TE Lvwg Erkenntnis 2017/10/17 VGW-141/002/3607/2017

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Veröffentlicht am 17.10.2017
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Entscheidungsdatum

17.10.2017

Index

L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Wien
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

WMG §5 Abs2
WMG §16 Abs1
NAG §51 Abs1
NAG §51 Abs2
NAG §53a Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Fegerl über die Beschwerde des Herrn P. T. vom 6.3.2017 gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht, Sozialzentrum ..., vom 16.2.2017, Zahl MA 40 - Sozialzentrum ... - SH/2017/01298178-001, nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung, zu Recht e r k a n n t:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde insofern Folge gegeben, als dem Beschwerdeführer aufgrund seines Antrages vom 16.12.2016 für den Zeitraum 1.1.2017 bis 1.3.2017 eine Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts samt Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs zuerkannt wird, und zwar:

von 1.1.2017 bis 31.1.2017  EUR 289,98

von 1.2.2017 bis 28.2.2017  EUR 314,86

für 1.3.2017         EUR 1,79

Darüber hinaus wird dem Beschwerdeführer für die Monate Jänner 2017, Februar 2017 und März 2017 eine Mietbeihilfe von jeweils EUR 34,68 zuerkannt.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe:

1.1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 16.2.2017, Zahl MA 40 - Sozialzentrum ... - SH/2017/01298178-001, wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden kurz: BF) vom 16.12.2016 auf Zuerkennung einer Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs (Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs und Mietbeihilfe) gemäß § 16 WMG abgewiesen. Begründend wurde angeführt, der BF habe trotz Aufforderung gemäß § 16 WMG bemessungsrelevante Unterlagen nicht vorgelegt.; er sei mit Schreiben vom 24.1.2017 unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 16 WMG aufgefordert worden, bis 7.2.2017 für die Beurteilung erforderliche Unterlagen zu erbringen. Der verlangte Nettolohnzettel Dezember 2016 (Fa. M. GmbH) sei nicht fristgerecht vorgelegt worden.

Dagegen richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Beschwerde.

1.2. Am 13.9.2017 und am 11.10.2017 führte das Verwaltungsgericht Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Seitens der belangten Behörde blieb die Verhandlung unbesucht.

Der BF gab am 13.9.2017 als Partei einvernommen an:

„Ich hatte im Jahr 2015 einen Autounfall. Damals hatte ich im Mai 2015 kurz in Tirol gearbeitet. Ich hatte dann eine neue Stelle in H. gefunden, doch einen Tag bevor ich arbeiten sollte, passierte der Unfall. Im Jahr 2016 habe ich erstmals kurze Zeit Mindestsicherung bezogen. Ich habe seit 1990 in S. gearbeitet (in R. bei S.). Das waren Saisonstellen für die Dauer bis 6 Monaten. Dazwischen war ich in Österreich durchgehend gemeldet. Allein in F. habe ich annähernd fünf Jahre durchgehend angemeldet, das war in den 90-iger Jahren. In Wien habe ich in der V.-straße gearbeitet und im So. gearbeitet. Ich habe mit Sicherheit viel mehr als fünf Jahre Beschäftigungszeiten. Ich müsste meine Unterlage mit allen meinen Sozialversicherungszeiten auch vor 2000 mitnehmen. Ich komme gerade direkt aus dem Therapiezentrum und konnte deshalb nichts mitbringen. Ende Jänner 2015 habe ich meinen damaligen Wohnsitz in Wien, abgemeldet. Dann war ich in Tirol und habe dort Arbeit gesucht. Im Mai hatte ich Probezeit bei Frau V. in St. in Tirol. Dort hatte ich auch eine Dienstwohnung, dort bin ich offenbar meldepolizeilich nicht angemeldet worden. Von Februar bis April 2015 habe ich bei meiner Schwägerin (D. J., Adresse: Wien, Z.-straße) geschlafen und habe Arbeit gesucht. Dann war ich im Mai und Juni in Tirol, vor dem zweiten Dienstantritt hatte ich im Juni 2015 den Autounfall in L.. Dann war ich im UKH in Z., danach war ich im SMZ ..., wo ich operiert wurde, nämlich das erste Mal am linken Auge. Seither bin ich noch sechs Mal operiert worden. Über drei Monate war ich dann noch in der Psychiatrie im ... Spital. Ich hatte von dem Autounfall Kopfverletzungen mit einem schweren Augentrauma. Im Februar 2016 wurde ich vom ... Spital entlassen. Dann war ich in einer Notschlafstelle der C. wohnhaft. Dort habe ich dann eine Obdachlosenmeldung bekommen.

Von März bis Juni 2016 hatte ich tageweise Beschäftigungen bei der MA 48 und bei der C.. Im Dezember 2016 und Jänner 2017 war ich geringfügig in einem Lokal der X. beschäftigt.

Seit Oktober letzten Jahres bin ich in einer betreuten Wohngemeinschaft von X.. Seit zwei Monaten bin ich auf Therapie in Y., wo ich noch bis 10.10.2017 auf der Traumastation sein werde. Ich muss aber weiterhin die Miete für mein Zimmer bezahlen, um es nicht zu verlieren. Ich bekomme derzeit Krankengeld vom AMS. Nach dem 23. Jänner 2017 hatte ich keine Beschäftigung mehr, weil ich seither arbeitsunfähig bin. Ich will mich aber nach dem Therapieaufenthalt wieder beim AMS melden und versuchen zu arbeiten. Die letzte Stelle im Jänner 2017 bei der M. GmbH, die der X. gehört, habe ich psychisch nicht geschafft und wurde dieses letzte Dienstverhältnis daher einvernehmlich aufgelöst. Ich war dann sieben Wochen wieder im SMZ ... und wurde neuerlich am Auge operiert und war auch immer wieder auf der psychiatrischen Tagesklinik im ... Spital.

Ich war mehrmals bei der MA 40 nach meinem Antrag vom Dezember 2016 und habe nachgefragt. Ich möchte betonen, dass ich das Aufforderungsschreiben vom 24.7.2017, Blatt 30 ff MA 40 Akt nie bekommen habe. Ich kann nicht sagen warum. Jedenfalls habe ich damals persönlich bei der MA 40 nachgefragt und auch dort gesagt, dass ich keine Aufforderung bekommen habe. Ich habe dann am 6. Februar 2017 Unterlagen vorbeigebracht, wahrscheinlich diejenigen von denen mir mündlich bei der Behörde gesagt wurde, dass sie noch fehlen würden. Ich hätte auch den Lohnzettel für Dezember 2016 gehabt.

Den Abweisungsbescheid vom 3.3.2017 betreffend den neuerlichen Antrag vom 2.3.2017 habe ich zwar bekommen, aber nicht bekämpft. Warum er nicht bekämpft wurde, kann ich nicht sagen. Ich glaube, dass mir die Sozialarbeiterin gesagt hat, dass das keinen Sinn hätte.

Zur Zustellung der Aufforderung vom 24.1.2017 möchte ich noch ergänzen, dass die Mitbewohner in der Wohngemeinschaft sehr sorgfältig den Postkasten entleeren. Warum der gelbe Zettel, also eine Hinterlegungsanzeige anscheinend verschwunden ist, ist mir eigentlich nicht nachvollziehbar. Meist wird der Postkasten von einem Mitbewohner geleert, der dauernd in der Unterkunft anwesend ist.“

Am 11.10.2017 gab der fortgesetzt einvernommene BF weiter Folgendes an:

„Ich habe schon seit dem Jahr 1990 in Österreich gearbeitet, und zwar 1990/91, rund 10 Monate in R. bei S., dann 1991/92 rund 8 Monate in Zö. in Tirol, jeweils Saisonjobs im Gastgewerbe bzw. im Hotel. Zwischen 3.2.1993 und 31.5.1999 war ich mehr als sechs Jahr in F.; es handelte sich um ein Fischrestaurant an der Donau. Im Juni 1999 bin ich dann von F. nach Wien gezogen, ab 22.6.1999 scheint eine Hauptwohnsitzmeldung in Wien mit Zuzug aus F. im Wiener Melderegister auf. Meldezeiten davor und außerhalb Wiens konnte mir der Magistrat der Stadt Wien nicht bestätigen. Vor dem Beitritt der Slowakei hatte ich stets Aufenthaltstitel für Österreich. Diese waren als Vignetten in den Pass geklebt und ich hatte zuletzt bereits einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Diesen unbefristeten Aufenthaltstitel habe ich während meiner Arbeit in F. von der BPD ... ausgestellt bekommen.

Wenn ich Saisonjobs außerhalb Wiens, insbesondere in Tirol, gehabt habe, dann habe ich dort in der Regel Dienstwohnungen gehabt. Die Dienstgeber haben mich aber nicht immer ganz korrekt an- und abgemeldet, sodass es zwischen den Jobs zu kleineren Meldelücken gekommen sein kann. Zu der größeren Lücke zwischen 2.3.2015 und 24.5.2016 muss ich nochmals betonen, dass ich bis Ende Jänner 2015 bei meiner Schwägerin in der Z.-straße gewohnt habe und mit Hauptwohnsitz dort gemeldet war. Bis 1.3.2015 hatte ich noch einen Nebenwohnsitz in K. bei ..., wo ich in einem großen Gasthaus gearbeitet und gewohnt habe. Ab März 2015 habe ich in Tirol wieder einen Saisonjob besucht, was sich in der Zwischensaison jedoch als schwierig erwies. Ich habe in B. in Tirol während dieser Arbeitssuche bei einer Freundin namens Le. Ve. gewohnt. Erst im Mai 2015 habe ich die Anstellung in St. in Tirol bei Frau V. gefunden. Wir haben aber in der Probezeit einvernehmlich aufgelöst, weil es nicht gepasst hat und ich einen besseren Job im H. gefunden hatte. Bevor ich dort jedoch den Dienst angetreten habe, habe ich den schweren Autounfall gehabt. Frau V., in deren Haus ich im Mai 2015 gewohnt habe, hat mich offenbar nicht polizeilich angemeldet, danach war ich im Juni 2015 im Krankenhaus in Z. sowie im SMZ ... in Wien. Von Juli 2015 bis November 2015 musste ich ständig zu Kontrollen wegen meines linken Auges in SMZ .... Ich habe während dieser Zeit bei meiner Schwägerin in der Z.-straße gewohnt, doch war das persönliche Verhältnis zu ihr nicht mehr gut und sie hatte einen Freund, deshalb wollte sie mich auch nicht anmelden. Im Dezember 2015 sowie auch im Jänner und Februar 2016 war ich im ... Spital. Danach war ich in einem C. Heim für Alkoholkranke in … Wien. Warum ich erst mit 24.5.2016 eine Obdachlosenmeldung bekommen habe, kann ich nicht sagen. Ich war jedenfalls die ganze Zeit im X. in der ...gasse und musste mich zwischen Jänner 2016 und Juni 2016 auch regelmäßig beim AMS in Wien, ... melden – die AMS-Terminkarte lege ich vor. Seit 25.10.2016 habe ich wieder eine Hauptwohnsitzmeldung in Wien, in der X..

Die vom BF vorgelegten Aufenthaltsbestätigungen werden eingesehen und kopiert.

Es ist richtig, dass ich für 1.12.2016 einen Tag Notstandshilfe vom AMS bekommen habe. Das waren 27,96 Euro, die Anfang Jänner 2017 ausbezahlt wurden. Ich möchte nochmals betonen, dass ich das Aufforderungsschreiben vom 24.1.2017 nie erhalten habe; die Umstände der damaligen Wohngemeinschaft habe ich in der letzten Verhandlung dargestellt. Die Unterlagen über die Auflösung des letzten Dienstverhältnisses samt Lohnzettel für Jänner 2017 habe ich aus eigenem bei der belangten Behörde abgegeben. Mir war nicht klar und ich habe nicht gewusst, dass der MA 40 der Lohnzettel für Dezember 2016 fehlt und ich wurde auch nie dort darauf aufmerksam gemacht, obwohl ich dort öfter nachgefragt habe.

Bis 30.11.2016 habe ich Krankengeld von der WGKK bezogen und zwar in der Höhe von 27,96 Euro (tägl.).

Für Dezember 2016 hatte ich ein Erwerbseinkommen von 526,58 Euro netto, für Jänner 2017 waren es 304,16 Euro netto. Ab 24.1.2017 habe ich dann wieder Notstandshilfe vom AMS bekommen und zwar in der Höhe von 28,18 Euro täglich (vergleiche Bezugsbestätigung Blatt 64).

Die Miete die ich bei der X. für mein Zimmer bezahlen musste, beträgt insgesamt 306,72 Euro monatlich, worin eine Energiepauschale von 60,93 Euro enthalten ist. Die Bruttokaltmiete betrug also 245,80 Euro.

Ich war jetzt von 12.7.2017 bis 10.10.2017 im Therapiezentrum Y.. Davor war ich drei Wochen im ... Spital.“

Der BF brachte abschließend vor, dass er längst das Recht auf Daueraufenthalt nach dem Unionsrecht erworben habe und somit jedenfalls österreichischen Staatsangehörigen gleichgestellt sei. Hinsichtlich des hier von der belangten Behörde herangezogenen Abweisungsgrundes der Verletzung der Mitwirkungspflicht treffe ihn kein Verschulden daran, dass er das Aufforderungsschreiben nicht erhalten habe. Es werde daher die Zuerkennung von Mindestsicherung samt Mietbeihilfe ab 16.12.2016 beantragt.

2.0. Das Verwaltungsgericht hat erwogen:

2.1. Der BF hat glaubhaft dargetan, dass er das Aufforderungsschreiben vom 24.1.2017 tatsächlich nicht erhalten hat und ihm auch die Hinterlegungsanzeige von den Mitbewohnern, welche das Brieffach leerten, nicht übergeben wurde, und dass er die am 6.2.2017 vorgelegten Unterlagen aus eigenem beigebracht hat, ohne von der konkreten Aufforderung der belangten Behörde gewusst zu haben. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass trotz mehrfacher Anfragen des Verwaltungsgerichtes Wien an die Post seitens der Post die tatsächliche Übernahme des Aufforderungsschreibens (das nach dem Akteninhalt auch nicht unbehoben an die Behörde zurückgelangt ist) nicht festgestellt werden konnte (Antwortschreiben des Post-Kundenservice vom 28.7.2017).

In Hinblick auf die Lebensumstände und die psychische Situation des BF ist ihm die Glaubhaftmachung eines triftigen Grundes für die objektiv unvollständige Mitwirkung gelungen. Im konkreten Fall wäre es im Hinblick auf die am 6.2.2017 erfolgte doppelte Vorlage des Lohnzettels für Jänner 2017 überdies auch angemessen gewesen, ihn seitens der belangten Behörde nochmals auf das Fehlen des Lohnzettels für Dezember 2016 hinzuweisen.

Die vorliegend aus dem Grunde des § 16 Abs. 1 WMG wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht vorgenommene Abweisung erweist sich im konkrete Fall aus den genannten Gründen als nicht gerechtfertigt.

2.2. Im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit des BF (Slowakei) und die (einvernehmliche) Auflösung seines letzten Dienstverhältnisses sowie im Hinblick auf eine mittlerweile erfolgte (spätere, rechtskräftig gewordene) Abweisung (eines neuerlichen Mindestsicherungsantrages des BF vom 2.3.2017) aus dem Grunde des § 5 WMG (Bescheid vom 3.3.2017, Zl. MA 40 – SH/2017/...), war es erforderlich auch im vorliegenden Zusammenhang auf die Frage der Gleichstellung des BF mit österreichischen Staatsbürgern näher einzugehen.

Es ist zwar richtig, dass das letzte Beschäftigungsverhältnis des BF im Jänner 2017 einvernehmlich aufgelöst wurde, aufgrund der lange zurückreichenden Versicherungszeiten des BF in Österreich war jedoch näher zu prüfen, ob der BF nicht bereits längst das Recht auf Daueraufenthalt iSd § 53a NAG erworben hat.

2.3. § 5 Abs. 1 und 2 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) lautet wie folgt:

„(1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.

(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:

1. Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte, denen dieser Status nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005) zuerkannt wurde;

2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;

3. Personen mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ oder „Daueraufenthalt – Familienangehöriger, denen dieser Aufenthaltstitel nach § 45 oder § 48 NAG erteilt wurde oder deren vor In-Kraft-Treten des NAG erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung als solche gemäß § 81 Abs. 2 NAG in Verbindung mit der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung – NAG-DV) weiter gilt;

4. Personen mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, denen eine Niederlassungsbewilligung nach § 49 NAG erteilt wurde.“

Die Art. 7 und 13 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (kurz: Unionsbürgerrichtlinie) regeln das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und deren Familienangehörigen. Die Art. 16 bis 18 dieser Richtlinie regeln das Rechts auf Daueraufenthalt (für Unionsbürger und deren drittstaatsangehörige Familienangehörigen); Art. 19 und 20 dieser Richtlinie enthalten Bestimmungen über die Dokumentation zur Bescheinigung des Daueraufenthaltes.

Gemäß Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie hat jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft.

Wenn das Recht auf Daueraufenthalt erworben wurde, führt gemäß Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinanderfolgende Jahre überschreitet, zum Verlust des Daueraufenthaltsrechts.

Die Umsetzung der genannten unionsrechtlichen Bestimmungen erfolgte im Wesentlichen in den §§ 51 bis 54a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

Gemäß § 51 Abs. 1 NAG sind EWR-Bürger aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monaten berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind.

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthaltes weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthaltes eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

Gemäß § 51 Abs. 2 NAG bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eine Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des AMS zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf eines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservices zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt.

Gemäß § 53a Abs. 1 NAG erwerben EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52) unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt.

2.4. Der BF ist slowakischer Staatsangehöriger, die Slowakei ist am 1.5.2004 der EU beigetreten. Art. 16 der Unionsbürgerrichtlinie, wonach jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, das Recht hat, sich dort auf Dauer aufzuhalten, gilt auch für neue Unionsbürger. Es sind dabei auch (im Aufnahmestaat zurückgelegte) Zeiten vor der Umsetzung der Unionsbürgerrichtlinie und vor dem Beitritt (des Herkunftsstaates) zur EU zu berücksichtigen, sofern während dieser Zeiten die Voraussetzungen des Art. 7 der Unionsbürgerrichtlinie bzw. des § 51 NAG erfüllt wurden (vgl. EUGH 7.10.2010, Rs C-162/09; 21.7.2011, Rs C-325/09; und 21.12.2011, Rs C-424/10). Bei Staatsangehörigen von Neumitgliedsländern – wie hier bei einem Staatangehörigen der Slowakei – sind also auch Zeiten rechtmäßigen Aufenthaltes (iSd § 51 NAG) vor dem Beitritt der Slowakei auf den späteren Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG anzurechnen.

Der BF war (abgesehen von seinen Beschäftigungszeiten in den Jahren 1990-1992 je in Tirol) bereits im Zeitraum 3.2.1993 bis 31.5.1999 mehr als 6 Jahre lang (in F., NÖ) durchgehend als Arbeiter beschäftigt. Im Juni 1999 zog der BF erstmals (von F.) nach Wien (... Bez., erste Meldung im Wiener Melderegister), wo er zwischen 1.9.1999 und 27.10.2001 bei 4 verschiedenen Dienstgebern beschäftigt war. Zwischen 21.12.2001 und 31.12.2008 war er oftmals für jeweils 3-5 Monate bei einem Dienstgeber (W. in Fl.) in Tirol und dazwischen kurz bei anderen Dienstgebern in Tirol, Niederösterreich und dem Burgenland beschäftigt oder vorübergehend im Arbeitslosengeldbezug.

Es ist aufgrund der Versicherungszeiten des BF und der weiteren eingeholten Auskünfte bzw. Datenabfragen im Zusammenhalt mit dem nachvollziehbaren Vorbringen des BF und den von ihm vorgelegten Bescheinigungen davon auszugehen, dass der BF bereits kurz nach dem Beitritt der Slowakei das Recht auf Daueraufenthalt erworben hatte und jedenfalls seit dem Inkrafttreten des NAG bzw. der Umsetzung der Unionsbürgerrichtlinie, also mit 1.1.2006 das Recht auf Daueraufenthalt iSd § 53a Abs. 1 NAG hat, da er bereits davor (weit) mehr als 5 Jahre rechtmäßige (bewilligte) Aufenthalts- und Beschäftigungszeiten in Österreich zurückgelegt hatte.

Soweit die Meldezeiten des BF in Österreich Unterbrechungen aufweisen, erreichten diese bis Februar 2015 keine die Kontinuität des Aufenthalts unterbrechende Dauer (von mehr als 6 Monaten, vgl. § 53a Abs. 2 NAG) und konnten vom BF im Übrigen plausibel mit der Saisonarbeitssuche erklärt werden.

Hinsichtlich der Meldelücke von 2.3.2015 bis 23.5.2016 hat der BF nachvollziehbar dargelegt und glaubhaft gemacht bzw. bescheinigt, dass er zunächst auf Arbeitssuche in Tirol war, dort im Mai 2015 auf Probe arbeitete und im Juni 2015 bei einem Autounfall schwer verletzt wurde, worauf er zunächst im Krankenhaus Z. und in weiterer Folge in Krankenhäusern in Wien aufhältig war bzw. chirurgisch und psychiatrisch behandelt wurde. Zwischen den Operationen, Kontrollen und Behandlungen wohnte der BF unangemeldet bei seiner Schwägerin in Wien, meldete sich beim AMS und fand ab März 2016 Unterkunft in einem C.haus, wo er von 24.5.2016 bis 25.10.2016 über eine Obdachlosenmeldung verfügte; seit 25.10.2016 verfügt der BF wieder über eine Hauptwohnsitzmeldung in Wien.

Zum einen konnte der BF also glaubhaft machen, dass der durchgehend in Österreich wohnhaft war, zum anderen hätte gemäß Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie nach dem Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt (spätestens mit 1.1.2006) nur eine Abwesenheit von mehr als 2 Jahren zum Verlust des Daueraufenthaltsrechts geführt.

Der BF ist somit gemäß § 5 Abs. 2 Z 2 WMG iVm § 53a NAG österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.

2.5. Aus den bisherigen Erwägungen folgt, dass der BF die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, sodass für die Zeit vom 16.12.2016 (Antragstellung) bis 1.3.2017 die Höhe der Ansprüche zu berechnen war.

Dabei ergab sich für Dezember 2016 nach Anrechnung des AMS Bezuges für November 2016 (30x € 27,96 = € 838,80) eine Überschreitung des Richtsatzes (Mindeststandard 2016 = € 837,76) und folglich kein Anspruch für Dezember 2016. Eine Zuerkennung für die Zeit nach dem 1.3.2017 kam nicht in Betracht, weil dem die Rechtskraft des zwar inhaltlich unrichtigen, aber unbekämpft gebliebenen Bescheides der belangten Behörde vom 3.3.2017 (Abweisung des Antrages vom 2.3.2017) entgegensteht. Eine weitere Zuerkennung von Mindestsicherung kann erst nach einem Neuantrag des BF erfolgen.

Für die Bemessung der Ansprüche des BF für Jänner 2017, Februar 2017 und den einen Anspruchstag im März 2017 waren – ausgehend vom Mindeststandard von € 844,46 das Erwerbseinkommen des BF (für Jänner 2017) sowie die AMS-Bezüge (1x € 27,96 für Dez. 2016; 8x € 28,18 für Jän. 2017; täglich € 28,18 ab 1.2.2017) anzurechnen. Für März ergäbe sich daher ein Monatsanspruch von [€ 844,46 – (28 x 28,18) = € 55,42], der auf einen Anspruchstag zu aliquotieren war.

Die Mietbeihilfe war monatlich (einschließlich März 2017) ab dem der Antragstellung folgenden Monat (vgl. § 9 Abs. 1 letzter Satz WMG) zuzuerkennen, wobei von der bescheinigte Kaltmiete (€ 245,80) auszugehen und davon der im Mindeststandard enthaltene Grundbetrag für den Wohnbedarf (- € 211,12) abzuziehen war.

3. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch liegen sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor, zumal es um einzelfallbezogene Fragen der Mitwirkungspflicht und um Fragen der Gleichstellung ging, die aus dem Gesetz und dem Gemeinschaftsrecht klar lösbar sind.

Schlagworte

Mindestsicherung; ausländischer Staatsbürger; Gleichstellung; rechtmäßiger Aufenthalt; Sozialhilfebezug; Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.141.002.3607.2017

Zuletzt aktualisiert am

13.06.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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