TE Vwgh Erkenntnis 2018/12/13 Ra 2018/18/0252

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Veröffentlicht am 13.12.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §34 Abs4;
AsylG 2005 §34 Abs5;
AsylG 2005 §34;
BFA-VG 2014 §16 Abs3;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/18/0253

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision

1. J C und 2. H C, beide vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. März 2018, 1) W192 2163507-1/7E und 2) W192 2188914-1/2E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

<spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich der Erstrevisionswerberin wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, hinsichtlich der Zweitrevisionswerberin wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die am 29. November 2015 geborene minderjährige Erstrevisionswerberin, eine kasachische Staatsangehörige, stellte am 3. März 2017 gemeinsam mit ihrer Mutter und einer weiteren Schwester einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 14. April 2017 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an die zuständige Behörde Deutschlands, die diesem mit Schreiben vom 20. April 2017 ausdrücklich zustimmte.

3 Mit Bescheiden vom 10. Juni 2017 (betreffend die Erstrevisionswerberin und deren Schwester) bzw. vom 17. Juni 2017 (betreffend die Mutter) wies das BFA die Anträge gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) zurück, sprach aus, dass Deutschland gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO für die Prüfung der Anträge zuständig sei, ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung an und stellte fest, dass die Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

4 Gegen diese Entscheidungen erhoben die Erstrevisionswerberin, ihre Mutter und ihre Schwester eine gemeinsame Beschwerde, der das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 11. Juli 2017 die aufschiebende Wirkung zuerkannte.

5 Für die am 10. Jänner 2018 im Bundesgebiet nachgeborene Zweitrevisionswerberin stellte die Mutter als ihre gesetzliche Vertreterin am 30. Jänner 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Schreiben vom 15. Februar 2018 setzte das BFA die zuständige Behörde Deutschlands darüber in Kenntnis, dass Deutschland gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO auch die Verantwortung für das Asylverfahren der Zweitrevisionswerberin zukomme.

6 Mit Bescheid vom 21. Februar 2018 wies das BFA den Antrag der Zweitrevisionswerberin gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück, sprach aus, dass Deutschland gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei, ordnete gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung an und stellte fest, dass die Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

7 Mit einem als "Beschwerdevorlage" bezeichneten Schriftstück vom 8. März 2018 übermittelte das BFA dem BVwG den Verwaltungsakt betreffend die Zweitrevisionswerberin, ohne dass zu diesem Zeitpunkt eine eigenständige Beschwerde von der Zweitrevisionswerberin erhoben worden wäre.

8 Mit Erkenntnis vom 19. März 2018 wies das BVwG "die Beschwerden" der Revisionswerberinnen, der Mutter und der weiteren Schwester gegen die Bescheide vom 10. Juni 2017 (betreffend die Erstrevisionswerberin und ihre Schwester), vom 17. Juni 2017 (betreffend die Mutter) und vom 21. Februar 2018 (betreffend die Zweitrevisionswerberin) ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

9 Begründend führte das BVwG aus, dass die Mutter der Revisionswerberinnen bereits am 26. Jänner 2013 in Polen, am 2. Februar 2013 in Österreich und am 13. Dezember 2013 in Deutschland Anträge auf internationalen Schutz gestellt habe. Deutschland sei infolge des Versäumens der Überstellungsfrist nach Polen im September 2014 für die Prüfung des Antrages der Mutter zuständig geworden. In Deutschland habe die Mutter auch ihren späteren Ehegatten und Vater der Revisionswerberinnen, dem in Österreich im Jahr 2006 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei, kennengelernt. Der Vater habe die Mutter in Deutschland im Zeitraum von 2014 bis November 2016 etwa zwanzig Mal besucht; in dieser Zeit seien auch die Erstrevisionswerberin und ihre Schwester geboren worden. Seit ihrer illegalen Einreise in Österreich lebten die Mutter, die Erstrevisionswerberin und ihre Schwester in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Vater. Im Mai 2017 hätten die Eltern der Revisionswerberinnen in Österreich geheiratet. Im Februar 2018 sei schließlich die Zweitrevisionswerberin in Österreich geboren.

10 Die Verpflichtung Deutschlands zur Wiederaufnahme der Mutter der Revisionswerberinnen ergebe sich - nachdem die deutschen Behörden die Frist zur Überstellung in den ursprünglich zuständigen Mitgliedsstaat Polen versäumt hätten und in das Verfahren eingetreten seien - aus Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO. Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme der minderjährigen Kinder ergebe sich aus Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO. Darüber hinaus hätten die deutschen Behörden der Wiederaufnahme ausdrücklich zugestimmt. Auch aus Art. 9 Dublin III-VO ergebe sich keine abweichende Zuständigkeit. Gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO sei für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nämlich von jener Situation auszugehen, die zum Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung in einem Mitgliedstaat - hier also der Antragstellung der Mutter am 26. Jänner 2013 in Polen - gegeben gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe die Mutter ihren Ehegatten bzw. Vater der Revisionswerberinnen noch nicht gekannt. Eine Familienangehörigeneigenschaft liege daher nicht vor. Der Zeitpunkt der Antragstellung der minderjährigen Revisionswerberinnen sei ohne Relevanz, weil deren Situation gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO untrennbar mit der Situation der Erstrevisionswerberin verbunden sei.

11 In weiterer Folge verneinte das BVwG eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. von Art. 8 EMRK und somit auch eine Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO. In Bezug auf Art. 8 EMRK führte das BVwG insbesondere aus, dass es der Mutter und ihren Kindern im Zeitraum von 2014 bis November 2016 möglich und zumutbar gewesen sei, das Familienleben zu dem in Österreich lebenden Ehegatten bzw. Vater aus der Distanz im Rahmen mehrerer Besuchsaufenthalte zu führen. An dieser Beurteilung würden auch die spätere illegale Einreise der Mutter und ihrer Kinder in Österreich, die Eheschließung und die Geburt der Zweitrevisionswerberin nichts zu ändern vermögen. Aufgrund des kindlichen Alters der Zweitrevisionswerberin sei es dieser - ebenso wie der Erstrevisionswerberin - zumutbar, die familiäre Beziehung zum Vater von Deutschland aus in eingeschränkter Weise zu führen. Die Revisionswerberinnen und insbesondere ihre Mutter hätten sich zudem ihres unsicheren Aufenthaltsstatus - ebenso wie der Ehegatte bzw. Vater - bewusst sein müssen. Hinweise, dass bereits während des etwa einjährigen Aufenthalts in Österreich eine außergewöhnliche Integration erfolgt sei, lägen nicht vor.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der Sache zum einen vorgebracht wird, dass das BVwG von der - näher bezeichneten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, wonach die Bestimmung des § 34 AsylG 2005 auch in Zusammenhang mit der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin III-VO zu berücksichtigen sei. In Hinblick auf den in Österreich lebenden Vater, der sowohl gemäß Art. 2 lit. g Dublin III-VO als auch gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 als ein Familienangehöriger der Revisionswerberinnen anzusehen sei, wäre vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen gewesen. Zum anderen sei das BVwG in der angefochtenen Entscheidung offensichtlich davon ausgegangen, dass die von der Mutter, der Erstrevisionswerberin und deren Schwester erhobene Beschwerde vom 3. Juli 2017 gemäß § 16 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) auch als Beschwerde gegen den erst später über den Antrag der Zweitrevisionswerberin ergangenen Bescheid vom 21. Februar 2018 gelte. Dies könne der Bestimmung des § 16 Abs. 3 BFA-VG nach Ansicht der Revisionswerberinnen aber nicht entnommen werden. Es fehle dazu aber an einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

13 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

15 Die Revision ist zulässig und begründet.

Rechtliche Grundlagen:

     16 Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten

(auszugsweise):

     "Artikel 3

     Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(...)

Artikel 17

Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. (...)"

17 § 34 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, lautet:

     "Familienverfahren im Inland

     § 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1.         einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten

zuerkannt worden ist;

2.         einem Fremden, dem der Status des subsidiär

Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3.         einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1.

dieser nicht straffällig geworden ist und

3.

gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten

zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

     (3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines

Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär

Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen

mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten

zuzuerkennen, wenn

1.         dieser nicht straffällig geworden ist;

3.         gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär

Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung

dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4.         dem Familienangehörigen nicht der Status eines

Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1.         auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer

Bürger sind;

2.         auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status

des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär

Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem

Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem

Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft

oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."

18 § 16 Abs. 3 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 140/2017, lautet:

"Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren gemäß dem 4. Abschnitt des 4. Hauptstückes des AsylG 2005 auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben, gilt diese auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen (§ 2 Z 22 AsylG 2005) betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich. Allen Beschwerden gegen Entscheidungen im Familienverfahren kommt aufschiebende Wirkung zu, sobald zumindest einer Beschwerde im selben Familienverfahren aufschiebende Wirkung zukommt."

Zur Entscheidung betreffend die (nachgeborene) Zweitrevisionswerberin:

19 Anträge im Familienverfahren sind gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 zwar gesondert zu prüfen, aber unter einem zu führen. Jeder Familienangehörige erhält einen gesonderten Bescheid. Wird nun gegen einen solchen im Familienverfahren erlassenen Bescheid auch nur von einem Familienangehörigen Beschwerde erhoben, gilt diese gemäß § 16 Abs. 3 BFA-VG auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen.

20 Die Bestimmung des § 16 Abs. 3 BFA-VG vervollständigt solcherart das System des Familienverfahrens. Damit soll grundsätzlich erreicht werden, dass alle Anträge von Familienmitgliedern von der gleichen Behörde zum gleichen Zeitpunkt entschieden werden können (vgl. RV 2144 BlgNR XXIV. GP, 11f; zu den auf diesen Fall übertragbaren Ausführungen zur Vorgängerbestimmung des § 36 Abs. 3 AsylG 2005 vgl. VwGH 25.11.2009, 2007/01/1153).

21 Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. November 2018, Ro 2018/19/0004, ausgeführt hat, richtet sich das in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 normierte Gebot, die Verfahren von Familienmitgliedern "unter einem" zu führen, nach dem Gesetzeswortlaut an die Behörde, während § 34 Abs. 5 AsylG 2005 festlegt, dass die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß auch für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht gelten, wodurch sichergestellt wird, dass auch die Verfahren von jenen Familienmitgliedern, die beim BVwG anhängig sind, gemeinsam entschieden werden. Dem Gesetz ist jedoch keine Anordnung zu entnehmen, dass sämtliche Verfahren im Familienverband, die bereits in verschiedenen Instanzen anhängig sind, ebenfalls unter einem geführt werden müssen. Eine gemeinsame Führung der Verfahren hat - wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis näher begründet hat - somit nur dann zu erfolgen, wenn diese gleichzeitig beim BFA oder gleichzeitig im Beschwerdeverfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig sind.

22 Liegt kein unter einem zu führendes Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 vor, ist aber auch die das Familienverfahren ergänzende Regelung des § 16 Abs. 3 BFA-VG nicht anwendbar, wonach eine von einem Familienangehörigen erhobene Beschwerde auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen gilt.

23 Im vorliegenden Fall erhoben die Erstrevisionswerberin, ihre Mutter und ihre Schwester am 3. Juli 2017 eine gemeinsame Beschwerde gegen die sie betreffenden Bescheide, woraufhin ihr Verfahren vor dem BVwG anhängig war. Für die (während des laufenden Beschwerdeverfahrens) am 10. Jänner 2018 im Bundesgebiet nachgeborene Zweitrevisionswerberin stellte die Mutter als ihre gesetzliche Vertreterin hingegen erst am 30. Jänner 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, woraufhin das diesbezügliche Verfahren vor dem BFA anhängig war.

24 Da im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung der Erstrevisionswerberin, ihrer Mutter und ihrer Schwester somit kein gemeinsam zu führendes Familienverfahren mit der Zweitrevisionswerberin vor dem BFA vorlag, kann auch die von diesen erhobene Beschwerde vom 3. Juli 2017 nicht als Beschwerde gegen den die nachgeborene Zweitrevisionswerberin betreffenden Bescheid vom 21. Februar 2018 gelten.

25 Indem das BVwG ungeachtet dessen in seinem Erkenntnis vom 19. März 2018 auch über "die Beschwerde" der Zweitrevisionswerberin gegen den Bescheid vom 21. Februar 2018 entschieden hat, hat es eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm nicht zukam, und das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts belastet.

Zur Entscheidung betreffend die Erstrevisionswerberin:

26 Bei der Erstrevisionswerberin handelt es sich nach den Feststellungen des BVwG um ein minderjähriges Kind des in Österreich als Asylberechtigter lebenden Vaters und somit um eine Familienangehörige des Vaters gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 sowie gemäß Art. 2 lit. g Dublin III-VO.

27 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 15. Dezember 2015, Ra 2015/18/0192-0195, auf dessen nähere Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, bereits festgehalten, dass die Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005, wonach alle Familienangehörigen entweder den gleichen Schutzumfang erhalten oder alle Anträge "als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen" sind, - auch im Zusammenhang mit Dublin-Verfahren - dahingehend zu verstehen ist, dass gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist.

28 Dies gilt im Ergebnis auch in einem Fall wie dem vorliegenden, wo die Erstrevisionswerberin gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 AsylG 2005 Anspruch auf denselben Schutzstatus wie ihr Vater hat.

29 Da das BVwG dies verkannt hat, hat es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.

30 Aus diesen Erwägungen war das angefochtene Erkenntnis, soweit es die Erstrevisionswerberin betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und, soweit es die Zweitrevisionswerberin betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufzuheben.

31 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Dezember 2018

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180252.L00.1

Im RIS seit

15.01.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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