TE Vwgh Erkenntnis 2019/1/24 Ra 2018/21/0119

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Veröffentlicht am 24.01.2019
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §13 Abs1;
AVG §56;
FrPolG 2005 §39 Abs3;
FrPolG 2005 §39 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGG §42 Abs4;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §9 Abs1 Z4 impl;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. Mai 2018, Zl. G313 2193364-2/5E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: M K in W, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, ARGE Rechtsberatung, 1170 Wien, Wattgasse 48/3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben und das genannte Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 1 und 4 VwGG dahin abgeändert, dass sein Spruchpunkt A.I. lautet:

"Die Anhaltung des Mitbeteiligten vom 6. Mai 2018, 18:30 Uhr, bis zum 17. Mai 2018, 15:26 Uhr, wird in Stattgebung der von ihm erhobenen Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 2 BFA-VG für rechtswidrig erklärt."

Im Übrigen, nämlich soweit die Revision auch Spruchpunkt A.II. bekämpft, wird sie als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Gambias, der nach Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG am 3. April 2018 nach Italien abgeschoben worden war, reiste ohne Reisedokumente illegal neuerlich nach Österreich ein. Am 6. Mai 2018 versuchte er, nach Deutschland weiterzureisen, wurde von der deutschen Exekutive jedoch an der Einreise gehindert. Am 6. Mai 2018, um 10:00 Uhr, wurde er in Kufstein festgenommen und in das polizeiliche Anhaltezentrum Innsbruck (PAZ Innsbruck) überstellt, wo er um 13:16 Uhr dieses Tages einlangte.

2 Mit Erledigung vom 6. Mai 2018, dem Mitbeteiligten um 18:30 Uhr dieses Tages zugestellt, war seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) beabsichtigt, über den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung anzuordnen. In dieser Erledigung fehlte die Angabe der Person des genehmigenden Organwalters.

3 Am 17. Mai 2018 erhob der Mitbeteiligte Beschwerde gegen seine Anhaltung im Rahmen der Festnahme seit 6. Mai 2018, in eventu gegen die erwähnte Erledigung des BFA vom 6. Mai 2018, die Anordnung der Schubhaft sowie seine fortdauernde Anhaltung in Schubhaft. Begründend legte er dar, dass es sich bei der Erledigung vom 6. Mai 2018 um einen Nichtbescheid handle, weil die Person des genehmigenden Organwalters nicht ersichtlich sei.

Seine Anhaltung seit 6. Mai 2018 sei daher jedenfalls unzulässig, weil sie nicht mittels Bescheid angeordnet worden sei. Zwar wäre die Anhaltung im Rahmen der Festnahme grundsätzlich maximal bis zu 48 Stunden, bei Bestehen eines Festnahmeauftrages gemäß § 40 Abs. 4 BFA-VG für einen Zeitraum bis zu maximal 72 Stunden zulässig gewesen. Die Erlassung eines Schubhaftbescheides wäre aber noch am 6. Mai 2018 möglich gewesen, hätte ihm doch ein ordnungsgemäßes Schriftstück noch an diesem Tag (um 18:30 Uhr, der Übergabe der in Rn. 2 erwähnten Erledigung) ausgefolgt werden sollen. Damit hätte seine auf die Festnahme folgende Anhaltung bei korrekter Vorgehensweise noch am 6. Mai 2018 beendet werden können und müssen. Seine andauernde Anhaltung im Rahmen der Festnahme über diesen Zeitpunkt hinaus erweise sich somit als unverhältnismäßig und rechtswidrig.

Die Bekämpfung der Erledigung vom 6. Mai 2018 erfolge lediglich aus juristischer Vorsicht für den Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zum Schluss kommen sollte, die Schubhaft wäre mit Mandatsbescheid vom 6. Mai 2018 doch wirksam erlassen worden.

4 Nach Übermittlung dieser Beschwerde (durch das BVwG zur Stellungnahme) ordnete das BFA, das die Rechtsansicht des Mitbeteiligten zum Vorliegen eines Nichtbescheides (nach dem eigenen Vorbringen in der Revision) teilte, mit Bescheid vom 17. Mai 2018, der dem Mitbeteiligten am selben Tag um 15:26 Uhr zugestellt wurde, (neuerlich) gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung an.

5 Der Mitbeteiligte wurde sodann bis zum 18. Mai 2018, 17:30 Uhr, in Schubhaft angehalten. Eine Bekämpfung des hierfür die Grundlage bildenden, eben erwähnten Bescheides vom 17. Mai 2018 sowie der darauf gestützten Anhaltung ist nicht erfolgt.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. Mai 2018 gab das BVwG der in Rn. 3 erwähnten Beschwerde statt und sprach aus, dass der "Schubhaftbescheid" vom 6. Mai 2018 ersatzlos behoben werde. Gleichzeitig erklärte es die Anhaltung des Mitbeteiligten "in Schubhaft" seit 6. Mai 2018, 13:16 Uhr, für rechtswidrig (Spruchpunkt A I.). Es verhielt den Bund zum Kostenersatz (Spruchpunkt A II.). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG erklärte es die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

7 Begründend führte das BVwG (auf das im vorliegenden Zusammenhang Wesentliche zusammengefasst) aus, im vorgelegten "Schubhaftbescheid" vom 6. Mai 2018 fehle der Name einer genehmigenden Person, sodass sich dieser als absolut nichtig erweise. Demzufolge bleibe auch "die darauffolgende Anhaltung" des Mitbeteiligten ohne entsprechende Grundlage und sei als rechtswidrig zu qualifizieren. Gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG sei der Mitbeteiligte demnach als obsiegende Partei anzusehen, sodass ihm entsprechender Kostenersatz gebühre.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten samt Stellungnahme des BVwG und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:

9 Die Revision erweist sich entgegen dem - gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig. Die Behebung des "Schubhaftbescheides" vom 6. Mai 2018 und die Feststellung der Anhaltung des Mitbeteiligten "in Schubhaft" für rechtswidrig stehen nämlich - wie sich aus dem Folgenden ergibt - mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht im Einklang. Die Revision ist davon ausgehend auch zum Teil berechtigt.

10 Zum besseren Verständnis ist zusammenfassend voranzustellen, dass der Mitbeteiligte vor dem BVwG primär nur seine (auf die erwähnte, als Nichtbescheid gewertete Erledigung vom 6. Mai 2018 gestützte und damit titellose) Anhaltung ab dem 6. Mai 2018, 18:30 Uhr, bekämpft hat. Darüber wäre somit vom BVwG, das allerdings den Antrag überschritten, spruchgemäß unter Vernachlässigung des Hauptbegehrens über das Eventualbegehren (Anordnung der Schubhaft und Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft) und zudem mit einer nur auf das Hauptbegehren Bezug nehmenden Begründung entschieden hat, (zunächst) abzusprechen gewesen.

Die dieser Anhaltung vorangehende Festnahme um 10:00 Uhr sowie die ihr unmittelbar folgende Anhaltung bis 18:30 Uhr jeweils am 6. Mai 2018 blieben mit der gegenständlichen Maßnahmenbeschwerde unbekämpft; ebenso dann der Schubhaftbescheid vom 17. Mai 2018 und die hierauf gegründete Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft. Das BVwG hatte daher schon deshalb nicht über die Anhaltung des Mitbeteiligten im Zeitraum 6. Mai 2018, von 13:16 Uhr bis 18:30 Uhr, und ab 17. Mai 2018, 15:26 Uhr, abzusprechen, vielmehr war es insoweit unzuständig. Auf die in diesem Zusammenhang in der Revision behaupteten Feststellungs- und Begründungsmängel dieses Entscheidungsteils war somit nicht weiter einzugehen.

11 Darauf ist das BFA auch insoweit zu verweisen, als es in der Revision moniert, dass kein Abspruch über die Rechtmäßigkeit der Festnahme am 6. Mai 2018 sowie der darauf gegründeten Anhaltung erfolgt sei und dass ein Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG zu treffen gewesen wäre.

12 Im Übrigen ist nochmals zu betonen, dass der Mitbeteiligte die bereits mehrfach erwähnte Erledigung vom 6. Mai 2018 nur hilfsweise bekämpft hat, also für den Fall, dass das BVwG die von ihm primär ins Treffen geführte Ansicht nicht teilen sollte, er sei titellos angehalten worden.

13 Das Stellen eines derartigen Eventualantrages ist auch im Verfahren vor dem BVwG zulässig. Das Wesen eines solchen Antrages liegt darin, dass er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, dass das primär angestrebte Verfahrensziel ohne Erfolg bleibt. Wird dagegen dem Primärantrag (wie sich aus der in Rn. 7 wiedergegebenen Begründung des BVwG ergibt) Rechnung getragen, so wird der Eventualantrag gegenstandslos. Seine dennoch erfolgte Erledigung ohne Eintritt des Eventualfalles begründet Rechtswidrigkeit der darüber absprechenden Entscheidung des BVwG infolge Unzuständigkeit (vgl. dazu etwa VwGH 19.5.2011, 2009/21/0214, und VwGH 19.3.2013, 2013/21/0034, jeweils mwN).

14 Vor diesem Hintergrund ist zunächst klarzustellen, dass sich die Erwägungen des BVwG zum mangelnden Bescheidcharakter der Erledigung vom 6. Mai 2018 als zutreffend erweisen. In dieser Erledigung hat nämlich die Angabe des genehmigenden Organwalters gefehlt (vgl. dazu etwa VwGH 7.10.2016, Ra 2016/08/0147, Rn. 7 und 8). Das bedeutet in weiterer Folge, dass die demnach titellos erfolgte Anhaltung des Mitbeteiligten - ohne Bezug auf einen Schubhaftbescheid - im Umfang ihrer Anfechtung (siehe Rn. 10) für rechtswidrig zu erklären gewesen wäre.

15 Wenn das BFA in diesem Zusammenhang in der Revision ausführt, die "Verwaltungsverwahrungshaft" ab 6. Mai 2018 wäre für insgesamt 48 Stunden zulässig gewesen, und damit der Sache nach die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Mitbeteiligten auch für den Zeitraum nach 18:30 Uhr in Frage stellt, ist darauf zu verweisen, dass die in § 39 Abs. 3 und 5 FPG vorgesehene Höchstdauer einer bescheidlosen Anhaltung nicht ohne Weiteres ausgeschöpft werden darf, sondern nur, wenn dies nach den besonderen Umständen des Falles unumgänglich ist (vgl. zur zulässigen Dauer von Anhaltungen allgemein etwa VfGH 27.9.1988, B 1321/87, Punkt II.3., und VwGH 2.10.2012, 2011/21/0214, mwN).

Davon kann fallbezogen aber nicht die Rede sein, zumal sich das BFA bereits ab 6. Mai 2018, 18:30 Uhr, auf Schubhaft als Rechtsgrundlage für die Anhaltung des Mitbeteiligten stützen wollte.

16 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und diese Entscheidung im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies ist hier der Fall. Der Verwaltungsgerichtshof hat somit von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und der Amtsrevision gemäß § 42 Abs. 1 und 4 VwGG aus den dargelegten Gründen im aufgezeigten Sinn teilweise Folge gegeben.

17 Soweit die Revision schließlich die vom BVwG getroffene Kostenentscheidung in Zweifel zieht, kann nach dem Gesagten - trotz teilweisen Erfolges der Revision - von einem bloß teilweisen Obsiegen des Mitbeteiligten mit der von ihm tatsächlich (also unter Vernachlässigung der Überschreitung ihres Gegenstandes durch das angefochtene Erkenntnis des BVwG) erhobenen Beschwerde nicht die Rede sein.

Dem Mitbeteiligten gebührte daher gemäß § 35 VwGVG der Ersatz seiner Kosten, weshalb die Revision, soweit sie auch Spruchpunkt A.II. bekämpft, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Wien, am 24. Jänner 2019

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018210119.L00

Im RIS seit

08.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

13.03.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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