TE Vwgh Erkenntnis 1999/11/25 99/20/0034

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Veröffentlicht am 25.11.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG 1991 Art2 Abs2 Z43a idF 1998/I/028;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. Oktober 1998, Zl. 203.253/0-VIII/24/98, betreffend Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak (mitbeteiligte Partei: SS, geboren am 28. Juli 1966, Linz), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste am 6. März 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

Soweit für das vorliegende Verfahren noch bedeutsam (die Beschwerde richtet sich nur gegen den Ausspruch des angefochtenen Bescheides, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der mitbeteiligten Partei in den Irak nicht zulässig ist) brachte die mitbeteiligte Partei bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 30. März 1998 Folgendes vor:

"Es stimmt, dass ich Baghdad mit einem öffentlichen Verkehrsmittel verlassen habe. Ich habe damit fahren müssen.

(Was würde Ihnen im Fall der Rückkehr in den Irak passieren?) Ich würde entweder die Todesstrafe bekommen, oder 15 bis 20 Jahre Haft wegen illegaler Ausreise.

...

Ich kenne in Kurdistan niemand (nordirakische Kurdenzone). Es stimmt, dass die Behörden nicht wissen können, dass ich illegal ausgereist bin, jedoch würde ich bei der Rückkehr gefragt.

...

(Sie hätten daher ... ohne Schwierigkeiten in Nordirak Zuflucht finden können und wären auch dort keiner Verfolgung durch die irakischen Behörden ausgesetzt und sind auch im Falle einer Rückkehr in dieses Gebiet keiner Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG ausgesetzt.)

Warum hätte ich im Nordirak nur Geld ausgeben sollen? Wenn ich nicht gewusst hätte, dass meine Frau in Österreich aufhältig ist, dann wäre ich woanders hingegangen. Sicher nicht nach Österreich.

(Warum wollten Sie den Irak verlassen?)

Ich kann nicht in Baghdad leben. Der Grund ist die Fahnenflucht.

(Nachdem Sie als einzigen Grund die Fahnenflucht anführen, stellt sich die Frage, warum Sie nicht schon vor Jahren den Irak verlassen haben, obwohl Sie eine diesbezügliche Angst vor einer Inhaftierung behauptet haben?)

Ich war noch zu keiner Verhaftung zu Hause (Haftbefehl) ausgeschrieben."

Mit Bescheid vom 12. Mai 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der mitbeteiligten Partei ab (Spruchpunkt I) und sprach aus, dass deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II).

Den Spruchpunkt II begründete das Bundesasylamt damit, dass den irakischen Behörden die illegale Ausreise der mitbeteiligten Partei nicht bekannt geworden sei und dass die Aussage des Mitbeteiligten, er würde bei seiner Rückkehr gefragt werden, in ihrer Allgemeinheit nicht geeignet sei, die von ihm behauptete Gefahr zu begründen. Darüber hinaus stünde im Nordirak eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung untermauerte der Mitbeteiligte sein Vorbringen.

Das Bundesasylamt erstattete hiezu am 7. Juli 1998 eine Stellungnahme, in der es insbesondere "entweder die Abweisung der Berufung oder die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 67d AVG beantragt".

In einem weiteren Schriftsatz führte die mitbeteiligte Partei durch ihren Vertreter Folgendes aus:

"Mag mein Mandant den Irak auch über die sogenannte Schutzzone im Norden des Landes verlassen haben, so ist doch davon auszugehen, dass die Behörden im Hinblick auf die nunmehr bereits verstrichene Zeit von der illegalen Ausreise meines Mandanten Kenntnis erlangen werden. Bei einer allfälligen Wiedereinreise in den Irak käme mein Mandant in einen argen Argumentationsnotstand, sollte er danach gefragt werden, wo er sich in der letzten Zeit aufgehalten hat bzw. was er in der nunmehr verstrichenen Zeit in der Schutzzone im Norden des Landes unternommen hat. Im Hinblick auf die im Irak allgemein üblichen Verhörmethoden ist daher sehr wohl davon auszugehen, dass die illegale Ausreise meines Mandanten bekannt werden wird."

Die mitbeteiligte Partei brachte ferner vor, dass die Tatsache einer unbewilligten Ausreise und einer Asylantragstellung im Ausland für sich allein genüge, um im Irak als Kritik am herrschenden System zu gelten und Bestrafung auszulösen. Eine inländische Fluchtalternative im Nordirak bestehe nicht, weil diese auch nach Einschätzung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, Regionalbüro in Wien, eine gewisse Aufenthaltsdauer im Nordirak bzw. einen gewissen Grad der Integration im Nordirak voraussetze. Der Mitbeteiligte sei hingegen nur durch die sogenannte Sicherheitszone durchgereist, um in weiterer Folge in die Türkei zu gelangen.

Mit Verfügung vom 1. Oktober 1998 gab die belangte Behörde dem Bundesasylamt Gelegenheit,

"sich zu dem Ihnen kürzlich vom unabhängigen Bundesasylsenat zu do. Zl. 98 03.835-BAL (A. F.) zugesandten Urkundenkonvolut zur Frage der innerstaatlichen Fluchtalternative im Nord-Irak sowie zu den Abschiebungshindernissen der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung im Ausland binnen 14 Tagen zu äußern."

Mit der Eingabe vom 8. Oktober 1998 ersuchte das Bundesasylamt die belangte Behörde, den als erwiesen angenommenen Sachverhalt mitzuteilen, damit eine Stellungnahme erstattet werden könne.

Mit Verfügung vom 12. Oktober 1998 teilte die belangte Behörde dem Bundesasylamt mit, dass sie von folgendem Sachverhalt ausgehe:

"Der Asylwerber hat den Militärdienst verweigert, er hat keinerlei Anknüpfungspunkte im Nordirak, die ihm grundsätzlich dort eine Integration ermöglichen; er ist illegal ausgereist und hat einen Asylantrag gestellt. Es werden bei verschiedenen Anlässen Überprüfungen von Wohnung und Arbeitsstätte dahin vorgenommen, ob sich Angehörige irakischer Staatsbürger im Ausland aufhalten. Für eine Abschiebung müsste bei der irakischen Botschaft ein Heimreisezertifikat beantragt werden. Illegale Ausreise ist mit hohen Gefängnisstrafen bedroht, Asylantragstellung im Ausland wird als Illoyalität gegenüber dem Regime gewertet und kann ebenfalls strafrechtliche Konsequenzen haben. Der irakische Geheimdienst ist auch im Nordirak aktiv. Misshandlungen bei Verhören und in der Haft bilden im Irak normale Vorkommnisse. Schon aus diesen Gründen ist anzunehmen, dass der Asylwerber im Fall einer Abschiebung in den Irak nicht vor unmenschlicher Behandlung iSd § 57 (1) FrG sicher ist."

In einem Aktenvermerk vom 28. Oktober 1998 hielt das Bundesasylamt nach telefonischer Rücksprache mit der belangten Behörde fest, dass eine Erstreckung der Frist zur Stellungnahme nicht mehr möglich sei, weil der Bescheid bereits ausgefertigt sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde im Spruchpunkt I die Berufung des Beschwerdeführers betreffend den Spruchteil I des bekämpften Bescheides des Bundesasylamtes gemäß § 7 AsylG ab, gab jedoch im Spruchpunkt II der Berufung betreffend den Spruchteil II statt und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in den Irak nicht zulässig ist.

Nach einer auszugsweisen Wiedergabe der Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren führte die belangte Behörde - soweit für das vorliegende Verfahren noch von Bedeutung - im Wesentlichen aus:

"Aufgrund des diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringens des Asylwerbers sowie auf Grund des dem Bundesasylamt und dem Berufungswerber zugesandten Konvoluts an einschlägigen internationalen Berichten (...) wird zusätzlich zu dem bereits zu Spruchpunkt I festgestellten Sachverhalt folgender für die Refoulement-Entscheidung darüber hinaus erheblicher Sachverhalt festgestellt:

Der Asylwerber fürchtet, im Falle einer Rückkehr in den Irak wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Ausland unmenschlicher Behandlung in Form von Haft und Folter ausgesetzt zu sein. Er hat keinerlei Anknüpfungspunkte im Nordirak, die ihm grundsätzlich dort eine Integration ermöglichen würden. Zur derzeitigen Situation im Irak ist Folgendes festzuhalten: Die illegale Ausreise aus dem Irak und der sich anschließende Auslandsaufenthalt sind mit Gefängnisstrafen bis zu 15 Jahren und mit der Beschlagnahme des gesamten beweglichen und unbeweglichen Vermögens bedroht. Diese Strafbestimmung wird in der Praxis rigoros angewendet. Die Asylantragstellung im Ausland wird von den irakischen Behörden als Illoyalität gegenüber dem irakischen Regime gewertet und kann ebenfalls strafrechtliche Konsequenzen in Form von Gefängnisstrafen haben. Von den irakischen Behörden werden bei verschiedensten Anlässen Überprüfungen vorgenommen, ob sich Angehörige von irakischen Staatsbürgern im Ausland aufhalten. Für eine Abschiebung des Asylwerbers in den Irak müsste, da er ohne Dokument eingereist ist, bei der irakischen Botschaft in Österreich ein Heimreisezertifikat beantragt werden. Im Irak werden rechtsstaatliche Prinzipien laufend verletzt. Misshandlungen bei Verhören und in der Haft bilden im Irak normale Vorkommnisse. Willkürliche Verhaftungen ohne gerichtliches Verfahren oder willkürliche Exekutionen stehen an der Tagesordnung. Die irakische Regierung verfügt nach wie vor im Nordirak über eines der engmaschigsten und effizientesten Spitzel- und Geheimdienstsysteme. Zwischen den rivalisierenden Gruppen im Nordirak herrschen nicht nur Spannungen, sondern es kommt auch immer wieder zu schweren Menschenrechtsverstößen wie Festnahmen, Folterungen und extralegalen Tötungen. Lediglich für Asylwerber, die familiäre, gesellschaftliche oder politische Bindungen im Norden haben, die ihnen grundsätzlich eine Integration ermöglichen, kann von gegebenem Schutz in jenen Gegenden des von den Kurden beherrschten Nordiraks ausgegangen werden, in denen es zu keinen militärischen Auseinandersetzungen kommt.

Auf Grund des festgestellten Sachverhalts gelangte die erkennende Behörde zur Ansicht, dass im konkreten Fall für den Asylwerber sowohl im Falle seiner freiwilligen Rückkehr über den Nordirak als auch im Falle der Abschiebung derzeit ein erhebliches Risiko besteht, Opfer einer unmenschlichen Behandlung bzw. Folter im Sinne von Artikel 3 MRK zu werden. Angesichts der Tatsache, dass der Asylwerber, der sein ganzes Leben in Bagdad verbracht, keinerlei politische oder soziale Anknüpfungspunkte im Nordirak besitzt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er dort vor unmenschlicher Behandlung sicher wäre und den nötigen Schutz vor einer Gefährdung durch den irakischen Geheimdienst finden könnte. Ebensowenig kann derzeit mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Asylwerber mangels Interesses seitens der irakischen Behörden nicht gefährdet ist. Denn nicht nur, dass er sich jahrelang dem Wehrdienst entzogen hat, ist auch die Grundlage für die offizielle Duldung seiner Wehrdienstentziehung, nämlich die wiederkehrende Zahlung von Bestechungsgeldern, mit seiner Ausreise weggefallen. Aus diesem Grund ist überdies anzunehmen, dass die irakischen Behörden - etwa bei Überprüfungen seiner Wohnadresse oder Arbeitsstätte bzw. durch Verhöre der dort anwesenden Personen - längst Kenntnis von der Ausreise des Berufungswerbers erlangt haben. Durch eine Abschiebung in den Irak würde der Asylwerber zwangsläufig in den Kontakt mit irakischen Behörden gebracht, und zwar auch bei einer Abschiebung über den Nordirak, da er dazu jedenfalls ein bei der irakischen Botschaft in Österreich zu beantragendes Reisedokument benötigen würde. Dies hätte aber mit größter Wahrscheinlichkeit eine eingehende Befragung des Berufungswerbers unter Anwendung der im Irak üblichen Verhörmethoden zu Folge. Spätestens bei dieser Gelegenheit würden die Umstände seiner relativ langen Abwesenheit bekannt, was zweifellos zu einer unter unmenschlichen Bedingungen erfolgenden Bestrafung des Berufungswerbers wegen illegaler Ausreise bzw. Asylantragstellung führen würde."

Gegen den der Berufung stattgebenden Teil des Bescheides (Spruchpunkt II) richtet sich die vorliegende, auf Art. 131 Abs. 2 B-VG iVm § 38 Abs. 5 zweiter Satz AsylG gestützte Beschwerde. Diese macht primär als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, die belangte Behörde habe ihre Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlich-mündlichen Verhandlung gemäß § 67d AVG iVm Art. II Abs. 2 Z 43 EGVG verletzt, wobei sie auf das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, hinweist. Der Mitbeteiligte habe in seiner Berufung ein neues Sachverhaltsvorbringen erstattet und Schriftstücke vorgelegt, die von der belangten Behörde berücksichtigt worden seien. Die belangte Behörde vermeine zu Unrecht, durch eine Aufforderung zur (schriftlichen) Stellungnahme ihrer Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung enthoben zu sein.

Als inhaltliche Rechtswidrigkeit bekämpft der beschwerdeführende Bundesminister die Auffassung der belangten Behörde, die mangelnde Integration der mitbeteiligten Partei im Nordirak bedinge eine Bedrohung ihrer Person i.S.d. § 57 FrG.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde abzuweisen. Der Mitbeteiligte hat sich an dem Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde wird auf den hg. Beschluss vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0216, verwiesen, mit dem dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gemäß § 46 VwGG stattgegeben wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, folgende Aussage getroffen:

"Im Sinne des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehen eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird. Jedenfalls im letztgenannten Fall ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig - gleichgültig ob in an sich schlüssiger oder unschlüssigere Beweiswürdigung - den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen als geklärt anzusehen."

Diese Erwägungen treffen jedenfalls auch zu, wenn die belangte Behörde nicht einem erst im Berufungsverfahren erstatteten, sondern schon dem ursprünglichen, nach wie vor aufrechten Vorbringen des Asylwerbers zu entscheidungswesentlichen Elementen des Sachverhalts in ausdrücklichem Gegensatz zur Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung keinen Glauben schenken will (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0423). Dies gilt gleichermaßen im umgekehrten Fall, in dem die belangte Behörde entgegen der durch die Erstbehörde erfolgten Würdigung der Angaben des Asylwerbers als unglaubwürdig diese Angaben nunmehr als glaubwürdig der Berufungsentscheidung zugrundelegen will. Die Rechte sowohl des Asylwerbers als auch der Behörde erster Instanz sind in dieser Hinsicht im Verfahren vor dem unabhängigen Asylsenat gleich. Sie sollen verhindern, dass die Parteien im Berufungsverfahren durch eine der erstinstanzlichen Beweiswürdigung entgegenstehende Beweiswürdigung der Berufungsbehörde überrascht werden, ohne im Rahmen einer mündlichen Berufungsverhandlung Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt zu haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, Zlen. 99/01/0199, 0240). Wird in der Berufung ein abweichender oder ein neuer, für die Rechtssache entscheidungswesentlicher Sachverhalt in konkreter Weise vorgebracht oder stellt die Berufungsbehörde von sich aus neue Ermittlungen an, so ist nicht nur in dem dem oben zitierten Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, zu Grunde liegenden Fall, dass die neuen Berufungsangaben als unglaubwürdig gewertet werden, sondern auch im vorliegenden Fall der Wertung der Berufungsangaben oder der neuen Ermittlungsergebnisse als glaubwürdig eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen.

Allerdings führt nicht jede Verfahrensverletzung zur Aufhebung eines damit belasteten Bescheides, sondern nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Ist die Relevanz eines solchen Verfahrensfehlers nicht offenkundig, so ist sie in der Beschwerde konkret darzulegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1999, Zl. 98/20/0579).

Der beschwerdeführende Bundesminister erblickte zwar im Unterbleiben einer mündlichen Berufungsverhandlung eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, er legte aber in der Beschwerde nicht dar, ob und wieso die belangte Behörde bei Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung zu anderen Feststellungen und damit zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, etwa in der Weise, dass er konkret aufgezeigt hätte, welches neue Vorbringen oder welches Beweisanbot er in der mündlichen Berufungsverhandlung erstattet hätte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. April 1974, Slg. Nr. 8608/A, vom 22. März 1985, Zl. 85/18/0194, und vom 16. Juni 1987, Zl. 87/05/0107; vgl. auch Schick, Rechtswidrigkeit infolge entscheidungsrelevanter Verletzung von Verfahrensvorschriften, in: Holoubek/Lang, Das verwaltungsgerichtliche Verrfahren in Streuersachen, 161f).

Die Wesentlichkeit des Verfahrensmangels ist im vorliegenden Fall auch nicht offenkundig. Das Bundesasylamt hat zwar in seiner bereits zitierten Stellungnahme an die belangte Behörde vom 7. Juli 1998 die - gesetzlich ohnehin vorgesehene - Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung ausdrücklich beantragt. Auch trifft es zu, dass die belangte Behörde dem Bundesasylamt bei Einräumung der Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme mit der ebenfalls bereits zitierten Verfügung vom 12. Oktober 1998 zuerst wörtlich den Sachverhalt bekanntgab, von dem sie ausgehe, dann aber insofern abweichende Feststellungen traf, als sie nicht nur eine dem Mitbeteiligten unmögliche "Integration" in den Nordirak annahm, sondern darüber hinaus im Rahmen der rechtlichen Beurteilung feststellte, dass "angesichts der Tatsache, dass der Asylwerber, der sein ganzes Leben in Bagdad verbracht, keinerlei politische oder soziale Anknüpfungspunkte im Nordirak besitzt", nicht davon ausgegangen werden könne, "dass er dort vor unmenschlicher Behandlung sicher wäre und den nötigen Schutz vor einer Gefährdung durch den irakischen Geheimdienst finden könnte". Diese Umstände lassen jedoch keinen offenkundigen Schluss auf die Wesentlichkeit des unterlaufenen Verfahrensmangel zu und können die oben geforderten, typischerweise nur dem Beschwerdeführer bekannten Angaben (vgl. Schick, aaO, 162) nicht ersetzen.

Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist auch die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde gemäß § 8 AsylG i.V.m.

§ 57 Abs. 1 FrG nicht zu beanstanden.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 25. November 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999200034.X00

Im RIS seit

13.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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