TE OGH 2018/1/30 2Ob200/17a

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Veröffentlicht am 30.01.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI J***** Z*****, vertreten durch Lippitsch Neumann Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Elisabeth Messner, Rechtsanwältin in Wien, wegen 60.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 8. September 2017, GZ 12 R 108/16i-31, mit welchem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 19. September 2016, GZ 10 Cg 85/15s-27, infolge Berufung der beklagten Partei abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten im Verfahren über die Berufung der beklagten Partei.

Text

Begründung:

Die beklagte Versicherungsgesellschaft haftet dem Kläger nach § 26 KHVG für unfallbedingte Schäden an seinem Oldtimer Mercedes Benz 300 SL Coupé, Baujahr 1956. Das Fahrzeug hatte vor dem Unfall einen Wert von 1,2 Mio EUR. Die Beklagte ersetzte die Kosten einer fachgerechten Reparatur in einer deutschen Spezialwerkstatt (17.778 EUR zuzüglich 2.795 EUR für Transport und Reinigung).

Der Kläger begehrt merkantile Wertminderung von 60.000 EUR. Sein Fahrzeug sei vor dem Unfall in einem außergewöhnlich guten und weitgehend originalgetreuen Zustand gewesen. Zwar sei das Fahrzeug fachgerecht repariert; er müsse aber bei allfälligen Verkaufsgesprächen auf den Unfall hinweisen, und potentielle Käufer würden dies zum Anlass nehmen, den Preis zu drücken. Der Unfallschaden habe trotz der fachgerechten Reparatur zu einer Wertminderung von zumindest 5 % geführt.

Die Beklagte wendet ein, dass sich das Fahrzeug nicht im Originalzustand befunden habe und auch nicht vorschadensfrei gewesen sei. Aufgrund der fachgerechten Reparatur hätten die Schäden keinen Einfluss auf das Käuferverhalten. Eine Wertminderung sei nicht eingetreten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf Feststellungen zum Zustand des Fahrzeugs vor der Reparatur und nahm als erwiesen an, dass durch den Unfall trotz fachgerechter Reparatur eine Wertminderung von 60.000 EUR eingetreten sei. Potentielle Käufer würden wegen des Schadens um diesen Betrag weniger zahlen. In der Beweiswürdigung verwies es dafür auf die Aussage eines Zeugen und auf das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen, der – übereinstimmend mit einem Privatgutachten – zu diesem Ergebnis gekommen war. Eine von der Beklagten vorgeschlagene Methode zur Ermittlung der Wertminderung lehnte es unter Hinweis auf die diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen ab. Rechtlich führte es aus, dass eine trotz fachgerechter Reparatur eintretende Wertminderung einen Vermögensschaden bilde, der vom Haftpflichtigen auszugleichen sei.

In ihrer Berufung bekämpfte die Beklagte unter anderem die Feststellungen des Erstgerichts zur tatsächlich eingetretenen Wertminderung.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Es gab Zweifel an der Beweiswürdigung des Erstgerichts zu erkennen, führte aber dennoch keine Beweiswiederholung durch. Vielmehr nahm es einen „Begründungsmängel“ an, der aber aus rechtlichen Gründen nicht relevant sei. Das Landgericht Erfurt habe entschieden, dass es bei einem nur 349 mal gebauten hochpreisigen Fahrzeug, bei dem es mehr Nachfrage als Angebot gebe, „nicht zwingend“ sei, dass der Markt einen in einer Fachwerkstatt reparierten Unfallschaden mit Abschlägen bestrafe. Ein solcher Fall liege hier vor; zudem habe das Fahrzeug drei Vorschäden gehabt. Auf dieser Grundlage sehe der Senat „jedenfalls in diesem konkreten Oldtimer-Fall rechtlich keinen Raum für den Zuspruch einer merkantilen Wertminderung“. Die ordentliche Revision sei nicht zuzulassen, weil die Entscheidung von den Umständen des Einzelfalls abhänge.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Beweisrüge der Berufung nicht erledigt hat und seine Entscheidung auf der Grundlage der bekämpften Feststellungen nicht mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vereinbar ist. Sie ist daher im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Bei Beschädigung einer Sache sind nicht nur die Reparaturkosten zu ersetzen, sondern es ist gegebenenfalls auch jene Wertminderung auszugleichen, die im konkreten Fall aufgrund der gefühlsmäßigen Abneigung potentieller Käufer gegen (auch fachgerecht) reparierte Sachen eintritt („merkantiler Minderwert“: RIS-Justiz RS0031205; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek4 § 1323 Rz 21 ff). Maßgebend ist die Differenz zwischen dem Wert vor der Beschädigung und jenem nach der Reparatur (2 Ob 232/71 SZ 45/48; RIS-Justiz RS0030366). Die Feststellung dieser Werte ist Tatfrage (2 Ob 73/89; 10 Ob 113/98k; 1 Ob 321/99h). Vorschäden können zwar für die Frage relevant sein, ob eine Wertminderung eingetreten ist; sie sind aber kein Grund, eine festgestellte Wertminderung nicht zu ersetzen (2 Ob 73/89).

2. Auf dieser Grundlage wäre der Klage aufgrund des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts stattzugeben. Die vom Berufungsgericht angestellten rechtlichen Erwägungen sind in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar: Die von ihm zitierten Ausführungen des Landgerichts Erfurt (8 O 835/01 NZV 2003, 342) betrafen offenkundig die Tatfrage; nach Auffassung dieses Gerichts war aufgrund der Beweisergebnisse keine Wertminderung „festzustellen“.

3. Diese Erwägungen führen zur Aufhebung in die zweite Instanz.

Das Berufungsgericht wird die Beweisrüge der Beklagten zu erledigen haben. Dieser Verpflichtung kann es sich nicht durch die Annahme eines Begründungsmangels entziehen (2 Ob 198/16f = RIS-Justiz RS0040132 [T5]): Das Erstgericht hat die Feststellung zum Wert des reparierten Fahrzeugs durch den Hinweis auf das Gutachten des Sachverständigen, ein damit übereinstimmendes Privatgutachten und die Aussage eines marktkundigen Zeugen begründet, es hat sich auch mit Einwänden der Beklagten gegen die Wertermittlung durch den Sachverständigen auseinandergesetzt. Darin liegt eine formal nachvollziehbare Beweiswürdigung, die die Annahme eines Begründungsmangels ausschließt. Zweifelt das Berufungsgericht am Wert der vom Erstgericht genannten Beweismittel, insbesondere an der Schlüssigkeit des Gutachtens, so hat es eine Beweiswiederholung durchzuführen und gegebenenfalls andere Feststellungen zu treffen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 51 Abs 1 Satz 3 ZPO.

Textnummer

E120883

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00200.17A.0130.000

Im RIS seit

16.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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