TE Vfgh Erkenntnis 2019/3/13 V34/2018

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Veröffentlicht am 13.03.2019
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z1
StVO 1960 §20 Abs2a
GeschwindigkeitsbeschränkungsV des Gemeinderates der Stadtgemeinde Wörgl vom 27.06.2008 betreffend eine 30 km/h-Beschränkung im Ortsgebiet
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit einer 30 km/h-Geschwindigkeitsbeschränkung im – beinahe gesamten – Ortsgebiet einer Tiroler Gemeinde auf Grund der Eignung der Geschwindigkeitsbeschränkung zur Erhöhung der Verkehrssicherheit; ordnungsgemäße Kundmachung durch "unmittelbare Verbindung" der Vorschriftszeichen mit dem Hinweiszeichen "Ortstafel"

Spruch

I. Soweit sich der Antrag auf §2 litc der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Wörgl vom 27. Juni 2008, Z 120-2-2283/08, bezieht, wird er zurückgewiesen.

II. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit seinem auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Wörgl vom 27. Juni 2008, Z 120-2-2283/08, als gesetzwidrig aufzuheben, in eventu festzustellen, dass diese Verordnung nicht ordnungsgemäß kundgemacht ist, in eventu festzustellen, dass diese Verordnung an der Kreuzung Sepp-Gangl-Straße – Brixentaler Straße nicht ordnungsgemäß kundgemacht ist.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsord-nung 1960 – StVO 1960), BGBl 159 idF BGBl I 42/2018, lauten wie folgt:

"§20. Fahrgeschwindigkeit.

(1) […]

(2) Sofern die Behörde nicht gemäß §43 eine geringere Höchstgeschwindigkeit erläßt oder eine höhere Geschwindigkeit erlaubt, darf der Lenker eines Fahrzeu-ges im Ortsgebiet nicht schneller als 50 km/h, auf Autobahnen nicht schneller als 130 km/h und auf den übrigen Freilandstraßen nicht schneller als 100 km/h fahren.

(2a) Die Behörde kann, abgesehen von den in §43 geregelten Fällen, durch Verordnung für ein gesamtes Ortsgebiet eine geringere als die nach Abs2 zulässige Höchstgeschwindigkeit festlegen, sofern dies auf Grund der örtlichen oder verkehrsmäßigen Gegebenheiten nach dem Stand der Wissenschaft zur Erhöhung der Verkehrssicherheit oder zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen, insbesondere durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe und zum Schutz der Bevölkerung oder der Umwelt oder aus anderen wichtigen Gründen geeignet erscheint. Sofern dadurch der beabsichtigte Zweck der Verordnung nicht gefährdet wird, sind einzelne Straßen, Straßenabschnitte oder Straßenarten vom Geltungsbereich der Verordnung auszunehmen.

(3) – (4) […]

[…]"

2. Die angefochtene Verordnung lautet wie folgt:

"Verordnung

des Gemeinderates der Stadt Wörgl lt. GR-Beschluss vom 26.6.2008, mit welcher für das Ortsgebiet von Wörgl eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h erlassen wird.

Auf Grund des §20 Abs2a der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl Nr 159, zuletzt geändert durch das Gesetz BGBl I Nr 2/2008, wird verordnet:

§1

Im Ortsgebiet von Wörgl ist das Überschreiten der Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h verboten.

§2

Von der Geschwindigkeitsbegrenzung gemäß §1 sind folgende Straßen und Straßenabschnitte ausgenommen:

a) die Brixentaler Straße im Ortsgebiet von Wörgl (ab der Kreuzung mit der B 171 bis 30 m nach dem Hinweiszeichen 'Ortsende')

b) die Salzburger Straße und in Verlängerung der Egerndorfer Weg (ab der nordseitigen Grundstücksausfahrt 'Rainerhof' ((Salzburger Straße 65)) bis zur Kreuzung Egerndorfer Weg/Brixentaler Straße ((Grundstücksgrenze Egerndorfer Weg 1/Brixentaler Straße 82))

c) die Rupert Hagleitner-Straße (ab 46 m nach der Ausfahrt aus dem Kreisverkehr Werlberger ((äußerer Kreisverkehrsradius)) bis 44m vor dem östlichen Ende der am südseitigen Fahrbahnrand aufgestellten Gitterkorb-Lärmschutzwand).

§3

Diese Verordnung wird gemäß §44 Abs4 der Straßenverkehrsordnung 1960 durch die Anbringung der Vorschriftszeichen 'Erlaubte Höchstgeschwindigkeit 30 km/h' in unmittelbarer Verbindung mit dem Hinweiszeichen 'Ortstafel Wörgl' kundgemacht.

Die Verordnung tritt mit dem Zeitpunkt der Anbringung der angeführten Verkehrszeichen in Kraft. Mit Inkrafttreten dieser Verordnung tritt die Verordnung vom 21.9.2006, mit der eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h für das Stadtgebiet von Wörgl festgelegt wurde, außer Kraft."

3. Mit Beschluss des Gemeinderates vom 25. September 2014 wurde diese Verordnung wie folgt novelliert:

"Verordnung

der Bürgermeisterin und im Namen des Gemeinderates der Stadt Wörgl im eigenen Wirkungsbereich lt. GR-Beschlusses vom 25.9.2014, mit welcher für die Rupert Hagleitner-Straße eine Reduzierung des 50km/h Bereiches beschlossen wird:

Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Wörgl hat in seiner Sitzung vom 25.9.2014 die nachstehend angeführte Verkehrsmaßnahme beschlossen:

Die Verordnung des Gemeinderates der Stadt Wörgl vom 26.6.2008, mit welcher für das Ortsgebiet von Wörgl eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h beschlossen wurde, wird mit Beschluss des Gemeinderates vom 25.9.2014 dahingehend geändert, dass deren §2 lit.c) künftig zu lauten hat:

lit.c) die Rupert Hagleitner-Straße (ab 46 m nach der Ausfahrt aus dem Kreisverkehr Werlberger (äußerer Kreisverkehrsradius) bis 8 m südlich des Zauneckes südöstlich des Businesscenters.

Die Änderung der Verordnung tritt mit dem Zeitpunkt der beidseitigen Anbringung der Verkehrszeichen 8 m südlich des Zauneckes südöstlich des Businesscenter Wörgl in Kraft.

Kundmachung:

Kundmachung mittels Verkehrszeichen gemäß der StVO.

Standorte der Verkehrszeichen:

Die Positionierung der Verkehrszeichen (§52 Zif. 10a StVO 1960 und §52 Zif. 10b StVO 1960) ergibt sich aus der Verordnung.

Inkrafttreten:

Die Verordnung tritt mit der Aufstellung der Verkehrszeichen in Kraft. (§44 StVO)

Rechtsgrundlagen:

Straßenverkehrsordnung §94d Z4 lit.d. i.V.m §43 Abs1 lit.b/1

Entscheidungsgrundlage:

Verkehrstechnisches Gutachten vom 26.5.2014"

III. Anlassverfahren, Antragsvorbingen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Der Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht Tirol lenkte an vier Tagen im November 2016 ein Kraftfahrzeug mit näher bezeichnetem Kennzeichen im Ortsgebiet von Wörgl, Sepp-Gangl-Straße Kreuzung Johann Seisl-Straße in Fahrtrichtung Südwest. Mit Straferkenntnissen der Bezirkshauptmannschaft Kufstein wurde ihm jeweils zur Last gelegt, am angeführten Ort, welcher im Ortsgebiet liegt, die durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h überschritten zu haben, und über ihn jeweils eine Geldstrafe sowie Ersatzfreiheitsstrafe in näher bestimmter Höhe verhängt.

1.2. Gegen diese Straferkenntnisse wurde fristgerecht Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol erhoben.

1.3. Anlässlich dieser Beschwerde stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol den vorliegenden Antrag und führt zur Präjudizialität der bekämpften Verordnung aus:

"Die angefochtene Verordnung des Gemeinderats der Stadtgemeinde Wörgl vom 27.6.2008, ZI 120-2-2283/08 bildet eine Voraussetzung für die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol im anhängigen Beschwerdeverfahren, dies aus folgenden Gründen:

Im vorliegenden Fall wurde dem Beschwerdeführer mit den zitierten Straferkenntnissen der BH Kufstein vom 14.3. bzw 15.3.2018, vorgeworfen, am 1) 25.11.2016 um 15.33 Uhr, 2) am 17.11.2016 um 15.35 Uhr, 3) am 24.11.2016 um 15.06 Uhr, 4) am 27.11.2016 um 12.51 Uhr, in der Gemeinde Wörgl, Sepp-Gangl-Straße Kreuzung Johann Seisl-Straße nächst Nr in Fahrtrichtung Südwesten um 1) 12 km/h, 2) 15 km/h, 3) 8 km/h, 4) 16 km/h, überschritten zu haben, wobei in allen Fällen die Messtoleranz abgezogen worden war, überschritten zu haben und hierdurch §52 lita Z10a StVO verletzt zu haben. Die rechtliche Grundlage hierfür ist die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Wörgl vom 27.6.2008, ZI 120-2-2283/08, die für den angeführten Ort eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h normiert.

An die zitierte in Geltung stehende Verordnung des Gemeinderats der Stadtgemeinde Wörgl vom 27.6.2008, ZI 120-2-2283/08, wäre auch das Landesverwaltungsgericht Tirol in seiner Entscheidung gebunden. Gegen diese Verordnung bestehen seitens des Landesverwaltungsgerichtes Tirol sowohl Bedenken ob ihrer Determiniertheit als auch ob ihrer ordnungsgemäßen Kundmachung und ihrer sachlichen Erforderlichkeit. Es ist daher gemäß Art89 Abs2 B-VG in Verbindung mit Art135 Abs4 B-VG der gegenständliche Antrag nach Art139 Absl Z1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof zu stellen."

1.4. Das antragstellende Verwaltungsgericht legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"2. In der Sache:

a.) Zur mangelnden Determiniertheit:

Der Verordnungsgeber ist verpflichtet, den örtlichen Geltungsbereich einer auf §43 Abs1 litb StVO 1960 gestützten verkehrsbeschränkenden Maßnahme möglichst genau zu umschreiben. Den örtlichen Geltungsbereich nur in groben Zügen anzuführen, ist daher unzulässig. Es ist erforderlich festzulegen, auf welcher Strecke, beginnend und endend mit bestimmten Punkten, die Verkehrsteilnehmer die vorgesehenen Höchstgeschwindigkeiten einzuhalten haben (Hinweis VwGH 19.10.1988, 87/03/0196; VwGH 19.10.1988, 88/03/0007; VwGH 05.09.2008, 2008/02/0011). Laut §2 litc) der zitierten Verordnung ist unter anderem folgende Straße ausgenommen 'die Rupert Hagleitner-Straße (ab 46m nach der Ausfahrt aus dem Kreisverkehr Werlberger (äußerer Kreisverkehrsradius)) bis 44m vor dem östlichen Ende der am südseitigen Fahrbahnrand aufgestellten Gitterkorb- Lärmschutzwand)'. Diese Formulierung begegnet vom Standpunkt der Nachvollziehbarkeit und erforderlichen Genauigkeit Bedenken.

Seitens des Landesverwaltungsgerichts bestehen daher insofern Bedenken gegen Punkt 1. c) der Verordnung des Gemeinderats der Stadtgemeinde Wörgl vom 27.6.2008, ZI 120-2-2283/08, als die Wortfolge 'die Rupert Hagleitner-Straße (ab 46m nach der Ausfahrt aus dem Kreisverkehr Werlberger (äußerer Kreisverkehrsradius)) bis 44m vor dem östlichen Ende der am südseitigen Fahrbahnrand aufgestellten Gitterkorb-Lärmschutzwand)' gegen das Determinierungsgebot verstößt.

b.) Zur nicht ordnungsgemäßen Kundmachung:

Laut Aktenvermerk des Stadtgemeinde Wörgl erfolgte die Kundmachung der hier verfahrensrelevanten Verordnung durch Aufstellen der Verkehrszeichen (siehe den Aktenvermerk unter Zahl 120-2-2283/08) am 26.6.2008.

Wie aus den im verwaltungsbehördlichen Akt erliegenden Lichtbildern ersichtlich ist, befindet sich die Geschwindigkeitsbeschränkungstafel '50 km/h' an der Kreuzung der Brixentaler Straße mit der Sepp-Gangl-Straße. Beim Einbiegen in die Sepp-Gangl-Straße fehlt ein Hinweis auf die nunmehr wieder gültige 30 km/h Beschränkung, was auch aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers hervorgeht und offensichtlich für seine gewählte Geschwindigkeit maßgebend war. Es fehlt damit eine durchgehende Beschilderung der 30 km/h Beschränkung an allen Stellen, in denen in das durch die Verordnung betroffene Gebiet eingefahren werden kann.

Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO ist immanent, dass die Straßenverkehrszeichen dort anzubringen sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet. Es besteht zwar keine Verpflichtung zur 'zentimetergenauen' Einhaltung des in der Verordnung verfügten räumlichen Geltungsbereichs für die Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen, differiert der Aufstellungsort eines Straßenverkehrszeichens von der getroffenen Verordnungsregelung jedoch um 5 m, kann von einer gesetzmäßigen Kundmachung der Verordnung nicht die Rede sein (Pürstl, StV013, §44 E 34 f).

Fest steht aber, dass eine Positionierung des Vorschriftszeichens '50 km/h' nicht zur Gänze mit dem Gebiet übereinstimmt, das durch die Bestimmungen der §1 und 2 definiert wird.

Es ist unbestrittene Rechtsprechung aller Höchstgerichte (vgl bspw VfGH 6.3.2000, ZI V95/99), dass Verkehrszeichen immer dort anzubringen sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt. Eine Nichtübereinstimmung der verordnungsmäßig festgelegten Grenzen der Geschwindigkeitsbeschränkung mit den tatsächlich kundgemachten Grenzen führt zur Rechtswidrigkeit der Kundmachung und damit zu einer nicht gehörigen Kundmachung (VwGH 22.02.2006, 2003/17/0138). Eine abweichende Aufstellung eines Straßenverkehrszeichens gemäß §52 lita Z10a StVO 1960 über den Beginn einer Geschwindigkeitsbeschränkung um 12 m nach dem in der Verordnung festgelegten Beginn dieser Beschränkung bzw um 5 m vor Beginn einer in der Verordnung festgehaltenen Geschwindigkeitsbeschränkung entspricht nicht dem §44 Abs1 erster Satz StVO 1960 (vgl E 16. Februar 1999, 98/02/0338; E 3. Juli 1986, 86/02/0038). Demnach ist ein Abstand des tatsächlichen Aufstellungsortes von jenem, der durch die Verordnung festgelegt wurde, von 5 m oder mehr jedenfalls nicht mehr als ordnungsgemäße Kundmachung anzusehen (VwGH 10.10.2014, 2013/02/0276).

Im hier vorliegenden Sachverhalt fehlt zur Gänze eine Übereinstimmung der Geschwindigkeitsbeschränkungstafeln mit dem Gültigkeitsbereich der Verordnung.

Im Sinne der geänderten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Erk. 28.06.2017, V4/2017 (V4/2017-24) haben nunmehr auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und sind diese, sofern Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung bestehen, einem Verordnungsprüfungsverfahren zuzuführen.

c.) Zur mangelnden Erforderlichkeit einer Beschränkung von 30 km/h im gesamten Ortsgebiet der Stadtgemeinde Wörgl:

Nach §20 Abs2a StVO 1960 kann die Behörde, abgesehen von den in §43 geregelten Fällen, durch Verordnung für ein gesamtes Ortsgebiet eine geringere als die nach Abs2 zulässige Höchstgeschwindigkeit (im Ortsgebiet 50 km/h) festlegen, sofern dies auf Grund der örtlichen oder verkehrsmäßigen Gegebenheiten nach dem Stand der Wissenschaft zur Erhöhung der Verkehrssicherheit oder zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen, insbesondere durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe und zum Schutz der Bevölkerung oder der Umwelt oder aus anderen wichtigen Gründen geeignet erscheint. Sofern dadurch der beabsichtigte Zweck der Verordnung nicht gefährdet wird, sind einzelne Straßen, Straßenabschnitte oder Straßenarten vom Geltungsbereich der Verordnung auszunehmen.

Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für die eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie eine Herabsetzung der vom Gesetzgeber selbst allgemein für den Straßenverkehr in §20 Abs2 StVO 1960 festgesetzten Höchstgeschwindigkeiten rechtfertigen (zB VfSlg 16.016/2000, 16.917/2003).

Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts sind zwar laut dem eingesehenen verkehrstechnischen Gutachten einzelne Straßenzüge durch geringe Fahrbahnbreite, geringe Sichtweiten oder andere Gefahrenmomente gekennzeichnet, keineswegs aber das ganze Ortsgebiet der Stadtgemeinde Wörgl. Die Erlassung einer so weitgehenden 30 km/h Beschränkung verstößt daher gegen den Gleichheitsgrundsatz bzw das Gebot der Verhältnismäßigkeit."

1.5. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Wörgl hat eine Äußerung erstattet und beantragt, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Wie sich aus dem vorgelegten Verordnungsakt ergibt, wurde §2 litc der angefochtenen Verordnung mit weiterer Verordnung des Gemeinderates vom 25. September 2014 novelliert.

Nach den Ausführungen im Antrag haben sich die den Anlassverfahren zugrunde liegenden Sachverhalte jeweils im November 2016 ereignet. Es ist daher denkunmöglich, dass das antragstellende Verwaltungsgericht §2 litc der bekämpften Verordnung in der Fassung des Jahres 2008 anzuwenden hat.

1.3. Der Antrag ist daher insoweit zurückzuweisen. Im Übrigen ist der Antrag zulässig.

2. In der Sache

2.1. Soweit zulässig, ist der Antrag nicht begründet.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleitete Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßgkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilene, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelten gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.3. Das antragstellende Verwaltungsgericht behauptet zunächst die Gesetzwidrigkeit der Verordnung, weil die Voraussetzungen des §20 Abs2a StVO 1960 nicht gegeben seien. Es seien zwar laut dem eingesehenen verkehrstechnischen Gutachten einzelne Straßenzüge durch geringe Fahrbahnbreite, geringe Sichtweiten oder andere Gefahrenmomente gekennzeichnet, dies gelte aber keineswegs für das gesamte Ortsgebiet der Stadtgemeinde Wörgl.

2.3.1. §20 Abs2a StVO 1960 räumt der Behörde einen weiten Spielraum ein; die Geschwindigkeitsbeschränkung muss lediglich geeignet sein, zur Erhöhung der Verkehrssicherheit oder zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen, insbesondere durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe und zum Schutz der Bevölkerung oder der Umwelt oder aus anderen wichtigen Gründen beizutragen (s VfGH 12.12.2018, V16/2018).

2.3.2. Aus dem vorgelegten Verordnungsakt ergibt sich, dass in den Jahren 2005, 2006 und 2008 verkehrstechnische Sachverständigengutachten eingeholt wurden. Dabei wurden hauptsächlich im Straßenquerschnitt, in den zahlreichen Haus- und Grundstückzufahrten, in den Haus- und Grundstückeingängen direkt auf die Fahrbahn und den damit zusammenhängenden schlechten Sichtverhältnissen Gefahrenpotentiale ausgemacht. Im Übrigen wurde eine Unfallstatistik im Vergleich zu einer anderen, strukturell ähnlichen Gemeinde durchgeführt. Das Gutachten kommt dabei zum Ergebnis, dass die in Wörgl schon vor Erlassung der bekämpften Verordnung bestehende Geschwindigkeitsbeschränkung ursächlich mit der geringeren Zahl der Verkehrsunfälle zusammenhängt. Überdies wird im Gutachten auf die Verkehrsabwicklung nach dem Mischprinzip verwiesen. Der Gutachter kommt zum Schluss, dass die Kollisionsgeschwindigkeit für ungeschützte Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer von entscheidender Bedeutung ist.

2.3.3. Auf Grund des durch §20 Abs2a StVO eingeräumten Spielraums für den Verordnungsgeber ist daher davon auszugehen, dass die Festlegung einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h durchaus geeignet ist, zur Verkehrssicherheit beizutragen.

2.4. Das antragstellende Verwaltungsgericht hat schließlich das Bedenken, dass "zur Gänze eine Übereinstimmung der Geschwindigkeitsbeschränkungstafeln mit dem Gültigkeitsbereich der Verordnung" fehle.

2.4.1. §3 der bekämpften Verordnung normiert, dass die Kundmachung durch Anbringung der Vorschriftszeichen "erlaubte Höchstgeschwindigkeit 30 km/h" in unmittelbarer Verbindung mit dem Hinweiszeichen "Ortstafel Wörgl" zu erfolgen hat.

2.4.2. Aus den vorgelegten Akten geht hervor, dass die erfolgte Kundmachung dem Text der Verordnung entspricht; damit erweist sich auch dieses Bedenken des antragstellenden Verwaltungsgerichtes als unbegründet.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist daher, soweit er sich auf §2 litc der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Wörgl vom 27. Juni 2008, Z 120-2-2283/08, bezieht, als unzulässig zurückzuweisen. Im Übrigen ist er abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung, Verordnung Kundmachung, VfGH / Präjudizialität, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:V34.2018

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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