TE Bvwg Beschluss 2018/11/13 L519 2143301-1

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Veröffentlicht am 13.11.2018
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Entscheidungsdatum

13.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AVG §37
AVG §66 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L519 2143301-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, StA. Irak, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.11.2016, Zl. XXXX, beschlossen:

A) Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gem. § 28 Abs. 3

VwGVG, Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBL I 33/2013 idgF behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger des Irak. Er brachte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 27.6.2015 bei der belangten Behörde einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

I.2. Zu seinem Fluchtgrund brachte der BF bei der Erstbefragung vor, dass er aus XXXX stammt und den Irak wegen Morddrohungen des IS verlassen habe.

Beim BFA brachte er zusammengefasst vor, er habe beim Militär in der Küche gearbeitet. Ein Offizier habe von ihm verlangt, dass er in den Kampf zieht und dort beispielsweise IS-leute töten solle. Der BF habe dies nicht gewollt und sei daher geflohen. Außerdem habe er Angst vor dem IS gehabt. Zudem legte der BF beim BFA unter anderem diverse irakische Ausweise und ein Urteil des Militärgerichtes vom 12.10.2015 vor.

I.3. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde nach einer äußerst dürftigen Einvernahme mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG wurde dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zugesprochen (Spruchpunkt II.). Dem BF wurde gem. § 8 Abs. 4 AsylG eine bis zum 21.11.2017 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde gelangte im Rahmen der Beweiswürdigung hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zur Erkenntnis, dass durch den BF eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF bei der Erstbefragung Morddrohungen des IS als Ausreisegrund angegeben hat. Beim BFA gab er dann aber an, dass er als Koch beim Militär gearbeitet habe und von seinem Vorgesetzten den Befehl zum Kampf an der Front erhalten habe. Er gelte als Deserteur und drohe ihm deshalb im Irak eine Gefängnisstrafe. Dazu brachte der BF ein Urteil des irakischen Militärgerichtes in Vorlage, welches sich der Kenntnis der Behörde auf Richtigkeit und Echtheit im Original entziehe. Darüber hinaus sei es notorisch, dass derartige Unterlagen im Irak gegen geringes Entgelt je nach Anliegen und Bedarf der zahlenden Klientel hergestellt würden. Das vorgelegte Urteil sei daher nicht glaubhaft und werde im Verfahren nicht gewertet.

Es sei glaubhaft, dass der BF für unbestimmte Zeit beim Militär gedient habe. Es habe aber nicht festgestellt werden können, dass der BF zum Ausreisezeitpunkt im Militärdienst war und somit die Voraussetzungen für den Status eines Deserteurs erfüllt.

Über Vorhalt der widersprüchlichen Fluchtgründe gab der BF an, dass er vor der Erstbefragung 2 Tage nichts getrunken und nur 1 Stunde geschlafen habe. Beide Fluchtgründe würden stimmen. Auf Nachfrage zum konkreten Erhalt einer Morddrohung durch den IS verneinte der BF diese. Darüber hinaus machte er nur allgemeine und vage Angaben zur Bedrohung durch den IS, welche der schriftlichen Einvernahme zu entnehmen seien.

Dieser vom BF bewusst herbeigeführte Widerspruch lasse die Behörde zum Schluss kommen, dass es sich um einen unwahren, konstruierten Sachverhalt handelt. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein Asylwerber auch trotz einer möglicherweise schlechten Verfassung nicht in der Lage ist, bei der Erstbefragung den schwerwiegendsten und ihn persönlich betreffenden Fluchtgrund zumindest ansatzweise zu erwähnen.

1.4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

In der Beschwerde wurde neben allgemeinen Ausführungen und Wiederholungen im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF aus politischen Gründen und wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt würde. Der BF lehne eine Beteiligung an Kampfhandlungen aus Gewissensgründen ab. Die irakischen Behörden könnten dem BF keinen Schutz vor dem IS gewährleisten.

Der BF habe sehr wohl ein glaubhaftes Vorbringen erstattet. Er befürchte auch aufgrund seiner Religionszugehörigkeit Verfolgung.

Die Erstbefragung sei nicht dafür gedacht, die Fluchtgründe eines Asylwerbers erschöpfend darzustellen.

Der BF finde im gesamten Staatsgebiet keinen Schutz vor Verfolgung. Das Verfahren sei mangelhaft, da sich die belangte Behörde nicht mit der konkreten Situation des BF und der aktuellen Lage im Irak auseinandergesetzt habe. Aus diesem Grund sei auch die amtswegige Verpflichtung zur Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts verletzt.

I.5. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der Verwaltungsbehörde und der eingebrachten Beschwerde.

1. Feststellungen:

Die belangte Behörde hat die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen, weshalb dieser zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde nicht hinreichend feststand. Hinsichtlich des Verfahrensganges und festzustellenden Sachverhalt wird auf die unter Punkt I getroffenen Ausführungen verwiesen.

2. Beweiswürdigung:

Der für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A)

Bis zum 31.12.2013 war es dem Asylgerichtshof und davor dem Unabhängigen Bundesasylsenat gemäß § 66 Abs. 2 AVG möglich, den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft war, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erschien. Abs 3 leg cit legte fest, dass der Asylgerichtshof die mündliche Verhandlung und unmittelbarer Beweisaufnahme auch selbst durchführen konnte, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden war.

Diesbezüglich hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315 und 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im zuletzt genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt, dass bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte auch berücksichtigt werden muss, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Der Gesetzgeber hat zur Sicherung der Qualität des Asylverfahrens einen Instanzenzug vorgesehen, der zum Unabhängigen Bundesasylsenat und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt. Es kommt dem Unabhängigen Bundesasylsenat in dieser Funktion schon nach der Verfassung die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" (Art 129c Abs 1 B-VG) zu. Diese wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, da es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen.

Im bereits zitierten Erkenntnis vom 21.11.2002, 2000/20/0084, sowie im Erkenntnis vom 22.12.2002, 2000/20/0236, weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass - auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens - eine ernsthaft Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich bei derselben Behörde enden solle. Ein Vorgehen gemäß § 66 Abs 2 AVG ermöglicht es daher, dem Abbau einer echten Zweiinstanzlichkeit des Verfahrens und der Aushöhlung der Funktion des unabhängigen Bundesasylsenates als Kontrollinstanz entgegenzuwirken.

Zu § 28 Abs. 3 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich meritorisch zu entscheiden haben, eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen jedoch insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als - eine - Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern - auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt - auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

3.2. Einzelfallbezogen ergibt sich hieraus Folgendes:

3.2.1. Im ggst. Fall wurde der BF am 15.11.2015 durch das BFA, RD Steiermark, äußerst oberflächlich einvernommen. Bei dieser Einvernahme wurden vom BF unter anderem ein Urteil des 5. Irakischen Militärgerichtes vom 12.10.2015 wegen Arbeitsverweigerung inkl. Haftbefehl, eine irakische Bescheinigung über einen Wehrdienstausweis (Pass), ein amerikanischer Wehrdienstausweis und ein Ausweis des Verteidigungsministeriums vorgelegt. Diese Beweismittel wurden vom BFA, ohne sie zumindest einer Übersetzung zuzuführen, in der Beweiswürdigung zum Teil gänzlich übergangen (Ausweise) oder wie das Urteil lapidar dahingehend gewürdigt, dass es notorisch sei, dass man derartige Unterlagen im Irak problemlos gegen Entgelt erhalten könne. Weiter wurde in Hinblick auf das Urteil ausgeführt, dass "sich das Urteil der Kenntnis der Behörde auf Richtigkeit und Echtheit im Original entziehe." Weshalb dies so sein sollte, wurde nicht begründet, obwohl der BF bei der Einvernahme offensichtlich Originale vorgelegt hat (s. Stempel AS 55 oben: "Original persönlich im Amt übernommen"). Was die Angaben des BF zu den Morddrohungen durch den IS betrifft, wurde in der Bescheidbegründung lapidar darauf verwiesen, dass die vagen und allgemeinen Angaben des BF zu diesem Punkt der schriftlichen Einvernahme zu entnehmen sind. Feststellungen zur zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Sicherheitslage in XXXX beinhaltet der angefochtene Bescheid nicht.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass sich die belangte Behörde mit dem Beweismitteln dann nicht weiter auseinanderzusetzen gehabt hätte, wenn ihnen kein taugliches Beweisthema zu Grunde liegen würden, was dann der Fall wäre, wenn das Beweisthema nicht sachverhaltserheblich ist (VwGH 24.1.1996, 94/13/0152; Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Auflage, S 174) oder es sich um einen Erkundungsbeweis handeln würde (Hengstschläger - Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Manz Kommentar, Rz 16 zu § 46 mwN). Dass im gegenständlichen Fall von diesen Voraussetzungen auszugehen wäre, wurde von der belangten Behörde nicht dargelegt und ist auch für das ho. Gericht nicht erkennbar.

Selbstredend steht es der Behörde frei, bzw. besteht für die Behörde die Verpflichtung, das Beweisthema eines vorgelegten Bescheinigungsmittels -etwa durch entsprechende Befragung des BF- zu erkunden und in jenem Fall, in dem es sich um kein taugliches Beweismittel handelt, dessen Übersetzung zu unterlassen. Dies hat sie jedoch in nachvollziehbarer Weise zu begründen, was im ggst. Verfahren ebenfalls nicht der Fall war. Vielmehr hat sich die RD Steiermark zum wiederholten Mal darauf beschränkt, die Einvernahme eines BF lediglich sehr oberflächlich und offensichtlich desinteressiert durchzuführen.

3.2.2. Zur Glaubwürdigkeit und Relevanz der Angaben des BF verkennt das BVwG nicht, dass Anhaltspukte dafür vorliegen, dass die Fluchtgründe nicht asylrelevant bzw. nicht glaubwürdig sind. Es ist jedoch am Rande darauf hinzuweisen, dass die dem Bescheid zugrundeliegende Beweiswürdigung an sich nicht geeignet ist, eine Unglaubwürdigkeit des BF zu belegen.

Vielmehr wird erforderlich sein, dass die belangte Behörde eine detaillierte Befragung des BF zu seinen Fluchtgründen durchführt. Zudem werden die vorgelegten Beweismittel zunächst einer Übersetzung in die deutsche Sprache und erforderlichen falls einer Überprüfung auf Echtheit und Richtigkeit zuzuführen sein. Sollte dieser Überprüfung unterbleiben, wird dies in der Beweiswürdigung entsprechend zu begründen sein. Der Inhalt der Beweismittel wird ebenso mit dem BF zu erörtern sein. Zudem hat die belangte Behörde die zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Sicherheitslage im Raum XXXX zu erheben und den BF damit zu konfrontieren. In diesem Zusammenhang kann auch gleich geprüft werden, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz überhaupt noch gegeben sind. Zudem wird es nicht ausreichend sein, in der Beweiswürdigung lapidar auf die Angaben des BF in der Einvernahme zu verweisen.

Auf jeden Fall sind im gegenständlichen Fall weitere Ermittlungstätigkeiten im oa. Umfang zu setzen und hat dann die belangte Behörde entsprechende Feststellungen zu treffen, welche der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen sind. Ohne nähere Erörterung bzw. detaillierte Befragung und insbesondere Übersetzung und Würdigung der vorgelegten Schriftstücke und einer Aufschlüsselung, vollständigen Übersetzung und konkreten Feststellungen zur Herkunftsregion des BF kann jedoch der Sachverhalt nicht entsprechend festgestellt werden.

3.3. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist der Sachverhalt jedenfalls derart mangelhaft ermittelt, dass gleichsam erstmalig ordnungsgemäße Ermittlungen und Feststellungen erfolgen müssten. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht somit nicht fest.

Mangels eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens seitens der belangten Behörde fehlt dem Bundesverwaltungsgericht jedenfalls eine ausreichende Beurteilungsgrundlage für die Lösung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz vorliegen.

Die belangte Behörde unterließ vor allem eine ordnungsgemäße Auseinandersetzung mit den offenbar im Original vorgelegten Beweismitteln. Ein derartiges Verhalten ist nur dann denkbar, wenn sich bereits aus dem bisherigen Verfahrenshergang ergeben hätte, dass sich die jeweiligen Beweismittel auf ein untaugliches Beweisthema beziehen oder es sonst auf den Inhalt nicht ankommt, was im gegenständlichen Fall jedoch weder aus dem angefochtenen Bescheid, noch aus dem sonstigen Akteninhalt hervorgeht. Vielmehr legte die belangte Behörde nicht dar, weshalb die Beweismittel nicht zu berücksichtigen wären, vielmehr konnte sie dies ohne Übersetzung gar nicht. Lediglich auf Länderberichte zu verweisen, wonach derartige Unterlagen im Herkunftsstaat gegen Entgelt erhältlich wären, reicht jedenfalls nicht aus.

Im Zuge des weiteren Verfahrens wird sich die belangte Behörde daher mit dem Vorbringen und insbesondere den in Vorlage gebrachten Beweismitteln sowie den aktuellen Feststellungen zur Sicherheitslage in der Herkunftsregion des BF zu befassen haben und die Ermittlungsergebnisse mit dem BF im Rahmen einer detaillierten Einvernahme zu erörtern haben.

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass der maßgebliche Sachverhalt feststeht und die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

Es ist in erster Linie die Aufgabe der Verwaltungsbehörde zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln und diese Aufgabe nicht etwa an die Rechtsmittelinstanz auszulagern.

Anzumerken ist abschließend, dass der Inhalt des Beschwerdeschriftsatzes nunmehr Teil des von der belangten Behörde zu berücksichtigenden Sachverhaltes ist und sich die belangte Behörde mit den dort gemachten verfahrensrelevanten Einwendungen auseinanderzusetzen haben wird.

Da also der maßgebliche Sachverhalt im Fall des BF nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

3.4. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. beispielshaft Erk. d. VwGH v. 16.12.2009, GZ. 2007/20/0482; Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167) auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylverfahren, Behebung der Entscheidung, Desertion, Einberufung,
Einvernahme, Einziehung, Ermittlungspflicht, Fluchtgründe,
Gesamtbetrachtung, Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit, Kassation,
mangelhaftes Ermittlungsverfahren, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Militärdienst, Nachvollziehbarkeit,
politische Gesinnung, soziale Gruppe, Übersetzung, Wehrdienst,
Wehrdienstverweigerung, Wehrpflicht, Zurückverweisung,
Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L519.2143301.1.00

Zuletzt aktualisiert am

26.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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