TE OGH 2019/3/25 8Ob22/19x

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Veröffentlicht am 25.03.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der zu AZ 2 C 95/17k (führend) klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Robert Zauchinger, LL.M., Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Anzböck & Brait Rechtsanwälte GmbH in Tulln an der Donau, wegen Feststellung, und der zu AZ 2 C 22/18a klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Anzböck & Brait Rechtsanwälte GmbH in Tulln an der Donau, gegen die beklagte Partei K*****, vertreten durch Dr. Robert Zauchinger, LL.M., Rechtsanwalt in Korneuburg, wegen Räumung, über die außerordentlichen Revisionen der zu AZ 2 C 95/17k klagenden Partei und der zu AZ 2 C 22/18a beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2018, GZ 22 R 42/18h-48, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Rechtsvorgänger der Beklagten im führenden und Klägerin im verbundenen Verfahren schloss am 19. 3. 2008 mit der Klägerin im führenden Verfahren und am 15. 7. 2003 mit dem Beklagten im verbundenen Verfahren einen jeweils auf 25 Jahre befristeten „Pachtvertrag“ über jeweils näher bezeichnete Teilflächen einer in S***** gelegenen Liegenschaft „zur Benützung als Kleingarten“. Die Bestandverträge sind gemäß § 1 Abs 4 lit b Kleingartengesetz von der Anwendung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes ausgenommen, unterliegen aber dem NÖ Kleingartengesetz. Auf den vermieteten Flächen befinden sich von Bestandnehmerseite errichtete Superädifikate (Kleingartenhäuser).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im führenden Verfahren ab und gab dem Klagebegehren im verbundenen Verfahren statt, weil beide Pächter den in den Pachtverträgen vereinbarten Auflösungsgrund des unbefugten Bauens im Zusammenhalt mit einem Verstoß gegen das NÖ Kleingartengesetz verwirklicht hätten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Zwar unterliege ein Bestandvertrag über ein Grundstück, auf dem sich ein mit Zustimmung des Grundeigentümers vom Mieter errichtetes Superädifikat befinde, das nach dem Willen der Vertragsparteien einer dauernden Wohnversorgung oder geschäftlichen Betätigung dienen solle, grundsätzlich den Bestimmungen des MRG. Allerdings würden hier die Voraussetzungen des Vollausnahmetatbestands nach § 1 Abs 2 Z 5 MRG vorliegen.

Rechtliche Beurteilung

Den außerordentlichen Revisionen der Klägerin im führenden Verfahren und des Beklagten im verbundenen Verfahren gelingt es nicht, eine Rechtsfrage in der Qualität von § 502 Abs 1 ZPO zur Darstellung zu bringen.

1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass im Fall der Gleichstellung der Vermietung einer Grundfläche zwecks Errichtung eines Superädifikats zu Wohn- oder Geschäftszwecken mit der Raummiete nach § 1 MRG (vgl RIS-Justiz RS0069454; RS0069261; RS0020986) auch die Ausnahmeregelungen des § 1 Abs 2–4 MRG sinngemäß herangezogen werden müssen (10 Ob 62/11g; zuletzt zu § 1 Abs 2 Z 5 MRG: 4 Ob 157/18v).

2.1 Gemäß § 1 Abs 2 Z 5 MRG sind vom Anwendungsbereich des MRG Mietgegenstände in einem Gebäude mit nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen oder Geschäftsräumlichkeiten ausgenommen (Ein- und Zweifamilienhäuser); nachträglich neu geschaffene Dachbodenausbauten sind nicht zu zählen (8 Ob 116/17t).

2.2 Wegen der im MRG üblichen Gleichsetzung von Haus und Liegenschaft sind zwar grundsätzlich bei der Beurteilung nach § 1 Abs 2 Z 5 MRG alle vermieteten Teile eines Grundbuchkörpers in die Beurteilung einzubeziehen. Die Judikatur macht aber dann eine Ausnahme, wenn es unbillig wäre, mehrere selbständige Gebäude als Einheit zu betrachten (RIS-Justiz RS0079849). Ob es unbillig wäre, mehrere selbständige Gebäude als Einheit zu betrachten, hängt davon ab, ob tatsächlich und wirtschaftlich voneinander getrennte selbständige Objekte bzw Häuser vorliegen und jedes für sich allein eine wirtschaftlich selbständige Einheit bildet (RIS-Justiz RS0069949). Dies ist letztlich nach der Verkehrsauffassung zu beurteilen (RIS-Justiz RS0069949 [T9]). Eines der Kriterien, die für die Einheitlichkeit sprechen, ist das Vorhandensein gemeinsamer Versorgungseinrichtungen, daneben spielen aber auch Alter der Gebäude, bauliche Trennung, Erhaltungszustand, aber auch unterschiedliche Verwendung einerseits zu Wohnzwecken, anderseits zu betrieblichen Zwecken eine entscheidende Rolle (RIS-Justiz RS0069949 [T10]). Dass bei verschiedenen Problemlagen verschiedene Kriterien zur Unterscheidung herangezogen werden, bedeutet nicht, dass stets alle vorliegen müssen (RIS-Justiz RS0069823 [T6, T9]). Es handelt sich um eine typische Einzelfallbeurteilung (zuletzt etwa 5 Ob 220/18s).

3.1 Vor diesem Hintergrund vermögen die Revisionswerber mit dem (bloßen) Hinweis darauf, dass auf der der Bestandgeberin gehörigen Liegenschaft über hundert selbständige Gebäude errichtet wurden, eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung nicht aufzuzeigen.

3.2.1 Gerade die Qualifikation der auf der jeweils vermieteten Fläche zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Ausführung errichteten Objekte als Superädifikate spricht dafür, jedes Gebäude gesondert zu betrachten. Der Umstand, dass die Bauwerke im Eigentum der jeweiligen Bestandnehmer stehen, widerstreitet nämlich der Annahme einer wirtschaftlichen Einheit sämtlicher Gebäude.

3.2.2 Auch die Lehre stellt bei der Vermietung einer Fläche zur Errichtung eines Wohn- oder Geschäftsraum-Superädifikats auf eine gebäude- und nicht auf eine liegenschaftsbezogene Betrachtung ab (Böhm, Die Mietrechtsnovelle 2001, bbl 2002, 95; Rechberger/C. Graf, Das Superädifikat, immolex 2004, 260). Ein derartiger Mietvertrag soll seit der Mietrechtsnovelle 2001 jedenfalls dann nicht dem MRG unterliegen, wenn der Überbau als solcher nicht mehr als zwei Wohnungen oder Unternehmen beherbergt (Klete?ka, Superädifikate: Haftungsfalle Mietrechtsnovelle 2001, ecolex 2003, 229).

3.2.3 In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass analog § 1 Abs 4 Z 2 MRG in der für alle vor dem 1. 1. 2001 [richtig 2002] geschlossenen Verträge unverändert weiter geltenden Fassung vor der Mietrechtsnovelle 2001 (Teilausnahme für Ein- oder Zweifamilienhäuser) die Bestimmung des § 12 MRG keine Anwendung auf Superädifikate findet, die Ein- oder Zweifamilienhäuser sind und auf einer gemieteten Grundstücksfläche errichtet wurden (10 Ob 62/11g).

3.3 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 5 MRG sei erfüllt, weil im vorliegenden Fall auf die Zahl der Gebäude auf der jeweils verpachteten Fläche abzustellen sei, hält sich daher im Rahmen der Rechtsprechung.

4.1 Das Berufungsgericht ist des Weiteren zu der Auffassung gelangt, dass durch die unmissverständliche Verknüpfung des vereinbarten Auflösungsrechts mit einem Verstoß gegen das NÖ Kleingartengesetz weder dem Bestandgeber ein Rücktritt ohne sachliche Rechtfertigung ermöglicht werde, noch die Bestimmung undeutlich sei. Aus welchen Gründen diese Ansicht unrichtig sein und hier ein Verstoß gegen § 6 Abs 2 Z 1 KSchG und Art 5 der RL 93/13/EWG vorliegen sollte, zeigen die Revisionswerber nicht konkret auf. Die zugrundeliegende Vertragsklausel wird nicht deshalb intransparent, nur weil der Rechtsvertreter der Bestandgeberin in den an die Pächter gerichteten außergerichtlichen Kündigungsschreiben unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diesen Vertragspunkt von einer „außerordentlichen Aufkündigung“ gesprochen hat.

4.2 Dem Einwand der Revisionswerber, die vereinbarte vorzeitige Kündigungsmöglichkeit sei wegen gröblicher Benachteiligung der Bestandnehmer gemessen an den Bestimmungen des Kleingartengesetzes nichtig, hat bereits das Berufungsgericht das Neuerungsverbot entgegen gehalten.

5. Die Rechtsmittel waren daher zurückzuweisen.

Textnummer

E124811

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00022.19X.0325.000

Im RIS seit

30.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

02.07.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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