TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/19 W241 2185843-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.11.2018
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Entscheidungsdatum

19.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §15
AsylG 2005 §18
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs4b
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §75 Abs24
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W241 2185843 -1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hafner als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.01.2018, Zahl 1093934600/151721396, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.06.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der damals noch minderjährige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 07.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner Erstbefragung am 08.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er stamme aus der Provinz Parwan (Afghanistan), sei schiitischer Hazara und ledig. Seine Eltern und mehrere Brüder und Schwestern würden noch im Heimatdorf leben, wo die Familie ein Haus und ein Grundstück besitzen würde. Er selbst hätte im Geschäft des Vaters gearbeitet. Vor ca. fünf Monaten hätte er Afghanistan verlassen und wäre über Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gereist.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er im Geschäft von zwei Taliban-Kämpfern attackiert und mit dem Messer in den Bauch gestochen worden wäre. Er hätte geschrien, woraufhin die beiden weggelaufen wären. Sie hätten dann auch ein paar Drohbriefe erhalten, in denen gestanden wäre, dass der BF umgebracht werden solle. Aus diesem Grund hätte er Afghanistan verlassen.

1.3. Am 22.09.2017 wurde der BF wegen Verdachts der Begehung von Straftaten gemäß § 27 Abs. 2 SMG im Zeitraum vom 08.11.2015 bis 17.09.2017 zur Anzeige gebracht. Bei der Einvernahme vor der Polizei gab der BF an, regelmäßig Cannabis zu konsumieren.

1.4. Bei seiner Einvernahme am 31.10.2017 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, legte der BF Folgendes vor:

-

Tazkira, ausgestellt am 26.09.2015;

-

Drohbrief des Islamischen Emirats Afghanistan

-

ÖSD Zertifikat A1

-

Bestätigung des ÖIF über die Teilnahme am Werte- und Orientierungskurs

-

Jobprofil der WKÖ OÖ

-

zwei afghanische Firmeneinschreibungen betreffend Firmen XXXX

-

zwei Waffenscheine

-

zwei Unterstützungsschreiben

Anschließend machte der BF Angaben zu seinen Lebensverhältnissen in Afghanistan und gab betreffend sein Fluchtvorbringen Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"A: Mein Vater ist ein Geschäftsmann, ich hatte auch ein Geschäft. In der Nähe des Geschäftes gibt es eine große Polizeistation. Ich bekam von den Polizisten den Auftrag, ich belieferte die Station

nämlich......Ich und meine Familie wurden mehrmals von Taliban

bedroht. Ich wurde von Taliban beschuldigt, dass ich ein Spion der Polizisten bin. In der Nacht wurde das Geschäft von Taliban angegriffen und ich wurde mit einem Messer im Bauch- und Kopfbereich verletzt. Mein Geschäft wurde dann angezündet. Mithilfe von anderen Geschäftsleuten gelang mir die Flucht. Ich war dann ein paar Monate zu Hause, aufgrund der Verletzungen. Wir wurden auch danach noch bedroht, dass wir den Taliban Geld geben sollen, ansonsten ich entführt werden sollte. So hatte ich zwei Möglichkeiten, entweder schließe ich mich den Taliban an oder ich bezahle den Taliban Geld. Mein Vater hat dann entschieden, dass ich das Land verlassen muss. So habe ich es verlassen.

F: Haben Sie noch weitere Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?

A: Nein, das sind meine Gründe.

F: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

A: Ich werde von den Taliban bedroht, ich kann dort nicht leben. Es besteht auch die Gefahr, dass ich entführt werde. Wie Sie wissen, wenn man in Afghanistan reich ist, wird ein Familienmitglied entführt und kommt durch Lösegeld wieder frei. Wenn nicht bezahlt wird, ist diese Person tot.

Es wird rückübersetzt. AW wird aufgefordert genau aufzupassen und sofort bekannt zu geben, wenn etwas nicht korrekt sein sollte bzw. noch etwas zu ergänzen ist.

Nach erfolgter Rückübersetzung gibt AW an: es ist alles in Ordnung.

F: Wurden Sie persönlich verfolgt oder bedroht?

A: Ja. Nachgefragt von den Taliban.

F: Wurden Ihre Familienangehörigen verfolgt oder bedroht?

A: Ja. Nachgefragt mein Onkel väterlicherseits. Nachgefragt der Polizist. Nachgefragt, er lebt nach wie vor in Kabul.

F: Wie sah Ihr Sozialleben in Afghanistan aus in Bezug auf Freunde, Bekannte, Aktivitäten usw.?

A: Ja, es war gut, ich hatte Freunde.

F: In welchen anderen Provinzen Ihres Heimatstaates waren Sie schon in Ihrem Leben?

A: In keiner.

F: Sind Sie sicher?

A: Nein, ja, nein, ich war auf der Durchreise nach Pakistan in mehreren Provinzen.

F: Waren Sie je in Kabul, wenn ja, haben Sie dort Bekannte oder Verwandte?

A: Ja.

F: Haben Sie Angehörige in Europa oder in einem anderen Land?

A: In Europa nicht, meine Familie befindet sich in Pakistan.

[...]

F: Sie könnten in eine sichere, derzeit ungefährliche Provinz in Afghanistan gehen. Was sagen Sie dazu?

A: Die Taliban haben in allen Provinzen eigene Leute und diese stehen in Kontakt.

[...]

F: In welchem Geschäft fand der Vorfall statt, im Geschäft Ihres Vaters oder in Ihrem?

A: In meinem Geschäft.

F: Wieso gaben Sie dann in der EB an, im Geschäft Ihres Vaters?

A: Dort ist alles gemeinsam, ob es das Geschäft des Vaters war oder meines, ist doch dasselbe.

F: Wie weit sind die beiden Geschäfte voneinander entfernt?

A: Es war nur ein Geschäft.

F: Wie weit war die Polizeistation entfernt?

A: Zehn Minuten mit einem PKW.

F: Kamen die Polizisten auch zu Ihnen, um einzukaufen?

A: Ja. Nachgefragt, zwei bis dreimal pro Tag. Und auch die Familien der Polizisten kamen zu uns.

F: Dann kannten Sie doch viele?

A: Ja.

F: Wann genau war der Vorfall mit den Taliban?

A: Genau erinnere ich mich nicht, es war 2015. Nachgefragt, ca. sechs oder sieben Monate vor der Ausreise.

F: Welche Verletzungen haben Sie bei dem Angriff erlitten?

A: Im Bauch-, Kopf- und Schulterbereich wurde ich mit dem Messer verletzt.

F: Wo und wie wurden diese Verletzungen behandelt?

A: In Parwan gibt es ein Spital, dort wurde ich behandelt. Nachgefragt, ich glaube zehn Tage.

F: Wo sind diesbezügliche Atteste und Befunde?

A: Ich habe sie nicht mitgenommen, weil ich nicht wusste, dass ich sie brauche.

F: Was genau wollten die Taliban von Ihnen?

A: Sie wollten, dass sich jemand von unserer Familie den Taliban anschließt. Ich war der Älteste. Ich sollte die Polizeistation angreifen.

F: Kannten Sie die Personen als Taliban?

A: Sie sagten selber, dass sie Taliban wären.

F: Was hätten Sie dafür bekommen sollen, wenn Sie sich den Taliban anschließen?

A: Vielleicht hätte ich ein Gehalt bekommen. Nachgefragt, ich weiß es nicht.

F: Wie lange waren Sie nach dem Vorfall noch in Afghanistan?

A: Ca. sechs oder sieben Monate, weil ich verletzt war.

F: Sie waren zehn Tage im Krankenhaus?

A: Ja, ich hatte große Verletzungen und musste zu Hause liegen.

F: Wurden Sie oder Familienangehörige von den Taliban entführt?

A: Nein.

F: Wie lange blieb Ihre Kernfamilie nach Ihrer Ausreise noch in Afghanistan?

A: Ca. fünf Monate.

F: Kam es zu Vorfällen, Bedrohungen, Entführungen usw.?

A: Nein. Mehrmals wurden sie zwar bedroht, aber es passierte nichts.

F: Bei den Problemen mit der Polizei waren Sie alkoholisiert?

A: Ja, ich war alkoholisiert und hörte laut Musik.

F: Warum verschwiegen Sie die Anzeige wegen Übertretung nach dem SMG?

A: Mir wurde gesagt, dass es zu einer Fahndung kommt und ich war bei der Gerichtsverhandlung. Die Strafe von Euro 250,- und 132,- zahle ich in Raten.

F: Warum erzählten Sie nichts von den Problemen aufgrund des Suchtgiftes?

A: Ich habe gesagt, dass ich alkoholisiert war und zweimal bestraft wurde.

F: Sie haben oder hatten keine Probleme mit Suchtgift?

A: Nein. Ich wurde gefragt ob ich Marihuana selber rauche, das sagte ich ja.

F: Sie haben einmal Marihuana geraucht?

A: Ich rauche seit zwei Jahren regelmäßig, aber Sie fragten mich ja, ob ich mit Alkohol Probleme hatte.

F: Sie wurden gefragt, ob Sie Probleme mit dem Gesetz hatten?

A: Es kommt zu einer Gerichtsverhandlung, wann weiß ich nicht.

F: Ihnen ist aber schon bewusst, dass der Konsum von Suchtgift in Österreich verboten ist?

A: ......"

1.5. In der Folge wurde die Tazkira des BF einer kriminaltechnischen Untersuchung unterzogen, welche ergab, dass es sich um eine Totalfälschung handelt.

1.6. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 08.01.2018 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF zwei Wochen [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Seine Fluchtgeschichte habe der BF aufgrund der vagen Schilderung und angesichts mehrerer unplausibler Aussagen nicht glaubhaft machen können.

In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Begründung des Antrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) finde.

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe. Dem BF sei eine Rückkehr in seine Heimatprovinz aufgrund der dortigen Sicherheitslage aktuell nicht zumutbar, allerdings komme eine Innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul infrage, wo sich ein Onkel aufhalte. Es sei dem BF zumutbar, dort selbstständig durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus eigenen Kräften für die Deckung der grundlegendsten Bedürfnisse aufzukommen.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde den BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.7. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben vom 29.01.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

In der Beschwerdebegründung wurden weitwendige Ausführungen zu den Länderfeststellungen und zur Lage in Afghanistan gemacht, Auszüge aus diversen Berichten angeführt und vorgebracht, dass der BF als schiitischer Hazara und aufgrund der Verfolgung durch die Taliban in ganz Afghanistan Verfolgung befürchten müsse.

1.8. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 12.02.2018 beim BVwG ein.

1.9. Das BVwG führte am 20.06.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF im Beisein einer gewillkürten Vertreterin persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung.

Dabei legte der BF eine Bestätigung eines Bundesgymnasiums sowie eine Stellungnahme seiner Betreuerin im Jugendwohnhaus vor.

Daraufhin gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"R [Richter]: Geben Sie bitte die Aufenthaltsorte Ihrer näheren Angehörigen bekannt!

BF: Meine Eltern und meine Großmutter väterlicherseits leben in Pakistan. Mit meinen drei Onkeln väterlicherseits. Ein anderer Onkel väterlicherseits lebt in Afghanistan in Kabul Stadt. Er arbeitet im Innenministerium. Ich habe noch drei Schwestern und vier Brüder. Die sind bei meinen Eltern.

R: Sind die Brüder schon erwachsen?

BF: Nein, sie sind 15, 16 und 17 Jahre alt. Genau weiß ich das nicht. Sie sind jünger als ich.

R: Was arbeiten die Eltern in Pakistan?

BF: Sie arbeiten nicht, sie leben nur dort.

R: Wer versorgt sie?

BF: Mein Vater hat in Afghanistan eine Firma. Von diesen Einnahmen lebt die Familie. Die beiden Onkeln sind gemeinsam mit meiner Familie. Auch sie arbeiten nicht.

R: Haben Sie Kontakt zu diesen Angehörigen?

BF: Ich hatte mit einem Onkel väterlicherseits Kontakt. Aber jetzt seit längerem auch nicht mehr. Es ist der aus Pakistan, der mit meiner Familie lebt.

R: Wissen Sie auch, was Ihr Onkel aus Kabul arbeitet oder wissen Sie nur, wo er wohnt.

BF: Ich weiß lediglich, dass er im Innenministerim arbeitet, und dort schläft er auch. Es ist eine Art Akademie. Sie stellen Zimmer zur Verfügung und dort schläft er. Er ist gerade bei den Amerikanern in Ausbildung. Er hat die Grundausbildung fertig, daher ist er noch dort.

R: Wann war der letzte Kontakt mit dem Onkel?

BF: Vor drei Monaten.

R: Hatten Sie während Ihres Aufenthaltes hier in Österreich auch mit Ihren Eltern Kontakt?

BF: Mit meinem Vater nicht, aber mit der Mutter. Seitdem ich hier bin, vielleicht drei Mal. Ich hatte nicht so viel Kontakt und nur übers Internet.

R: Wann ist Ihre Familie aus [gemeint wohl: nach] Pakistan ausgewandert?

BF: Vor neun Monaten oder einem Jahr.

R: Wissen Sie, wie sie dort leben?

BF: Sie haben ein Haus dort gemietet.

R: Ungefähr welche Stadt in Pakistan?

BF: In Quetta.

R: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF: Ich habe in Afghanistan die Schule bis zur siebten Klasse besucht. Ich kann lesen und schreiben.

R: Haben Sie eine Berufsausbildung gemacht?

BF: Die Schule, die ich besuchte, war in Wirklichkeit eine Art Koranschule und keine offizielle Schule, sodass man sich dann weiterbilden konnte. Ich habe keine Ausbildung.

R: Wer hat dann für Ihren Unterhalt gesorgt?

BF: Mein Vater hatte ein Geschäft und ich habe auch dort gearbeitet. Ich war dort Verkäufer für mehrere Jahre.

R: Wie stellte sich Ihre finanzielle Situation bzw. die Ihrer Familie damals in Afghanistan und wie stellt sie sich jetzt dar?

BF: Uns ging es finanziell gut. Derzeit hat mein Vater Probleme, weil er nicht mehr arbeitet.

R: Haben Sie in Afghanistan ein Eigentumshaus besessen?

BF: In Afghanistan hat das Haus meinem Großvater väterlicherseits gehört. Es ist Krieg und es ist alles verwüstet, daher weiß ich nicht, ob das Haus noch steht.

R: Wer glauben Sie, war das?

BF: Die Taliban kommen in der Nacht. Wenn sich niemand im Haus befindet, plündern sie alles.

R: Das heißt, die Eltern haben das Haus vor einem Jahr verlassen, dass es leer steht?

BF: Ja, das war so. Die Taliban nehmen die Häuser, die nicht mehr bewohnt werden, in Beschlag und verwüsten diese, damit sich niemand aus der Regerung dort niederlässt.

R: Der Assistent betreut noch die Firma Ihres Vaters. Ist das das Geschäft, wo Sie arbeiteten?

BF: Nein, das war was anderes. Das ist die Hauptfirma in Kabul. Wir hatten ein Lebensmittelgeschäft in Parwan.

R: Ihr Vater hat eine Firma besessen und das Geschäft in Parwan, somit eine Zweigniederlassung.

BF: Ja, das Geschäft in Parwan hat er mir überlassen. Er hat hauptsächlich in Kabul gearbeitet.

R: Hat Ihr Vater dann auch in der Firma eine Wohnung gehabt?

BF: Zuerst nein. Er hat dann, wenn er übernachten musste, in der Firma übernachtet.

R: Waren Sie schon in der Firma in Kabul?

BF: Nein, ich war noch nicht da.

R: Überhaupt in Kabul?

BF: Ich war in Kabul, wie ich nach Europa gefahren bin.

R: Womit handelt Ihr Vater?

BF: Er hat mit Motoröl gehandelt.

R: Im Geschäft in Parwan wurde was verkauft?

BF: Lebensmittel.

R: Gibt es das Geschäft noch?

BF: Nein, es ist alles verwüstet. Sie haben es verbrannt.

R: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?

BF: Nein.

R: Wann haben Sie genau Afghanistan verlassen? Auf welchem Weg sind Sie nach Österreich gelangt und wo waren Sie wielange aufhältig?

BF: Das genaue Datum weiß ich nicht. Sie legen keinen Wert aufs Datum dort. Ich war vier Monate unterwegs. Ende 2015 bin ich hier angekommen. Es war Frühsommer.

R: Die Eltern haben noch bis ca. Frühjahr 2017 in Parwan gewohnt?

BF: Um mich nicht zu belasten, haben sie mit mir darüber nicht sehr viel gesprochen. Als ich mit ihnen gesprochen habe, sagten Sie, dass sie gerade dort angekommen seien. Ich glaube vor einem Jahr.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

R: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

R: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF: Ja.

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat.

R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie bereits einen Deutschkurs besucht?

BF auf Deutsch: Ja, ich besuche einen Deutschkurs. Ich will eine Ausbildung machen, finde aber noch nichts.

R: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF auf Deutsch: Nein.

R: Wenn Sie in Österreich bleiben dürften, welchen Beruf würden Sie gerne ergreifen?

BF: Wenn es möglich wäre, würde ich gerne als Verkäufer in einem Geschäft arbeiten. Ansonsten würde ich gerne als Tischler arbeiten.

R: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF: Ich spiele in einem Verein Fußball. Dort bin ich als Torwart und mache auch Judo. Wenn beim diesem Judo-Verein Arbeiten zu verrichten sind, helfe ich dort mit, bekomme aber kein Geld dafür. Das ist ehrenamtlich. Einige Male habe ich mit unserem Betreuer in der Ortschaft in den Parks Plastikflaschen gesammelt.

R: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Ja, einmal hatte ich zuviel Alkohol getrunken. Es gab eine Auseinandersetzung im Heim und da ist die Polizei gekommen. Ich habe eine Strafe bekommen. Einmal habe ich eine Auseinandersetzung gehabt, einmal war es zu laut.

R: Haben Sie sonst noch etwas zu erzählen?

BF: Nein.

R: Haben Sie ein Drogenproblem?

BF: Ich habe damit nicht gehandelt. Ich habe es nur konsumiert.

R: Sie haben angegeben, Sie rauchen zwei Mal in der Woche Cannabis.

BF: Bis dahin wusste ich nicht, dass es hier nicht erlaubt ist. Seit damals rauche ich nicht mehr. Als ich gehört habe, dass es gegen das Gesetz ist, habe ich aufgehört.

R: Wenn ich Sie morgen zu einem Drogentest schicken würde, würde der negativ sein?

BF: Ja, ich habe seit langem aufgehört.

R: Sie sind doch auch Moslem. Trinken Sie noch Alkohol?

BF: Ja, ich bin Moslem. Ich trinke seit dem Vorfall nichts mehr, weder rauchen noch trinken. Trinken ist eine Sünde.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

R: Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Nehmen Sie sich dafür nun bitte ausreichend Zeit, alles vorzubringen.

BF: Ich hatte in Afghanistan ein Geschäft, das mein Vater mir überlassen hatte. In dieser Ortschaft, wo sich das Geschäft befand, war auch eine Polizeistation. Wir haben die Polizisten, die dort gearbeitet haben, mit Lebensmittel versorgt und bei Bedarf auch ins Haus geliefert. Später, wenn sie ihr Geld bekamen, haben Sie die Rechnungen beglichen. Somit hatten wir sehr viel Kontakt zu ihnen. Ich bin von den Taliban beschuldigt worden, ich sei ein Spion. Sie beschuldigten mich, dass ich sie verraten würde und den Polizisten sagen würde, wo sie leben würden. Oft sind sie zu mir ins Geschäft gekommen und haben Sachen ohne Bezahlen genommen. Eines Abends kamen die Taliban ins Geschäft, gaben mir eine Liste und ich sollte diese Liste für sie zusammenstellen. Das war nur eine Ausrede, dass ich die Sachen für sie bringen sollte. Sie hatten eine Holzstange in der Hand und sie haben mich auf dem Hinterkopf damit erwischt. Anschließend mit einem Messer in meinen Bauch und in meine Schulter eingestochen.

R: Wurden Sie in den Kopf auch gestochen?

BF: Nein, nur mit der Holzlatte geschlagen.

R: Können Sie mir die Narben zeigen?

BF zeigt Narben auf Bauch und auf rechter Schulter.

BF: Ich hatte eine Platzwunde auf dem Kopf. Ich bin umgefallen, war bewusstlos und sie haben das Geschäft in Brand gesetzt. Ich lag noch drinnen. Mein Nachbar hat mich rausgeholt und mich ins Spital gebracht. Ich war dort einen Monat stationär und konnte mich überhaupt nicht bewegen. Als ich das Krankenhaus verließ, war meine Familie nicht mehr in der Ortschaft. Sie sind geflohen und nach Parwan gezogen.

R: Die Familie hat doch in Parwan gelebt?

BF: Die Provinz Parwan ist sehr groß. Wir waren in einem kleinen Bezirk und sind dann in einen anderen Bezirk gezogen.

R: Das haben Sie vorher nicht erwähnt.

BF: Wir waren immer in Parwan.

R: Das war dann nicht Ihr Elternhaus, wo Sie gewohnt haben?

BF: Nein, wir sind umgezogen. Vorher waren wir in XXXX , Bezirk XXXX . Das Haus hat dem Großvater gehört. Danach sind wir nach XXXX gezogen. Das ist ein anderer Bezirk. Es ist sehr weit weg. Es ist eine Schotterstraße dort und es ist ungefähr vier Stunden Autofahrt.

R: War dieses Lebensmittelgeschäft in Ihrem Elternhaus untergebracht?

BF: Es lag in einer Art Bazar und von unserem Haus ca. fünf Minuten entfernt.

R: Wo haben Sie in XXXX gewohnt?

BF: Wir haben uns dort bei Freunden meines Vaters versteckt. Als ich dann das Krankenhaus verließ, habe ich mich zwei oder drei Monate dort versteckt. Ich konnte mich gar nicht bewegen, bis ich mich einigermaßen erholte. Ich glaubte, dass es Diebe waren, die mir das angetan haben. Mein Vater sagte mir dann, dass es die Taliban waren. Davor haben sie drei oder viermal einen Drohbrief geschickt, dass wir mit der Regierung zusammenarbeiten würden und mein Onkel Polizist sei und wir ihnen nachspionieren würden. Wir würden diese Information der Regierung weitergeben. Mein Vater hat diese Drohungen nicht ernst genommen und die Briefe zerissen. Er sagte, dass er kurz vor dem Vorfall wieder einen Drohbrief erhalten hätte. Mein Vater sagte, dass er die Briefe nicht ernst genommen hätte und er immer wieder solche Briefe erhalten hätte und sie nur Geld haben wollten. Daher nahm er sie nicht ernst. Er zeigte mir dann einen Drohbrief und mein Vater sagte mir, dass ich die Woche darauf Afghanistan verlassen müsste. Ich verließ dann Afghanistan.

R: Gehen wir es noch einmal durch. Sie wurden attakiert und waren ungefähr einen Monat im Spital.

BF: Ja.

R: Dann sind Sie zu den Freunden der Familie gegangen, wo Sie sich versteckt haben. Stimmt das?

BF: Ja, ich bin dann danach dorthin und habe mich zwei, drei Monate versteckt. Wir haben das Haus nicht verlassen und hatten Angst. Tagsüber ist zwar die Regierung dort, aber abends sind die Taliban dort.

R: Vorhalt: Sie haben vor dem BFA erzählt, Sie waren 10 Tage im Krankenhaus und danach noch sechs bis sieben Monate zuhause. Wie erklären Sie sich diese Widersprüche?

BF: Nein, ich war einen Monat im Krankenhaus, nicht zehn Tage. Es war nicht ganz ein Monat, sondern vielleicht 25 oder 27 Tage. Ich sage ungefähr einen Monat, aber mehr als zehn Tage. Ich war nur drei Monate dann in diesem Haus. Vielleicht war das ein Fehler vom Dolmetscher. Ich habe gesagt, fünf bis sechs Monate war ich unterwegs.

R: Sie haben erzählt, dass Ihre Familie bis vor einem Jahr noch in Afghanistan war.

BF: Ich habe vor einem Jahr davon erfahren, dass sie nicht mehr in Afghanistan aufhalten.

R: Ich habe Sie aber danach gefragt. Sie sagten, bis vor einem Jahr.

BF: Ich habe vor einem Jahr davon erfahren.

R: Wie lange war dann die Familie davor noch in Afghanistan?

BF: Als ich das Land verlassen habe, wollte meine Familie entweder in den Iran oder nach Pakistan ziehen. Sie hatten keinen bestimmten Wohnsitz und haben immer wieder bei Bekannten oder Freunden gewohnt. Sie hatten keinen festen Wohnort.

R: Könnten Sie nicht sagen, wie lange sie nach Ihrer Ausreise noch in Afghanistan war?

BF: Nein. Sie wollen mich damit vielleicht nicht belasten und haben mir daher nichts gesagt.

R: Vorhalt: Warum konnten Sie vor dem BFA die Frage, wie lange Ihre Familie nach Ihrer Ausreise noch in Afghanistan geblieben ist, mit fünf Monaten beanworten?

BF: Sie sagten mir auch, dass sie nach meiner Ausreise auch wegziehen wollten, sind dann aber nicht gegangen. Als ich weggegangen bin, sagten sie mir, dass sie sich die Woche darauf auf den Weg machen würden. Das ist aber nicht geschehen. Sie hatten keinen festen Wohnsitz.

R: Sie sagten, die Taliban sind vor dem Vorfall schon öfter bei Ihnen vorbeigekommen.

BF: Ja, wenn es dunkel wurde, sind sie in den Bazar gekommen und herumgelaufen. Sie haben allen Bewohnern dort Probleme gemacht.

R: Wieviele Leute waren das, die Sie da attakiert haben?

BF: Im Geschäft waren drei Personen, außerhalb waren viele. Ich habe sie nicht gezählt.

R: Haben Sie diese Personen wiedererkannt? Waren diese schon früher bei Ihnen?

BF: Nein, sie waren von anderen Orschaften. Ich hatte sie vorher nicht gesehen. Sie arbeiteten für die Taliban. Das ist wie bei den Polizisten, dass sie verschiedenene Schichten haben.

R: Wie wussten Sie, dass diese drei Männer von den Taliban sind?

BF: Ich sagte ja, ich wusste nicht, dass es sich um Taliban handelt. Ich dachte, es seien Diebe. Später klärte mich mein Vater auf.

R: Vorhalt aus dem Protokoll des BFA: Kannten Sie die Person als Taliban? Sie sagten selber, dass sie Taliban wären.

Das widerspricht jetzt Ihren Aussagen.

BF: Nein, ich wusste nicht, dass es Taliban waren. Sie waren bewaffnet.

R: Welche Waffen?

BF: Große Waffen.

R: Waren es Kalaschnikows?

BF: Es waren Waffen, die man um die Schulter wirft.

R: Die Taliban gehen da offen bewaffnet herum, obwohl immer wieder Polizisten einkaufen kommen?

BF: Ich sagte, die Polizisten kamen immer wieder einkaufen. Wenn es dunkel wurde, hatte die Regierung keine Kontrolle mehr. Abends waren sie nicht mehr da.

R: Dass die Taliban vor dem Vorfall immer wieder einkaufen waren, war dann eine Vermutung oder hat Ihnen das Ihr Vater erzählt.

BF: Das waren Taliban. Sie haben die Sachen genommen und nicht bezahlt. Sie sagten, sie wären Dschihadisten und ich traute micht nicht, von ihnen Geld zu verlangen.

R: Die Vorfälle zuvor haben Sie immer gewusst, dass es Taliban waren. Nur bei der Messerattacke glaubten Sie, es seinen nur Diebe. Stimmt das so?

BF: Ja, davor kannte ich die Gesichter. Aber wahrscheinlich hatte sich die Schicht geändert. Es waren andere Personen. Nach zwei, drei Monaten wechseln die Taliban den Bezirk. Sie bleiben immer zwei, drei Monate in dem Bezirk und ziehen dann weiter.

R: Warum haben Sie zwei Waffenbesitzkarten vorgelegt?

BF: Ich haben Ihnen nicht weitererzählt, was weiter passiert ist. Mein Vater hat sich dann bei der Regierung beschwert und bei der Polizei, was passiert ist. Sie sagten ihm, dass sie uns tagsüber beschützen können, aber nicht abends. Wir könnten uns selber verteidigen und daraufhin hat er die Waffenscheine bekommen.

R: Es sind zwei verschiedene Personen darauf zu sehen.

BF: Einer ist mein Onkel in Pakistan. Sie arbeiten in der Firma zusammen.

R: Bei dem Umzug in den anderen Bezirk sind auch die Onkel mit umgezogen?

BF: Ja, auch die Onkel sind dorthin gezogen. Meine ganze Familie hat den Ort verlassen. Wir lebten alle bei meinem Großvater gemeinsam und alle sind zu dem Freund gezogen. Sie haben uns ein Haus zur Verfügung gestellt.

R: Wer ist Herr XXXX ?

BF: Das ist der Partner meines Vaters. Er selbst lebt in Deutschland und ist der Partner der Firma meines Vaters.

R: Ihr Vater hat alle Drohbriefe zerissen. Warum können Sie einen Drohbrief dem BFA vorlegen?

BF: Den letzten Drohbrief hat mein Vater noch gehabt. Die vorigen hat er vernichtet. Ich war damals noch zu klein.

R: Wissen Sie, wann der letzte Drohbrief dem Vater zurgestellt wurde?

BF: Ich habe gesagt, dass das Datum dort nicht so wichtig ist. Als ich mit meinem Vater sprach, sagte er mir, dass er eine Woche vor dem Attentat gekommen ist.

D nimmt Einsicht in den Drohbrief, ob ein Datum darauf vermerkt ist.

D: 21.02.2015, afghanisches Datum 01.03.1994

Anmerkung: Das Datum wurde nicht wie der übrige Drohbrief handschriftlich vermerkt, sondern ist Teil des vorgedruckten Briefkopfes unterhalb des linken Wappens.

BF: Es ist üblich, dass sie jeden Tag die Blätter vorfertigen und die Blätter hinlegen. Wenn etwas vorfällt, schreiben Sie es auf und schicken die Briefe.

R: In welchem Bezirk haben Sie gelebt?

BF: im Bezirk XXXX , Distrikt XXXX , in der Provinz Parwan

R: Vorhalt: Warum steht in dem Drohbrief, dass Sie die Posten im Bezirk XXXX verraten haben? Das ist doch gar nicht Ihr Bezirk.

BF: Unser Bezirk hat 18 verschiedene Äste. Wenn man dann eine genaue Adresse haben will, sagt man dann den genauen Namen von den Bezirken. Das gehört zu XXXX .

R stellt nach Nachschau in Wikipedia fest, dass es sowohl den Bezirk

XXXX als auch den Bezirk XXXX gibt und diese Bezirke nicht ident sind.

BF: Wenn man die Adresse angibt, sagt man Parwan, dann XXXX , dann XXXX und Ortschaft XXXX .

R: Warum legen Sie eine gefälschte Geburtsurkunde/Tazkira vor?

BF: Sie ist richtig.

R: Sie wurde urkundentechnisch untersucht und es wurde eine Totalfälschung festgestellt.

BF: Nein, Sie können das im Registeramt in Afghanistan prüfen lassen. Sie ist in Ordnung. Dort liegen Urkunden von mir, von meinem Vater und meinem Großvater.

R: Im Ergebnis steht: Es gab Vergleichsmaterial mit Originalurkunden. Und es steht, dass dieses Papier mit einem Tintenstrahler bedruckt wurde und eindeutig eine Fälschung ist.

BF: Ich habe es nicht notwendig, sie zu fälschen. Ich bin Afghane.

R: Wann haben die Bedrohungen im Geschäft begonnen?

BF: Solange ich denken kann, seitdem ich klein war, sind sie immer wieder gekommen und haben die Leute bedroht. Die Jugendlichen haben sie mitgenommen und wenn sie nicht bereit waren, mit ihnen zusammen zuarbeiten, sind sie umgebracht worden.

R: Sind Sie auch mitgenommen worden?

BF: Nein, aber sie sind oft in die Moschee gekommen und sagten, sie würden junge Männer brauchen und später würden sie mit ihnen Dschihad machen wollen.

R: Sind Sie bedroht worden, dass Sie für die Polizei spioniert haben oder wollte man Sie rekrutieren?

BF: Sie sind allgemein in die Moschee gekommen und haben die Jungen rekrutieren wollen.

R: Vorhalt: Warum sagen Sie vor dem BFA, Sie sollten die Polizeistation angreifen?

BF: Ja, das stimmt. Da war ein Brief bei uns zu Hause und sie haben mich persönlich bedroht. Sie forderten mich auf, dass ich mich ihnen anschließe. Der Brief kam lange Zeit, bevor ich verletzt wurde. Sie wollten, dass ich für sie spioniere. Unser Geschäft war in der Nähe der Polizeistation.

BVF: Der BF hat ausgesagt, dass die Taliban nicht nur von ihm verlangt haben, die Lieferungen für die Polizei einzustellen, sondern sich auch gegen die Polizei zu wenden.

BF: Sie sagten auch, dass mein Onkel väterlicherseits bei der Polizei arbeitet und ich und meine gesamte Familie Spione sei. Aber ich insbesonders, weil es sich um mein Geschäft handeln würde. Ich sagte ihnen, ich sei nur ein einfacher Verkäufer und es ginge mich nichts an, wer hier kommt und geht. Ich verdiene nur mein Geld und bin gezwungen, jedem die Sachen zu verkaufen, die er möchte.

BFV: Wer hat Sie mit den Lieferungen an die Polizei beauftragt?

BF: Die Polizisten selber. Sie kamen und gaben mir eine Liste. Was dringend benötigt wurde, haben sie gleich mitgenommen. Am Abend haben sie dann das Geld gebracht und haben den Rest mitgenommen. Die Sachen für die Polizei wurden getrennt bezahlt. Es wurde auch privat gezahlt.

BFV: Können Sie keinen Namen nennen?

BF: Ich wusste keinen Namen, nur den Spitznamen. Sie sagten nicht ihren richtigen Namen, weil sie nicht wollten, dass sie ausfindig gemacht werden können.

BFV: Warum konnten Sie sich nicht in einer anderen Stadt zB in Kabul niederlassen?

BF: Ich habe noch nie in Kabul gelebt. Ich kenne die Sitten und ihre Art zu leben nicht. Wir waren in einer Provinz, in Parwan die ganze Zeit und hatten ein einfaches und ruhiges Leben. In Kabul ist es anders. Es gibt in Kabul jeden Tag Explosionen. Speziell dort, wo die Hazara leben, gibt es Explosionen. In Krankenhäusern, in Schulen. Sie sehen jeden Tag, dass es dort Explosionen gibt. Die Situation grundsätzlich in Kabul ist schwierig.

BFV: Keine Fragen.

R: Wenn Sie nach Kabul müssten, hätten Sie auch Angst, dass Sie die Talban aufspüren?

BF: Sicher hätte ich Angst. Ich kenne in Kabul niemanden. Ich werde dort schnell ausfindig gemacht.

R: Sie haben ja einen Onkel, der Polizist ist.

BF: Er schläft nur am Abend dort. Er kann mich nicht beschützen. Man muss ein, zwei Wochen einen Termin ausmachen.

R: Wie wissen Sie, dass Sie einen Termin ausmachen müssen. Haben Sie ihn schon einmal besucht?

BF: Nein, aber meine Verwandten haben es mir erzählt, wie sie ihn besucht haben."

1.10. Mit Schreiben vom 04.07.2018 langte eine Stellungnahme der Vertrteung des BF beim BVwG ein, in der in weitwendigen Ausführungen die Sicherheitslage in Kabul und Afghanistan kritisiert und auf ein Gutachten von Frederike Stahlmann sowie auf die Risikoprofile des UNHCR verwiesen wurde, da dem BF von den Taliban Verbindungen zur Regierung unterstellt worden wären.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 08.11.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 31.10.2017 sowie die Beschwerde vom 29.01.2018

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 20.06.2018

* Einsicht in die vom BF vorgelegten Schriftstücke

* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 sowie eine Aktualisierng vom 30.01.2018)

o Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016 sowie Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016

o Auszug aus Landinforeport Afghanistan - Rekrutierung durch die Taliban - vom 29.06.2017

o Auszug von EASO vom Juli 2012 zu den Rekrutierungsstrategien der Taliban.

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zum schiitischen Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht auch Paschtu, Englisch und Deutsch.

Der BF ist ledig und stammt aus dem Bezirk XXXX , XXXX , in der Provinz Parwan, wo die Familie ein Haus, ein Geschäft und ein Grundstück besitzen. Seine Eltern, drei Schwestern, vier Brüder, seine Großeltern väterlicherseits und zwei Onkeln wohnen aktuell in Quetta, Pakistan. Die Eltern leben von den Einnahmen einer Firma für Motoröl, die der Vater in Kabul besitzt. Ein Onkel vom BF ist im Innenministerium in Kabul als Polizist tätig und lebt in dieser Stadt in einer Akademie.

Der BF selbst hat sieben Jahre eine Schule besucht und kann lesen und schreiben. Danach hat er im Geschäft des Vaters als Verkäufer gearbeitet.

Die finanzielle Lage der Familie stellt sich für afghanische Verhältnisse als gut dar.

3.1.2. Laut Angaben des BF besteht zur Mutter in Pakistan und zum Onkel in Kabul Kontakt.

3.1.3. Der BF ist jung und gesund, Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten haben sich keine ergeben. Er ist im erwerbsfähigen Alter, hat eine Schulbildung genossen und als Verkäufer gearbeitet.

3.1.4. Der BF verließ nach seinen Angaben Mitte 2015 Afghanistan und reiste über Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich, wo er am 07.11.2015 den gegenständlichen Antr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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