TE OGH 2019/2/27 9ObA9/19t

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Veröffentlicht am 27.02.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Ingomar Stupar und ADir. Gabriele Svirak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angestelltenbetriebsrat des Ö*****, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, wegen Herausgabe, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Oktober 2018, GZ 7 Ra 6/18f-13, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 19. September 2017, GZ 14 Cga 81/17h-9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 2. 6. 2015, 7 Ra 124/14b-28, wurde in einem Vorprozess zwischen dem klagenden Angestelltenbetriebsrat und dem beklagten Betrieb gemäß § 54 Abs 1 ASGG festgestellt, dass jene in der Blutspendezentrale der Beklagten beschäftigten Angestellten, die bereits vor dem 1. 2. 2010 in ein Dienstverhältnis zur Beklagten eingetreten sind, auch künftig, und zwar auch nach dem 1. 3. 2012, das Recht haben, dass die Beklagte mit diesen Angestellten die Lage der Normalarbeitszeit und die Änderung der Lage der Normalarbeitszeit vereinbart und die Wünsche dieser Angestellten bei der Erstellung der Dienstpläne berücksichtigt, und zwar der Vollzeitbeschäftigten sowie der Teilzeitbeschäftigten mit einem Beschäftigungsausmaß von 35 Stunden pro Woche im Ausmaß von 2 Tagen pro Woche, der Teilzeitbeschäftigten mit einem Beschäftigungsausmaß von 20 bis 30 Stunden pro Woche im Ausmaß von 3 Tagen pro Woche und der Teilzeitbeschäftigten mit einem Beschäftigungsausmaß von weniger als 20 Stunden pro Woche im Ausmaß von 4 Tagen pro Woche. Das Berufungsgericht führte im Vorprozess dazu ua aus, dass ein Rechtsanspruch der Belegschaft der Beklagten auf einseitige Festlegung der arbeitsfreien Tage zwar nicht bestehe, jedoch eine schlüssige Vereinbarung oder „betriebliche Übung“ vorliege, wonach die Bediensteten der Beklagten davon ausgehen dürfen, dass ihre gewünschten freien Tage nach Eintragung in den sogenannten „Freiwunschkalender“ grundsätzlich bei der Dienstplanerstellung berücksichtigt werden. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Beklagten wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 29. 7. 2016, 9 ObA 90/15y, zurückgewiesen.

Die Beklagte setzte diese urteilsmäßige Verpflichtung im Rahmen eines elektronischen Kalenders um. Sie stellte dazu ihren von der Betriebsübung erfassten Angestellten (in der Folge kurz: ihren Angestellten) auf einer Website eine entsprechende IT-Applikation zur Verfügung. Die Angestellten erhielten persönliche Zugangsdaten, um in das System einsteigen und dort im elektronischen Kalender in der aktuell zu planenden Woche Eintragungen vornehmen zu können. Jeder Angestellte kann dort sehen, wie viele Freizeitwünsche er noch abgeben kann. Durch Anklicken der einzelnen Tage gibt der Angestellte seinen Freiwunsch bekannt. Für jene Tage, an denen im Vorhinein mit einem besonders hohen Freiwunsch-Aufkommen gerechnet wird, können keine Freiwünsche abgegeben werden. Danach werden die Dienstpläne von der dafür zuständigen Angestellten der Beklagten für jeweils drei Wochen im Voraus erstellt. Dabei werden Freiwünsche entweder berücksichtigt oder aufgrund dienstrechtlicher Gründe oder betrieblicher Notwendigkeit abgelehnt. Die Angestellten der Beklagten erhalten parallel zum Dienstplan eine E-Mail, in welcher ihnen mitgeteilt wird, ob ihre Freiwünsche akzeptiert wurden. Darüber hinaus wird auch im Computerprogramm markiert, ob ein bestimmter Freiwunsch erfüllt wurde oder nicht.

Nach Erstellung des Dienstplans erhält der Betriebsrat eine aktuelle Ausfertigung vom Dienstplan. Die Beklagte verweigert dem Betriebsrat aber sowohl die Herausgabe der Freiwunschaufzeichnungen als auch die Gewährung eines Zugangs zum elektronischen System.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm sämtliche Listen mit Freiwünschen der Beschäftigten im Bereich der (Blut-)Abnahme, die vor dem 1. 2. 2010 eingetreten sind, ab 1. 1. 2016 bis dato auszufolgen, in eventu ihm den Zugang zu diesen Listen bereitzustellen. Erst mit dieser Information sei es dem Betriebsrat iSd § 89 ArbVG möglich, anhand des Dienstplans zu prüfen, welche und wie viele Freiwünsche der Beschäftigten die Beklagte aufgrund der bestehenden betrieblichen Übung, die Teil der Arbeitsverträge sei, erfüllt habe. Es obliege der Beklagten, dem Kläger entweder die geforderten (vorhandenen) Listen (Ausdrucke der wöchentlichen Angaben, die zur Dienstplanerstellung verwendet würden) vorzulegen oder ihm Einsicht in den elektronischen Kalender zu geben.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass sich das Überwachungsrecht des Betriebsrats nach § 89 ArbVG nur auf die Einhaltung der die Arbeitnehmer des Betriebs betreffenden „Rechtsvorschriften“ beziehe, nicht aber auf Arbeitsbedingungen, die im Arbeitsvertrag vereinbart worden seien. Die Arbeitnehmer hätten auch gar keinen Rechtsanspruch auf Berücksichtigung ihrer „Freiwünsche“. Die vom Betriebsrat begehrten Listen existierten auch gar nicht. Zur Herstellung derartiger Aufzeichnungen sei die Beklagte nicht verpflichtet.

Das Erstgericht wies sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren des Klägers ab. Das Überwachungsrecht nach § 89 ArbVG beziehe sich nur auf generelle Rechtsnormen, nicht aber auf einzelvertragliche Rechte, wie betriebliche Übungen. Die Beklagte sei auch nicht rechtlich verpflichtet, Freiwünsche der Angestellten aufzuzeichnen. Der Kläger könne seine Ansprüche daher weder auf § 89 Z 2 ArbVG noch auf § 89 Z 1 letzter Satz ArbVG stützen.

Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung Folge, hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil zur Frage, ob dem Betriebsrat ein Überwachungsrecht betreffend die Einhaltung einer Betriebsübung bzw einzelvertraglicher Vereinbarungen zustehe, noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Das Berufungsgericht vertrat zusammengefasst die Auffassung, dass sich das Überwachungsrecht des Betriebsrats nach § 89 ArbVG auch auf einzelvertragliche Rechte, vor allem aber auf betriebliche Übungen beziehe. Der Kläger habe daher grundsätzlich ein Überwachungsrecht hinsichtlich der Führung des Freiwunschkalenders nach § 89 Z 1 letzter Satz und Z 2 erster Satz ArbVG. Das Verfahren sei aber noch nicht spruchreif, weil der Frage, ob die vom Kläger begehrten „Listen mit Freiwünschen“ bei der Beklagten vorhanden oder zumindest jederzeit erstellbar seien (zB Computerausdrucke, falls die Aufzeichnungen nur elektronisch vorhanden seien), entscheidungsrelevante Bedeutung zukomme. Ein Einsichtsrecht des Betriebsrats bestehe nämlich grundsätzlich nur bezüglich tatsächlich vorhandener Aufzeichnungen und Unterlagen.

Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils.

Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist zulässig, weil die Frage, ob dem Betriebsrat ein Überwachungsrecht betreffend die Einhaltung betrieblicher Übungen zusteht, vom Obersten Gerichtshof bisher nicht beantwortet wurde (§ 502 Abs 1 ZPO); das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

1. Der 1. Abschnitt des 3. Hauptstücks des II. Teils des Arbeitsverfassungsgesetzes (§§ 89 bis 93) enthält Bestimmungen über die Allgemeinen Befugnisse der Arbeitnehmerschaft. § 89 ArbVG, der das Überwachungsrecht des Betriebsrats normiert, lautet:

Der Betriebsrat hat das Recht, die Einhaltung der die Arbeitnehmer des Betriebs betreffenden Rechtsvorschriften zu überwachen. Insbesondere stehen ihm folgende Befugnisse zu:

1. Der Betriebsrat ist berechtigt, in die vom Betrieb geführten Aufzeichnungen über die Bezüge der Arbeitnehmer und die zur Berechnung dieser Bezüge erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen, sie zu überprüfen und die Auszahlung zu kontrollieren. Dies gilt auch für andere die Arbeitnehmer betreffenden Aufzeichnungen, deren Führung durch Rechtsvorschriften vorgesehen ist;

2. der Betriebsrat hat die Einhaltung der für den Betrieb geltenden Kollektivverträge, der Betriebsvereinbarungen und sonstiger arbeitsrechtlicher Vereinbarungen zu überwachen. Er hat darauf zu achten, daß die für den Betrieb geltenden Kollektivverträge im Betrieb aufgelegt (§ 15) und die Betriebsvereinbarungen angeschlagen oder aufgelegt (§ 30 Abs 1) werden. Das gleiche gilt für Rechtsvorschriften, deren Auflage oder Aushang im Betrieb in anderen Gesetzen vorgeschrieben ist;

3. der Betriebsrat hat die Durchführung und Einhaltung der Vorschriften über den Arbeitnehmerschutz, über die Sozialversicherung, über eine allfällige betriebliche Altersversorgung einschließlich der Wertpapierdeckung für Pensionszusagen (§ 11 Betriebspensionsgesetz, BGBl. Nr. 282/1990, in der jeweils geltenden Fassung) sowie über die Berufsausbildung zu überwachen. Zu diesem Zweck kann der Betriebsrat die betrieblichen Räumlichkeiten, Anlagen und Arbeitsplätze besichtigen. Der Betriebsinhaber hat den Betriebsrat von jedem Arbeitsunfall unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Betriebsbesichtigungen im Zuge behördlicher Verfahren, durch die Interessen der Arbeitnehmerschaft (§ 38) des Betriebes (Unternehmens) berührt werden, sowie Betriebsbesichtigungen, die von den zur Überwachung der Arbeitnehmerschutzvorschriften berufenen Organen oder die mit deren Beteiligung durchgeführt werden, ist der Betriebsrat beizuziehen. Der Betriebsinhaber hat den Betriebsrat von einer anberaumten Verhandlung sowie von der Ankunft eines behördlichen Organs in diesen Fällen unverzüglich zu verständigen;

4. werden im Betrieb Personalakten geführt, so ist dem Betriebsrat bei Einverständnis des Arbeitnehmers Einsicht in dessen Personalakten zu gewähren.

2. Dem Betriebsrat kommt das Einsichtsrecht in bestimmte Aufzeichnungen und Unterlagen zu, wenn diese Einsicht erforderlich ist, um die Einhaltung bestimmter Rechtsvorschriften durch den Betriebsinhaber überwachen zu können (9 ObA 115/17b Pkt 4.2). Entscheidend ist daher, welche Rechtsvorschriften den Arbeitnehmern Ansprüche verschaffen, deren Einhaltung der Betriebsrat mit dieser Einsicht (konkret) überwachen will. Das Gesetz regelt dazu in Form einer Generalklausel (§ 89 Satz 1 ArbVG), dass der Betriebsrat die Einhaltung der die Arbeitnehmer des Betriebs betreffenden Rechtsvorschriften zu überwachen hat. Ergänzend zählt er demonstrativ („Insbesondere“) konkrete Befugnisse auf (§ 89 Z 1 bis 4 ArbVG), wodurch die Generalklausel ausgeformt wird, sodass diese auch zur Auslegung der Generalklausel herangezogen werden können (vgl 6 Ob 97/15f Pkt 5.3).

3. Im Anlassfall stellt sich die Frage, ob unter den Begriffen „Rechtsvorschriften“ in der Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG bzw „sonstiger arbeitsrechtlicher Vereinbarungen“ deren Einhaltung der Betriebsrat zu überwachen hat (§ 89 Z 2 Satz 1 ArbVG) auch betriebliche Übungen zu verstehen sind. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen dem Betriebsrat auch ein Überwachungs- und Einsichtsrecht in Einzelarbeitsverträge der Arbeitnehmer zusteht, um seine ihm nach § 89 ArbVG zustehenden Rechte wahrnehmen zu können, muss hier nicht geklärt werden. Ein derartiges Recht macht der Betriebsrat mit seiner vorliegenden Klage nicht geltend.

4.1. § 6 ABGB bestimmt, dass einem Gesetz in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden darf, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet. Allgemein ist bei der Gesetzesauslegung von der wörtlichen (sprachlichen, grammatikalischen) Auslegung, die nach dem Wortsinn der Norm und innerhalb des durch den äußerst möglichen Wortsinn abgesteckten Rahmens nach der Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch oder dem des Gesetzgebers und in seinem Zusammenhang innerhalb der Regelung fragt, auszugehen (Posch in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 6 Rz 5 mwN uva). Die Gesetzesauslegung darf aber bei der Wortinterpretation nicht stehen bleiben (RIS-Justiz RS0008788 [T3] ua). Der Sinn einer Bestimmung ist unter Bedachtnahme auf deren Zweck zu erfassen (objektiv-teleologische Interpretation). Die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe sind selbständig weiter und zu Ende zu denken (RIS-Justiz RS0008836 [T4]).

4.2. Eine Auslegung durch Feststellung des Willens des historischen Gesetzgebers an Hand der Gesetzesmaterialien bedarf zwar besonderer Vorsicht, weil diese nicht Gesetz geworden sind und mit dem wahren Willen des Gesetzgebers nicht übereinstimmen müssen. Sie hat aber eine gewisse Vermutung der Richtigkeit für sich (RIS-Justiz RS0008776 [T2]).

4.3. Der Rekurswerberin ist zuzugestehen, dass die einfache Wortinterpretation des Begriffs „Rechtsvorschriften“ auf den ersten Blick darauf hindeutet, dass damit generelle Normen (zB gesetzliche und kollektivvertragliche Bestimmungen) gemeint sind, wird dieser Begriff im Arbeitsverfassungsgesetz doch auch an anderer Stelle offenbar in diesem Sinn verwendet (vgl §§ 91 Abs 2, 260 Abs 1 ArbVG).

4.4. Die einschlägigen Gesetzesmaterialien zeigen jedoch ein umfassenderes Bild des Begriffs „Rechtsvorschriften“. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage betreffend die Einführung des ArbVG (RV 840 BlgNR 13. GP 81), wird das Überwachungsrecht des Betriebsrats mittels einer Generalklausel umschrieben und durch die beispielsweise Aufzählung einzelner Überwachungsbefugnisse ausgeformt. Die umfassende Formulierung der Generalklausel soll ein umfassendes Überwachungsrecht des Betriebsrats bezüglich der Einhaltung aller die Arbeitnehmer berührenden Normen (zB arbeits-, steuer- oder sozialversicherungsrechtlichen Inhalts) sicherstellen. Es kommt daher nicht darauf an, ob sich solche Normen aus Gesetz, Verordnung, Kollektivvertrag, Satzung, Mindestlohntarif oder Betriebsvereinbarungen, Bescheid oder Einzelarbeitsvertrag, oder etwa aus schuldrechtlichen Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Betriebsinhaber ergeben.

4.5. Der Regierungsvorlage lag zwar noch folgende Formulierung der Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG zugrunde: „Der Betriebsrat hat das Recht, die Einhaltung der die Arbeitnehmer des Betriebes betreffenden Rechtsvorschriften und arbeitsrechtlichen Vereinbarungen zu überwachen.“ Die Wortfolge „arbeitsrechtlicher Vereinbarungen“ wurde im Zuge der Sozialpartnerverhandlungen aufgrund entsprechender Abänderungsanträge (AB 993 BlgNR 13. GP 1) von der Generalklausel in die Z 2 der Bestimmung verlagert. Während unter den Rechtsvorschriften die Individualabreden gerade noch verstanden werden konnten, mussten sie in der Z 2 im Kontrast zum Kollektivvertrag und zur Betriebsvereinbarung ausdrücklich erwähnt werden (Löschnigg, Datenermittlung 196; aA Strasser in Floretta/Strasser, ArbVG-Handkommentar § 89 ArbVG Pkt 5.3).

5.1. Im Schrifttum wird die im vorliegenden Verfahren strittige Frage, ob auch betriebliche Übungen vom Überwachungsrecht des Betriebsrats gemäß § 89 ArbVG umfasst sind, überwiegend bejaht (Löschnigg, Datenermittlung im Arbeitsverhältnis [2009], 196 ff; Drs in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 89 Rz 25 auch unter Bezugnahme auf betriebliche Übungen Rz 26). Auch jene Lehrmeinungen, wonach vom Überwachungsrecht des Betriebsrats sogar die einzelnen Arbeitsverträge umfasst sind, teilen erkennbar diesen Standpunkt, weil eine betriebliche Übung durch die schlüssige Zustimmung der Arbeitnehmer zum Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge wird und damit letztlich auf rechtsgeschäftlichem Weg Bedeutung erlangt (Cerny in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht III4 § 89 ArbVG Erl 8; Hruška-Frank, Einsichtsrecht des Betriebsrats in Aufzeichnungen über Bezüge der ArbeitnehmerInnen im Betrieb, infas 2008, 43 [45]; DRdA 2015/33 [Goricnik]; Mosler in Tomandl, ArbVG § 89 Rz 14; Kietaibl, Arbeitsrecht I10 153; Auer-Mayer in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5, § 89 Rz 6 f; RIS-Justiz RS0014543; RS0014539 [T21]). Begründet wird die letztgenannte Rechtsauffassung im Wesentlichen mit dem Wortlaut der umfassenden Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG und der beispielhaften Aufzählung von „sonstigen arbeitsrechtlichen Vereinbarungen“ in § 89 Z 2 Satz 1 ArbVG, den Gesetzesmaterialien und damit, dass nur so das Ziel des Gesetzgebers (Sicherstellung der korrekten Behandlung der Arbeitnehmer, insbesondere auch korrekte Berechnung und Ausbezahlung der den Arbeitnehmern zustehenden Bezüge) umgesetzt werden kann.

5.2. Selbst jener Teil im Schrifttum, der zwar die Ansicht vertritt, dass Einzelarbeitsverträge vom Überwachungsrecht nicht erfasst sind, weil es sich beim Überwachungsrecht des Betriebsrats gemäß § 89 ArbVG um ein kollektives Recht handelt, das der Belegschaft des Betriebs zusteht und eine einzelvertragliche Vereinbarung nicht gleichmäßig „für den Betrieb“ gilt, subsumiert betriebliche Übungen unter den Begriff „sonstige arbeitsrechtlichen Vereinbarungen“ in § 89 Z 2 ArbVG (Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht3 670; Lang, Kein uneingeschränktes Einsichtsrecht des Betriebsrats in Arbeitsverträge – Eine genauere Betrachtung des § 89 ArbVG, ASoK 2016, 470 ff [472]; Risak in Mazal/Risak, Das Arbeitsrecht, System- und Praxiskommentar Kap XIX Rz 160; Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 367 betreffend generelle Regelungen im Betrieb).

6. Zusammengefasst teilt der Senat die Überlegungen jenes Teils des Schrifttums, der den in der Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG enthaltenen Begriff „Rechtsvorschriften“ nicht auf Gesetz, Verordnung, Kollektivvertrag, Satzung, Mindestlohntarif oder Betriebsvereinbarungen beschränkt, sondern umfassender auch im Sinne von betrieblichen Übungen, die zumindest einen Teil der Belegschaft betreffen, versteht. Dafür sprechen auch die historischen Gesetzesmaterialien, wird doch darin sogar der Einzelarbeitsvertrag als Norm, deren Einhaltung der Betriebsrat zu überwachen hat, genannt.

7. Der klagende Betriebsrat stützt sein Haupt- und Eventualbegehren auf die Überwachung der Einhaltung einer konkreten betrieblichen Übung durch die Beklagte. Er will damit nicht einzelne Arbeitsverträge oder „Wünsche“ der Angestellten – so der Rekurswerber – überwachen. Der Betriebsrat fordert in diesem Zusammenhang auch nicht die Einsicht in die Einzelarbeitsverträge der von der Betriebsübung betroffenen Mitarbeiter, sondern strebt (nur) die Einsicht in die entsprechenden „Freiwunschlisten“ bzw eventualiter die Gewährung eines Zugangs zum elektronischen System der Beklagten an, um feststellen zu können, welche Freiwünsche überhaupt abgegeben wurden. Nur dadurch und durch den Vergleich mit den erstellten Dienstplänen ist dem Betriebsrat die Überwachung der Einhaltung der betrieblichen Übung und damit des Anspruchs dieser Mitarbeiter, dass deren Freiwünsche von der Beklagten bei Erstellung der Dienstpläne grundsätzlich berücksichtigt werden, möglich. Die dem Betriebsrat durch § 89 ArbVG eingeräumten Überwachungsrechte kann dieser wirkungsvoll nur dann wahrnehmen, wenn er in Kenntnis aller dafür erforderlichen Informationen ist bzw sich diese durch Einsicht in die entsprechenden Unterlagen beschaffen kann. Nur wenn er in die „Freiwunschlisten“ der Mitarbeiter – in welcher Form auch immer – Einsicht nehmen kann, kann er auch seiner Pflicht (9 ObA 115/17b Pkt 4.2), die Einhaltung der die Arbeitnehmer des Betriebs betreffende Rechtsvorschriften, wozu auch betriebliche Übungen zählen, zu überwachen, nachkommen.

8. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ist somit nach deren Grundsätzen nicht zu beanstanden. Wenn das Berufungsgericht zu seiner abschließenden rechtlichen Beurteilung noch die Ergänzung der Feststellungen für erforderlich erachtet, kann dem der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179).

Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 50, 52 ZPO.

Textnummer

E124595

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00009.19T.0227.000

Im RIS seit

12.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

19.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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