TE OGH 2019/1/25 8Ob133/18v

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Veröffentlicht am 25.01.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers A***** M*****, vertreten durch Dr. Lucas Lorenz, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die Antragsgegnerin V***** M*****, wegen Unterhalt, infolge des Revisionsrekurses des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 9. März 2016, GZ 54 R 26/16v-38, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 11. Dezember 2015, GZ 3 Fam 6/15h-35, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das Verfahren wird fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Unterhaltssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

I. Das Revisionsrekursverfahren wurde mit Beschluss vom 28. März 2017, 8 Ob 45/16z, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof unter einem gestellten Antrag auf Vorabentscheidung nach Art 267 AEUV ausgesetzt.

Nunmehr hat der Gerichtshof mit Urteil vom 20. September 2018, C-214/17, M*****, über diesen Antrag entschieden. Das Revisionsrekursverfahren war daher von Amts wegen fortzusetzen.

II. Der in Österreich lebende Antragsteller ist der eheliche Vater der 1996 geborenen Antragsgegnerin, die ein Studium absolviert und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Italien hat.

Der Antragsteller ist aufgrund eines Beschlusses des Erstgerichts vom 10. 10. 2014 zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 650 EUR an die Antragsgegnerin verpflichtet. Dieses Verfahren war über Antrag der Tochter, die bereits damals ständig in Italien lebte, beim Erstgericht eingeleitet worden.

Kurz nach Rechtskraft dieses Beschlusses stellte der Vater beim Erstgericht den Antrag, den geltenden Unterhaltsbeitrag ab 1. 2. 2015 auf 490 EUR monatlich herabzusetzen, weil sich sein Nettoeinkommen durch den Wegfall einer jährlichen Prämie dauerhaft verringert habe. Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Herabsetzungsbegehrens.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Es ging davon aus, dass gemäß Art 3 Abs 1 HUP italienisches Recht auf den Unterhaltsanspruch anzuwenden sei, weil die Berechtigte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Italien habe. Der festgesetzte Unterhaltsbeitrag entspreche aber im Sinne des Art 155 des italienischen Codice Civile den Bedürfnissen der Antragsgegnerin und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Antragstellers.

Das Rekursgericht vertrat die Rechtsansicht, dass bei der Festsetzung des Unterhalts im Anlassfall österreichisches Recht anzuwenden sei, bestätigte aber die abweisende Entscheidung des Erstgerichts im Ergebnis. Mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage des in derartigen Konstellationen anwendbaren Rechts erklärte es den Revisionsrekurs für zulässig.

Es könne bei unverändertem gewöhnlichem Aufenthalt beider Parteien nicht schon deswegen zu einer Änderung des anzuwendenden Rechts kommen, weil der Unterhaltsverpflichtete nur wenige Monate nach der letzten rechtskräftigen Unterhaltsfestsetzung einen Herabsetzungs-antrag stelle. Ein Wechsel des Rechts gemäß Art 3 Abs 2 HUP setze vielmehr die Änderung einer für die Anknüpfung relevanten Tatsache voraus. Würde man davon absehen, könne es zu der paradoxen Situation kommen, dass konkurrierende Erhöhungs- und Herabsetzungsanträge, die den selben Zeitraum betreffen, nach verschiedenen Rechtsordnungen zu beurteilen wären.

Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist im Sinne der Ausführungen des Rekursgerichts zulässig. Er strebt zusammengefasst die Antragsstattgebung auf Grundlage italienischen Rechts an. Die Antragsgegnerin hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist im Sinne des darin gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Nach Art 3 Abs 1 des Haager Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht 2007 (HUP) lautet die allgemeine Regel in Bezug auf das anzuwendende Recht, dass für Unterhaltspflichten das Recht des Staats maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nach Art 4 Abs 3 HUP ist aber (neben hier nicht relevanten Gründen) ausnahmsweise dann das am gewöhnlichen Aufenthaltsort der verpflichteten Partei geltende Recht anzuwenden, wenn die unterhaltsberechtigte Person selbst eine Behörde dieses Staats angerufen hat.

Für den Anlassfall ist es entscheidend, ob das nach Art 4 Abs 3 HUP aufgrund eines Antrags des unterhaltsberechtigten Kindes im Staat des verpflichteten Elternteils bei der Unterhaltsfestsetzung angewandte Recht auch in einem anschließenden Verfahren fortwirkt, das der Verpflichtete nach Rechtskraft der Unterhaltsfestsetzung anstrengt und in dem er die Herabsetzung des Unterhaltsbeitrags fordert.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die ihm dazu gestellten Vorlagefragen dahin beantwortet, dass

- in einem Fall wie dem vorliegenden, wo der zu zahlende Unterhaltsbeitrag auf Antrag der berechtigten Person gemäß Art 4 Abs 3 HUP rechtskräftig nach dem Ort des am angerufenen Gericht geltenden Rechts festgesetzt worden ist, dieses Recht nicht auch für einen Antrag auf Herabsetzung des festgesetzten Unterhaltsbeitrags maßgeblich ist, den die verpflichtete Person in der Folge bei einem Gericht ihres Aufenthaltsstaats gegen die berechtigte Person einbringt,

- die berechtigte Person die zuständige Behörde des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts der verpflichteten Partei nicht im Sinne des Art 4 Abs 3 HUP „anruft“, wenn sie sich nur auf ein von der verpflichteten Partei bei dieser Behörde eingeleitetes Verfahren durch Bestreiten in der Sache einlässt.

Daraus folgt, dass der Revisionsrekurs zutreffend die Anwendung italienischen materiellen Rechts bei der Beurteilung des gegenständlichen Herabsetzungsantrags geltend macht. In der Nichtermittlung anzuwendenden ausländischen Rechts liegt ein Verfahrensmangel besonderer Art, der dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu unterstellen ist (4 Ob 177/13b; 2 Ob 121/11z; 4 Ob 232/07g; 2 Ob 235/16x) und zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führt (RIS-Justiz RS0116580, RS0040045), wenn der Rechtsmittelwerber zumindest ansatzweise darlegt, warum nach der richtig anzuwendenden Rechtsordnung ein günstigeres als das vom Gericht zweiter Instanz erzielte Ergebnis zu erwarten wäre (2 Ob 235/16x mwN).

Diesen Anforderungen genügen sowohl die Rekurs- als auch Revisionsrekursausführungen des Antragstellers, wenn er darlegt, dass nach dem anzuwendenden Art 155 des italienischen Codice Civile für die Bemessung des Unterhalts eines volljährigen Kindes neben dessen eigenen Bedürfnissen unter anderem die wirtschaftlichen Grundlagen beider Eltern einschließlich des wirtschaftlichen Werts der übernommenen Leistungen für Haushalt und Pflege zu ermitteln seien. Lediglich soweit der Antragsteller auch Erhebungen darüber vermisst, ob die volljährige Antragsgegnerin ihr Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt, verstoßen die Ausführungen gegen das Neuerungsverbot, weil diese Anspruchsvoraussetzung im erstinstanzlichen Verfahren nicht releviert oder gar bestritten wurde.

Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen reichen für die abschließende Beurteilung der Rechtssache nicht aus. Es hat seine rechtliche Beurteilung auf die Kriterien bezogen, nach denen eine einvernehmliche Unterhaltsvereinbarung nach italienischem Recht nachträglich abgeändert werden kann. Dieser Fall liegt hier aber nicht vor. Erhebungen darüber, nach welchen Kriterien ein – mangels Einigung – gerichtlich festgelegter Kindesunterhalt nach italienischem Recht auf Antrag des verpflichteten Elternteils abgeändert werden kann und Feststellungen, die zur Beurteilung dieser Voraussetzungen geeignet sind, etwa über eine allfällige teilweise Deckung von Bedürfnissen der Antragsgegnerin durch Unterhaltsleistungen der Mutter, wurden bisher nicht getroffen.

Zur abschließenden rechtlichen Beurteilung erweist sich daher eine Ergänzung des Verfahrens als erforderlich.

Da die Behandlung der Revisionsausführungen nicht nur eine vertiefte Ermittlung des italienischen Rechts erfordern wird – die als solche auch das Rekursgericht bewirken könnte (vgl 4 Ob 30/15p) – sondern das Ergebnis zur Notwendigkeit weiterer Erhebungen und einer Ergänzung der Sachverhaltsfeststellungen führen kann, ist zur Vermeidung verlorenen Verfahrensaufwands auch die Entscheidung erster Instanz aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Über die Verfahrenskosten ist nach § 78 Abs 1 AußStrG erst in einem die Sache erledigenden Beschluss zu entscheiden.

Textnummer

E124407

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00133.18V.0125.000

Im RIS seit

05.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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