TE OGH 2019/3/20 7Ob251/18i

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Veröffentlicht am 20.03.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. P***** R*****, geboren am ***** 2007, 2. R***** R*****, geboren am ***** 2008, 3. E***** R*****, geboren am ***** 2011, alle *****; Mutter S***** R*****, vertreten durch Mag. Andrea Schmidt, Rechtsanwältin St. Pölten, Vater D***** F*****; väterliche Großeltern: R***** F*****, R***** F*****, wegen Kontaktrechts der Großeltern, über den Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 17. Oktober 2018, GZ 23 R 349/18y-46, womit der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 9. April 2018, GZ 2 Ps 61/11y-34, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Minderjährigen sind die Kinder von S***** R***** und D***** F*****, denen zunächst die gemeinsame Obsorge zukam. Mit Beschluss vom 21. 11. 2018 wurde die gemeinsame Obsorge der Eltern aufgehoben und die Mutter mit der alleinigen Obsorge betraut.

Mit Schreiben vom 18. 12. 2016 beantragten die väterlichen Großeltern eine gerichtliche Kontaktregelung zu ihren Enkelkindern. Kontakte würden im zunehmenden Ausmaß ohne Begründung durch die Eltern unterbunden.

Die Eltern sprachen sich gegen ein Kontaktrecht der Großeltern aus. Diese würden regelmäßig (Loyalitäts-)Konflikte zwischen den Eltern und den Kindern provozieren und bewusst die Erziehungsmaßnahmen und die Erziehungsfähigkeit der Eltern im Beisein der Kinder untergraben. Durch dieses Verhalten werde die Beziehung der Eltern zueinander und zu den Kindern gestört und deren Entwicklung sowie das Kindeswohl gefährdet. Im Einzelnen führten die Eltern aus:

Am Wohnsitz der Großeltern würden neben Wappen und Urkunden der Burschenschaften Olimpya und Germania auch andere Gegenstände und Waffen aus dem Waffenbestand des Hitlerregimes (insbesondere mehrere Säbel, verschossene Munition, Granaten und Hülsenpatronen) gelagert. Es gebe Fahnen mit Hakenkreuzen, das Buch „Mein Kampf“ und den Holocaust leugnende Literatur. Die Gegenstände würden in einem Kellerraum aufbewahrt, zu welchem den Kindern zum Spielen Zutritt gewährt werde. Die Großeltern würden die Gegenstände nicht beseitigen, obwohl dies die Eltern bereits mehrfach gefordert hätten. Vielmehr werde diese Forderung als unnötige Kritik abgetan, nicht ernst genommen und die Aufbewahrung und Sammlung gerechtfertigt. Das Verhalten der Großeltern habe bereits mehrfach zu Streitigkeiten zwischen ihnen und dem Vater geführt. Dabei würden die Großeltern den Kindern stets vermitteln, dass die ablehnende Haltung des Vaters falsch sei. Die Gesinnung der Großeltern gehe so weit, dass sie bei Grillfesten in ihrem Garten im Beisein der Kinder eine Hakenkreuzfahne in der Mitte des Tisches platzierten.

Die Minderjährigen dürften außerdem bei den Eltern nur am Wochenende, ausgewählte, kindgerechte Inhalte Fernsehen oder über neue Medien konsumieren. Die Großeltern würden die Kinder hingegen nach Belieben fernsehen und Computer spielen lassen und ihnen gegenüber erklären, dass dies „normal“ und die Erziehung durch die Eltern falsch sei.

Die Kinder würden von den Eltern auch im Sinne einer ausgewogenen und gesunden Ernährung erzogen, wozu Süßigkeiten nur in Maßen gehörten. Die Großeltern dagegen würden den Konsum von Süßigkeiten gar nicht beschränken und diese auch manipulativ einsetzen, um die Kinder „für sich zu gewinnen“.

Im Umgang mit Geld sei eine Regel der Eltern, dass die Minderjährigen nur Geld zu bestimmten Anlässen erhalten. Die Großeltern würden dies wissen und dennoch regelmäßig ohne Anlass Geldgeschenke machen.

Das Erstgericht räumte den väterlichen Großeltern ein Kontaktrecht an jedem ersten Samstag im Monat von 9:00 Uhr bis 19:00 Uhr ein, wobei es folgende Rahmenbedingungen festsetzte:

„a) die Kinder sind von etwaigen dem Verbotsgesetz unterliegenden Dingen fernzuhalten, falls sich derartiges überhaupt im Haus einschließlich Keller befindet

b) die Kinder sollen sich nicht mit Fernseher, Laptop, Tablet, Handy beschäftigen - mit Ausnahme von etwaigem Herzeigen von Fotos auf derartigen Geräten für maximal eine Stunde pro Besuchskontakt

c) den Kindern sollen keine neuen Kleidungsstücke gekauft werden, außer dies ist aufgrund der Witterung dringend notwendig (zB Handschuhe oder Schal, weil den Kindern kalt ist)

d) den Kindern sollen keine Süßigkeiten mit nach Hause zu den Eltern gegeben werden.“

Bei objektiver Betrachtung spreche „absolut“ nichts gegen ein unbegleitetes Besuchsrecht der Großeltern. Dass diese ein Mal ein Lernspiel auf dem Computer mit P***** gespielt hätten, rechtfertige kein Verbot unbegleiteter Besuchskontakte. Nicht festgestellt werden könne, ob die Großeltern in ihrem Keller ein Bild „Heil Hitler“, Hakenkreuze oder Militaria haben. Dass sie den Kindern zu bestimmten Anlässen Geschenke machen möchten, sei verständlich. Unverständlich sei, dass daraus von den Eltern „ein regelrechtes Drama“ gemacht werde. Gleiches gelte für die Süßigkeiten. Wenn die Eltern mit Grenzsetzung und einem einfachen „Nein“ zu den Kindern überfordert seien, dann wäre eher deren Erziehungsfähigkeit und Obsorgeeignung als das Kontaktrecht der Großeltern zu thematisieren.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahingehend ab, dass es den Großeltern ein Kontaktrecht an jedem ersten Samstag im Monat von 9:00 Uhr bis 19:00 Uhr einräumte, wobei es ihnen untersagte, die Besuchskontakte im eigenen Haushalt durchzuführen. Nachvollziehbar sei, dass der Vater seine Kinder von nationalsozialistischem Gedankengut fernhalten wolle. Der Akteninhalt zeige aber, dass der eigentliche Konflikt zwischen Eltern und Großeltern darin bestehe, dass sie sich in ihrer Eigenschaft als Eltern nicht ernst genommen und respektiert fühlten und ihr Erziehungsstil in Frage gestellt werde. Zu befürchten sei daher, dass die Eltern nach Besuchskontakten, die im Haushalt der Großeltern stattfanden, die Kinder dazu befragen würden, in welchen Räumlichkeiten sie sich aufgehalten, womit sie sich beschäftigt, was sie gespielt hätten. Diese Befragungen seien entbehrlich und würden nur dazu führen, die Kinder tatsächlich in einen Loyalitätskonflikt zu bringen. Ohne sich daher mit dem Rekursvorbringen und der Beweisrüge auseinandersetzen zu müssen, welche „Nazibilder“ in welchen Räumlichkeiten zu welchem Zeitpunkt vorhanden gewesen seien, sei es sachgerecht, Besuchskontakte außerhalb der Räumlichkeiten der Großeltern stattfinden zu lassen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die väterlichen Großeltern beteiligten sich am Revisionsrekursverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Wahrnehmung der Rechtssicherheit zulässig, er ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Nach ständiger Rechtsprechung hat die neue Regelung in § 188 Abs 1 ABGB idF KindNamRÄG 2013 zu keiner inhaltlichen Änderung des Kontaktrechts der Großeltern geführt. Dieses kann auch weiterhin eingeschränkt oder untersagt werden, wenn dadurch das Familienleben der Eltern oder die Beziehung zum Kind gestört würde. Das Kontaktrecht der Großeltern ist daher schwächer als jenes der Eltern (RIS-Justiz RS0048015). Ob und inwiefern es ihnen zusteht, hängt in erster Linie vom Wohl des Kindes ab, dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0048004).

2.1 Die Eltern führen zum Einen gegen die Einräumung eines Kontaktrechts ins Treffen, dass die Großeltern an ihrem Wohnsitz über eine umfangreiche Sammlung an nationalsozialistischen Devotionalien verfügten, die sie in den Minderjährigen zugänglichen Räumlichkeiten aufbewahrten. Sie stellten diese auch offen zur Schau (wie zB Hakenkreuzfahnen bei Grillfesten) und bezeichneten die Kritik und Ablehnung der Eltern als „falsch“. Trotz Aufforderung änderten sie ihr Verhalten nicht.

Zum Anderen berufen sich die Eltern darauf, dass die Großeltern regelmäßig ihre Erziehung untergraben würden. Die von den Großeltern vor den Minderjährigen provozierten steten Streitigkeiten führten zu Loyalitätskonflikten, zur Störung des Familienlebens der Eltern und deren Beziehung zu den Kindern. Dadurch werde das Kindeswohl und die Entwicklung der Kinder gefährdet.

3. Von den Eltern werden somit mehrere Vorwürfe erhoben, zu denen von den Vorinstanzen nur zum Teil und noch dazu bloß rudimentär Feststellungen getroffen wurden.

3.1.1 Das Erstgericht traf zwar eine Negativfeststellung dahin, dass es nicht feststellen könne, ob die Großeltern in ihrem Keller ein Bild „Heil Hitler“, Hakenkreuze oder Militaria haben, schränkte aber dennoch das Kontaktrecht dahin ein, dass „die Kinder von etwaigen dem Verbotsgesetz unterliegenden Dingen fernzuhalten sind, falls sich derartiges überhaupt im Haus einschließlich Keller befindet“. Diese Einschränkung deutet Zweifel des Erstgerichts an der eigenen Negativfeststellung an. Abgesehen davon bezieht sich diese nur auf den Keller und nicht darauf, dass die genannten Gegenstände am Wohnsitz der Großeltern nicht vorhanden und den Kindern nicht zugänglich sind. Damit ist die Negativfeststellung ohnehin nicht für eine Beurteilung tragfähig.

Das Rekursgericht lässt die Negativfeststellung ungeprüft, hält es aber für sachgerecht, dass die Kontakte außerhalb der Räumlichkeiten der Großeltern stattfinden sollen, um Befragungen der Eltern, wo sich die Kinder aufgehalten und womit sie sich beschäftigt hätten, zu vermeiden.

Das in sich widersprüchliche Vorgehen der Vorinstanzen (den Themenkomplex ungeprüft lassen, aber das Kontaktrecht einschränken), ist nicht nachvollziehbar.

3.1.2 Völlig ungeprüft blieb in diesem Zusammenhang auch, ob die Großeltern wie von den Eltern vorgebracht, ihr Verhalten und ihre Ansichten verteidigen und die ablehnende Haltung der Eltern vor den Minderjährigen als „falsch“ bezeichnen. Weiters wird zu klären sein, inwiefern die Minderjährigen der genannten Geisteshaltung der Großeltern während der Kontakte ausgesetzt sind und dadurch eine Kindeswohlgefährdung bewirkt wird.

3.1.3 Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren eindeutige Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Großeltern wie von den Eltern vorgebracht die behaupteten Gegenstände auf ihrer Liegenschaft so aufbewahren oder verwenden, dass sie für die Kinder wahrnehmbar sind und ihr Verhalten generell (wie oben dargelegt) bei (unbegleiteten) Kontakten eine Kindeswohlgefährdung bewirkt.

3.1.4 Schon jetzt sei aber noch Folgendes ausgeführt:

Auch wenn nach § 13 AußStrG das Verfahren so zu gestalten ist, dass eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung des Verfahrensgegenstands und eine möglichst kurze Verfahrensdauer gewährleistet sind und im Außerstreitverfahren auch ein Beweisaufnahmeermessen besteht, der Richter daher nicht streng an die Anträge der Parteien gebunden ist, kann von der Aufnahme einzelner Beweismittel nur dann Abstand genommen werden, wenn auch auf andere Weise eine (ausreichend) verlässliche Klärung möglich ist (RIS-Justiz RS0006319 [T6]). Die Einvernahme der Eltern zu ihrem im Schriftsatz ON 27 erstatteten umfangreichen Vorbringen erweist sich als unerlässlich, ist ansonsten doch eine mögliche Abklärung des Sachverhalts nicht vorstellbar. Eine Negativfeststellung ohne Ausschöpfung der angebotenen Beweismittel durch Einvernahme der Eltern verbietet sich hier.

3.2 Der weitere Vorwurf der Eltern gegenüber den Großeltern besteht darin, dass diese die Erziehungswünsche der Eltern offen missachten und ausdrücklich ablehnen. So sollen sie öfter als von den Eltern erlaubt den Kindern Geschenke und Süßigkeiten geben und sie länger Fernsehen und Computerspielen lassen. Die Vorgaben der Eltern würden offen auch gegenüber den Kindern abgelehnt, ihre Autorität untergraben und damit familieninterne Konflikte provoziert. Dazu fehlen bisher ebenfalls jegliche Feststellungen. Wesentliche Frage ist hier
– im Gegensatz zur Meinung des Erstgerichts – nicht, ob die Eltern in der Lage sind, mit diesen Konflikten umzugehen, woran zu zweifeln der Akteninhalt im Übrigen keine Anhaltspunkte bietet, sondern ob die Großeltern wie von den Eltern vorgebracht, absichtlich Konflikte herbeiführen, die die Beziehungen zwischen den Eltern einerseits und ihnen und ihren Kindern andererseits stören.

4. Erst nach Verbreiterung der Tatsachengrundlage kann abschließend entschieden werden. Weiters wird die Neuerung zu berücksichtigen sein, dass die Eltern mittlerweile getrennt leben.

5. Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Textnummer

E124865

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00251.18I.0320.000

Im RIS seit

15.05.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.07.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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