TE Vwgh Erkenntnis 1999/7/23 99/20/0156

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Veröffentlicht am 23.07.1999
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §45 Abs1;
AVG §58 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des am 26. August 1965 geborenen JO in Wien, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Februar 1999, Zl. 206.155/0-XI/34/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Liberia, reiste am 10. Oktober 1994 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und beantragte am 11. Oktober 1994 die Gewährung von Asyl.

Der Beschwerdeführer wurde am 27. Oktober 1994 durch das Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen einvernommen. Dort gab er - soweit entscheidungswesentlich - Folgendes an:

"Ich bin am 21.9.1994 aus dem Heimatland geflüchtet, da ich von Charl TAYLOR verfolgt worden bin. Dieser Charl TAYLOR hat mich steckbrieflich gesucht. Wann wurde dieser Steckbrief herausgegeben? Am 19.9.1994. ...... Woher haben Sie diesen Steckbrief, welchen Sie als Beweismittel vorgelegt haben? Dieser Steckbrief wurde überall verteilt. Warum wurden Sie von TAYLOR verfolgt? TAYLOR hat Kinder rekrutiert. Ich war dagegen und habe Kindern zur Flucht aus den Trainingslagern ermöglicht. Welche Personen bezeichnen Sie als Kinder? Personen mit einem Alter von 10 Jahren. Welche Funktion hatten Sie in der Armee? Ich war Kommandant von 15 Personen. Wer war ihr Kommandant? Charles TAYLOR. Sie waren ihm direkt unterstellt? Ja. Seit welchem Tag haben Sie Kindern zur Flucht verholfen? Seit 1990. Wie vielen Kindern haben Sie zur Flucht verholfen? Sehr vielen. Ich kann keine Zahl angeben. Wie haben Sie den Kindern zur Flucht verholfen? Ich habe die Kinder vor der Rekrutierung informiert und Ihnen geraten zu flüchten. Sie Sind zu den Kindern gegangen und haben diese zu Hause informiert? Nein. Ich habe immer wieder die Bevölkerung darüber informiert, dass Charles TAYLOR Kinder rekrutieren wird. Ich habe auch Charles TAYLOR darüber persönlich informiert, dass ich die Rekrutierung der Kinder nicht richtig finde. Sind Kinder rekrutiert worden? Ja. Es gab Eltern, welche wollten, dass ihre Kinder rekrutiert werden und diese wurden eingezogen. Haben Sie diesen Kindern zur Flucht verholfen? Nein, diese wollten als Soldaten tätig sein. Haben Sie in einem Camp gewohnt? Nein. Ich habe zu Hause gewohnt und habe jeden Tag im Camp in Monrovia gearbeitet. Welche Tätigkeit haben Sie ausgeführt? Ich war für das Training und für die Arbeitsteilung zuständig. Wann haben Sie Charles TAYLOR darüber informiert, dass Sie die Rekrutierung der Kinder nicht richtig finden? Ich habe ihn mehrmals darüber informiert. Wann habe Sie ihn das erste Mal informiert? Seit 1990 habe ich Charles TAYLOR darüber informiert. Welche Antwort haben Sie von Charles TAYLOR erhalten? Er hat mich deshalb nicht verfolgt. Warum wurden Sie dann von Charles TAYLOR verfolgt? Ich wurde verfolgt, weil ich versucht habe meine Leute zu beschützen. Welche Leute haben Sie beschützt? Ich habe versucht zu verhindern, dass meine Leute - die Kinder - gewaltsam rekrutiert werden. Die Kinder, welche nicht eingezogen werden wollten, wurden erschossen. Haben Sie gesehen, wie die Angehörigen von Charles TAYLOR Kinder erschossen haben? Ja. Hatten Sie mit Ihrer Gruppe von Charles TAYLOR den Auftrag Kinder zu rekrutieren? Nein. Sind Sie mit jemandem mitgegangen, welcher Kinder erschossen hat? Ich habe viele erschossene Kinder gesehen. Können Sie angeben, wer diese Kinder erschossen hat? Ich kann nicht angeben, wer diese Kinder erschossen hat. Sie waren seit 1990 mit Wissen des Charles TAYLOR gegen die Rekrutierung der Kinder. Warum wurden Sie dann am 19.9.1994 steckbrieflich von TAYLOR gesucht? Ich wurde vier Jahre von Charles TAYLOR geschont. Ich wurde von Charles TAYLOR beschuldigt, dass ich Informationen an die ULIMO weitergeben habe und dadurch 100 Soldaten des Charles TAYLOR Anfang August von Angehörigen der ULIMO ermordet worden sind. Genauere Angaben dazu kann ich nicht machen. Wie haben Sie erfahren, dass sie gesucht worden sind? Ich habe durch die Medien davon erfahren. Sind Sie nach dem 19.9.1994 noch zum Dienst im Camp erschienen? Nein. Ich sah dieses Plakat, mit dem ich steckbrieflich gesucht worden bin und bin geflüchtet. Haben Sie nicht versucht Charles TAYLOR zu erklären, dass Sie mit der Ermordung der 100 Soldaten nichts zu tun hatten? Nein. Charles TAYLOR hätte mir nicht geglaubt. Stimmten diese Anschuldigungen auf dem vorgelegten Steckbrief? Nein. Ich wurde auch in der Zeitung gesucht. Wann haben Sie diesen Steckbrief gesehen? Ich habe ihn am 19.9.1994 gesehen. Wann sind Sie aus dem Heimatland geflüchtet? Ich habe am 19.9.1994 den Steckbrief auf dem Weg zum Camp gesehen und mich daraufhin zwei Tage lang in meinem Haus versteckt. Am 21.9.1994 bin ich dann mit Hilfe der Angehörigen der ECOMOG-Truppen aus dem Heimatland geflüchtet. Wurden Sie von Angehörigen des Charles TAYLOR oder von ihm selbst zu Hause gesucht? Ja, ich wurde von Angehörigen des Charles TAYLOR gesucht, aber nicht gefunden. Wo haben Sie sich versteckt? Dies kann ich nicht angeben. Können Sie nicht angeben, wo Sie sich in Ihrem Haus versteckt haben? Nein. Sind die Angehörigen von Charles TAYLOR in das Haus gekommen? Nein. Es hat niemand geöffnet. Dieses Haus ist ein großes Haus mit 15 Zimmern. War außer Ihnen niemand in dem Haus anwesend? Nein. Haben Sie die Angehörigen der CHARLES TAYLOR - Truppen gesehen, wie Sie zum Hause gekommen sind? Ja, ich habe aber nicht geöffnet. Wann sind diese zu Ihrem Haus gekommen? Am 20.9.1994. Woher konnten die Angehörigen der ECOMOG - Truppen wissen, dass Sie Hilfe benötigen? Ich habe viele Freunde auch bei den ECOMOG - Truppen und diese haben mir zur Flucht verholfen. Wie viele Personen der ECOMOG - Truppen haben Ihnen zur Flucht verholfen? Zwei Soldaten. Wie viel Soldaten des Charles TAYLOR haben Sie zu Hause gesucht? Vier. Warum sind die Soldaten der ECOMOG - Truppen erst am 21.9.1994 gekommen um Sie zu retten? Diese haben mir mitgeteilt, dass sie zuerst etwas erledigen müssten und ich warten sollte. Wie haben Sie dies erfahren? Die Freunde der ECOMOG - Truppen haben mir am 19.9.1994 mitgeteilt, dass ich warten sollte und am selben Tag zu Hause abgeholt werden würde. Warum sind Sie am 19.9.1994 nicht zu den ECOMOG - Truppen gegangen und haben diese um Schutz ersucht. Am 19.9.1994 sind die Freunde der ECOMOG - Truppen zu meinem Haus gekommen und haben mir mitgeteilt, dass ich zu Hause bis zum 21.9.1994 warten sollte und dann flüchten könnte. Aus diesem Grunde habe ich zu Hause gewartet. Haben Sie weitere Gründe für Ihre Flucht? Nein. Sind die vorgelegten Dokumente echt? Ja.

Ergänzung durch den Asylwerber: Ich habe nicht nur Kindern, sondern auch Erwachsenen zur Flucht verholfen welche rekrutiert werden sollten."

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 2. November 1994 den Antrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab und begründete dies damit, dass den widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers kein Glauben geschenkt werden könnte. So sei es nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer von Soldaten des Charles Taylor zu Hause am 19. September 1994 gesucht worden wäre und diese am selben Tag überall ihre Steckbriefe verteilt hätten. Die Ermordung der Angehörigen der Charles Taylor-Truppen habe laut ihren Angaben Anfang August stattgefunden. Der Beschwerdeführer habe bei Charles Taylor als Soldat gearbeitet und sei bis zum 19. September 1994 täglich in seinem Camp zum Dienst erschienen. Es wäre für Charles Taylor leicht gewesen, den Beschwerdeführer ohne vorherige Warnung durch einen Steckbrief verhaften zu lassen. Aus diesem Grund sei es nicht sehr wahrscheinlich, dass vor dem Dienstantritt des Beschwerdeführers am 19. September 1994 Steckbriefe in Monrovia verteilt worden seien. Außerdem sei es nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer von den Soldaten des Charles Taylor gesucht worden sei und sich diese durch eine versperrte Haustüre hätten aufhalten lassen. Auch den Angaben, dass dem Beschwerdeführer die Angehörigen der ECOMOG-Truppen am 19. September 1994 mitgeteilt hätten, dass er zu Hause bis zum 21. September 1994 warten solle, um außer Landes gebracht zu werden, habe nicht gefolgt werden können. Auch die Angehörigen dieser Truppe hätten wissen müssen, in welcher Gefahr der Beschwerdeführer im Falle einer steckbrieflichen Verfolgung zu Hause ausgesetzt gewesen wäre und es sei nicht wahrscheinlich, dass sich diese dieser Gefahr ausgesetzt hätten. Wenn der Beschwerdeführer tatsächlich von Charles Taylor gesucht worden wäre, so sei es nicht sehr wahrscheinlich, dass er sich trotzdem zu Hause versteckt habe, wo er von diesem bzw. von seinen Soldaten leicht erreichbar gewesen wäre. Allein aufgrund der vorgelegten Kopie eines Steckbriefes, welcher im Zeitalter der Computertechnik leicht nachträglich angefertigt werden könne, habe nicht davon ausgegangen werden können, dass der Beschwerdeführer im Heimatland tatsächlich verfolgt worden sei. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, weitere glaubwürdige Beweismittel in Bezug auf eine Verfolgung vorzulegen. Er habe daher keine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen können.

In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus:

"Ich bin liberianischer Staatsbürger. Am 21.9.1994 flüchtete ich aus meinem Heimatland, da ich von Charles TAYLOR bzw. der NPFL gesucht wurde. Ich wurde steckbrieflich gesucht, da ich angeblich ein Kollaborateur der ULIMO gewesen sein sollte. Das ist allerdings falsch. Einen dieser Steckbriefe, die am 19.9. auf Wänden aufgeklebt wurden, nahm ich ab und legte ihn der Behörde als Beweisstück vor. Es gibt auch Artikel über diese Anschuldigung, die am 19.9.94 entweder in der Concorde oder im Guide veröffentlicht wurden.

Ich war Trainer im NPFL-Hauptquartier für Sport und sportliche Übungen für Soldaten. Anfang August kam es zu einem Überfall auf die NPFL, wobei an die Hundert NPFL-Aktivisten getötet wurden. Man verdächtigte mich, der ULIMO Informationen gegeben zu haben. Aus dieser falschen Verdächtigung heraus verfolgte man mich und aus diesem Grund versteckte ich mich in meiner Wohnung vom 19.9.-21.9.94. Eine Aussprache mit NPFL-Mitgliedern oder Charles Taylor über die unberechtigten Vorwürfe wären ergebnislos gewesen und sie hätten mich mit Sicherheit getötet.

Am 19.9. kamen zwei ECOMOG-Soldaten aus Ghana, mit welchen ich seit 1990 befreundet bin, zu mir in mein Haus und sagten mir, dass sie mir am 21.9. zur Flucht verhelfen wollen. Solange sollte ich mich in meiner Wohnung versteckt halten. Am 20.9. kamen 4 NPFL-Soldaten mit einem Auto zum Haus meines verstorbenen Vaters. Ich war allein im Haus. Die anderen Mieter waren aus Angst geflüchtet, nachdem sie überall meine Steckbriefe gesehen hatten. Ich sah sie durch ein Fenster und erkannte sie. Es waren Soldaten aus dem Camp. Da aber die Hauseingangstür verschlossen war, und auch sonst niemand zu sehen war, fuhren sie wieder weg.

Am 21.9. kamen dann die beiden ECOMOG-Soldaten und verhalfen mir zur Flucht. ......

Ich kann keinesfalls zurück in mein Heimatland. Wie die aktuellen Zeitungsberichte beweisen, ist die Situation in Liberia weiterhin unklar und gefährlich. Es gibt weiterhin Kämpfe und Spaltungen, eben auch in der NPFL. Sollte ich in mein Heimatland zurückmüssen, so bin ich mir sicher, von der NPFL getötet zu werden. Davor kann mir auch keine staatliche Behörde Schutz bieten.

..."

Der Bundesminister für Inneres wies mit Bescheid vom 18. September 1996 die Berufung als unbegründet ab. Gemäß § 44 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997 trat das Verfahren mit Inkrafttreten dieses Gesetzes in das Stadium vor Erlassung des Berufungsbescheides zurück. Mit hg. Beschluss vom 14. Oktober 1998, Zl. 96/01/1005-8, wurde die gegen den außer Kraft getretenen Berufungsbescheid erhobene Beschwerde zurückgewiesen.

Der - nunmehr zur Entscheidung über die Berufung zuständige - unabhängige Bundesasylsenat hielt mit Schreiben vom 15. Dezember 1998 dem Beschwerdeführer vor, dass er bei seiner Entscheidung über die Berufung von folgenden Tatsachen auszugehen beabsichtige:

"Festzuhalten ist zunächst, dass seit August 1996 keine Kampfhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien mehr bekannt geworden sind. Wenngleich auch die Entwaffnung und die Demobilisierung der kämpfenden Fraktionen zunächst nur zögerlich in Gang kam und bis zum 31.01.1997 nicht abgeschlossen werden konnte, hat die Entschlossenheit von ECOMOG, alle Waffen tragenden Liberianer nach dem festgesetzten Termin als Kriminelle zu behandeln, zu zunehmenden Deeskalation und zur Übergabe weiterer Waffen beigetragen. Das Problem der Kontrolle und Integration früherer bewaffneter Bürgerkriegsparteien in eine neue nationale Sicherheitsstruktur stellt sich aber auch weiterhin (Werner Korte, Zur Situation in Liberia, Stand Mai 1997).

Im Juli 1997 fanden in Liberia Präsidenten- und Parlamentswahlen statt, aus denen der frühere Rebellenführer Charles TAYLOR als Sieger hervorging. Nach dem Friedensabkommen von Abuja vom August 1996 wurde eine Periode der Entwaffnung und Demobilisierung eingeleitet, im Rahmen derer 20.000 Waffen und ca. 10.000.000 Stück Munition eingesammelt werden konnten; ein Programm zur Demobilisierung und Reintegration von 20.000 früheren Kombattanten (davon 21 % Kinder) verlief nicht zur Gänze erfolgreich. Während die Entwaffnung funktionierte, blieben Stammeskommando und -kontrollstrukturen erhalten. Die entscheidende militärische Kraft im Lande war - seit August 1997 auch zur Stütze des Taylor - die aus 10.500 westafrikanischen Peacekeepers bestehende ECOMOG - Friedenstruppe, deren Mandat allerdings am 02.02.1998 ausgelaufen ist.

Hinsichtlich des Aufbaues der Armee besteht noch Uneinigkeit, wobei Taylor im April 1998 über die Zusammenstellung einer neuen, aus verschiedenen nationalen Kontingenten bestehenden ECOMOG-Truppen verhandelt, die beim Aufbau der Armee helfen soll (Bundesministerium für Äußeres, 25.05.1998).

Abschließend ist festzuhalten, dass durch die von ECOMOG bewirkten Verbesserungen der Sicherheitslage etwa 100.000 Personen (intern Vertriebene und Flüchtlinge) in ihre Heimat zurückkehren konnten, die weitere Repatriierung allerdings nur relativ langsam vor sich geht (Bundesministerium für Äußeres, 25.05.1998)."

Der Beschwerdeführer erstattete dazu mit Schreiben vom 3. Jänner 1999 eine Stellungnahme, in der er geltend machte, er habe sein Heimatland im September 1994 verlassen, als die Kampfhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien noch voll in Gang gewesen seien. Seine Gründe seien fälschliche Beschuldigungen der Kooperation mit der ULIMO gegen die NPFL bzw. Taylor, doch durch die Hilfe der ECOMOG sei ihm die Flucht vor der NPFL bzw. Taylor gelungen. Die neue Situation in seinem Heimatland sei aber für ihn kein Grund zur möglichen Rückkehr. Der Machthaber seines Heimatlandes Taylor sei der Führer der NPFL, vor der er geflüchtet sei. In der jetzigen Situation bestehe immer noch die Möglichkeit, dass er verfolgt werde. Eine Rückkehr sei für ihn deshalb nicht möglich und er bitte, diese Umstände zu berücksichtigen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Nach einer auszugsweisen Wiedergabe der Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, insbesondere des Inhaltes der Berufung und seiner Stellungnahme vom 3. Jänner 1999, führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus:

"Gemäß einem vom Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten mit Note vom 25.5.1998 dem unabhängigen Bundesasylsenat übersandten, von der österreichischen Botschaft Abidjan erstellten Länderbericht vom April 1998 stellt sich die Situation in Ihrem Heimatland Liberia im Wesentlichen nunmehr wie folgt dar:

Aufgrund der geschlossenen Abkommens von Abuja im August 1996 sowie aufgrund der entschlossenen Haltung der von der afrikanischen Staatengemeinschaft eingesetzten internationalen Friedenstruppe ECOMOG konnten die vormals zum Zeitpunkt Ihrer Ausreise in Liberia herrschenden Bürgerkriegshandlungen beendet werden. Insbesondere die Bildung so genannter sicherer Zonen durch die ECOMOG bildet die Basis für die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung im Land sowie für die Möglichkeit der Rückkehr von Flüchtlingen. Seit diesem Zeitpunkt findet eine sukzessive Entwaffnung der vormaligen Bürgerkriegsparteien seitens der internationalen Friedenstruppe statt. Am 19. Juli 1997 wurden in Liberia erfolgreich demokratische Wahlen abgehalten und standen diese Wahlen unter Beobachtung der Vereinten Nationen. Die abgehaltenen Wahlen fanden geordnet und ohne Gewaltakte oder Einschüchterungen statt.

Auch der ehemalige Gegner Taylors im Bürgerkrieg, Kromah, stellt mit seiner ULIMO-K. jeweils drei Abgeordnete im Repräsentantenhaus und Senat.

Die Übergangsregierung und natürlich auch die Regierung unter Präsident Taylor haben alles daran gesetzt, von legistischer Seite her einen Mindeststandard an Menschen- und Bürgerrechten wieder in Kraft zu setzen bzw. zu schaffen. Die neue Regierung hat im November 1997 überdies eine Kommission für Menschenrechte eingerichtet. Mittlerweile vermögen verschiedene Menschenrechtsgruppen im Land frei zu arbeiten. Gemäß internationaler Medienberichten sowie gemäß der Einschätzung internationaler Beobachter befindet sich Liberia daher auf dem Weg zur Demokratisierung und Wiederherstellung der staatlichen Institutionen. Aufgrund der unter Mithilfe der ECOMOG bewirkten Verbesserung der allgemeinen Sicherheitssituation sind bis dato etwa 100.000 Personen (intern Vertriebene und Flüchtlinge) in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Die Repatriierung von in den Nachbarstaaten geflohenen Liberianern erfolgt überdies unter Hilfe von UNHCR. Die liberianischen Behörden arbeiten mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen bei der Unterstützung von Flüchtlingen - insbesondere aus Sierra Leone - zusammen.

Nach einem Bericht der Zeitschrift "Flüchtlinge" Nr. 3 des UNHCR vom September 1998 hat sich die politische Situation in Liberia seit 1997 drastisch verbessert.

UNHCR hat auf die Entwicklung reagiert und Ende letzten Jahres den Schwerpunkt seines Hilfseinsatzes verlagert: Während das Amt zuvor die Rückkehr von Flüchtlingen "erleichterte", "wirbt" es jetzt aktiv für die Rückkehr. In wichtigen Zielgebieten von Rückkehrern wurden Vertretungen eröffnet. Der Liberianische Ausschuss für die Rückführung und Reintegration von Flüchtlingen schickte selbst in die entlegendsten Grenzregionen Zwei-Mann-Teams um den Heimkehrenden zur Seite zu stehen.

...

Selbst wenn man den Ausführungen des Berufungswerbers Glauben schenken mag, also im für den Berufungswerber bestmöglichen Fall, sind diese aufgrund der gegenüber dem angeblichen Fluchtzeitpunkt wesentlich geänderten Verhältnisse in Liberia nicht geeignet, asylrelevante Tatsachen glaubhaft zu machen. Den von der Berufungsbehörde dem Asylwerber im Zuge des Parteiengehörs zur Stellungnahme vorgelegten Berichten zur Lage in seinem Heimatland ist der Berufungswerber nicht mit adäquaten gegenteiligen Berichten entgegen getreten, sodass auch insoweit dem Vorbringen des Asylwerbers kein Erfolg beschieden war.

...

Gemäß Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG in der Fassung BGBl. I Nr. 28/1998, in Verbindung mit § 67d AVG konnte von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, wobei der Sachverhalt zur Beurteilung ausreichend geklärt erschien."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Nach § 7 AsylG ist Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden FlKonv) droht und keiner der im Art. 1 Abschnitt C oder F der FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv (in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Dem angefochtenen Bescheid ist nicht klar zu entnehmen, ob die belangte Behörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers Glaubwürdigkeit zubilligte oder nicht. Nach der Wiedergabe des Gesetzestextes und (textbausteinartiger) Ausführungen darüber, wann einer Darstellung eines Asylwerbers Glaubwürdigkeit zukomme, fährt die belangte Behörde fort, dass "selbst im Falle der Zuerkennung der Glaubwürdigkeit" seiner Darstellung dem Beschwerdeführer - aus näher bezeichneten Gründen - kein Asyl gewährt werden könne. Ausführungen dazu, aus welchen Gründen der Schilderung des Beschwerdeführers allenfalls die Glaubwürdigkeit abzusprechen sei, finden sich nicht. Die rechtliche Würdigung des Sachverhaltes wird von der belangten Behörde ausschließlich auf Basis der Glaubwürdigkeit der Schilderungen des Beschwerdeführers getroffen. Der Verwaltungsgerichtshof legt daher der Prüfung des angefochtenen Bescheides ebenfalls die Glaubwürdigkeit der Darstellung des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Fluchtgründe zugrunde.

Im vorliegenden Fall wendet sich die Beschwerde insbesondere gegen die Annahme, die Verhältnisse in Liberia hätten sich insgesamt so gebessert, dass dem Beschwerdeführer keine Verfolgungsgefahr mehr drohen könne. Geltend gemacht wird vor allem, die belangte Behörde habe den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, die Behörde habe selbst ausgeführt, dass von der Rückkehr vor allem intern Vertriebene und Flüchtlinge umfasst seien, ohne sich mit der Situation jener Personen auseinander zu setzen, welche aus Opposition zu Charles Taylor bzw. wegen Kollaborationsverdacht gegen diesen das Land verlassen hätten. Er habe vorgebracht, dass er vor dem nunmehrigen Präsidenten geflüchtet sei, weil er zu Unrecht des Verrates von militärischen Geheimnissen an die Gegner Taylors verdächtigt worden sei. Es könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass er jene relative Sicherheit in Liberia genießen könne, wie dies die zurückgekehrten Flüchtlinge offenbar täten. Der von der Behörde ins Treffen geführte Länderbericht lasse jede Aussage darüber vermissen, was mit den rückkehrenden ehemaligen Soldaten Charles Taylors oder Kollaborateuren geschehe. Da er vor den Truppen Taylors geflüchtet sei, müsse er bei seiner Rückkehr nach Liberia mit strengen Sanktionen rechnen.

Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren die ihm vorgehaltene Annahme der belangten Behörde, er müsse aufgrund der geänderten Verhältnisse in Liberia keine Furcht vor Verfolgung mehr haben, ausdrücklich bestritten. Wenn die belangte Behörde demgegenüber darauf abstellte, dass aufgrund der seit den vom Beschwerdeführer angegebenen Ereignissen geänderten politischen Verhältnisse in Liberia für diesen - ungeachtet des Zutreffens seiner Behauptungen - keine aktuelle Verfolgungsgefahr (mehr) bestünde, hat sie im Ergebnis Artikel 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv angewendet. Diese Bestimmung besagt, dass eine Person, auf die die Bestimmung des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv zutrifft, nicht mehr unter dieses Abkommen fällt

"wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt."

Der belangten Behörde ist grundsätzlich beizupflichten, dass grundlegende politische Veränderungen in dem Heimatstaat des Asylwerbers die Annahme begründen können, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände im Sinne dieser Bestimmung mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0450, sowie vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0567).

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde trotz des ausdrücklichen Vorbringens des Beschwerdeführers im Verfahren nicht damit auseinander gesetzt, ob die von ihr festgestellten politischen Verhältnisse vor dem Hintergrund der von ihm behaupteten Bedrohung derart wesentliche Umstände darstellen, dass er bei Rückkehr nach Liberia keine Furcht vor Verfolgung (mehr) haben müsste. Dabei wäre darauf Bedacht zu nehmen gewesen, dass der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen deshalb aus Liberia geflüchtet sei, weil er (ungerechtfertigter Weise) unter dem Verdacht der Kollaboration gestanden sei und auch deshalb aufgefallen sei, weil er die Zwangsrekrutierung von Kindern verhindert habe. Bei Zutreffen seiner - im angefochtenen Bescheid nicht als unglaubwürdig qualifizierten - Fluchtgründe käme somit den bereits vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Umständen auch vor dem Hintergrund der geänderten politischen Verhältnisse Relevanz zu, weil danach gerade die politische Gruppe in seinem Heimatstaat die Regierung stellt, vor der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung von dort geflüchtet wäre. In der Beschwerde wird zutreffend aufgezeigt, dass dem von der belangten Behörde eingeholten Bericht der österreichischen Botschaft Abidjan nicht konkret entnommen werden kann, wie sich die Situation von zurückkehrenden Personen darstellt, die sich während des Bürgerkrieges auf Seiten des nunmehrigen Präsidenten betätigt hatten, schließlich aber der Kollaboration verdächtigt und von der für den nunmehrigen Präsidenten Charles Taylor in den Kämpfen verwickelt gewesenen Gruppe verfolgt worden waren.

Dazu kommt, dass die belangte Behörde im vorliegenden Fall zu Unrecht davon ausging, dass die Voraussetzungen für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß der Verfahrensvorschrift des Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG vorgelegen seien, weil sie selbst ein Ermittlungsverfahren durchführte und gestützt auf dessen Ergebnisse zusätzliche, neue Sachverhaltsfeststellungen traf. Die belangte Behörde hatte sich nach den diesbezüglichen Bescheidausführungen auf einen Bericht der österreichischen Botschaft in Abidjan über die aktuelle Lage in Liberia sowie auf einen - dem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht vorgehaltenen - Bericht des UNHCR gestützt. In einem solchen Fall hätte die belangte Behörde aber eine mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt (vgl. dazu u.a. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0567).

Darüberhinaus besteht mangels Vorhandenseins dieser Berichte im vorgelegten Verwaltungsakt für den Verwaltungsgerichtshof keine Möglichkeit, die von der belangten Behörde aus diesen Berichten gezogene Schlussfolgerung auf deren Richtigkeit nachprüfen zu können. Der Bericht des UNHCR vom September 1998 wurde dem Beschwerdeführer auch nicht vorgehalten. Es genügt für ein mängelfreies Verfahren aber nicht, dass Tatsachen nur bei der Behörde notorisch sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0304).

Da somit nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensfehler zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes

nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 23. Juli 1999

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung der Wertung einzelner Beweismittel Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung hinsichtlich einander widersprechender Beweisergebnisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999200156.X00

Im RIS seit

04.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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