TE OGH 2018/11/6 12Os131/18h

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Veröffentlicht am 06.11.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat am 6. November 2018 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sischka als Schriftführer in der Strafsache gegen Boban J***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 335 HR 168/18t des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Boban J***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 2. Oktober 2018, AZ 21 Bs 291/18z (ON 611 des Ermittlungsakts), nach Anhörung der Generalprokurator in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Boban J***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Juni 2018 (ON 119) wurde über Boban J***** die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht-, der Verdunkelungs- und der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1, Z 2 und Z 3 lit a und lit b StPO verhängt und mit Beschluss dieses Gerichts vom 20. Juni 2018 (ON 224) aus den selben Haftgründen fortgesetzt. Der dagegen gerichteten Haftbeschwerde des Genannten gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 16. Juli 2018, AZ 21 Bs 202/18m (ON 324) nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO fort. Über die von Boban J***** gegen den letztgenannten Beschluss erhobene Grundrechtsbeschwerde sprach der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 23. August 2018, AZ 12 Os 98/18f (ON 445), aus, dass der Genannte im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt worden sei, hob jedoch den angefochtenen Beschluss nicht auf. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. September 2018 (ON 462) setzte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Untersuchungshaft erneut aus den Haftgründen der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO fort. Der dagegen gerichteten Haftbeschwerde des Genannten gab das Oberlandesgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 2. Oktober 2018, AZ 21 Bs 291/18z (ON 611), nicht Folge und beschloss die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den bisherigen Haftgründen.

In der Sache erachtete das Beschwerdegericht Boban J***** dringend verdächtig, er habe

I./ sich vom 1. März 2016 bis zu seiner Festnahme am 4. Juni 2018 gemeinsam mit Milorad J*****, Sasa Ja*****, Darko T*****, Christian M*****, Dragoslav M*****, Zeljko Je*****, Nenad P*****, Milan S*****, Dragan Mr*****, Sladjana Ja*****, Deni Mr*****, Dalibor Z*****, Luka K*****, Milorad Su***** und Nebojsa Mi***** an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen als Mitglied im Wissen beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB), dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen durch Begehung einer strafbaren Handlung im Rahmen ihrer kriminellen Ausrichtung, nämlich Suchtgifthandel, fördert, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen „im Bereich der Suchtmittel“ ausgerichtet sei, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebe und sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen suche, indem er andere beauftragte, in diversen Liegenschaften, unter anderem in der Liegenschaft *****, Cannabisplantagen einzurichten und solcherart Marihuana mit den Wirkstoffen Delta-9-THC und THCA in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge zu erzeugen, und für den Transport von verkaufsfertig abgepacktem Marihuana einen mit einem professionell eingebauten Doppelboden präparierten PKW zur Verfügung stellte, wobei in den im Folgenden genannten Plantagen vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar Cannabiskraut mit den Wirkstoffen Delta-9-THC und THCA in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge erzeugt wurde, und zwar

1./ vom 1. März 2016 bis zum 10. Jänner 2018 in der Dragoslav M***** gehörenden, an Zeljko Je***** vermieteten Liegenschaft ***** in O***** von dem durch das Landesgericht Eisenstadt verurteilten Nenad P***** rund 484 kg Cannabiskraut mit einem Wirkstoffgehalt von zumindest 0,46+/-0,01 % Delta-9-THC und zumindest 12,28+/-0,13 % THCA;

2./ vom 6. September 2017 bis zum 19. Jänner 2018 in der der „B*****“ *****ges mbH gehörenden Liegenschaft in der ***** in M***** von dem dafür bereits durch das Landesgericht Eisenstadt verurteilten Milan S***** rund 227 kg Cannabiskraut mit einem Wirkstoffgehalt von zumindest 1,39+/-0,05 % Delta-9-THC und 16,31+/-0,38 % THCA;

3./ vom 16. September 2016 „bis zu deren Festnahme“ von Dragan Mr*****, Sladjana Ja***** und Deni Mr***** in der Liegenschaft ***** in S***** ca 192 kg Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 0,4 % Delta-9-THC und 4,6 % THCA;

4./ ab einem noch festzustellenden Zeitpunkt bis zum 12. Juni 2018 in der Liegenschaft ***** in V***** von Milorad Su***** eine noch festzustellende Menge Cannabiskraut durch das Betreiben einer Plantage mit 910 Cannabispflanzen;

5./ ab einem noch festzustellenden Zeitpunkt bis zum 12. Juni 2018 in der Liegenschaft ***** in V***** eine noch festzustellende Menge Cannabiskraut durch das Betreiben einer Plantage mit 266 Cannabispflanzen;

II./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung von Straftaten nach § 28a Abs 1 erster Fall SMG mit Sasa Ja*****, Darko T*****, den oben genannten Mitgliedern und den zu Punkt I./1./ bis 5./ genannten Mittätern durch den Betrieb der dort bezeichneten Cannabisplantagen den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, und zwar Cannabiskraut mit den Wirkstoffen Delta-9-THC und THCA mit einem Wirkstoffgehalt „von zumindest 0,4 % Delta-9-THC und 4,6 % THCA bis zu 1,39+/-0,05 % Delta-9-THC und 16,31+/- 0,38 % THCA“ in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge erzeugt.

In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht dieses Verhalten den Verbrechen der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (I./) sowie des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 2 und Z 3 SMG (II./; BS 5).

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Boban J*****.

Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren kann die Begründung des dringenden Tatverdachts in sinngemäßer Anwendung des § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO bekämpft werden. Die rechtliche Beurteilung, welche strafbare Handlung durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen begründet wird, unterliegt der Nachprüfung gemäß Z 9 und Z 10 des § 281 Abs 1 StPO (RIS-Justiz RS0110146, RS0114488; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 26 ff, 30; Kirchbacher/Rami, WK-StPO Vor §§ 170–189 Rz 23/2).

Als Widerspruch (Z 5 dritter Fall) macht die Beschwerde geltend, dass das Oberlandesgericht die Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts zur Gänze übernommen (zur Zulässigkeit dieses Vorgehens RIS-Justiz RS0122395 [T1], Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 174 Rz 12 f mwN; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 25 mwN), gleichzeitig aber zu I./1./ und I./2./ eigene, anderslautende Annahmen zum Reinheitsgehalt des Suchtgifts getroffen habe (BS 4). Damit richtet sie sich nicht gegen entscheidende Tatsachen (vgl zum Begriff Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399). Denn bereits ausgehend von der – nicht in Beschwerde gezogenen – Menge von 192 kg an erzeugtem Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von 4,6 % THCA zu Faktum I./3./ errechnet sich eine Menge von 8.832 g erzeugtem THCA, somit mehr als das 220-fache der Grenzmenge.

Im Übrigen ist Boban J***** schon auf Basis des vom Erstgericht angenommenen geringeren Reinheitsgehalts zu I./1./ iVm II./ der Erzeugung von 22.264 g THCA, somit von mehr als dem 556-fachen der Grenzmenge, und zu I./2./ iVm II./ der Erzeugung von 10.442 g THCA, somit von mehr als dem 261-fachen der Grenzmenge dringend verdächtig.

Solcherart geht auch der Einwand mangelhafter Begründung der vom Oberlandesgericht abweichend vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsannahme zum Reinheitsgehalt zu I./1./ und I./2./ schon im Ansatz ins Leere.

Soweit die Beschwerde zu II./ Feststellungen zu einem auf die vorschriftswidrige Erzeugung von Suchtgift gerichteten Vorsatz des Beschuldigten vermisst (Z 9 lit a), ist ihr zu entgegnen, dass die Sachverhaltsannahmen, wonach der Beschwerdeführer das Suchtgift den bestehenden Vorschriften zuwider erzeugte (BS 5), er ein eigens präpariertes Fahrzeug für die „Schmuggelfahrten“ des erzeugten Suchtgifts zur Verfügung stellte (BS 7), er die Erzeugung des Suchtgifts als Mitglied einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung solcher Straftaten beging (BS 11) und wonach er bewusst Suchtgift erzeugen wollte (BS 5 f iVm S 6 des erstgerichtlichen Beschlusses), unmissverständlich den Willen des Beschwerdegerichts zur Feststellung der subjektiven Tatseite auch in Ansehung des Tatbestandsmerkmals „vorschriftswidrig“ zum Ausdruck bringen (RIS-Justiz RS0117228; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19).

Weiters wendet sich der Beschwerdeführer zu II./ unter dem Aspekt der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO mit der Behauptung des Fehlens jeglicher objektiver und subjektiver Sachverhaltsannahmen zu einer Unterordnung der einzelnen Mitglieder unter einen Gesamtwillen der Verbindung gegen die Annahme der Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 2 SMG. Damit orientiert er sich nicht an der angefochtenen Entscheidung (RIS-Justiz RS0110146 [T24]). Geht diese doch von einer hierarchischen Struktur mit Aufgabenverteilung innerhalb der Verbindung, wobei die höherrangigen Mitglieder derselben – wie auch der Beschwerdeführer – „Weisungen“ an andere Mitglieder erteilen (insbesondere BS 5 f iVm S 6 f, S 8 ff, S 11 des erstgerichtlichen Beschlusses; vgl Schwaighofer in WK2 SMG § 28a Rz 42; Hinterhofer in: HH SMG2 § 28a Rz 62), und der darauf bezogenen subjektiven Tatseite des Beschwerdeführers (BS 9, 11) aus.

Weiteres behauptet die Beschwerde, der angefochtenen Entscheidung seien keine Sachverhaltsannahmen betreffend eines Vorsatzes des Beschwerdeführers zu einem organisierten und auf gewisse Dauer ausgerichteten Zusammenschluss von rund zehn Menschen zur Begehung nach § 28a Abs 1 SMG strafbarer Handlungen zu entnehmen. Weshalb ausgehend von den diesbezüglichen Sachverhaltsannahmen zur objektiven Tatseite (insbesondere BS 3 ff iVm S 5 f des erstgerichtlichen Beschlusses) die vom Beschwerdeführer eingeräumte Sachverhaltsannahme, wonach er vorsätzlich in Bezug auf den Umstand handelte, als Mitglied einer derartigen Großbande zu agieren (BS 11), für die Erfüllung des Tatbestands der Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 2 SMG nicht ausreichen sollte, erklärt der Beschwerdeführer damit nicht.

Die Annahme der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO stützte das Oberlandesgericht auf die straffe Organisation und Vernetzung der Beschuldigten untereinander sowie den finanziellen Bedarf des Beschuldigten (BS 16). Somit kann von Willkür keine Rede sein.

Der Einwand, das Beschwerdegericht habe für die Annahme der straffen Organisation und der Vernetzung der Beschuldigten untereinander keine Begründung gegeben und ließe sich eine solche dem gesamten Akteninhalt nicht entnehmen, wendet sich der Sache nach nicht gegen die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr, sondern vielmehr (soweit hier noch relevant) gegen Sachverhaltselemente betreffend den vom Beschwerdegericht bejahten dringenden Tatverdacht in Ansehung der Erfüllung der Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 2 SMG zu II./. Diesen stützte es jedoch – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden – insbesondere auf die Aussagen eines verdeckten Ermittlers (BS 5 f iVm S 7 f des erstgerichtlichen Beschlusses), der Zeugin Sara Sa***** (BS 7 f; BS 5 f iVm S 7 des erstgerichtlichen Beschlusses), die Ergebnisse der Telefonüberwachung (BS 8 f; BS 5 f iVm S 6 iVm S 8 des erstgerichtlichen Beschlusses), der durchgeführten optischen Überwachung (BS 5 f iVm S 8 des erstgerichtlichen Beschlusses), sowie die Angaben des Deni Mr***** (BS 5 f iVm S 9 des erstgerichtlichen Beschlusses), der Sladjana Ja***** (BS 8; BS 5 f iVm S 9 des erstgerichtlichen Beschlusses) und des Dragoslav M***** (BS 5 f iVm S 10 des erstgerichtlichen Beschlusses).

Schon der solcherart erfolglos bekämpfte dringende Tatverdacht zu den Fakten II./ iVm I./1./ bis I./3./ ist hafttragend, weshalb es keiner weiteren Untersuchung bedarf, ob auch hinsichtlich der übrigen Straftaten die Haftvoraussetzungen vorliegen (RIS-Justiz RS0061132).

Die keine Verletzung des verfassungsmäßig geschützten Rechts auf persönliche Freiheit aufzeigende Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Textnummer

E123230

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00131.18H.1106.000

Im RIS seit

23.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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