TE Vfgh Erkenntnis 2018/6/11 E941/2018 ua

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Veröffentlicht am 11.06.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung der Anträge einer afghanischen Familie mit drei minderjährigen Kindern auf subsidiären Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung; Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative mangels familiärer Unterstützung oder sozialer Anknüpfung

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird in diesem Umfang aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.510,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerin, welche sich im Lebensalter von eineinhalb bis fünf Jahren befinden. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Afghanistans und stammen aus der Provinz Maidan Wardak, Distrikt Jalrez, Dorf Ghale Jadegar. Nach ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellten die Erst- bis Viertbeschwerdeführer am 5. November 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Die Fünftbeschwerdeführerin stellte nach ihrer Geburt im Bundesgebiet, vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin am 17. Oktober 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführer führten begründend aus, dass der Erstbeschwerdeführer von seinem Onkel zu Unrecht der Ermordung des Sohnes des Onkels bzw. des Cousins des Erstbeschwerdeführers bezichtigt worden sei. Der Erstbeschwerdeführer sei daraufhin gefangen genommen und nach drei Tagen gegen Bezahlung einer Kaution und Übergabe seines Grundstücks an den Onkel freigelassen worden. Folglich habe der Bruder des ermordeten Cousins den Erstbeschwerdeführer mit dem Tode gedroht und in der Nähe der Wohnung der Beschwerdeführer eine Bombe detonieren lassen. Aus diesem Grund hätten die Beschwerdeführer die Flucht ergriffen.

2. Mit Bescheid vom 13. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Zudem erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Beschwerdeführern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 und erließ gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-Verfahrensgesetz (im Folgenden: BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG). Ferner stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß §52 Abs9 FPG fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen fest.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 2. Februar 2018 als unbegründet ab.

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht führte betreffend die Asylabweisung begründend aus, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten eine konkrete individuelle Verfolgung angesichts der Bedrohung durch den Cousin des Erstbeschwerdeführers nicht glaubhaft dargetan. Ferner sei eine Verfolgung auf Grund einer etwaigen westlichen Orientierung der Zweitbeschwerdeführerin zu verneinen, zumal weder der Erstbeschwerdeführer noch die Zweitbeschwerdeführerin – trotz mehrmaliger Nachfrage – eine solche behauptet hätten. Es ergäben sich keine Bedenken betreffend den Zugang zu Bildung für Frauen und Mädchen, zumal aus den Länderberichten ersichtlich sei, dass sich dieser in den letzten Jahren verbessert habe. Betreffend die Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerin seien keine spezifischen Verfolgungsgründe vorgebracht worden.

3.2. In der Begründung der Entscheidung zur Frage der Zuerkennung des subsidiären Schutzes führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass den Beschwerdeführern eine Rückführung in deren Heimatregion Maidan Wardak auf Grund der dort vorherrschenden instabilen Sicherheitslage nicht zugemutet werden könne. Es bestehe jedoch die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Kabul oder in Mazar-e-Sharif. Die Beschwerdeführer hätten nicht ausreichend vorgebracht, dass es ihnen im Falle einer Rückkehr an jeglicher Existenzgrundlage fehlte oder dass sie einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien jung, gesund und arbeitsfähig, sodass eine grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Da der Erstbeschwerdeführer vor der Ausreise den Lebensunterhalt seiner Familie durch die Tätigkeit in seinen Lebensmittel- und Treibstoffgeschäften sichern habe können, sei davon auszugehen, dass dieser auch nunmehr in der Lage sein werde, ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Zwar lebe die Familie der Beschwerdeführer in Maidan Wardak, doch sei nicht ersichtlich, weshalb eine räumliche Trennung die Familie der Beschwerdeführer außer Stande setzen sollte, die Beschwerdeführer (etwa finanziell) zu unterstützen. Überdies könne davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer auch ohne finanzielle Unterstützung ihrer Familie im Stande sein würden, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Es stünde den Beschwerdeführern frei, durch Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen zumindest übergangsweise das Auslangen zu finden. Die Beschwerdeführer seien mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut und sprächen die Landessprache als Muttersprache. Die Grundversorgung der afghanischen Bevölkerung sei zumindest grundlegend gesichert. Die Beschwerdeführer gehörten keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen sei, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstelle als die übrige Bevölkerung. Dies entspreche auch der Einschätzung von UNHCR bezüglich der Zumutbarkeit einer internen Fluchtalternative, wonach verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf eine Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung (Familie/ethnische Gruppe) darstellten.

Die Gefährdung einer existenziellen Notlage betreffend die Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerin sei auf Grund der Obhut ihrer Eltern nicht ersichtlich. Eine Gefährdung des Lebens der Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerin sei in einer relativ sicheren Gegend, wie Kabul oder Mazar-e-Sharif, nicht ersichtlich. Die sich aus den Länderberichten ergebende erhöhte Gefahr für Kinder, Opfer von Kinderarbeit, Unterernährung, Missbrauch oder getötet zu werden, betreffe vor allem Straßen- und Waisenkinder. Da die Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerin jedoch auf den Schutz und die Versorgung durch den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vertrauen könnten, sei nicht davon auszugehen, dass diese von derartigen Gefahren in Afghanistan betroffen wären. In Gesamtschau lägen vor dem Hintergrund des Art3 EMRK keine Anhaltspunkte vor, welche gegen eine Rückverbringung der Beschwerdeführer nach Afghanistan sprächen.

3.3. Im Rahmen der nach Art8 Abs2 EMRK gebotenen Interessenabwägung legte das Bundesverwaltungsgericht dar, dass die Beschwerdeführer über keine Verwandten oder nahe Angehörige im Bundesgebiet verfügten und sich erst seit kurzem Zeitraum in Österreich aufhielten, weshalb gesamtbetrachtend die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet überwögen.

4. Gegen diese Entscheidung richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art3 EMRK, Art4 GRC und ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung behauptet sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt werden.

4.1. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht habe die Rechtslage grob verkannt, indem es einen über die Glaubhaftmachung nach §3 AsylG 2005 hinausgehenden Beweismaßstab herangezogen habe. Das Bundesverwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass in Blutfehde verwickelte Personen auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe einem besonderen Risikoprofil unterlägen. Das Bundesverwaltungsgericht verkenne weiters, dass eine Verfolgung von einer Privatperson eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstelle.

Darüber hinaus habe das Bundesverwaltungsgericht jegliche Ermittlungstätigkeit betreffend die Prüfung einer Verletzung gemäß Art3 EMRK bezüglich der Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerin unterlassen. Das Bundesverwaltungsgericht verkenne, dass minderjährige Kinder bzw. Familien mit minderjährigen Kindern zu vulnerablen Personengruppen zählten. Das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen, sich ausreichend mit den Länderfeststellungen zur Lebenssituation von Kindern in Afghanistan auseinanderzusetzen. Aus diesen gehe nicht hervor, dass die Gefahr von Kinderarbeit, Unterernährung oder Missbrauch lediglich Straßen- und Waisenkinder betreffe, zumal körperliche Übergriffe auf Kinder auch von Erziehungspersonal an Schulen sowie von der Polizei ausgingen. Überdies treffe das Risiko, durch Munitionsrückstände verletzt oder getötet zu werden, alle Kinder gleich. Ferner verkenne das Bundesverwaltungsgericht den Prüfungsmaßstab betreffend die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Dieser sei nicht mit der hohen Schwelle des Art3 EMRK gleichzusetzen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes sei einem jungen und gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter ohne hinzutretende spezifische Vulnerabilität ein Leben in Kabul auch ohne Unterstützung seiner Familie zumutbar. Im vorliegenden Fall handle es sich jedoch um eine Familie mit drei minderjährigen Kindern weiblichen Geschlechts. Alleine der Umstand, dass dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zugemutet werden könne, vermöge nicht darzutun, dass dadurch die existenziellen Grundbedürfnisse aller fünf Beschwerdeführer gewährleistet werden könnten. Demnach sei der Zweitbeschwerdeführerin schon auf Grund des Kleinkindalters der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen eine Erwerbstätigkeit nicht möglich. Die Beschwerdeführer verfügten weder in Mazar-e-Sharif noch in Kabul über familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte und wären auf sich alleine gestellt.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch abgesehen und auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses verwiesen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen – zulässigen – Beschwerden erwogen:

1. Die Beschwerden sind, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richten, begründet:

1.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

1.1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

1.2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

1.2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

1.2.2. Im vorliegenden Fall traf das Bundesverwaltungsgericht, u.a. gestützt auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 folgende Länderfeststellungen:

"[…]

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden. Insbesondere stellen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, relevante Erwägungen dar, die bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung des UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

[…]"

1.2.3. Entgegen den Länderfeststellungen erachtete das Bundesverwaltungsgericht in der rechtlichen Beurteilung familiäre bzw. soziale Anknüpfungspunkte im konkreten Neuansiedlungsgebiet als nicht erforderlich. Vielmehr kam das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, den Beschwerdeführern sei es ohne familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte im Neuansiedelungsgebiet zumutbar, sich in Kabul oder Mazar-e-Sharif in Form einer innerstaatlichen Fluchtalternative niederzulassen. Diese Annahme begründete das Bundesverwaltungsgericht unter Hinweis auf die zitierten Länderberichte, insbesondere die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016. Die Beschwerdeführer stellten als verheiratetes Paar im berufsfähigen Alter ohne besonderen Schutzbedarf eine Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung durch die Familie oder eine ethnische Gruppe dar.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt, dass es sich bei den Beschwerdeführern nicht um ein verheiratetes Paar, sondern um eine fünfköpfige Familie – bestehend aus einem verheirateten Elternpaar und drei minderjährigen Kindern weiblichen Geschlechts im Alter von eineinhalb bis fünf Jahren – handelt. Die unsubstantiierte Schlussfolgerung, den Beschwerdeführern könne als Familie eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul oder Mazar-e-Sharif auch ohne familiäre Unterstützung oder soziale Anknüpfung zugemutet werden, steht sohin im Widerspruch zu den Ausführungen in den Länderfeststellungen, wonach lediglich alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf die einzigen Ausnahmen von der Anforderung externer Unterstützung darstellen. Das Ergebnis der rechtlichen Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes findet daher keine Deckung in den Länderfeststellungen, weshalb das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund mit Willkür belastet ist (vgl. auch VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0474-0479).

1.3. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 (vgl. auch §52 Abs2 FPG) ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden, wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§8 Abs3a oder 9 Abs2 AsylG 2005 vorliegt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige. Gemäß §52 Abs9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß §46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Gemäß §55 Abs1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen die genannten Voraussetzungen nicht länger vor. Da die Aufhebung des entsprechenden Spruchpunktes auf den Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung zurückwirkt, entbehren auch die Erlassung der Rückkehrentscheidungen, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise ihrer Rechtsgrundlage; auch diese Spruchpunkte sind daher aufzuheben (vgl. VfGH 22.9.2016, E1641/2016 mwN).

2. Die Behandlung der Beschwerden wird, soweit damit jeweils die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2.2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen ist die Behandlung der Beschwerden abzulehnen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag in der Höhe von 25 %, zuzusprechen (vgl. VfGH 19.6.2013, B125/2011; VfSlg 19.796/2013). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 545,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E941.2018

Zuletzt aktualisiert am

07.06.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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