TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/5 W191 2208087-1

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Veröffentlicht am 05.11.2018
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Entscheidungsdatum

05.11.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §57
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W191 2208087-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Eva Velibeyoglu, Österreichische Flüchtlings- und MigrantInnenhilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.10.2018, Zahl 1139446403-171310854, zu Recht:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein indischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 03.01.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner Erstbefragung am 03.01.2017 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Wesentlichen an, dass er eine (politische) Partei unterstützt habe und deshalb von der gegnerischen Partei mit dem Umbringen bedroht worden sei.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 20.03.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) führte der BF dieses Vorbringen - wenn auch nicht konkret und detailliert - etwas näher aus und machte Angaben zu seinen Lebensumständen.

1.4. Mit Bescheid vom 12.05.2017, Zahl 1139446403-170008041, wies das BFA den Antrag des BF - unter dem Namen XXXX - auf internationalen Schutz vom 03.01.2017 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Indien. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Indien. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

1.5. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Erkenntnis vom 19.09.2017, Zahl W220 2160547-1/3E, "gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF., § 9 BFA-VG idgF., und §§ 52, 55 FPG idgF." als unbegründet ab.

1.6. Am 25.01.2018 wurde der BF beim BFA, Regionaldirektion Wien, im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Punjabi und des Vertreters des BF, niederschriftlich einvernommen.

Der BF gab dabei im Wesentlichen an, er sei gesund. Der Rückkehrentscheidung könne er nicht nachkommen, sein Leben sei in Indien in Gefahr. Seinen Reisepass habe er auf dem Weg hierher verloren.

Er legte seine Geburtsurkunde vor (liegt dem Verwaltungsakt in Kopie ein) und ersuchte, seinen Familiennahmen um " XXXX " zu ergänzen. In Österreich habe er keine Familienangehörigen, diese würden alle in Indien leben. Er sei ledig und nicht sorgepflichtig. In Österreich arbeite er gelegentlich als Zeitungszusteller bei der "Presse". Er sei bereit, ein Formular zur Erlangung eines Heimreisezertifikates auszufüllen. Die Dolmetscherin füllte das diesbezügliche Formblatt mit seiner Hilfe aus. Der BF gab an, er werde [bezüglich des Antrages auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates] auch selbst zur Botschaft gehen.

1.7. Mit Mandatsbescheid vom 08.03.2018, Zahl: 1139446403-171310854, wurde dem BF gemäß § 57 Abs. 1 FPG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 AVG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung Betreuungsstelle Tirol, Trixlegg 12, 6391 Fieberbrunn, zu nehmen und dieser Verpflichtung binnen drei Tagen nachzukommen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der BF sei seiner seit 19.09.2017 rechtskräftigen Rückkehrentscheidung bis dato nicht nachgekommen. Er verfüge über kein Reisedokument und habe sich nicht selbständig um die Erlangung eines solchen gekümmert.

Dass er bei der niederschriftlichen Einvernahme ein Ausfüllen des Formulars zur Erlangung eines Heimreisezertifikates ausdrücklich verweigert habe - wie in der Bescheidbegründung ausgeführt -, ist der Niederschrift (siehe oben Punkt 1.6.) nicht zu entnehmen.

Der Mandatsbescheid vom 08.03.2018 konnte dem BF - der inzwischen verzogen war - am 23.03.2018 zugestellt werden.

1.8. Gegen diesen Mandatsbescheid erhob der BF mit Schreiben seiner gewillkürten Vertreterin ohne Datum, eingebracht am 24.03.2018, fristgerecht das Rechtsmittel der Vorstellung.

Begründend wurde behauptet, die Entscheidung sei "inhaltlich falsch" und das Verfahren sei mangelhaft geführt worden. Der BF sei privat in Wien gemeldet, erreichbar und nicht flüchtig. Die bezogene Betreuungseinrichtung befinde sich auf etwa 1400 Meter Seehöhe und sei gegenwärtig aufgrund der Schneelage aus eigenem gar nicht erreichbar und nicht an öffentliche Verkehrsmittel angebunden. Der BF sei nicht zur "Regulierung der Ausreise" befragt worden. Die Behörde habe keine Angaben zur zeitlichen Befristung bezüglich der Dauer des Aufenthaltes in Fieberbrunn geäußert. Die Wohnsitzauflage stelle eine - unzumutbar - große Änderung im Leben des BF dar. Er habe keine Möglichkeit, seine Religion uneingeschränkt auszuüben. Es seien ihm dort keine Integrationsmaßnahmen möglich. Die Wohnsitznahme wäre ein Freiheitsentzug, mindestens eine erhebliche Einschränkung der persönlichen Freiheits- und sonstigen Rechte. Ein Wohnsitzwechsel innerhalb von drei Tagen sei dem BF, der über eine private Unterkunft und entsprechenden Hausrat und Fährnisse besitze, weder zumutbar noch möglich. Der BF verfüge über kein Heimreisezertifikat, es liege somit nicht in der Sphäre des BF, dass es zu keiner Abschiebung gekommen sei und auch nicht in Aussicht stehe. Der BF habe jeder Ladung des BFA Folge geleistet und sei rechtmäßig gemeldet. De facto sei der BF als Geduldeter im Sinne des FPG zu betrachten. Die gesetzliche Regelung einer Wohnsitzauflage mittels Mandatsbescheid sei verfassungswidrig.

Schließlich stellte der BF mehrere Anträge.

1.9. Das BFA leitete binnen zwei Wochen kein Ermittlungsverfahren ein, sodass der angefochtene Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft trat.

1.10. Mit Schreiben "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" vom 10.09.2018 teilte das BFA dem BF mit, dass die Erlassung einer Wohnsitzauflage beabsichtigt sei, da sein Antrag auf internationalen Schutz mit 22.11.2017 rechtskräftig negativ entschieden und eine Rückkehrentscheidung nach Indien erlassen worden sei. Er sei bis dato seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen, habe weder mit einer Rückkehrorganisation Kontakt aufgenommen, um seine Ausreise vorzubereiten, noch bei seiner Vertretungsbehörde die Ausstellung eines Reisedokumentes beantragt. Er habe bisher keine Bereitschaft gezeigt, der behördlichen Anordnung Folge zu leisten und das Gebiet der Mitgliedsstaaten zu verlassen.

Dem BF wurde die Gelegenheit eingeräumt, binnen eine[r] Woche zu mehreren Fragen zu Bemühungen um die Erfüllung seiner Ausreiseverpflichtung schriftlich Stellung zu nehmen.

1.11. Mit Schreiben seines Vertreters ohne Datum, eingebracht am 17.09.2018 gab der BF an, er sei stets kooperativ, habe Ladungen Folge geleistet und am Verfahren mitgewirkt. Er sei im Bundesgebiet gut integriert und plane aktuell, Deutschkurse zu besuchen. Er sei in Österreich - konkret in Wien - kulturell, sozial, religiös und beruflich integriert, verfüge über eine ortsübliche Unterkunft und sei krankenversichert. Er sei nicht "über die Regulierung der Ausreise befragt" worden. Die Wohnsitzauflage würde eine Verletzung des Art. 8 EMRK bedeuten, es sei keine Gefahr im Verzug und er bitte daher, von der Erlassung einer Wohnsitzauflage abzusehen.

1.12. Mit - gegenständlich angefochtenem - Bescheid vom 04.10.2018 wurde dem BF gemäß § 57 Abs. 1 FPG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung Betreuungsstelle Tirol, Trixlegg 12, 6391 Fieberbrunn, zu nehmen. Dieser Verpflichtung habe er unverzüglich nachzukommen (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen.

1.13. Gegen diesen am 10.10.2018 zugestellten Bescheid erhob der BF mit Schreiben seines Vertreters ohne Datum, eingebracht am 18.10.2018, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) und beantragte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Die Entscheidung sei "inhaltlich falsch und ebenso rechtswidrig aufgrund mangelhafter Verfahrensführung".

Begründend wurde eine Reihe bereits bisher im Verfahren geäußerter Einwände vorgebracht, so auch Einwände gegen die angebliche Vorschreibung der Wohnsitznahme binnen "3 Tagen" (siehe oben Mandatsbescheid), wiewohl dies im gegenständlich angefochtenen Bescheid gar nicht vorgeschrieben wurde (sondern "unverzüglich").

Es wurden Ausführungen zur Integration und zur Religionsausübung sowie Rechtsausführungen getätigt.

Zu den der beabsichtigten Bescheiderlassung zugrunde gelegten Gründen wurde ausgeführt, der BF sei gegenüber der Behörde kooperativ, habe etwa Ladungsterminen stets Folge geleistet. Er habe selbst mit der indischen Botschaft Kontakt aufgenommen und auch das HZ-Formular [Heimreisezertifikat] ausgefüllt. Er sei in Wien an seiner privaten Adresse [wohnhaft] und dort auch behördlich gemeldet. Er beziehe keine Grundversorgung oder andere staatliche Hilfen.

1.14. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt - ohne den dem Verfahren zugrundeliegenden Vorakt betreffend das Asylverfahren des BF - wurden dem BVwG am 22.10.2018 vom BFA vorgelegt.

2. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

2.1. Der BF führt den Namen XXXX , stammt aus XXXX (Provinz Punjab, Indien), ist indischer Staatsangehöriger, bekennt sich zur Religionsgemeinschaft der Sikhs und ist nach eigenen Angaben ledig. Seine Identität steht nicht fest.

2.2. Der BF stellte am 03.01.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Erkenntnis des BVwG vom 19.09.2017, Zahl W220 2160547-1/3E, als unbegründet abgewiesen wurde.

3. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zur Person des BF stützen sich auf den Inhalt der vorgelegten Akten des BFA sowie des BVwG.

Mangels Vorliegens eines unbedenklichen Identitätsdokumentes oder eines sonstigen unbedenklichen Bescheinigungsmittels steht die Identität des BF nicht fest.

4. Rechtliche Beurteilung:

4.1. Anzuwendendes Recht:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das das FPG und das AsylG verweisen, anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

4.2. Rechtlich folgt daraus:

Zu Spruchteil A):

4.2.1. Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde am 18.10.2018 beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 22.10.2018 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

4.2.2. Zur Beschwerde:

Der Beschwerde, die in ihrer Begründung eine Vielzahl von für das gegenständliche Verfahren mehr oder minder unerheblichen bzw. unzutreffenden Sach- und Rechtsausführungen enthielt, war im Ergebnis Erfolg beschieden.

4.2.3. Zu den Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides:

4.2.3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

4.2.3.1.1. Rechtliche Grundlagen:

§ 57 FPG lautet auszugsweise:

"Wohnsitzauflage

§ 57. (1) Einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht geduldet (§ 46a) ist, kann aufgetragen werden, bis zur Ausreise in vom Bundesamt bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen, wenn

1. keine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 gewährt wurde oder

2. nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

(2) Bei der Beurteilung, ob bestimmte Tatsachen gemäß Abs. 1 Z 2 vorliegen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Drittstaatsangehörige

1. entgegen einer Anordnung des Bundesamtes oder trotz eines nachweislichen Angebotes der Rückkehrberatungsstelle ein Rückkehrberatungsgespräch (§ 52a Abs. 2 BFA-VG) nicht in Anspruch genommen hat;

2. nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise seinen Wohnsitz oder den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts gewechselt und das Bundesamt davon nicht in Kenntnis gesetzt hat;

3. an den zur Erlangung einer Bewilligung oder eines Reisedokumentes notwendigen Handlungen im Sinne der § 46 Abs. 2 und 2a nicht mitwirkt;

4. im Rahmen des Asylverfahrens, des Verfahrens zur Erlassung der Rückkehrentscheidung oder des Rückkehrberatungsgesprächs erklärt hat, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen;

5. im Asylverfahren oder im Verfahren zur Erlassung der Rückkehrentscheidung über seinen Herkunftsstaat oder seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht hat.

(3) [...]

(4) Die Verpflichtungen des Drittstaatsangehörigen aufgrund einer Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ruhen, wenn und solange

1. die Rückkehrentscheidung gemäß § 59 Abs. 6 oder die Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 12a Abs. 4 AsylG 2005 vorübergehend nicht durchführbar,

2. sein Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 46a geduldet oder

3. ihm die persönliche Freiheit entzogen ist.

(5) Wird eine Rückkehrentscheidung gegenstandslos oder tritt eine Anordnung zur Außerlandesbringung außer Kraft, tritt auch die Wohnsitzauflage außer Kraft.

(6) Die Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) anzuordnen. In diesem sind dem Drittstaatsangehörigen auch die Folgen einer allfälligen Missachtung zur Kenntnis zu bringen."

46 FPG lautet auszugsweise:

"[...]

(2) Ein zur Ausreise verpflichteter Fremder, der über kein Reisedokument verfügt und ohne ein solches seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen kann, hat - vorbehaltlich des Abs. 2a - bei der für ihn zuständigen ausländischen Behörde aus Eigenem ein Reisedokument einzuholen und gegenüber dieser Behörde sämtliche zu diesem Zweck erforderlichen Handlungen, insbesondere die Beantragung des Dokumentes, die wahrheitsgemäße Angabe seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft sowie die Abgabe allfälliger erkennungsdienstlicher Daten, zu setzen; es sei denn, dies wäre aus Gründen, die der Fremde nicht zu vertreten hat, nachweislich nicht möglich. Die Erfüllung dieser Verpflichtung hat der Fremde dem Bundesamt gegenüber nachzuweisen. Satz 1 und 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt des Fremden gemäß § 46a geduldet ist.

(2a) Das Bundesamt ist jederzeit ermächtigt, bei der für den Fremden zuständigen ausländischen Behörde die für die Abschiebung notwendigen Bewilligungen (insbesondere Heimreisezertifikat oder Ersatzreisedokument) einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (§ 97 Abs. 1) auszustellen. Macht es davon Gebrauch, hat der Fremde an den Amtshandlungen des Bundesamtes, die der Erlangung der für die Abschiebung notwendigen Bewilligung oder der Ausstellung des Reisedokumentes gemäß § 97 Abs. 1 dienen, insbesondere an der Feststellung seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft, im erforderlichen Umfang mitzuwirken und vom Bundesamt zu diesem Zweck angekündigte Termine wahrzunehmen.

[...]"

Aus den Erläuterungen zum Fremdenrechtsänderungsgesetz (FRÄG) 2017 betreffend § 57 FPG ergibt sich auszugsweise Folgendes:

"[...] Die Erlassung einer Wohnsitzauflage soll dabei nicht systematisch erfolgen, sondern hat jedenfalls abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ergehen. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Art. 8 EMRK - insbesondere im Hinblick auf das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen auch im Sinne der Jugendwohlfahrt - zu berücksichtigen. Die Wohnsitzauflage soll daher als ultima ratio nur dann angeordnet werden, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Ausreise bislang nicht nachgekommen ist und aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist, dass er auch weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

[...]

Zu Abs. 1:

[...]

Die zweite Konstellation soll auch jene Fälle umfassen, in denen zwar eine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt wurde, der Drittstaatsangehörige aber nicht innerhalb der Frist ausgereist ist und anzunehmen ist, dass er seiner Ausreiseverpflichtung auch weiterhin nicht nachkommen wird.

[...]

Zu Abs. 2:

In Abs. 2 werden jene Tatsachen näher definiert und demonstrativ aufgezählt, welche im Sinne des Abs. 1 Z 2 die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

Ein Hinweis auf die mangelnde Bereitschaft zur Ausreise ist naturgemäß dann gegeben, wenn der Drittstaatsangehörige selbst angibt, dass er nicht bereit ist, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Es kann des Weiteren davon ausgegangen werden, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird, wenn er ein ihm angebotenes oder angeordnetes Rückkehrberatungsgespräch zum Zweck der freiwilligen Ausreise nicht wahrnimmt. Ebenso wird davon auszugehen sein, dass der Drittstaatsangehörige nicht bereit ist auszureisen, wenn er während einer gewährten Frist zur freiwilligen Ausreise nicht ausgereist ist und anschließend seinen Wohnsitz bzw. den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts ändert, ohne das Bundesamt hiervon in Kenntnis zu setzen. Ferner kann von mangelhafter Bereitschaft zur Ausreise ausgegangen werden, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige es unterlässt, an der Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten mitzuwirken oder ein vorhandenes Reisedokument vernichtet oder sich dessen auf sonstige Weise entledigt. Hat der Drittstaatsangehörige bereits im Verfahren über seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht und damit die Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten erschwert bzw. verhindert, wird ebenfalls von einer mangelnden Bereitschaft zur Ausreise auszugehen sein.

Da es sich bei Abs. 2 um eine demonstrative Aufzählung handelt, kommen auch weitere Umstände in Betracht, welche die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird. Weitere denkbare Gründe in diesem Sinne sind etwa falsche oder widersprüchliche Angaben zum Vorliegen einer Voll- oder Minderjährigkeit bzw. voneinander abweichende Altersangaben in Verfahren vor verschiedenen Behörden (dazu VwGH 25.02.2015, Ra 2014/20/0045) sowie die Verschweigung von vorhandenen Identitätsdokumenten. Hievon sollen beispielsweise jene Fälle erfasst sein, in denen Drittstaatsangehörige im Verfahren vor dem Bundesamt angeben, über keine Identitätsdokumente zu verfügen, während sie im Verfahren vor anderen Behörden (bspw. dem Standesamt im Zuge einer Eheschließung) oder Gerichten solche vorlegen.

[...]

Zu Abs. 6:

Die Auferlegung der Wohnsitzauflage gemäß § 57 erfolgt mittels Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG. Ein solcher kann erlassen werden, wenn es sich um die Vorschreibung einer Geldleistung oder wegen Gefahr in Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt. Für den vorgeschlagenen § 57 ist der Tatbestand "Gefahr in Verzug" maßgeblich: In der Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 1 ist der Ausschluss einer Frist zur freiwilligen Ausreise an die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Rückkehrentscheidung (§ 18 Abs. 2 BFA-VG) geknüpft. Somit wurde bereits im Falle einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde und der Nichtgewährung einer Frist gemäß § 55 festgestellt, dass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliegt. Dadurch ist die Erlassung der Wohnsitzauflage in dieser Konstellation mittels Mandatsbescheid aufgrund der bereits zuvor anlässlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung festgestellten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zulässig. Hinsichtlich der zweiten Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 2 liegt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor, wenn anzunehmen ist, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin nicht ausreisen wird (zumal er dies bereits während der Frist für die freiwillige Ausreise nicht getan hat). Das bloße unrechtmäßige Verbleiben im Bundesgebiet sowie ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt, ohne dass bereits eine entsprechende Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung auferlegt oder feststellt, und unabhängig davon, ob die Einreise bereits unrechtmäßig oder rechtmäßig erfolgte, stellt nach ständiger Rechtsprechung des VwGH eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar (VwGH 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042; 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042). Dies muss umso mehr gelten, wenn bereits eine im Wege eines rechtsstaatlichen Verfahrens getroffene Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung feststellt oder auferlegt, und der Drittstaatsangehörige dieser Verpflichtung auch nach Ablauf einer ihm eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nicht nachkommt bzw. die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ihr weiterhin nicht nachkommen wird. Weiters ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellt und der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (VwGH 31.10.2002, 2002/18/0190; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247). Daher ist in diesen Fällen von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen, wodurch die Erlassung der Wohnsitzauflage mittels Mandatsbescheides gerechtfertigt ist."

4.2.3.1.2. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

Die belangte Behörde weist in der Begründung des angefochtenen Bescheides wiederholt darauf hin, dass gegen den BF eine rechtskräftige Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung bestehe, er die Frist zur freiwilligen Ausreise ungenützt gelassen habe und sich seither unrechtmäßig im Bundesgebiet befinde.

Dass dieses Verhalten alleine ausreicht, eine Wohnsitzauflage zu erlassen, ergibt sich weder aus dem Gesetzestext noch aus den oben dargestellten Erläuterungen zum FRÄG 2017 betreffend § 57 FPG. Zur Erlassung einer Wohnsitzauflage als ultima ratio bedarf es konkreter Umstände des Einzelfalles, die zur Annahme führen, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

Die belangte Behörde trifft in der Bescheidbegründung unter dem Punkt C) "Feststellungen", Unterpunkt "Zu Ihrer rechtlichen Position in Österreich" die Feststellungen, dass gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei, und weiter wörtlich (Fehler im Original): "Diese Entscheidung ist mit in Rechtskraft erwachsen. Seit der Durchsetzbarkeit Ihrer Entscheidung mit sind Sie zur Ausreise verpflichtet, dieser Verpflichtung sind Sie bis dato nicht nachgekommen. Sie halten sich somit illegal im Bundesgebiet auf und weigern sich, der Ihnen rechtskräftig auferlegten Ausreiseverpflichtung nachzukommen."

Im Unterpunkt "Vor[r]aussetzungen für die Erlassung der Wohnsitzauflage" trifft sie die Feststellungen, dass gegen den BF eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot bestehe und eine Duldung gemäß § 46a FPG nicht vorliege. Der BF sei der Ausreiseverpflichtung bis dato nicht nachgekommen. Er habe an den zur Erlangung einer Bewilligung oder eines Reisedokumentes notwendigen Handlungen nicht mitgewirkt. Er habe bei der niederschriftlichen Einvernahme ein Ausfüllen des Formulars zur Erlangung eines Heimreisezertifikates ausdrücklich verweigert. Der BF habe [sich] nicht selbständig um [die] Erlangung eines Reisedokumentes gekümmert.

Die Beweiswürdigung beschränkt sich auf drei Zeilen ohne konkreten Inhalt.

Dem folgt eine knappe Interessenabwägung zum Eingriff in nach Art. 8 EMRK geschützte Rechte.

In der rechtlichen Beurteilung beschränkt sich die belangte Behörde im Wesentlichen auf die Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzestexte, insbesondere des § 57 Abs. 1 und 2 FPG, ohne aber darzulegen, welchen der Tatbestände etwa des § 57 Abs. 2 FPG, Z 1 bis 5 sie als erfüllt erachte.

Die belangte Behörde legt damit im angefochtenen Bescheid nicht nachvollziehbar dar, zu welchem Ermittlungsergebnis sie gelangt sei, worauf sich dieses stütze und welche bestimmten Tatsachen im Sinne des § 57 FPG die Annahme rechtfertigen würden, der BF werde seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen.

Die "Feststellung", der BF habe bei der niederschriftlichen Einvernahme ein Ausfüllen des Formulars zur Erlangung eines Heimreisezertifikates ausdrücklich verweigert, ergibt sich aus der Niederschrift nicht und ist somit aktenwidrig.

Dass sich der BF nicht selbständig um die Erlangung eines Reisedokumentes gekümmert habe, ergibt sich aus dem Akt ebenfalls nicht. In seiner Einvernahme vor dem BFA am 25.01.2018 hat er dementgegen angegeben, er werde "auch selbst zur Botschaft gehen", und in seiner Beschwerde hat er vorgebracht, er habe "selbst mit der Indischen Botschaft Kontakt aufgenommen und auch das HZ-Formular ausgefüllt".

Die Behauptungen auf Seite 7 des angefochtenen Bescheides, der BF weigere sich "strikt" - an anderen Orts "vehement" -, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen, können somit nicht nachvollzogen werden.

Dazu kommt, dass die Bescheidbegründung auch in formaler Hinsicht äußerst mangelhaft ist. Offenbar wurde eine Bescheidformular-Vorlage vielfach - und mehrfach in sehr wesentlichen Punkten - unvollständig ausgefüllt. So fehlen Texte/Inhalte, aber auch wichtige Daten wie jene von Zeitpunkten von Antragstellung, Bescheiderlassung, u.a.m.; so ist das Datum des Erwachsens in Rechtskraft im angefochtenen Bescheid gar nicht (Nichtausfüllung eines Feldes), im Akt widersprüchlich einmal mit 19.09.2017 und a.O. mit 22.09.2017 angegeben.

Die Einvernahme vom 25.01.2018 wurde lediglich kursorisch und rudimentär durchgeführt. Eine ausreichende Sachverhaltsermittlung kann auf eine solche Weise nicht erreicht werden.

Dieses Handeln der Behörde in seiner Gesamtheit - vor allem das Fehlen der Darlegung, aus welchen konkreten Gründen die ultima ratio einer Wohnsitzauflage getätigt werde, mehrfache schwerwiegende Aktenwidrigkeiten sowie vielfache formale Fehler, die den Handlungsverlauf kaum nachvollziehbar erscheinen lassen - zeigt, dass der maßgebliche Sachverhalt bei weitem nicht hinreichend ermittelt worden ist, um die Vorschreibung einer derartigen Maßnahme rechtmäßig zu begründen.

4.2.3.1.3. Die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ist eine Entscheidung in der Sache selbst (vgl. VwGH 25.03.2015, Ro 2015/12/0003). Als verfahrensrechtliche Grundlage für eine solche Entscheidung ist im Spruch daher § 28 Abs. 1 und Abs. 2 (bzw. Abs. 3 Satz 1) VwGVG 2014 zu nennen. § 28 Abs. 5 VwGVG 2014 regelt hingegen nur die Rechtsfolgen von Bescheidaufhebungen durch das VwG [Verwaltungsgericht] und bietet keine eigenständige Rechtsgrundlage für die Aufhebung selbst, sei es nach § 28 Abs. 3 Satz 2 und 3 (oder Abs. 4) VwGVG 2014, sei es nach § 28 Abs. 1 und 2 oder Abs. 3 Satz 1 VwGVG 2014 (VwGH 04.08.2016, 2016/21/0162).

Die ersatzlose Behebung eines Bescheides setzt voraus, dass dieser nicht hätte ergehen dürfen und der dem materiellen Recht entsprechende Zustand nur durch die Kassation hergestellt werden kann. Dabei handelt es sich um eine "negative" Sachentscheidung (vgl. zB. Hengstschläger/Leeb, AVG III, § 66 AVG, Rz 97, mwN). Eine solche Entscheidung ist eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache selbst, welche eine neuerliche Entscheidung über den Verfahrensgegenstand durch die Verwaltungsbehörde grundsätzlich ausschließt (vgl. VwGH 25.03.2015, Ro 2015/12/0003 sowie Hengstschläger/Leeb, AVG III, § 66 AVG, Rz 108 f), (VwGH 28.06.2016, Ra 2015/17/0082).

Da es kein ordnungsgemäßes Ermittlungsergebnis und damit keinen hinreichend festgestellten Sachverhalt gibt, aufgrund dessen das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer Wohnsitzauflage als gegeben angenommen werden kann sowie ferner die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme und die Interessenabwägung zum Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte beurteilt werden kann, war der angefochtene Bescheid zu beheben.

4.2.3.2. Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen und dies mit einem überwiegenden öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides begründet. Das öffentliche Interesse sei bereits durch die Regelung der Wohnsitzauflage mittels sofort durchsetzbaren Mandatsbescheides indiziert, zudem würden diese Interessen in Hinblick auf die Ausreise in Erfüllung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme überwiegen.

Gemäß § 22 Abs. 3 1. Fall VwGVG kann das Verwaltungsgericht Bescheide gemäß § 13 VwGVG - ein solcher liegt in Hinblick auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides vor - auf Antrag einer Partei - ein solcher wurde in der Beschwerde gestellt - aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen der Zuerkennung bzw. des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben.

Mangels festgestellter Verwirklichung der Voraussetzungen für die Wohnsitzauflage und der dieser immanenten "Gefahr im Verzug" war der angefochtene Bescheid auch im Umfang der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II.) zu beheben.

4.2.4. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im gegenständlichen Verfahren konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da das BVwG die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 Halbsatz VwGVG als gegeben erachtet, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahrens ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen sind aufgrund der klaren Rechtslage nicht hervorgekommen.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung, Ausreiseverpflichtung, Behebung der
Entscheidung, Bescheidbegründung, Interessenabwägung,
Mandatsbescheid, Wohnsitzauflage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W191.2208087.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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