TE Vwgh Erkenntnis 1999/9/16 98/20/0543

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Veröffentlicht am 16.09.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des RA, geboren am 23. Jänner 1970, vertreten durch Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. Juni 1998, Zl. 200.010/0-VII/19/98, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines iranischen Staatsangehörigen, gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 7 AsylG als unbegründet abgewiesen.

Die belangte Behörde begründete die Abweisung des Asylantrages im Wesentlichen - zusammengefasst - wie folgt:

Der Beschwerdeführer habe seinen Asylantrag anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 22. Dezember 1997 darauf gestützt, dass er im Iran mit dem Tode bedroht sei, weil er "vor ca. einem Monat in Ahwaz unabsichtlich einen Mullah mit der Hand am Rücken berührt habe". Ein Monat vor diesem Vorfall mit dem Mullah auf der Straße wäre er von Polizisten gesehen worden, wie er ein Buch von Salman "Rusti" in der Hand getragen hätte. Polizisten hätten ihm geraten, schleunigst mit diesem Buch zu verschwinden, dies mit der Androhung, ansonsten hingerichtet zu werden. Das Buch hätte den Titel "Teuflische Schriften" getragen. Der Beschwerdeführer hätte geltend gemacht, dass derjenige, der mit dem Buch von Salman "Rusti" in der Hand betreten werde, zum Tode verurteilt werden könnte.

Die belangte Behörde habe erkannt, dass der Beschwerdeführer mit seiner Schilderung das Buch "Satanische Verse" von Salman Rushdi angesprochen habe und die Behörde erster Instanz beauftragt, ihn ergänzend zu den Ereignissen um die Auffindung dieses Buches zu befragen, weil die Niederschrift vom 23. Dezember 1997 nicht als ausreichend für die Beurteilung der Asylsache habe angesehen werden können. Der Beschwerdeführer habe in der am 9. Februar 1998 durchgeführten Befragung angegeben, dass er "einen älteren Mann (der interessante Bücher hatte) nach diesem Buch gefragt" und in der Folge dieses Buch "Ende Frühjahr bzw. Anfang Sommer 1997" gekauft hätte. Er wäre am 25. Oktober 1997 mit einem Taxi auf dem Weg zum (Sport-)Klub gewesen, das Buch hätte sich in seiner Sporttasche unter den Sportutensilien befunden. Das Taxi wäre von Revolutionswächtern angehalten und im Zuge der Durchsuchung das Buch in der Tasche gefunden worden. Die Revolutionswächter hätten seinen Namen aufgeschrieben, die Sporttasche und das Buch mitgenommen. Einer der Revolutionswächter, der seinen Dialekt "Bahtiari" gesprochen hätte, hätte ihn zur Seite genommen und gesagt, "lauf weg sonst wirst du hingerichtet, auf den Besitz dieses Buches steht die Todesstrafe". Es wären vier Revolutionswächter gewesen, wobei zwei die Tasche durchsucht und die (anderen) zwei ihn mit der Maschinenpistole bedroht hätten. Er wäre davongelaufen. Die Revolutionswächter hätten ihm nicht nachgeschossen.

Die belangte Behörde habe schließlich am 5. Juni 1998 den Beschwerdeführer anlässlich der durchgeführten mündlichen Verhandlung nochmals im Beisein einer Dolmetscherin für die persische Sprache befragt.

Der Beschwerdeführer habe im Zuge der Verhandlung vor der belangten Behörde einerseits Aussagen gemacht, die "von den bisherigen in den Niederschriften vom 22. Dezember 1997 und 9. Februar 1998 festgehaltenen Angaben abweichen (z.B. die Stellung der Revolutionswächter, Erwerb des besagten Buches aus eigenem Antrieb bzw. aufgrund eines Angebotes vom Händler ohne konkrete persönliche Frage nach diesem Buchtitel - wie nun in der Verhandlung angegeben)", und andererseits habe der Beschwerdeführer in der Verhandlung selbst "voneinander abweichende Aussagen (z.B. betreffend der ausdrücklichen Aufforderung zum Weglaufen durch Revolutionswächter - siehe Seite 6 Verhandlungsschrift)" getätigt. Im Zuge der jeweiligen Vorhaltung,

"dass seine Aussagen widersprüchlich zu sein scheinen, konnte der Beschwerdeführer teils die aufgezeigten Widersprüche mangels schlüssigem Vorbringen nicht entkräften, teils gelang es ihm, den vermeintlichen Widerspruch durch schlüssige Erklärung aufzuklären. Hiebei ist festzustellen, dass es dem Berufungswerber nicht gelungen ist, den Vorfall um die Aufgreifung mit dem Buch von Salman Rushdi widerspruchsfrei zu schildern, d.h. er konnte nicht in schlüssiger und stimmiger Weise die genauen Abläufe dieses Vorfalles darlegen. Weiters ist festzustellen, dass das Bundesasylamt offensichtlich von seiner im Bescheid angeführten Begründung, der Schriftsteller habe ein Buch mit genanntem Titel niemals geschrieben, abgegangen ist, weil in der gesamten Verhandlung eine Argumentation in diese Richtung unterblieben war."

Der Beschwerdeführer habe schließlich zum Beweis seines Vorbringens ein Schriftstück in Vorlage gebracht, welches eine (gerichtliche) Ladung darstellen solle,

"die ihn als Vorgeladenen nennt und die das Empfängerdatum 26.10.1997 trägt. Seinen Angaben zufolge sei er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Ahwaz gewesen und die Vorladung bei seiner Unterkunft abgegeben worden. Diese Ladung sei ihm erst jetzt vor ungefähr vier Tagen von seinem Bruder per Fax übermittelt worden. Auf Befragung durch die Verhandlungsleiterin führte die Dolmetscherin aufgrund ihrer Sachkenntnis aus, dass es sich bei der vorgelegten Ladung wegen des Fehlens von drei wesentlichen Merkmalen (fehlendes Satzgefüge unter dem Emblem, falsches Format und fehlendes Datum in der Aktenzahl) nicht um eine echte bzw. originäre Gerichtsladung handeln kann. Zudem war auffallend, dass bei der vorgelegten Ladung an der Stelle des Ladungsortes nichts eingetragen war. Die Verhandlungsleiterin hielt dem Berufungswerber vor, dass entsprechend der fachkundigen Auskunft der Dolmetscherin die vorgelegte Ladung als unecht gewertet wird und dass eine diesbezügliche Begründung als unglaubwürdig angesehen wird. Dies konnte der Berufungswerber nicht entkräften."

Hinsichtlich des Vorfalles mit der "unabsichtlichen Berührung eines Mullahs" habe der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung derart stark widersprüchliche Aussagen getätigt, dass dieses Vorbringen als gänzlich unglaubwürdig zu werten sei.

"Offensichtlich hatte der Berufungswerber lediglich davon gehört, dass ein Verstoss gegen islamische Würdenträger im Iran entsprechend dem dortigen Strafrecht zu einer Strafahndung führen kann. Dadurch dürfte der Berufungswerber zu seinem diesbezüglichen Vorbringen motiviert worden sein. Es ist daher auszuschließen, dass aufgrund des vollkommen unglaubwürdig geschilderten Vorfalles mit dem Mullah der Berufungswerber individuell von einer Strafahndung bedroht gewesen wäre bzw. ist."

Zusammenfassend ergebe sich daher, dass "gewisse Teile des Vorbringens gänzlich unglaubwürdig (seien) und daher für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK als irrelevant qualifiziert werden" müsse. Das Vorbringen betreffend die Anhaltung durch die Revolutionswächter sei "zwar nicht widerspruchsfrei, aber (es) kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass ein solches Ereignis mit anschließendem 'Weglaufen' stattgefunden hat".

Damit sei der als stattgefunden anzusehende Vorgang wie folgt rechtlich zu würdigen: Die Anhaltung durch die Revolutionswächter sei jedenfalls für sich allein betrachtet mangels Intensität keine Verfolgungsmaßnahme im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Zudem habe es sich bloß um eine allgemeine Straßenkontrolle gehandelt.

Nach allgemeinen Rechtsausführungen, wonach eine subjektive Furcht vor Verfolgung nur dann begründet sei, wenn objektive Gründe für eine konkrete Verfolgung des betreffenden Asylwerbers vorlägen, führte die belangte Behörde weiter aus wie folgt:

"Für den gegenständlichen Fall ergibt sich, dass das (möglicherweise stattgefundene) Ereignis keine 'begründete Furcht' vor zukünftiger 'Verfolgung' zu begründen vermag. Der Berufungswerber konnte überhaupt nicht darlegen, ob die staatlichen Behörden gegen ihn persönliche Schritte wegen des Aufgreifens mit dem Buch von Salman Rushdi gesetzt hätten bzw. setzen würden. Wenn ihm schon das 'Weglaufen' durch die Revolutionswächter selbst ermöglicht worden ist, spricht dies für das Gegenteil, nämlich dass die Revolutionswächter gar nichts 'unternommen' hätten - schon allein um sich selbst nicht dem Vorwurf einer Verletzung ihrer 'Amtsausübung' und möglichen Folgen auszusetzen.

Dieses Ergebnis entspricht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. In einem gänzlich anders gelagerten Fall, der sich nur in dem Vorbringen wegen des Besitzes des Buches von Salman Rushdi mit dem hier Vorliegenden deckt, hat der Verwaltungsgerichtshof nämlich festgestellt, dass dieser Grund (iVm sonstigem dortigen Vorbringen) in keiner Weise glaubhaft zu machen vermag, im Falle einer Rückkehr in den Iran einer Gefahr im Sinne des § 37 FrG (aF) unterworfen zu werden (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.12.1996, Zl. 95/18/1295)."

Aus all dem folge, dass der Beschwerdeführer eine drohende Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht habe glaubhaft machen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass er widersprüchlich ausgesagt habe, und dass in seinen Aussagen "Abweichungen" gegenüber früheren Angaben vorlägen. Auch habe die belangte Behörde zu Unrecht (ausgehend von der "Privatmeinung der bei der Einvernahme anwesenden Dolmetscherin") die Schlussfolgerung gezogen, die von ihm vorgelegte (gerichtliche) Ladung stelle eine Fälschung dar. Bei der Dolmetscherin handle es sich nicht um eine Sachverständige für behördliche Urkunden aus dem Iran. Die belangte Behörde habe keine Ermittlungen über die Situation im Iran (insbesondere nicht zur Strafbarkeit des Besitzes des Buches "Satanische Verse"), über dessen Autor Jahre hindurch ein Todesurteil der iranischen Regierung bestanden habe, angestellt. Die Aufhebung der Todesstrafe für Salman Rushdi sei lediglich aus außenpolitischen Gründen erfolgt. Der Besitz des Buches sei weiterhin verpönt und unter Strafe gestellt. Es werde daher beantragt,

"beim UNHCR, IKRK, Amnesty International sowie dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte Wien Stellungnahmen zur Frage einzuholen, welche Behandlung iranische Staatsbürger, die im Besitz des Buches 'Satanische Verse' betreten werden, erwartet".

Die belangte Behörde gehe selbst davon aus, dass der Beschwerdeführer von den Revolutionswächtern im Besitz des Buches "Satanische Verse" betreten, der Name notiert und ihm angedroht worden sei, dass er hingerichtet werde. Aufgrund der konkreten Androhung der Todesstrafe gegen den Beschwerdeführer "aus religiösen Gründen" sei für diesen ein weiterer Verbleib im Iran unerträglich geworden. Aus dem Umstand, dass ihm einer der Revolutionswächter die Flucht ermöglicht habe, könne nicht geschlossen werden, der Staat hätte ihn - bei weiterem Verbleib im Iran - geschont.

Auf den im Verwaltungsverfahren weiters vorgetragenen Fluchtgrund im Zusammenhang mit der "Berührung eines Mullahs" wird in der Beschwerde nicht mehr Bezug genommen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg:

Gemäß § 44 Abs. 1 Asylgesetz 1997 sind am 1. Jänner 1998 bei den Asylbehörden anhängige Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden: FlKonv) genannten Endigungs- oder Ausschließungsgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne der FlKonv ist u.a., wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Religion oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes in zugänglicher Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einem bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047, vom 28. Juni 1988, Zl. 87/11/0066, und vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722).

Die Darlegungen der belangten Behörde lassen vor dem Hintergrund dieser Rechtsausführungen nicht klar erkennen, in welchem Umfang sie den Angaben des Beschwerdeführers Glaubwürdigkeit zumaß. Lediglich hinsichtlich des Fluchtgrundes "unabsichtliche Berührung eines Mullahs" bringt der angefochtene Bescheid unmissverständlich zum Ausdruck, dass dieses Vorbringen des Beschwerdeführers als unglaubwürdig qualifiziert werde. Im Übrigen zog die belangte Behörde zwar verschiedene Aussagen des Beschwerdeführers in Zweifel, indem sie diese als mit vorhergehenden Aussagen (in Form von stichwortartigen Anmerkungen) abweichend und "teilweise" als widersprüchlich bezeichnete, ohne jedoch letztlich klar darzulegen, welche Bedeutung die belangte Behörde diesen Aussagen im Einzelnen geben wollte. So führte die belangte Behörde "zusammenfassend" aus, "gewisse Teile des Vorbringens sind gänzlich unglaubwürdig", jedoch sei "das Vorbringen betreffend der Anhaltung durch die Revolutionswächter zwar nicht widerspruchsfrei, aber es kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass ein solches Ereignis mit anschließendem 'Weglaufen' stattgefunden hat". Diese Ausführungen lassen aber den vom Beschwerdeführer gezogenen Schluss zu, die belangte Behörde habe seinem Vorbringen betreffend die gesamten Umstände seiner Anhaltung durch die Revolutionswächter, somit auch die behauptete Notierung seines Namens, Glaubwürdigkeit beigemessen. In weiterer Folge unterzog die belangte Behörde dieses Vorbringen des Beschwerdeführers "unter der Annahme, dass das 'Ereignis' stattgefunden hat" einer rechtlichen Würdigung, wobei sie dann wiederum von der "angeblichen" und von dem "möglicherweise stattgefundenen" Ereignis sprach. Auch in der vorliegenden Gegenschrift wird geltend gemacht, es sei lediglich die "Anhaltung" als möglich angenommen, nicht jedoch die Notierung seines Namens als glaubhaft angesehen worden. Damit kann der Verwaltungsgerichtshof aber seine Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen, weil letztlich nicht zu erkennen ist, ob und in welchem Umfang die belangte Behörde die Schilderungen des Beschwerdeführers betreffend die behauptete Anhaltung, das Auffinden des Buches "Satanische Verse" durch die Revolutionswächter und die Notierung seines Namens als glaubhaft ansah (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 97/20/0376).

Wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift dazu ausführt, sie sei "weder davon ausgegangen, dass der Name des Beschwerdeführers amtlich notiert wurde, noch davon, dass ihm angedroht wurde, hingerichtet zu werden, - dieses Vorbringen wurde als unglaubwürdig qualifiziert", so ist ihr entgegenzuhalten, dass sich derartige (negative) Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht klar wieder finden. Es ist aber ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass in der Gegenschrift - im Bescheid unterlassene aber notwendige - Sachverhaltsfeststellungen nicht nachgeholt werden können.

Dem angefochtenen Bescheid ist zu entnehmen, dass die belangte Behörde die angenommene Fälschung der vom Beschwerdeführer vorgelegten Ladung ausdrücklich auf die "fachkundige" Auskunft der Dolmetscherin stützte. In diesem Zusammenhang macht der Beschwerdeführer die Verletzung von Verfahrensvorschriften deshalb geltend, weil die belangte Behörde sich mit den Ausführungen der Dolmetscherin nicht hätte begnügen dürfen, sondern ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Obwohl dieser Verfahrensrüge aufgrund der bereits aufgezeigten Begründungsmängel keine maßgebliche Bedeutung mehr zukommt, ist für das fortgesetzte Verfahren Folgendes festzuhalten:

Weder dem angefochtenen Bescheid noch der Gegenschrift noch dem Akteninhalt ist zu entnehmen, dass die von der belangten Behörde herangezogene Dolmetscherin dieser oder einer anderen Verwaltungsbehörde als Amtssachverständige für die Beurteilung der Echtheit von behördlichen Schriftstücken im Iran im Sinne des § 52 Abs. 1 AVG "beigegeben" wäre. Wenn Amtssachverständige nicht zur Verfügung stehen oder es mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten ist, kann die Behörde auch ausnahmsweise andere geeignete Personen als Sachverständige heranziehen (§ 52 Abs. 2 erster Satz AVG) und, wenn sie nicht schon für die Erstattung von Gutachten der erforderten Art im Allgemeinen beeidet sind, beeiden. Da sich die belangte Behörde im vorliegenden Fall weder veranlasst sah, die Dolmetscherin für die konkrete Sache als Sachverständige zu beeiden, im Übrigen in ihrer Gegenschrift in Beziehung auf deren Person als "sachverständige Zeugin" spricht, ist nicht anzunehmen, dass sie die Dolmetscherin als eine für den besonderen Fall herangezogene nichtamtliche "Sachverständige" ansah. Andernfalls hätte es die belangte Behörde unterlassen, aufzuzeigen, dass Amtssachverständige nicht zur Verfügung standen oder die Besonderheit des Falles die Heranziehung eines nichtamtlichen Sachverständigen gebot. § 52 Abs. 3 AVG kommt im vorliegenden Fall unbestritten nicht in Betracht. Die Behörde hat nach der hg. Judikatur einen Sachverständigenbeweis dann aufzunehmen, wenn dies in den Verwaltungsvorschriften vorgesehen ist, oder wenn zur Erforschung der materiellen Wahrheit besondere Fachkenntnisse nötig sind (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. November 1983, Zl. 83/04/0263). Eine Behörde darf Fachfragen dann selbst beurteilen, wenn sie die Kenntnisse und Erfahrungen hat, die für eine selbständige fachliche Beurteilung von Fragen eines Wissensgebietes vorausgesetzt werden müssen (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 16. Jänner 1985, Zl. 84/03/0004).

Die Dolmetscherin hatte die Echtheit des vorgelegten Schriftstückes deshalb als nicht gegeben erachtet, weil hinter dem Emblem nicht die Worte "Justizbehörde der Islamischen Republik Iran" vorhanden seien und das verkleinerte Format sowie das fehlende Datum neben der Aktenzahl auf eine Fälschung hinwiesen. Dem hatte der Beschwerdeführer entgegengehalten, dass ihm das vorgelegte Dokument als Fax zugekommen sei, es Faxgeräte gebe, die nur ein kleines Format aufnähmen und es daher möglich sei, dass die ursprüngliche Ladung auf ein kleineres Format kopiert sowie erst dann gefaxt worden sei. Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass das von der Dolmetscherin genannte fehlende "Satzgefüge" nur in einem Gerichtsurteil enthalten sei, nicht aber in einer "Gerichtsladung". Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass das Datum neben der Aktenzahl deshalb nicht enthalten sei, weil es (ohnehin) auf der Ladung unten angeführt sei. Überdies bot der Beschwerdeführer die Beischaffung des Originals der Ladung an.

Indem die belangte Behörde sich im Wesentlichen ausdrücklich auf die Aussage der Dolmetscherin zur Beurteilung der Echtheit der vorgelegten Ladung berufen hat, hat sie zum Ausdruck gebracht, dass sie sich selbst - ohne deren "fachkundiger" Aussage - nicht in der Lage sah, die Echtheit der vorgelegten Ladung zu beurteilen. Damit sah aber die belangte Behörde selbst die Notwendigkeit der Einholung einer "fachkundigen" Auskunft durch eine geeignete Person, somit im Ergebnis die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Echtheit des vorgelegten Schriftstückes als erforderlich an. Es kann auch nicht generell gesagt werden, dass für die Lösung der Frage, ob eine vorgelegte Urkunde von iranischen Behörden aufgrund deren Gestaltung als echt anzusehen sei, besondere Fachkenntnisse nicht erforderlich wären. Aufgrund der Unbeschränktheit der Beweismittel durfte zwar die belangte Behörde auch die Aussage der Dolmetscherin zur Frage der Gestaltung einer iranischen Gerichtsladung (mit-)berücksichtigen, jedoch hätte es angesichts der konkreten Bestreitungen des Beschwerdeführers hinsichtlich der von der Dolmetscherin als Mängel der Ladung aufgezeigten Umstände im konkreten Fall der Einholung des Originals sowie allenfalls danach eines Sachverständigengutachtens bedurft.

Zu den weiteren Erwägungen im angefochtenen Bescheid ist zunächst festzuhalten, dass aus der vom Beschwerdeführer geschilderten Ermöglichung seiner Flucht durch einen der Revolutionswächter nach seiner Anhaltung entgegen der Auffassung der belangten Behörde nicht schlüssig gefolgert werden kann, dem Beschwerdeführer drohten im Falle seiner neuerlichen Aufgreifung keine asylrelevanten Maßnahmen. Die belangte Behörde hat sich nämlich mit der Behauptung des Beschwerdeführers, auf den Besitz des gegenständlichen Buches stehe die Todesstrafe, nicht auseinander gesetzt. Demnach ist die Behauptung des Beschwerdeführers, dessen Name nach seinen Angaben anlässlich der Anhaltung notiert worden sei, ihm drohten ungeachtet seiner Flucht konkrete weitere Verfolgungsschritte, nicht von der Hand zu weisen. Die Annahme der belangten Behörde, die Revolutionswächter hätten schon deshalb keine weiteren (Verfolgungs-)Schritte gegen ihn unternommen, weil sie sich "nicht dem Vorwurf einer Verletzung ihrer Amtsausübung und möglichen Folgen" hätten aussetzen wollen, ist für sich allein genommen unschlüssig. Abgesehen davon, dass nach der Schilderung des Beschwerdeführers nur einer der Revolutionswächter ihm die Flucht ermöglicht habe, ließe sich ebenso argumentieren, dass die Revolutionswächter alles daran setzen würden, um seiner wieder habhaft zu werden, um sich keinem derartigen Vorwurf auszusetzen. Dem angefochtenen Bescheid - wie schon ausgeführt - kann eine (negative) Feststellung dahingehend, dass der Name des Beschwerdeführers anlässlich der Anhaltung durch die Revolutionswächter von diesen nicht notiert worden wäre, nicht entnommen werden.

Die belangte Behörde brachte unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1996, Zl. 95/18/1295, ihre Rechtsauffassung zum Ausdruck, aus dem Vorfall "wegen des Aufgreifens mit dem Buch von Salman Rushdi" sei keine begründete Furcht vor "zukünftiger Verfolgung" abzuleiten. Dazu ist der belangten Behörde entgegenzuhalten, dass - wie von ihr selbst angemerkt - diesem Erkenntnis ein anders gelagerter Sachverhalt zugrunde lag. In diesem Erkenntnis hielt der Verwaltungsgerichtshof (lediglich) für den konkreten Fall fest, dass aus dem (im do. Verfahren erstatteten) Vorbringen des (damaligen) Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar abzuleiten sei, weshalb das Leben oder die Freiheit des Beschwerdeführers, der sich das Buch "Satanische Verse" aus Gründen der Weiterbildung ausgeborgt habe, aufgrund seiner politischen Ansichten bedroht sein sollte. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer - anders als in dem dem erwähnten Erkenntnis vom 28. Dezember 1996 zugrunde liegenden - vorgebracht, dass im Iran jeder, der dieses Buch besitze, mit der Todesstrafe rechnen müsse, und er aufgrund der vorgebrachten Umstände davon konkret betroffen sei.

Sollte der Besitz dieses Buches im Iran unter Strafe gestellt sein, so drohte dem Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen Verfolgung wegen einer von ihm begangenen Straftat. Eine derartige Verfolgung ist zwar in der Regel kein Grund für die Anerkennung als Flüchtling. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer wegen einer von ihm aktuell vertretenen politischen Gesinnung oder wegen seines religiösen Bekenntnisses bedroht wäre.

Eine asylrelevante Verfolgung könnte aber nach der hg. Judikatur dann vorliegen, wenn etwa ein Staat die Strafe auf ein im Kontext mit einem politisch-religiösen Konflikt stehendes Delikt unverhältnismäßig hoch festlegt und die Strafe nicht mehr als Maßnahme einzustufen wäre, die dem Schutz legitimer Interessen des Staates dient. Der Grund für die unverhältnismäßige Höhe einer Strafdrohung könnte in solchen Fällen ausschließlich darin liegen, dass dem Täter unterstellt wird, er vertrete eine oppositionelle politische Gesinnung und sei jedenfalls als Feind des Staates zu betrachten. Diesfalls würde, ohne im Einzelfall die Motive des jeweiligen Straftäters zu prüfen und einen Beweis des Gegenteils im Einzelfall zuzulassen, durch die bloße Verwirklichung des Tatbildes das Vorliegen einer bestimmten oppositionellen politischen Gesinnung unterstellt und wäre eine solche das Ziel der staatlichen Sanktionsnorm (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 98/20/0431).

Im Hinblick auf die Staatsverfassung des Iran, welche auf dem Koran und damit auf der religiösen Grundlage des Islams aufbaut, dessen Lehren der Verfasser des gegenständlichen Buches mit dessen Inhalt nach Auffassung der religiösen (politischen) Führer dieses Staates wesentlich verletzt habe, weshalb gegen diesen bekanntermaßen (über Jahre hindurch) ein Todesurteil ausgesprochen worden war, ist die mögliche Qualifikation einer bestehenden Strafdrohung für den Besitz dieses Buches als politisch und somit die Zuordnung der Verfolgung des Beschwerdeführers als solche im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv wegen einer angenommenen "politischen Gesinnung" keineswegs ausgeschlossen (vgl. dazu insbesondere das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0350).

Ob diese der Beschwerde zugrunde liegende Auffassung zutrifft, lässt sich ohne nähere Auseinandersetzung mit dem iranischen Strafrecht, insbesondere mit der konkreten Ausgestaltung dieser hier in Betracht zu ziehenden Normen im Kontext mit den spezifischen politischen Verhältnissen, den mit der als bestehend behaupteten Strafnorm betreffend den Besitz des erwähnten Buches verfolgten politischen Zwecken und der Handhabung einer solchen Bestimmung in der Praxis nicht beurteilen. Wäre die Höhe der Strafdrohung aber nur durch die ungeprüfte Unterstellung eines politischen Willens erklärbar und reichte die bloße Verwirklichung des Tatbildes aus, um ohne Unterschied ebenso behandelt zu werden wie jemand, der mit der Tat tatsächlich einer bestimmten politischen Gesinnung Ausdruck verleihen wollte (etwa in Form einer dem Verfasser des erwähnten Buches von der iranischen Führung vorgeworfenen politisch-religiösen Gesinnung, die angesichts der religiösen Wurzeln der iranischen Verfassung als Angriff gegen den Staat selbst gewertet würde), könnte eine asylrelevante Verfolgung aus (unterstellten) politischen Gründen vorliegen. Aufgrund des engen Zusammenhanges zwischen der Verfolgung wegen des Besitzes dieses Buches mit der des Autors selbst könnte eine derartige unterstellte Gesinnung gegebenenfalls eine Asylgewährung rechtfertigen.

Angesichts der der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegten, nicht ausreichend nachvollziehbaren Feststellungen lässt sich nicht beurteilen, ob die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Gänze als nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft geeignet ansah oder allenfalls nur aufgrund einer von ihr - allerdings in einer nicht klar ersichtlich beschränkten Weise - nur teilweise angenommenen Sachverhaltsbasis. Demgemäß kann nicht erkannt werden, ob die belangte Behörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren - wäre dies zur Gänze als glaubwürdig unterstellt worden - aufgrund einer unrichtigen Rechtsauffassung von vornherein keine Asylrelevanz beigemessen hätte.

Die belangte Behörde belastete ihren Bescheid daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 16. September 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998200543.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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