TE OGH 2019/2/27 7Ob196/18a

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Veröffentlicht am 27.02.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr.

 Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** P*****, vertreten durch Heiss & Heiss Rechtsanwälte OG in Innsbruck, gegen die beklagte Partei G***** P*****, vertreten durch Mag. Johannes Aigner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ehescheidung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. August 2018, GZ 1 R 98/18w-24, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 2. März 2018, GZ 48 C 13/16z-19, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Streitteile haben am 23. 10. 1987 die Ehe geschlossen. Dieser entstammen zwei inzwischen volljährige Söhne.

Mit der am 22. 8. 2016 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die Klägerin den Ausspruch der Scheidung der mit dem Beklagten geschlossenen Ehe aus dessen Verschulden (§ 49 EheG); sie brachte dazu vor, die Ehe sei – allein vom Beklagten verursacht und verschuldet – unheilbar zerrüttet. An über die Jahre hindurch begangenen Eheverfehlungen wirft sie ihm im Wesentlichen vor, nur seine eigenen (Freizeit-)Interessen, insbesondere das Golfspiel, gepflegt zu haben, und zwar auch während der für die Klägerin besonders belastenden Zeiten deren Krebsdiagnosen bzw Operationen und Therapien im Jahr 2003 und neuerlich im Jahr 2014. Dadurch sowie besonders durch seine Vorwürfe, sie „komme aus einer krebsverseuchten Familie“, sie sei – wegen ihrer krankheitsbedingten Medikamenteneinnahme völlig ungerechtfertigt – nicht zurechnungsfähig und leide an gravierenden Depressionen und den Vorschlag, sie „solle sich einen Liebhaber suchen, was ihn überhaupt nicht stören würde“, habe er seine eheliche Beistandspflicht massiv verletzt. Verzeihung könne wegen der Wiederholung bzw Aufrechterhaltung der Eheverfehlungen nicht angenommen werden.

Der Beklagte beantragt kostenpflichtige Klagsabweisung. Er habe keine Ehescheidungsgründe gesetzt; vielmehr habe er die Klägerin in ihrer Krankheitsbewältigung immer unterstützt und die behaupteten Aussagen keinesfalls getätigt. Einen Mitschuldantrag hat der Beklagte nicht gestellt.

Das Erstgericht hat die Ehe der Streitteile aus dem Verschulden des Beklagten gemäß § 49 EheG geschieden. Eheverfehlungen, die länger als sechs Monate vor der Klagseinbringung zurückliegen, seien grundsätzlich verfristet, jedoch könnten sie zur Unterstützung neuer Eheverfehlungen herangezogen werden, was hier für das festgestellte Masturbieren des Beklagten vor der Klägerin gegen deren Willen und seinen Vorschlag, sich doch einen Liebhaber zu suchen, gelte. Dazu komme, dass der Beklagte die Klägerin objektiv bei ihrer zweiten Krebserkrankung nur wenig unterstützt, sie nicht zu Arztterminen und Therapien begleitet, sie nur einmal besucht und ihr die Hausarbeit nicht zum größten Teil abgenommen habe. Trotz Offensichtlichkeit ihrer Belastung und Ruhebedürftigkeit habe er es abgelehnt, seine Freizeit zumindest teilweise gemütlich mit ihr zu Hause zu verbringen, wodurch sich die Klägerin im Stich gelassen gefühlt habe; dies habe zur Zerrüttung der Ehe geführt und sei unbeachtet einer Verfristung oder Verzeihung zur Unterstützung der aktuellen Eheverfehlungen heranzuziehen.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klagsabweisenden Sinn ab. Der Beweisrüge des Beklagten sei schon aus dem Grund nicht näher zu treten, weil sich in rechtlicher Würdigung der unveränderten erstinstanzlichen Sachverhaltsgrundlage die Klagsabweisung ergäbe. Der Klägerin sei es verwehrt, vor dem 22. 2. 2016 gesetzte Eheverfehlungen als ausschlaggebenden Scheidungsgrund heranzuziehen, soweit nicht danach wiederum Eheverfehlungen gesetzt worden seien, zu deren Unterstützung die schon verfristeten (oder verziehenen) Verhaltensweisen des schuldigen Teils zu beachten seien. Dass der Beklagte vor der – dieses Verhalten ablehnenden – Klägerin masturbiert habe, sei im erstgerichtlichen Verfahren nicht vorgebracht worden. Als einzige beachtliche (neue) Eheverfehlung verbleibe die „Aufforderung“ des Beklagten an die Klägerin betreffend einen „Liebhaber“. Diese Bemerkung könne im Kontext der übrigen Feststellungen aber keinesfalls in die Richtung verstanden werden, dass es ihm tatsächlich ernsthaft wünschenswert erschienen wäre, dass die Klägerin eine Beziehung zu einem anderen Mann aufnehme.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte begehrt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuverweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1.1 Eheverfehlungen im Sinn des § 49 EheG müssen schuldhaft gesetzt werden und objektiv schwer sein (RIS-Justiz RS0056366). Die Frage, ob schwere Eheverfehlungen gesetzt wurden, ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Berücksichtigung des Wesens der Ehe zu beantworten; zu beurteilen ist die innere Einstellung des verletzenden Ehegatten sowie die Wirkung seines Verhaltens auf den verletzten Ehegatten, das freilich auch objektiv geeignet sein muss, eine Zerrüttung der Ehe herbeizuführen. Dabei kommt es nicht auf das persönliche Empfinden des verletzten Ehegatten, sondern darauf an, ob die Pflichtverletzungen unter gewöhnlichen Verhältnissen bei einem selbst von echter ehelicher Gesinnung erfüllten, also auch zur Nachsicht bereiten Ehepartner eine völlige Entfremdung herbeiführen würden (RIS-Justiz RS0056369). Ein Ehepartner verstößt gegen die Verpflichtung zur gegenseitigen Achtung, Rücksichtnahme und zum ehelichen Bemühen, dem anderen Ehepartner das Zusammenleben erträglich zu machen, wenn er ein Verhalten an den Tag legt, das den anderen kränkt oder geeignet ist, ihm Aufregung zu bereiten (RIS-Justiz RS0055998). Das Zurückziehen des Ehegatten aus dem Familienverband begründet ebenso eine schwere Eheverfehlung (RIS-Justiz RS0056505) wie wiederholte grundlose Beschimpfungen und überhaupt die Verletzung der Verpflichtung zur anständigen Begegnung zwischen den Ehegatten (RIS-Justiz RS0056711) oder Verletzung der Beistandspflicht (§ 90 ABGB). Die zum Wesen der Ehe gehörende Gemeinsamkeit der Lebensführung beschränkt sich keinesfalls auf eine rein räumliche Gemeinsamkeit, sie erfordert auch ein geistig seelisches Miteinander. Sie beinhaltet, dass bei der Freizeitgestaltung Kompromisse geschlossen werden müssen, damit auch die Interessen und Wünsche des Partners berücksichtigt werden (RIS-Justiz RS0056053 [T2, T10]). Häufiges Alleinlassen des Ehegatten, insbesondere auch zu den Wochenenden (RIS-Justiz RS0056144), stellt eine schwere Eheverfehlung dar.

1.2 Gemäß § 57 Abs 1 EheG erlischt das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens, wenn der Ehegatte nicht binnen sechs Monaten die Klage erhebt. Verfristete und verziehene Eheverfehlungen können nach § 59 Abs 2 EheG zur Unterstützung einer auf andere Eheverfehlungen gegründeten Scheidungsklage herangezogen werden. Diese neuen Eheverfehlungen brauchen für sich allein nicht zu einer Scheidung ausreichen, sie dürfen aber auch nicht vollkommen belanglos sein. Sie müssen jedenfalls zusammen mit der hilfsweise geltend gemachten Eheverfehlung schwer sein, damit ein Scheidungsgrund vorliegt (RIS-Justiz RS0056907).

1.3 Fortgesetztes ehewidriges Verhalten ist als Einheit aufzufassen, sodass der Fristablauf auf die letzte Handlung abzustellen ist (RIS-Justiz RS0057240). Gerade in den Fällen, in denen der Scheidungsgrund nicht in einem punktuellen Verhalten besteht, sondern sich eine Reihe von an sich nicht so schwerwiegenden Verhaltensweisen in ihrer Gesamtheit zu einem Scheidungsgrund verdichtet, läuft die Frist erst von der Kenntnisnahme der letzten in diesem Zusammenhang konkretisierbaren ehewidrigen Handlung des Partners (RIS-Justiz RS0057240 [T3], 3 Ob 27/11h, 8 Ob 88/17z).

2.1 Die Klägerin legt dem Beklagte eine über Jahre bis zuletzt andauernde lieb- und interessenlose Behandlung, fehlenden Beistand und das Fehlen einer anständigen Begegnung zur Last. Sie wirft ihm damit – im Gegensatz zur Rechtsmeinung des Berufungsgerichts – einen Dauerzustand vor. Dessen Vorliegen und Andauern bis zum relevanten Zeitpunkt – 6 Monate vor Einbringung der Scheidungsklage – folgt bereits aus der erstgerichtlichen Feststellung, wonach der Beklagte nach einer Besserung zwischen Juli und Weihnachten 2014 „wieder in den alten Trott verfiel“.

2.2 Allerdings sind die dem Beklagten vorgeworfenen Verhaltensweisen Gegenstand der vom Berufungsgericht (ausgehend von einer unrichtigen Rechtsmeinung) nicht geprüften Tatsachenrügen des Beklagten und der Klägerin, sodass eine rechtliche Beurteilung derzeit nicht möglich ist.  Der Revision war daher Folge zu geben. Die Entscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben und die Rechtssache an dieses zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

3. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E124450

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00196.18A.0227.000

Im RIS seit

04.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.12.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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