TE OGH 2018/8/3 17Os9/18d

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.08.2018
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rosa P***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 13. Februar 2018, GZ 37 Hv 149/17v-14, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Rosa P***** des Vergehens der Veruntreuung „unter Ausnützung der Amtsstellung nach §§ 133 Abs 1 und 2 erster Fall, 313 StGB“ (A; vgl aber zur Rechtsnatur des § 313 StGB RIS-Justiz RS0112621 [insbesondere T1]) und des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB (B) schuldig erkannt.

Danach hat sie

„A) ein Gut, das ihr anvertraut worden ist, nämlich Parteiengelder, insbesondere im Pass-, Führerschein- und Fremdenpolizeiwesen, sowie Strafgelder, in oftmals wiederholten Angriffen sich mit dem Vorsatz zugeeignet, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem sie diese für sich vereinnahmte, und zwar

a) im Jahr 2007 am 21. 5., 20. 9. und 3. 12. 2007 in zumindest 3 Angriffen insgesamt EUR 981,60 (Fakten 1, 2 und 5);

b) im Jahr 2008 zwischen 26. 3. und 30. 12. 2008 in zumindest 8 Angriffen insgesamt EUR 10.189,60 (Fakten 3 bis 5, 10 bis 14, 17 und 19);

c) im Jahr 2009 zwischen 30. 1. und 28. 12. 2009 in zumindest 29 Angriffen insgesamt EUR 23.069,30 (Fakten 1, 2, 4, 5, 9, 11, 13 bis 16, 18, 20 bis 25, 27 und 29 bis 39);

d) im Jahr 2010 zwischen 11. 1. und 16. 12. 2010 in 26 Angriffen insgesamt EUR 19.232,60 (Fakten 1 bis 26);

e) im Jahr 2011 zwischen 4. 1. und 7. 12. 2011 in 55 Angriffen insgesamt EUR 29.194,30 (Fakten 1 bis 55);

f) im Jahr 2012 zwischen 27. 7. und 17. 12. 2017 in 7 Angriffen EUR 5.617,65 (Fakten 1 bis 7);

g) im Jahr 2013 zwischen 7. 1. und 23. 5. 2013 in 15 Angriffen insgesamt EUR 12.127,60 (Fakten 1 bis 15); wobei sie ein Gut EUR 5.000,00 übersteigenden, nämlich EUR 100.412,65 betragenden Werts veruntreute und die auch sonst mit Strafe bedrohte vorsätzliche Handlung als Beamtin unter Ausnützung der ihr durch ihre Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit beging;

B) zwischen 19. 11. 2009 und 23. 5. 2013 als Beamtin mit dem Vorsatz, dadurch die Republik Österreich an ihrem Recht auf Überprüfung der Gebarung der Bundespolizeidirektion W***** bzw. des Stadtpolizeikommandos W***** zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte, nämlich buchhalterische Erfassung von Partei- und Strafgeldzahlungen vorzunehmen, in oftmals wiederholten Angriffen wissentlich missbraucht, indem sie im Zusammenhang mit den zu Pkt. A) genannten Taten zu deren Verschleierung zu den jeweiligen Einzahlungsbuchungssätzen korrespondierende fingierte Auszahlungsbuchungssätze erfasste, wobei sie durch die Tat einen EUR 50.000,00 übersteigenden Schaden herbeiführte.“

Dagegen richtet sich die aus dem Grund des § 281 Abs 1 Z 10 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, dass dem Urteil nicht geltend gemachte Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) zum Nachteil der Angeklagten anhaften, die von Amts wegen wahrzunehmen waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Objekt des Vergehens der Veruntreuung ist ein dem Täter anvertrautes Gut. Körperliche Sachen (wie Bargeld) sind einem anderen dann anvertraut, wenn sie ihm in den Alleingewahrsam übergeben werden, damit er sie verwahrt, zurückgibt, an jemanden weitergibt oder für jemanden verwendet (RIS-Justiz RS0119788; Salimi in WK2 StGB § 133 Rz 28 und 49 ff; Kienapfel/Schmoller BT II2 § 133 Rz 25 und 32 ff). Eine derartige Verpflichtung der Angeklagten, in bestimmter Weise mit den hier gegenständlichen Bargeldbeträgen zu verfahren, hat das Erstgericht in objektiver Hinsicht nicht festgestellt. Die Konstatierungen beschränken sich insoweit auf die Erwähnung der (nicht näher spezifizierten) Funktion der Angeklagten als Rechnungsführerin in der „Amtskasse des Stadtpolizeikommandos W*****“ sowie auf die allgemeine Beschreibung der Funktionsweise des dort im Tatzeitraum verwendeten (elektronischen) Buchführungs-programms. Zu Anzahl und Begehungszeiten der inkriminierten Taten verweisen die Entscheidungsgründe bloß auf das Referat der entscheidenden Tatsachen. In subjektiver Hinsicht konstatierten die Tatrichter, die Angeklagte habe Anfang 2007 den Entschluss gefasst, sich „durch Zueignung von Amts- und Parteigeldern unrechtmäßig zu bereichern“. Sie habe sich ein „Gut“, welches „ihr anvertraut war“, zueignen wollen (US 3 f). Um welche Art von „Amts- und Parteiengeldern“ es sich handelte und wie die Angeklagte mit diesen hätte verfahren sollen, blieb allerdings ungeklärt, sodass das Urteil keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die rechtliche Annahme eines Anvertrautseins im Sinn des § 133 StGB enthält (vgl 17 Os 10/12t).

Zum Schuldspruch B stellten die Tatrichter bloß fest, die Angeklagte habe bei den wissentlichen Falschbuchungen mit dem Vorsatz gehandelt, „die Republik Österreich dadurch an ihren“ (nicht näher spezifizierten) „Rechten zu schädigen und einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeizuführen“ (US 4). Im Rahmen der rechtlichen Erwägungen führt das Erstgericht noch aus, ein „bei der Einhebung von Parteiengeldern und Strafgeldern mit der Buchhaltung und Kassenverwaltung betrauter Beamter“ sei „in (schlichter) Hoheitsverwaltung tätig“ und schädige „den jeweiligen Rechtsträger am Recht auf Überprüfung der Gebarung“, wenn „er Tagesabschlüsse und Jahresrechnungsabschlüsse verfälscht“ (US 6).

Ein – soweit nach den Entscheidungsgründen überhaupt hinreichend deutlich erkennbares – Recht des Staates, die Einhaltung von Vorschriften (hier bei der „Einhebung von Parteiengeldern und Strafgeldern“) durch Beamte zu beaufsichtigen und zu kontrollieren, reicht jedoch nach ständiger Rechtsprechung als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes nicht aus (17 Os 28/13s, EvBl 2014/121, 832; 17 Os 19/12s; 17 Os 6/13f, EvBl 2013/121, 842; RIS-Justiz RS0096270). Davon zu unterscheiden ist – wie mit Blick auf das Zitat hier nicht einschlägiger Rechtssätze (RIS-Justiz RS0096943, RS0130017) im Ersturteil klarzustellen ist – das durch den Gemeinderat als gewählten allgemeinen Vertretungskörper ausgeübte Recht (der Gemeinde) auf Kontrolle von (sonstigen) Gemeindeorganen, welches die Rechtsprechung (in bestimmten Konstellationen im Zusammenhang mit Missbräuchen im Rahmen der Gemeindebuchhaltung) als im Sinn des § 302 Abs 1 StGB ausreichend anerkannte. Dieses Recht ist Ausfluss demokratischer Kontrolle vollziehender Organe auf der Ebene der Gemeindeselbstverwaltung (also mediatisierte Partizipation der Gemeindebürger) und unterscheidet sich in diesem Aspekt von sonstigen – durch in der Verwaltungshierarchie Vorgesetzte oder Aufsichtsbehörden ausgeübten – staatlichen Kontroll- und Aufsichtsrechten (17 Os 36/15w; 17 Os 45/14t, EvBl 2015/109, 760).

Wie durch die verschleiernde Darstellung der zu Punkt A inkriminierten Zueignung von „Amts- und Parteiengeldern“ in der Buchhaltung ein (50.000 Euro übersteigender) Vermögensschaden des Staates herbeigeführt worden sein soll, bleibt unerfindlich, sodass ein darauf bezogener Vorsatz der Angeklagten nicht in Betracht kommt. Andere Rechte werden nicht genannt.

Diese Fehler führen zur Aufhebung des gesamten Urteils samt Rückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Auf diese Entscheidung war die Angeklagte mit ihren Rechtsmitteln, die demnach keiner Erörterung bedurften, zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein:

1/ Im Zusammenhang mit dem zum Schuldspruch A als Veruntreuung angelasteten Verhalten wäre zu prüfen, ob die Angeklagte bei der Einhebung von „Parteiengeldern und Strafgeldern“ im Rahmen einer Befugnis zur Vornahme von Amtsgeschäften in Vollziehung der Gesetze handelte und sie eine (durch Gesetz, Verordnung oder Weisung normierte) Pflicht zum Abführen dieser Beträge traf. In diesem Fall wäre nach mittlerweile einheitlicher Rechtsprechung unterlassenes Abführen solcher (gesetzeskonform) eingehobener Gebühren und Verwaltungsstrafen Befugnisfehlgebrauch im Sinn des § 302 Abs 1 StGB (vgl RIS-Justiz RS0129855), weil das Verhalten des Beamten bis zum Erreichen des Vollziehungsziels (der Vereinnahmung dieser Beträge durch den Staat) einheitlich als (ein) Amtsgeschäft zu begreifen ist (17 Os 2/13t, EvBl 2013/70, 470 = JBl 2014, 275 [mit zust Glosse von Huber]; 17 Os 24/13b; 17 Os 10/12t; 17 Os 28/13s, EvBl 2014/121, 832; 17 Os 8/14a; 17 Os 36/15w; vgl RIS-Justiz RS0108404, RS0128503; im Ergebnis ebenso Zagler, SbgK § 302 Rz 86 ff). Davon ist solange auszugehen, als der Beamte die eingehobenen Beträge noch in seiner Verfügungsmacht, also nicht abgeführt hat. Der – gelegentlich in der älteren (allerdings keineswegs einheitlichen) Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0094532; anders hingegen RIS-Justiz RS0096739; differenzierend RIS-Justiz RS0094711; vgl Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch10 § 302 Rz 20 f) verwendete, teils auch in der Literatur befürwortete (Bertel in WK2 StGB § 302 Rz 55 ff, Kienapfel/Schmoller BT StudB III2 § 302 Rz 25 und 31; differenzierend Salimi in WK2 § 133 Rz 144 f) – Rechtssatz, ein mit dem (auch vom Erstgericht verwendeten [US 6]) Schlagwort „Griff in die Kasse“ umschriebenes Verhalten eines Beamten sei stets (nur) Veruntreuung, nicht Missbrauch der Amtsgewalt, bedarf also einer Präzisierung. Die Subsumtion hängt vom Bestehen eines Zusammenhangs mit einem Amtsgeschäft im zuvor genannten Sinn ab, ohne dass es auf die Art der den Beamten in diesem Zusammenhang treffenden Handlungspflicht („Verwahren“ oder „Verwalten“ [danach unterscheidend noch 13 Os 196/78]) ankommt. Das Argument, eine (im Rahmen der Hoheitsverwaltung bestehende) Befugnis des Beamten zur Zueignung derartiger Beträge sei auszuschließen (Kienapfel/Schmoller BT StudB II2 § 133 Rz 48; ähnlich Wach, SbgK § 133 Rz 36 f und 90; Leukauf/Steininger/Messner, StGB4 § 133 Rz 42), übersieht, dass der Befugnisfehlgebrauch nicht in der Zueignung, sondern in der Verletzung spezifischer Handlungspflichten (etwa in der Abführung der Beträge) besteht und zerlegt das einheitliche Amtsgeschäft unsachgemäß in Einzelphasen.

2/ Im Fall eines neuerlichen Schuldspruchs wird zu beachten sein, dass die von diesem erfassten Taten, wenn sie – wie hier – nicht bloß pauschal individualisiert zu einer gleichartigen Verbrechensmenge (zum Begriff RIS-Justiz RS0119552; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33) zusammengefasst werden, so präzise zu bezeichnen sind, dass eine eindeutige Beurteilung möglich ist, welches historische Geschehen Gegenstand des Schuldspruchs ist (vgl Lendl, WK-StPO § 260 Rz 9 f). Zwar ist es zulässig, Feststellungen durch hinreichend deutlichen Verweis auf den Inhalt einer anderen Urkunde oder (vgl US 4) auf das Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) zu treffen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 579). Begnügt sich dieses jedoch – wie hier – damit, Einzeltaten nach Zeiträumen unter Bildung von Globalschadensbeträgen zusammenzufassen und im Übrigen bloß auf Nummern von „Fakten“ ohne Klarstellung im Urteil, welche Faktenaufstellung gemeint ist, zu verweisen, wird dem Präzisierungserfordernis nicht entsprochen.

3/ Das hier zu beachtende Verschlechterungsverbot (§ 293 Abs 3 iVm § 290 Abs 2 StPO) bezieht sich nur auf die Strafe, nicht auf die Subsumtion (RIS-Justiz RS0098900).

4/ Eine Entscheidung in der Sache durch Freispruch vom zu Punkt B der Anklage erhobenen Vorwurf war – ungeachtet des Umstands, dass das Vorliegen eines im Sinn des § 302 Abs 1 StGB relevanten Schädigungsvorsatzes nach der Aktenlage nicht indiziert ist – nicht zu treffen. Es kann nämlich nicht abschließend beurteilt werden, ob die Angeklagte durch das vom Anklagesachverhalt (vgl ON 4 S 3 f) erfasste Verhalten (Verschleierungshandlungen im Rahmen der Buchhaltung) allenfalls den Tatbestand eines Urkundendelikts (etwa nach § 223 oder § 229 StGB) verwirklicht hat, bei dem es sich nicht um eine straflose Nachtat handeln würde (vgl RIS-Justiz RS0091613 [T3]; Ratz in WK2 Vor §§ 28–31 Rz 66 f).

Textnummer

E122439

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0170OS00009.18D.0803.000

Im RIS seit

20.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten