Er betreue seinen Sohn im Wesentlichen im gleichen Ausmaß wie die Mutter, trage für ihn keine Geldleistungen, außer jene, die mit dem Aufenthalt bei ihm verbunden seien. Einmalig habe er einen Judo- und Eislaufkurs bezahlt. Die Kosten für die Schule übernehme die Mutter. Später gab er an, für die Fahrtkosten des Kindes von der Schule zum Wohnort, für „Ferienhefte“, diversen Schulbedarf, Theaterabonnement, Kleidung, Wahlarztbesuche und Impfungen aufzukommen.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater für den Zeitraum 1. 9. 2015 bis 31. 12. 2016 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 164 EUR, vom 1. 1. 2017 bis 31. 7. 2018 von monatlich 175 EUR und ab 1. 8. 2018 von monatlich 195 EUR. „Die bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses fällig gewordenen Unterhaltsbeträge“ seien in 24 monatlichen Raten (23 Raten zu je 250 EUR und die letzte Rate zu 199 EUR) beginnend ab 1. 8. 2018 zu zahlen. Bei Zahlungsverzug auch nur mit einer Rate werde der gesamte noch offene Rückstand sofort fällig (Punkt 1.). Das Mehrbegehren wies es – unbekämpft und daher rechtskräftig – ab (Punkt 2.). Das Erstgericht ging davon aus, dass die Eltern eine gleichteilige Betreuung vereinbart hätten, die Mutter das Kind vom Hort zum Fußballtraining sowie an den Wochenenden zum Match und dann zum Vater bringe. Der Vater trage jene Aufwendungen für das Kind, die in der Zeit des Aufenthalts bei ihm anfallen. Er habe das Kind über das übliche Maß hinaus – aber deutlich weniger als die Mutter –betreut; daher seien seine nach der üblichen Prozentmethode errechneten Unterhaltsbeträge um 35 % zu reduzieren.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Rechtlich führte es aus, von einer gleichteiligen Betreuung könne nur dann gesprochen werden, wenn das Verhältnis 4:3 nicht unterschritten werde. Dabei sei von den tatsächlichen Betreuungszeiten und nicht von den vereinbarten auszugehen, weil Unterhaltsleistungen tatsächliche Bedürfnisse abdecken sollten. Sofern Abweichungen vom vereinbarten Ausmaß der Betreuung auf das Verhalten des anderen Elternteils zurückzuführen seien, könne dies aufgrund des Unterhaltscharakters „der in Frage stehenden Leistungen“ nicht zu Lasten des Kindes gehen. Ausgehend von der durchschnittlichen Betreuungsleistung des Vaters von August 2015 bis Jänner 2018 an 363 von 914 Tagen (39,7 zu 60,3 %) habe er im „entscheidungswesentlichen Zeitraum“ keine nahezu gleichwertige Betreuung des Kindes übernommen. Das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell komme daher nicht zur Anwendung. Feststellungen zum Einkommen der Mutter und den von den Elternteilen jeweils getragenen Naturalleistungen (Ausgaben für das Kind) seien daher nicht von Relevanz. Die Reduktion der Unterhaltsleistung des Vaters um 35 % der nach der üblichen Prozentmethode errechneten Unterhaltsbeträge sei nicht korrekturbedürftig. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen seien die Voraussetzungen für eine Anspannung des Vaters im Hinblick auf sein Alter und seinen Gesundheitszustand gegeben. Die Auswirkung der steuerlichen Berücksichtigung der Familienbeihilfe bei der Berechnung seiner Unterhaltsverpflichtung befinde sich im „Rundungsbereich“, sodass eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses unterbleiben könne.

Das Rekursgericht ließ nachträglich gemäß § 63 Abs 3 AußStrG den Revisionsrekurs zu den Fragen zu, ob das „betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell“ auch dann anzuwenden sei, wenn tatsächlich keine annähernd gleichen Betreuungsleistungen erbracht, diese aber vereinbart wurden, ob für die Anwendung des „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells“ zur Beurteilung der gleichteiligen Betreuung auf einen längeren Durchrechnungszeitraum oder aber auf die jeweiligen Kalenderjahre abzustellen sei und ob bei einem Betreuungsverhältnis von 39,7 zu 60,3 % das „betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell“ anwendbar sei.

Rechtliche Beurteilung

Der – vom Kind nicht beantwortete – Revisionsrekurs des Vaters ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig. Er ist auch teilweise im Sinn des primär gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Aktenwidrigkeit liegt etwa dann vor, wenn das Rekursgericht in seiner Entscheidung den Inhalt einer Parteienbehauptung oder eines Beweismittels unrichtig wiedergab und infolge dessen zur Feststellung eines fehlerhaften Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt gelangte (RIS-Justiz RS0007258).

Das Rekursgericht stellte die Anzahl der Kontakttage des Vaters anhand seiner (für den Zeitraum August 2015 bis Jänner 2018 vorgelegten) Zeitaufstellungen fest, wobei entsprechend der Judikatur des Obersten Gerichtshofs (5 Ob 2/12y; 1 Ob 23/18s) einzelne Stunden eines Aufenthalts des Minderjährigen bei ihm grundsätzlich keine Berücksichtigung fanden. Die vom Vater behauptete Aktenwidrigkeit betreffend seine Betreuungszeit im Zeitraum August 2015 bis einschließlich Dezember 2015 liegt daher nicht vor. Überdies kann dieser Revisionsrekursgrund nicht als Ersatz für eine im Verfahren dritter Instanz generell unzulässige Beweisrüge herangezogen werden (RIS-Justiz RS0117019).

2. Ausgehend von den Feststellungen, wonach der Vater (im Hinblick auf sein Alter und seinen Gesundheitszustand) nach einer rund neunmonatigen Arbeitsplatzsuche Beschäftigungen gefunden hätte, die ihm monatliche Nettoeinkünfte von 1.400 EUR im Zeitraum 1. 9. 2015 bis 31. 12. 2016 und ab 1. 1. 2017 von 1.500 EUR ermöglicht hätten, ist nicht zu beanstanden, dass er von den Vorinstanzen auf dieses Einkommen angespannt wurde, zumal er dagegen nichts Konkretes einwendet.

3.1. Die Anwendung des sogenannten „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells“, das zu einem Entfall des Geldunterhaltsanspruchs des Kindes führt, setzt nach der mittlerweile als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs voraus, dass die Betreuungs- und Naturalleistungen in etwa gleichwertig sowie die Einkommen der Eltern etwa gleich hoch sind oder jeweils einen über der „Luxusgrenze“ liegenden Unterhaltsanspruch zulassen. Ins Gewicht fallende Einkommensunterschiede führen zu einem Restgeldunterhaltsanspruch gegen den besser verdienenden Elternteil (1 Ob 158/15i mwN; RIS-Justiz RS0131331 [T2]; vgl RS0131786).

3.2. Der Oberste Gerichtshof hat anhand der festgestellten Betreuungstage ein Betreuungsverhältnis von 4:3 (4 Ob 206/15w = RIS-Justiz RS0130654), von 43 zu 57 % (4 Ob 16/13a) oder 55 zu 45 % (6 Ob 55/16f) als annähernd gleichwertig beurteilt. Einer Kritik im Schrifttum (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht7 104) folgend wurde bereits ausgesprochen, dass eine Differenz von einem Drittel zwischen den jeweiligen Betreuungsleistungen einen nicht unbeträchtlichen Abstand zu einer annähernd gleichteiligen Betreuung schafft (4 Ob 206/15w). In den Entscheidungen 8 Ob 89/17x, 10 Ob 58/18d und 5 Ob 189/18g lehnte der Oberste Gerichtshof die Ansicht ab, eine Betreuung sei bereits dann gleichwertig, wenn kein Elternteil mindestens zwei Drittel der Betreuungsleistung erbringt.

3.3. Zutreffend führte das Rekursgericht aus, dass nur von den tatsächlichen Betreuungszeiten und nicht von den vereinbarten auszugehen ist. Wenn der Vater im Revisionsrekurs die (nicht näher konkretisierte) Behauptung aufstellt, die Mutter hätte „die Betreuungstage mehrfach einseitig gekürzt“, ist ihm entgegenzuhalten, dass das Gesetz (§ 231 Abs 2 Satz 1 ABGB) nur auf die tatsächliche Betreuung des Kindes abstellt und beispielsweise nicht darauf, wem die Obsorge zukommt (RIS-Justiz RS0079242; zustimmend Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 [2015] Rz 75 [10.]). Es entspricht ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung, dass der Unterhaltspflichtige die Leistung von Geldunterhalt nicht mit dem Hinweis darauf verweigern kann, der andere Elternteil entziehe ihm widerrechtlich das Kind. Beim Geldunterhaltsanspruch handelt es sich um einen eigenen Anspruch des Kindes, der nicht durch das (allfällige rechtswidrige) Verhalten eines Elternteils geschmälert wird oder gar gänzlich erlischt (10 Ob 56/16g mwN = RIS-Justiz RS0047308 [T1] = RS0079242 [T3]).

3.4. Ist für vergangene Zeitabschnitte Unterhalt festzusetzen, dann ist die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen genau für diese Unterhaltsperioden zu ermitteln (vgl RIS-Justiz RS0053251 [T3]); maßgebend ist dabei der „jeweilige Zeitraum“, worunter regelmäßig das konkrete Kalenderjahr zu verstehen ist (6 Ob 89/17g mwN = RIS-Justiz RS0053251 [T21]). In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurde die Frage, welcher Zeitraum für die Beurteilung heranzuziehen ist, ob eine gleichteilige Betreuung stattfand, noch nicht ausdrücklich beantwortet. Abgestellt wurde jedoch auch bisher regelmäßig auf die durchschnittliche Betreuung innerhalb eines Jahres (zB 4 Ob 206/15w [Relation von 209 zu 156 Betreuungstagen]; 6 Ob 55/16f [200 zu 160 Betreuungstage]; 9 Ob 57/17y [Betreuung durch Vater an 142 Tagen im Jahr]; 10 Ob 58/18d [Betreuung des Kindes durch den Vater an 133 Tagen eines bestimmten Jahres]). Für die Beurteilung des Ausmaßes der Betreuung ist – wie auch bei der Beurteilung für die Vergangenheit geltend gemachten Unterhalts – grundsätzlich auf das jeweilige Kalenderjahr abzustellen und nicht auf einen längeren Durchrechnungszeitraum.

Ein längerer Durchrechnungszeitraum hinge einerseits von der Verfahrensdauer und andererseits vom Zeitraum des Unterhaltsbegehrens für vergangene Zeitabschnitte ab und wäre, wenn nicht auf die Betreuungssituation im einzelnen Kalenderjahr (oder auf die verlässliche Veränderung der Kontaktrechtssituation ab einem bestimmten Zeitpunkt während des Jahres) abgestellt würde, durchaus willkürlich. Würden beispielsweise die Elternteile beginnend mit Jahresanfang eines bestimmten Kalenderjahres die gleichteilige Betreuung vereinbaren und auch tatsächlich umsetzen, käme ab diesem Zeitpunkt bei einer Durchschnittsbetrachtung das „betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell“ nicht zur Anwendung, wenn im vorangegangenen Jahr der nichtbetreuende Elternteil das Kontaktrecht nur an den üblichen 80 Tagen in Anspruch nahm. Bei einer Durchschnittsbetrachtung der beiden Jahre hätte der nichtbetreuende Elternteil eine Betreuungsleistung an 262 (80 + 182 Tage) von 730 Tagen erbracht, woraus sich ein Betreuungsverhältnis von 36 zu 64 % errechnet. Diese pauschale Betrachtung suggeriert, dass der nichtbetreuende Elternteil keine gleichwertige Betreuungsleistung übernahm. Tatsächlich erbrachte er nur im ersten Jahr keine gleichwertige Betreuungsleistung, während im zweiten Jahr eine solche bei 182 Kontakttagen von 365 Tagen vorliegt (Betreuungsverhältnis 49,8 zu 50,2 %).

Maßgeblich ist daher im konkreten Fall einer vereinbarten gleichteiligen Betreuung – entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts – nicht die durchschnittliche Betreuungsleistung des Vaters im „entscheidungswesentlichen Zeitraum“, sondern regelmäßig die tatsächliche Betreuung im einzelnen Kalenderjahr. Für die zukünftigen Unterhaltsleistungen ist auf die konkrete Ausübung des Kontaktrechts in einem angemessenen Zeitraum vor der Beschlussfassung erster Instanz abzustellen.

3.5. Der Umfang der Betreuung durch Vater und Mutter für das „Rumpfjahr“ 2015 von 42 zu 58 % (vgl 5 Ob 2/12y: Betreuungsverhältnis von 154 zu 211 Tagen, somit 42 zu 58 % – kein gleichwertiges Betreuungsverhältnis) und für das Jahr 2017 von 34 zu 66 % ist nicht gleichwertig, sodass das „betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell“ für diese Zeiträume nicht zur Anwendung gelangt.

Dagegen könnte im Jahr 2016 bei einem Betreuungsverhältnis von 43,5 zu 56,5 % ein Wechsel zum „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell“ erfolgen (siehe Punkt 3.2.).

Obwohl die erstinstanzliche Entscheidung am 23. 7. 2018 erging, steht nur für Jänner 2018 die Betreuungsleistung des Vaters an 14 (von 31) Tagen und damit ein Betreuungsverhältnis von 45 zu 55 % fest. Für den Zeitraum Februar bis Juni 2018 wurden dagegen – was der Vater zutreffend als Feststellungsmangel rügt – keine Feststellungen getroffen. Feststellungen zur Kontaktrechtsausübung des Vaters im Jahr 2018 sowie in der Zeit bis zur neuerlichen Entscheidung erster Instanz, die für die zukünftige Unterhaltsfestsetzung maßgeblich sind, sind im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen.

3.6. Für das Jahr 2016 und, sofern sich für 2018 eine gleichwertige Betreuungsleistung des Vaters feststellen lässt, auch für diesen Zeitraum sind von den Tatsacheninstanzen aussagekräftige Feststellungen zu treffen, ob allfällige vom Vater erbrachte Naturalleistungen gleichwertig sind. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind nämlich die Voraussetzungen für die Anwendung des „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells“ nicht gegeben, wenn ein Elternteil über die gleichteilig mit dem anderen Elternteil ausgeübte Betreuung des Kindes hinaus im Wesentlichen alle Kosten trägt, die erforderlich sind, um die angemessenen Kinderbedürfnisse regelmäßig oder für längere Dauer zu befriedigen. Trägt dieser Elternteil die notwendigen bedarfsdeckenden Aufwendungen (zB Bekleidung, Hort, Schule, Ferienbetreuung, Freizeitaktivitäten) im Wesentlichen allein, ist das „betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell“ nicht anwendbar, sondern es bleibt bei der Unterhaltsbemessung nach der Prozentsatzmethode (1 Ob 151/16m; 3 Ob 157/18m; RIS-Justiz RS0131331 [T1]). Das Erstgericht stellte lediglich fest, dass der Vater „jene Aufwendungen … [trägt], die in der Zeit, wo sich das Kind bei ihm aufhält, anfallen“. Es fehlen jedoch konkrete Feststellungen, welche Kosten er für den Naturalbedarf seines Sohnes trägt, verwies er doch letztlich darauf, er habe Fahrtkosten seines Sohnes und Kosten für Schulbedarf, Kleidung sowie Arztbesuche übernommen. Je nachdem, ob die von ihm erbrachten notwendigen bedarfsdeckenden Aufwendungen im Wesentlichen gleichwertig mit jenen der Mutter sind oder nicht, kommt es zur Anwendung des „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells“ oder zur Unterhaltsbemessung nach der Prozentsatzmethode, allenfalls mit pauschalen Abzügen (vgl Punkt 4. aE).

3.7. Sollte festgestellt werden, dass im Jahr 2016 und ab 2018 die bedarfsorientierten Naturalleistungen des Vaters gleichwertig waren, wären zudem Feststellungen zum Einkommen der Mutter in diesen Zeiträumen zu treffen. Das Kind hätte in diesem Fall nur dann einen Restgeldunterhaltsanspruch gegen den Vater, wenn dieser gegenüber der Mutter als „Besserverdiener“ anzusehen wäre (1 Ob 158/15i).

4. Im Zeitraum August/September 2015 bis Dezember 2015 sowie im Jahr 2017 teilten sich die Eltern die Betreuung in einem Ausmaß, das über den Rahmen der üblichen persönlichen Kontakte des Elternteils hinausging, bei dem sich das Kind nicht hauptsächlich aufhält. Diesfalls ist nach der jüngeren Rechtsprechung der zu leistende Geldunterhalt zu reduzieren, zumal der Geldunterhaltspflichtige dann notwendigerweise – über ein übliches Kontaktrecht hinaus – Naturalunterhalt leistet (RIS-Justiz RS0047452 [T6]). Unter Heranziehung des bei Unterhaltsentscheidungen grundsätzlich anzuwendenden Ermessens erfolgt die Berücksichtigung übermäßiger Betreuungsleistungen durch den Geldunterhaltspflichtigen im Allgemeinen in Form von prozentmäßigen Abschlägen, wobei die Rechtsprechung überwiegend den Unterhaltsanspruch altersunabhängig um 10 % pro (regelmäßigem) wöchentlichem Betreuungstag reduziert, an dem sich das Kind über das übliche Ausmaß des Kontaktrechts hinaus beim geldunterhaltspflichtigen Elternteil befindet. Üblich ist nach der Rechtsprechung ein Kontaktrecht von zwei Tagen alle zwei Wochen sowie von vier Wochen in den Ferien, also etwa 80 Tagen im Jahr, wobei pro wöchentlichem Betreuungstag, an dem sich das Kind über das übliche Ausmaß hinaus beim zahlenden Elternteil aufhält, ein Abschlag von etwa 10 % vom Geldunterhalt vorgenommen wird (zuletzt 5 Ob 189/18g mwN). Dieser hier auch von den Vorinstanzen zugrunde gelegte Ansatz ist eine Richtschnur und signalisiert aufgrund der generalisierenden Betrachtungsweise tendenziell eher die Untergrenze eines Abzugs; je mehr sich die Situation einer gemeinsamen gleichwertigen Betreuung des Kindes durch beide Elternteile annähert, umso weniger wird ein 10%iger Abzug pro zusätzlichem Besuchstag den wechselseitigen Leistungen entsprechen (RIS-Justiz RS0128043).

Der Vater nimmt im Revisionsrekurs zur Höhe des Abzugs von 35 % von den nach der üblichen Prozentmethode errechneten Unterhaltsbeiträgen – mit Ausnahme des allgemein gehaltenen Vorwurfs, seine tatsächlich erbrachten Leistungen seien nicht berücksichtigt worden – nicht Stellung. Er zeigt damit nicht auf, dass der von den Vorinstanzen vorgenommene Prozentabzug für 2015 und 2017 korrekturbedürftig wäre.

5. Dem Revisionsrekurs ist aus den vorstehend genannten Gründen teilweise Folge zu geben und die Beschlüsse der Vorinstanzen betreffend die Unterhaltsverpflichtung des Vaters für 2016 und ab Anfang 2018 sind zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzuheben. Dagegen ist seine Unterhaltsverpflichtung für den Zeitraum 1. 9. 2015 bis 31. 12. 2015 und für das Jahr 2017 zu bestätigen.

Unter Bedachtnahme auf das Verschlechterungsverbot ist zu Gunsten des Vaters zu berücksichtigen, dass ihm das Erstgericht entsprechend § 37 Abs 2 AußStrG – vom Kind unbekämpft – die Zahlung des rückständigen Unterhalts in Raten zu je 250 EUR ab 1. 8. 2018 zubilligte, wobei es davon ausging, ihm könne eine sofortige Zahlung des gesamten Rückstands auf einmal nicht zugemutet werden. Sein Unterhaltsrückstand für den Zeitraum 1. 9. 2015 bis 31. 12. 2015 und für das Jahr 2017 beträgt insgesamt 2.756 EUR (vier Monate á 164 EUR und zwölf Monate á 175 EUR). Da der Vater (nach dem erstinstanzlichen Beschluss) ab 1. 8. 2018 Ratenzahlungen zu je 250 EUR leisten hätte sollen, hätte er bis einschließlich April 2019 2.250 EUR zu zahlen gehabt. Die weiteren monatlichen Raten für 1. 5. 2019 und 1. 6. 2019 betragen jeweils 250 EUR und die letzte Rate am 1. 7. 2019 6 EUR.

Textnummer

E124995

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00013.19X.0403.000

Im RIS seit

20.05.2019

Zuletzt aktualisiert am

23.08.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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