TE Bvwg Beschluss 2018/3/16 W251 2181616-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.03.2018
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Entscheidungsdatum

16.03.2018

Norm

ABGB §209
AsylG 2005 §3
AVG §9
BFA-VG §11 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §17
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W251 2181616-1/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , betreffend XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2017, Zl. XXXX :

A)

Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist zulässig.

Text

I. Verfahrensgang:

1. Herr XXXX (Asylwerber), stellte am 24.11.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und gab an am XXXX geboren zu sein.

2. Auf Grund von Zweifeln des Einvernahmeleiters an der Minderjährigkeit des Asylwerbers wurde ein Handwurzelröntgen des Asylwerbers zur Bestimmung des Knochenalters veranlasst. Die Bestimmung des Knochenalters der linken Hand ergab, dass sämtliche Epiphysenfugen an den Phalangen und den Metacarpalia geschlossen sind und, dass sich am Radius eine zarte Epiphysennarbe zeigt.

Ein vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) beauftragtes medizinisches Altersgutachten vom 11.03.2016 ergab, dass das vom Asylwerber angegebene Geburtsdatum, XXXX , mit dem festgestellten Mindestalter des Asylwerbers nicht vereinbar ist. Das medizinische Gutachten nannte den XXXX als fiktives Geburtsdatum nach dem ermittelten medizinischen Mindestalter.

3. Mit Beschluss des BG XXXX vom 26.04.2016, GZ XXXX , wurde der XXXX (Jugendamt), mit der Obsorge für den damals noch minderjährigen Asylwerber betraut. Das Jugendamt übermittelte dem Bundesamt am 13.06.2016 den Obsorgebeschluss des BG XXXX .

4. In der Einvernahme beim Bundesamt am 20.03.2017 gab der Asylwerber an, dass er keinen Beweis für sein angegebenes Geburtsdatum habe, seine Mutter habe es auf der Rückseite des Koranbuchs eingetragen.

5. Der Asylwerber, vertreten durch das Jugendamt, erstattete mit Schriftsatz vom 04.04.2017 eine Stellungnahme zur Einvernahme vor dem Bundesamt und zum medizinischen Altersfeststellungsgutachten. Zum Altersfeststellungsgutachten wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass allgemein in der medizinischen Literatur Zweifel an der Genauigkeit und der Zuverlässigkeit von Altersfeststellungen gegeben seien. Da das medizinische Altersgutachten vom 11.03.2015 ergeben habe, dass die computertomographische Untersuchung der Brustbein-Schlüsselbein-Gelenksregion eine morphologisch abweichende Form der linearen Schlüsselbeinenden ergeben habe und sohin hinsichtlich dieses eine Bestimmung des Ossifikationsstadiums nicht möglich gewesen sei, würde ein Ausschlusskriterium für eine Altersdiagnostik vorliegen. Es wurde auf die Judikatur des VwGH vom 16.04.2007, ZI. 2005/01/0463, verwiesen, wonach im Zweifel von dem vom Asylwerber angegebenem Geburtsdatum auszugehen sei.

6. Das Bundesamt wies mit Bescheid vom 23.11.2017 den Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erkannte dem Asylwerber einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zu, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und gewährte eine Frist von 14 Tagen für eine freiwillige Ausreise.

7. Das Bundesamt stellte im Bescheid (AS 246) fest, dass laut rechtsmedizinischem Altersfeststellungsgutachten als (fiktives) Geburtsdatum der XXXX festgestellt wird. Ausgehend vom im medizinischen Altersfeststellungsgutachten angegebenen Mindestalter erreichte der Asylwerber spätestens am XXXX die Volljährigkeit. Das Bundesamt verfügte die Zustellung des Bescheides an das Jugendamt, als "Vertreter" des Asylwerbers.

Das Bundesamt stellte den Bescheid am 30.11.2017 an das Jugendamt, als Vertreter des Asylwerbers, zu. Das Jugendamt erhob am 22.12.2017 Beschwerde gegen den Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht und gab an den Asylwerber auf Grund des Obsorgebeschlusses gesetzlich zu vertreten.

8. Das Bundesverwaltungsgericht teilte im Rahmen des rechtlichen Gehörs am 08.01.2018 mit, dass die Obsorge für ein Kind mit dessen Volljährigkeit gemäß § 183 Abs. 1 ABGB erlischt. Es sei nach Ansicht des Gerichts auf Grund des Altersfeststellungsgutachtens und auf Grund der Feststellungen des Bundesamtes von der Volljährigkeit des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides an das Jugendamt auszugehen. Der Bescheid hätte daher an den Asylwerber direkt zugestellt werden müssen. Die Zustellung des Bescheides an das Jugendamt hat daher keine Wirksamkeit entfaltet und das Rechtsmittel ist als unzulässig zurückzuweisen. Das Bundesverwaltungsgericht räumte eine Frist von 10 Tagen zur Stellungnahme ein.

9. Das Jugendamt nahm mit Schriftsatz vom 19.01.2018 Stellung und brachte im Wesentlichen vor, dass Beschlüsse des Pflegschaftsgerichts hinsichtlich der Übertragung der Obsorge im Asylverfahren verbindlich seien, auch wenn dies mit den Angaben des Asylwerbers oder eines Altersgutachtens in einem Spannungsverhältnis stehen würde, dies trotz Feststellungen des Bundesamtes im Bescheid und trotz Gutachtens. Sei ein Asylwerber minderjährig, so sei an seinen gesetzlichen Vertreter zuzustellen und würde sich aus der Bestimmung des § 11 Abs. 5 AsylG [Anm. BVwG: wohl gemeint § 11 Abs. 5 BFA-VG] kein Gegenschluss ziehen lassen. Hätte das Bundesamt den Bescheid an den Asylwerber zugestellt, so wäre der Bescheid niemals rechtswirksam entstanden und sei die Zustellung an das Jugendamt zu Recht erfolgt. Es sei daher die Einbringung der Beschwerde durch das Jugendamt so lange zulässig, solange der Obsorgebeschluss dem Rechtsbestand angehöre. Es wurde die inhaltliche Behandlung der Beschwerde beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Der Asylwerber stellte am 24.11.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und gab an am XXXX geboren zu sein (AS 1, 5).

2. Der Asylwerber wurde am 25.02.2016 zur Altersfeststellung medizinisch untersucht. Es erfolgte ein digitales Handradiogramm, ein digitales Panoramaröntgen des Gebisses, eine CT-Aufnahme der Schlüsselbeine sowie eine körperliche Untersuchung des Asylwerbers (AS 53ff).

Das vom Bundesamt beauftragte Gutachten vom 11.03.2016 stützt sich auf die im Rahmen einer Anamneseerhebung und einer körperlichen Untersuchung des Antragstellers erhobenen Befunde sowie auf die Auswertung von Röntgenaufnahmen der Hand, des Gebisses und der Brustbein-Schlüsselbein-Gelenksregion (AS 54).

Der Asylwerber hat den Stimmbruch bereits abgeschlossen. Ein Exophthalamus hat nicht bestanden. Bei der Untersuchung des Halses war eine Schilddrüse nicht sicht- oder tastbar. Der Kehlkopf hat erkennbare Prominenz aufgewiesen. Ein Bartwuchs war an Oberlippe und Kinn gering vorhanden und im Zustand nach einer Rasur zu erheben gewesen. Eine Achselhöhlenbehaarung war gering erkennbar, weil der Asylwerber rasiert war. Die Körperbehaarung war ubiquitär gering ausgeprägt gewesen (AS 56-57).

Die Handwurzelknochen des Asylwerbers sind ausgereift. Die Wachstumsfugen sind vollständig knöchern durchbaut. Auch die ehemaligen Wachstumsfugen an Elle und Speiche sind komplett knöchern durchbaut. Im Bereich der ehemaligen Wachstumsfuge der Speiche waren Reste einer Wachstumsfugennarbe erkennbar. Die Verknöcherung des Handskeletts ist abgeschlossen, sodass sich ein Skelettalter von XXXX Jahren zum Zeitpunkt der Röntgenaufnahme ergibt (AS 57)

Der rechte obere Weisheitszahn und der linke obere Weisheitszahn des Asylwerbers fehlen. Die unteren Weisheitszähne weisen ein Mineralisationsstadium XXXX nach Demirjian auf (AS 58).

Die mittelliniennahen Schlüsselbeinenden des Asylwerbers weisen eine morphologisch abweichende Form auf, die hinsichtlich eines Verknöcherungsstadiums nicht beurteilbar ist (AS 58).

Der Asylwerber wies zum Zeitpunkt der Untersuchung am XXXX auf. Es gibt keine Anhaltpunkte für eine reifebeschleunigende Entwicklung. Zum Zeitpunkt der Röntgenuntersuchung der Hand am XXXX war die Handskelettentwicklung abgeschlossen. Dies entspricht einem Skelettalter von XXXX Jahren. Das Mindestalter bei abgeschlossener Handskelettverknöcherung beträgt für das männliche Geschlecht XXXX Jahre. Zum Zeitpunkt der Röntgenuntersuchung des Gebisses am XXXX wiesen die unteren Weisheitszähne ein Mineralisationsstadium XXXX nach Demirjian auf. Dies entspricht einem Mindestalter von XXXX Jahren (bei einer Standardabweichung von XXXX Jahren). Eine Altersbestimmung der Schlüsselbeine war auf Grund der morphologisch abweichenden Form der Schlüsselbeinenden nicht möglich (AS 59-61).

3. Den ermittelten medizinischen Mindestaltersangaben entspricht das fiktive Geburtsdatum XXXX . Das festgestellte Mindestalter ist mit dem behaupteten Lebensalter des Asylwerbers nicht vereinbar (AS 61). Der Asylwerber ist am XXXX geboren. Der Asylwerber erreichte am XXXX die Volljährigkeit.

4. Das Sachverständigengutachten wurde von zwei Fachärzten für Rechtsmedizin ausgestellt bzw. unterzeichnet (AS 58, 63).

5. Mit Beschluss des BG XXXX vom 26.04.2016, GZ XXXX wurde das Jugendamt mit der Obsorge für den damals noch minderjährigen Asylwerber betraut. Der Beschluss lautet:

"Der XXXX , wird mit der Obsorge für XXXX , geb. am XXXX , afghanischer Staatsbürger, betraut.

BEGRÜNDUNG:

Der XXXX beantragte am XXXX wie im Spruch ersichtlich.

Aufgrund der glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben des Jugendamtes und des o.g. Minderjährigen steht fest, dass der mj. XXXX zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt vor einigen Wochen als unbegleiteter Flüchtling nach Österreich kam und keine Angehörigen in Österreich hat. XXXX lebt derzeit in einer Einrichtung des XXXX . Die Eltern des mj. XXXX , die Mutter XXXX und der Vater XXXX sind wohnhaft in der Provinz XXXX , Afghanistan. Es besteht kein Kontakt zu den Eltern.

Da das Wohl der Minderjährigen mangels obsorgeberechtigter Personen in Österreich zweifellos gefährdet ist, ist - mangels anderer geeigneter Personen - gemäß § 209 ABGB der XXXX mit der Obsorge für die Minderjährige zu betrauen."

6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 23.11.2017 den Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erkannte dem Asylwerber einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zu, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und gewährte eine Frist von 14 Tagen für eine freiwillige Ausreise.

7. Das Bundesamt traf im Bescheid (AS 246) die Feststellung, dass der Asylwerber, nach dem fiktiven Mindestalter, am XXXX geboren ist. Das Bundesamt verfügte die Zustellung des Bescheides an das Jugendamt, als gesetzlicher Vertreter des Asylwerbers.

8. Das Bundesamt stellte den Bescheid am 30.11.2017 an das Jugendamt, als Vertreter des Asylwerbers, zu. Das Jugendamt erhob am 22.12.2017 Beschwerde gegen den Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht und gab an auf Grund des Obsorgebeschlusses die gesetzliche Vertretung des Asylwerbers inne zu haben (AS 351f).

2. Beweiswürdigung:

1. Die Feststellungen gründen sich - bis auf das Alter und das Geburtsdatum des Asylwerbers - auf den unbestrittenen Akteninhalt.

2. Hinsichtlich des tatsächlichen Alters des Asylwerbers ist auszuführen, dass ein medizinisches Mindestalter durch einen medizinischen Sachverständigen ermittelt werden konnte, das vom angegebenen Geburtsdatum des Asylwerbers abweicht. Das Jugendamt führte zwar allgemeine Bedenken gegen Altersgutachten an, das Jugendamt bzw. der Asylwerber behaupteten jedoch weder eine Unschlüssigkeit des Gutachtens, noch innere Widersprüche des Gutachtens noch eine Untauglichkeit der im gegenständlichen Fall beauftragten rechtsmedizinischen Gutachter.

Das Gutachten besteht aus einem Befund und aus einem Gutachten im engeren Sinn. Das Gutachten gab die fachmedizinischen Literaturnachweise an. Das Gutachten ist in sich schlüssig und nachvollziehbar.

Richtig ist zwar, dass das Gutachten - wie dieses selber offenlegt - keine Alterseinschätzungen auf Grund des Schlüsselbeins erheben konnte. Das Gutachten stützt sich bei seiner Alterseinschätzung jedoch auf die allgemeine körperliche Begutachtung, das Gebissröntgen und das Handwurzelknochenröntgen. Das Gutachten kann sich daher zwar nicht auf Ergebnisse aus der Schlüsselbeinuntersuchung, jedoch auf drei andere Untersuchungsergebnisse stützen. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass ein Mindestalter zweifelsfrei ermittelt werden kann und, dass das ermittelte Mindestalter und das vom Asylwerber behauptete Lebensalter nicht vereinbar sind. Das Gutachten gibt zudem das zu erwartende Durchschnittsalter an, das um ca. XXXX höher liegt als das errechnete Mindestalter. Das Gutachten berücksichtigt daher bereits eine Schwankungsbreite die bei einer Altersermittlung auftreten kann.

Das Gutachten kommt nicht zu dem Schluss, dass ein Mindestalter überhaupt nicht bestimmt werden könne oder diesbezüglich Zweifel vorliegen würden. Zudem konnte der Asylwerber keine Nachweise zu dem von ihm angegebenen Geburtsdatum vorlegen. Der Asylwerber gab diesbezüglich nur an von seiner Mutter das Geburtsdatum erfahren zu haben, er es also nur vom Hörensagen kennt. Es liegen daher keine Beweise vor, die das Ergebnis der medizinischen Untersuchung zu erschüttern vermögen.

Das erkennende Gericht hat daher keine Veranlassung an der Richtigkeit des Gutachtens und an dem, den Mindestaltersangaben entsprechendem fiktivem Geburtsdatum vom XXXX zu zweifeln.

Es wurde daher vom Gericht festgestellt, dass der Asylwerber am XXXX geboren ist und dieser am XXXX volljährig geworden ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Ein der Entscheidung in der Sache selbst entgegenstehendes Hindernis liegt dann vor, wenn sich ein Rechtsmittel gegen einen nicht rechtswirksam erlassenen Bescheid richtet. In diesem Fall fehlt es an einer Zuständigkeit der Rechtsmittelbehörde zu einem meritorischen Abspruch über das Rechtsmittel, da in derartigen Fällen die Zuständigkeit nur so weit reicht, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen sind (vgl. VwGH vom 18.06.2008, Zl. 2005/11/0171).

Die Zustellung, entsprechend der Zustellverfügung, an eine Person, die zu Unrecht als Zustellungsbevollmächtigter der Partei angesehen wird, vermag gegenüber der Partei keine Rechtswirkungen zu entfalten, dies selbst im Fall des tatsächlichen Zukommens an die Partei. Auch bewirkt weder die bloße Kenntnisnahme von einem Bescheid noch die private Anfertigung einer Fotokopie davon noch etwa die Übermittlung einer Telekopie durch eine von der Behörde verständigte andere Person, dass das Schriftstück tatsächlich zugekommen und eine Heilung des Zustellmangels im Sinn des § 7 Zustellgesetz eingetreten ist (vgl. VwGH vom 24.03.2015, Ro 2014/05/0013). Die Heilung eines Zustellmangels nach § 7 Abs. 1 ZustG setzt voraus, dass das Schriftstück in die Verfügungsgewalt des "Empfängers", welcher aus dem Grunde des § 2 Z 1 ZustG die in der Zustellverfügung bezeichnete Person ist, gelangt. War bereits eine unzutreffende Person in der Zustellverfügung als Empfänger bezeichnet, so liegt kein Fall des § 7 Abs. 1 ZustG vor (vgl. VwGH vom 26.02.2014, Zl. 2013/04/0015; VwGH vom 18.06.2008, Zl. 2005/11/0171; VwGH vom 07.09. 2005, Zl. 2004/12/0212).

2. Zur prüfen ist daher zunächst, ob eine wirksame Zustellung des Bescheides stattgefunden hat und ob das Jugendamt zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides gesetzlich noch berechtigt war den Asylwerber zu vertreten. Eine gewillkürte Vertretung wurde zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens behauptet.

2.1. Nach § 9 AVG iVm § 17 VwGVG sind Fragen der persönlichen Rechts- und Handlungsfähigkeit von am Verwaltungsverfahren Beteiligten nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist. Nach § 10 Abs 1 BFA-VG ist für den Eintritt der Handlungsfähigkeit in Verfahren vor dem Bundesamt und vor dem Bundesverwaltungsgericht (gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 BFA-VG) ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich.

Es sind daher die Bestimmungen des ABGB heranzuziehen. Gemäß § 183 Abs 1 ABGB erlischt die Obsorge für ein Kind mit dessen Volljährigkeit.

Nach den getroffenen Feststellungen hat der Asylwerber seine Volljährigkeit am XXXX , erreicht. Die Obsorge des Jugendamtes ist mit Erreichen der Volljährigkeit ex lege, somit vor Erlassung und Zustellung des Bescheides erloschen.

Es ist daher die anschließende Zustellung am 30.11.2017 an das Jugendamt keine wirksame Zustellung, sodass der Bescheid nicht wirksam erlassen wurde.

2.2. Die vom Jugendamt zitierte Judikatur führt zu keinem anderen Ergebnis, da im vorliegenden Fall eben kein Zweifel an dem von medizinischen Sachverständigen ermittelten Mindestalter gegeben ist.

2.3. Auch die Bestimmung des § 11 Abs 5 BFA-VG führt zu keinem anderen Ergebnis.

Ergeht eine Zustellung auf Grund der Angaben des Fremden zu seinem Alter an den Jugendwohlfahrtsträger (§ 10 BFA-VG) als gesetzlichen Vertreter, so ist diese gemäß § 11 Abs 5 BFA-VG auch wirksam bewirkt, wenn der Fremde zum Zeitpunkt der Zustellung volljährig ist.

Nach den Ausführungen der Erläuterungen zum BFA-VG, BGBl I Nr. 87/2012, stellt § 11 Abs 5 BFA-VG klar, dass Fremde, die das Bundesamt über ihr Alter falsch informieren, daraus keinen Vorteil im Sinne eines "provozierten Zustellmangels" ziehen dürfen. Wird nach der Angabe, minderjährig zu sein, an den Vertreter zugestellt, ist die Zustellung auch rechtswirksam bewirkt, wenn der Fremde in Wahrheit schon volljährig ist. Diese Norm ist ein typisches Instrument um missbräuchliche Handlungen hintanzuhalten (vgl die Erläuternden Bemerkungen zu Regierungsvorlage des BFA-VG, 1803 BlgNR 24 GP, S. 14).

Im gegenständlichen Fall ist die Zustellung jedoch nicht auf Grund des vom Asylwerber angegebenen Alters an den Jugendwohlfahrtsträger erfolgt, da das Bundesamt die Volljährigkeit des Asylwerbers im Bescheid bereits festgestellt hat und nicht von dem vom Asylwerber angegebenen Alter ausgegangen ist.

Die Bestimmung des § 11 Abs 5 BFA-VG entbindet das Bundesamt nicht von der Verpflichtung einen Bescheid an den Asylwerber direkt zuzustellen, wenn dieser nach den eigenen getroffenen Feststellungen bereits volljährig ist.

3. Es ist weiters zu prüfen, ob ein Beschluss des Pflegschaftsgerichts, mit dem einem Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge für einen Asylwerber übertragen wurde, hinsichtlich des im Spruches enthaltenen Geburtsdatums eine Bindungswirkung für das Bundesverwaltungsgericht entfaltet und ob über die Vorfrage - nämlich das tatsächliche Geburtsdatum des Asylwerbers - bereits für das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht verbindlich abgesprochen wurde.

3.1. Behörden, Gerichte sowie Parteien sind an rechtskräftige Entscheidungen (Beschlüsse, Urteile, Bescheide) der Verwaltungsbehörden und Gerichte im Vorfragenbereich gebunden. Bei der Prüfung der Bindungswirkung einer solchen konkreten Entscheidung ist zunächst zu beachten, dass diese Ausfluss ihrer formellen und Teil ihrer materiellen Rechtskraft ist und daher nur in deren subjektiven und objektiven Grenzen eintreten kann. Sie setzt daher zum einen voraus, dass die Vorfragenentscheidung auch gegenüber den (allen) Parteien des Verwaltungsverfahrens - auf Grund ihrer Parteistellung im anderen Verfahren oder ausnahmsweise auf Grund einer Rechtskrafterstreckung - verbindlich geworden ist. Zum anderen besteht eine Bindung nur insoweit, als inzwischen keine Änderung der maßgeblichen Sach- oder Rechtslage eingetreten ist. Ansonsten ist die Behörde der Verpflichtung zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens (und zur eigenständigen rechtlichen Beurteilung) nicht enthoben (Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 RZ 21-24).

Es muss sich bei der Vorfrage um eine Frage handeln, über die von einer anderen Behörde bzw. einem Gericht als Hauptfrage zu entscheiden war, da immer nur eine Entscheidung über eine Hauptfrage eine Bindungswirkung entfalten kann (VwGH vom 23.11.2017, Ra 2017/22/0081). Die gegenseitige Bindung der Gerichte und der Verwaltungsbehörden erstreckt sich auch nur so weit, wie die Rechtskraft reicht, daher erfasst sie nur den Inhalt des Spruchs, nicht aber die Entscheidungsgründe (VwGH vom 23.11.2017, Ra 2017/22/0081; VwGH vom 12.08.2014, 2011/06/0121; VwGH vom 30.1.2013, 2012/03/0072).

Allerdings entfaltet auch ein rechtskräftiger Spruch nach der Rechtsprechung des VwGH insofern keine Bindungswirkung, als er ein - im Hinblick auf seine Rechtsgrundlage - überflüssiges (überschießendes) Element enthält (VwGH vom 28.06.2001, 99/11/0155; VwGH vom 18.02.1997, 96/11/0326).

3.2 Das Pflegschaftsgericht hat auf Grund der Bestimmung des § 209 ABGB die Obsorge auf das Jugendamt übertragen. Gemäß § 209 ABGB hat das Gericht die Obsorge dem Kinder- und Jugendhilfeträger zu übertragen, wenn eine andere Person mit der Obsorge für einen Minderjährigen ganz oder teilweise zu betrauen ist und sich dafür Verwandte oder andere nahe stehende oder sonst besonders geeignete Personen nicht finden lassen.

3.3. Die wesentlichen Elemente des Spruches des Pflegschaftsgerichts sind daher die Minderjährigkeit des Asylwerbers zum Zeitpunkt des Beschlusses des Pflegschaftsgerichts und das Fehlen von Verwandten oder von anderen nahe stehenden oder sonst besonders geeigneten Personen zur Obsorgeübertragung. Nur dies stellt eine vom Pflegschaftsgericht zu klärende Hauptfrage dar.

Das konkrete Geburtsdatum ist vom Pflegschaftsverfahren als Vorfrage zu klären, um eine Minderjährigkeit zum Beschlusszeitpunkt feststellen zu können. Das konkrete Geburtsdatum, aus dem sich eine Minderjährigkeit ergeben kann, stellt daher nur eine Vorfrage und keine Hauptfrage für das Pflegschaftsgericht dar.

Ein konkretes Geburtsdatum des Asylwerbers im Beschluss des Pflegschaftsgerichts ist im Hinblick auf die Rechtsgrundlage des § 209 ABGB auch kein wesentliches Element des Spruches, sondern ein überschießendes Element. Nur die Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Beschlussfassung ist gemäß § 209 ABGB ein wesentliches Element des Spruchs.

Das genaue im Spruch eines Obsorgebeschlusses angegebene Geburtsdatum des Asylwerbers entfaltet daher keine Bindungswirkung für das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht.

4. Da das im Obsorgebeschluss genannte genaue Geburtsdatum keine Bindungswirkung für das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht entfaltet und der Asylwerber zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides an das Jugendamt bereits volljährig war, hat die Zustellung des hier angefochtenen Bescheides an das Jugendamt keine Wirkung entfaltet. Der Bescheid wurde nicht wirksam erlassen.

Die Beschwerde richtet sich daher gegen einen nicht wirksam erlassenen Bescheid, sodass diese als unzulässig zurückzuweisen ist.

Der Bescheid ist vom Bundesamt an den volljährigen Asylwerber direkt zuzustellen.

5. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist. Da die Beschwerde zurückzuweisen war, war als Entscheidungsform ein Beschluss zu fassen.

6. Eine Verhandlung konnte unterbleiben, da gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine Verhandlung entfallen kann, wenn die Beschwerde zurückzuweisen ist. Zudem war auf Grund des unbestrittenen Akteninhalts durch eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Es fehlt an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ob ein Beschluss des Pflegschaftsgerichts, mit dem einem Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge für einen Asylwerber übertragen wurde, hinsichtlich des im Spruch enthaltenen Geburtsdatums eine Bindungswirkung für das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht entfaltet.

Die Bedeutung geht auch über den Einzelfall hinaus, da häufig das durch ein medizinisches Sachverständigengutachten festgestellte Mindestalter und das im Obsorgebeschluss eines Pflegschaftsgerichts angegebene Alter divergieren. Die Spruchpraxis des Bundesverwaltungsgerichts divergiert hinsichtlich einer Bindungswirkung an den Obsorgebeschluss ebenfalls.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Altersfeststellung, Bescheiderlassung, Bescheidqualität,
Bindungswirkung, Handlungsfähigkeit, Nichtbescheid, Revision
zulässig, Zustellmangel, Zustellung, Zustellwirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W251.2181616.1.00

Zuletzt aktualisiert am

29.03.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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