TE OGH 2018/2/23 8Ob14/18v

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.02.2018
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Mag. Michael Stuxer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Göbel Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 9.963,22 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. September 2017, GZ 1 R 24/17a-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 23. November 2016, GZ 14 C 560/15b-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.215,48 EUR (darin 202,58 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.264,88 EUR (darin 138,98 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger buchte bei der Beklagten, die ein Reisebüro betreibt, für sich, seine Ehefrau, seinen Sohn und seine Schwiegertochter sowie sein Enkelkind, eine von der Beklagten zusammengestellte Reise zu einem Pauschalpreis von 9.009 EUR, die folgende Leistungen beinhaltete:

27. 3. 2015 Flug von Wien über Barcelona nach Miami

27. 3. bis 28. 3. 2015 eine Nächtigung in Miami

28. 3. bis 4. 4. 2015 Kreuzfahrt auf der M***** inkl Getränkepaket

4. 4. bis 9. 4. 2015 fünf Nächtigungen in Orlando inkl fünf Tage Mietwagen

9. 4. 2015 Flug von Orlando über Paris nach Wien

Der Kläger bezahlte hierfür am 4. 11. 2014 4.383 EUR und am 4. 3. 2015 4.626 EUR sowie für ESTA-Formulare 64,22 EUR.

Am 27. 3. 2015 trat der Kläger gemeinsam mit seiner Familie die gebuchte Reise an und flog von Wien nach Barcelona. In Barcelona wartete der Kläger mit seiner Familie auf das Boarding für den Flug der A***** von Barcelona nach Miami, als die gesamte Familie ausgerufen und von bewaffnetem Sicherheitspersonal in ein Séparée geführt wurde. Sie wurden untersucht und befragt. Sie erhielten lediglich die Information, dass ein Koffer fehle. Der Kläger und seine Familie gaben gegenüber dem Sicherheitspersonal an, dass das für sie kein Problem sei, sie würden auch ohne den Koffer fliegen, was ihnen jedoch nicht gestattet wurde. Zwischenzeitig gingen die übrigen Passagiere an Bord des Fluges nach Miami. Der Kläger und seine Familie konnten beobachten, wie ihr Gepäck aus dem Flugzeug wieder entladen wurde. Schließlich wurde dem Kläger und seiner Familie mitgeteilt, dass das Gepäckstück gefunden worden sei und sie gehen dürften. Ihnen war es jedoch nicht mehr möglich, das Flugzeug zu erreichen, da dieses zwischenzeitig gestartet war.

A***** versuchte, für den Kläger und dessen Familie einen Ersatzflug nach Miami zu organisieren. Der früheste Flug wäre am 29. 3. 2015 verfügbar gewesen. Der Kläger und seine Familie entschieden sich, diesen Flug nicht zu buchen, weil die Kreuzfahrt bereits am 28. 3. 2015 startete und sie weder in Barcelona noch in Miami eine Unterkunft gebucht hatten. Stattdessen beschlossen sie, einen zwei Stunden später startenden Flug zurück nach Wien zu nehmen.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Grund für die Verweigerung der Mitnahme des Klägers und seiner Familie auf dem Flug von Barcelona nach Miami im Verhalten des Klägers oder eines seiner Familienmitglieder lag.

Die Familienmitglieder des Klägers traten dem Kläger ihre Ansprüche auf Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude zum Inkasso ab.

Die Beklagte leistete an den Kläger am 1. 2. 2016 eine Zahlung von 1.735 EUR.

Die Passivlegitimation der Beklagten als Reiseveranstalterin ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.

Der Kläger begehrte von der Beklagten zuletzt die Zahlung von insgesamt 9.963,22 EUR sA an Preisminderung und Schadenersatz. Die Teilleistungen aus dem Leistungsbündel des Vertrags seien entweder nicht erfüllt worden oder für den Kläger wertlos gewesen. Der Aufwand für die ESTA-Formulare sei frustriert. Zudem werde Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude geltend gemacht, und zwar 35 EUR pro Tag und pro Person für insgesamt 15 Tage.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Beklagte treffe kein Verschulden am Abbruch der Reise. Vielmehr habe das Benehmen des Klägers und seiner Familie am Flughafen Barcelona aufgrund der Probleme mit der Weiterreise in die USA offenbar die Sicherheitskräfte alarmiert und sei eine Weiterreise verweigert worden, um die Sicherheit des Fluges und der Fluggäste nicht zu gefährden. Zudem liege ein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht vor, weil der Kläger und seine Familie auf einen anderen Flug nach Miami hätten umbuchen können und müssen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Beklagte hafte für die Einhaltung und Erbringung der Veranstaltungsleistungen als Reiseveranstalterin und habe sich das Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfen, somit der Fluglinie, zurechnen zu lassen. Dem Kläger und seiner Familie sei ohne ihr Verschulden die Teilnahme an dem Flug von Barcelona nach Miami verweigert worden. Den nächsten freien Flug von Barcelona nach Miami drei Tage später zu nehmen, sei dem Kläger und seiner Familie nicht zumutbar gewesen, zumal die gebuchte Kreuzfahrt dann bereits begonnen gehabt hätte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Sicherheitspersonal gehöre nicht zu den Leuten des Luftfrachtführers im Sinne des Art 19 Satz 1 des Montrealer Übereinkommens (MÜ). Einen Verstoß der Beklagten oder der ihr zuzurechnenden Erfüllungsgehilfen gegen haupt- oder nebenvertragliche Verpflichtungen vermöge das Berufungsgericht aufgrund des festgestellten Sachverhalts nicht zu erkennen.

Aufgrund eines Antrags des Klägers änderte das Berufungsgericht seinen Zulassungsausspruch nachträglich dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch zuließ, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass „die Beklagte als verpflichtet angesehen wird, das einschreitende Sicherheitspersonal nach der Ursache der Festhaltung des Klägers und seiner Familie zu fragen, um den Festhalteverdacht nach Kräften aufzuklären und die hierfür mögliche Ursache durch Darlegung der Existenz des gesuchten Gepäckstücks zu entkräften“.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass der Klage stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Behauptungs- und Beweislast einer Klarstellung bedürfen, und auch berechtigt.

1.1 Der Reiseveranstaltungsvertrag ist nach herrschender Ansicht ein gemischter Vertrag, der Elemente des Werkvertrags, des Dienstleistungsvertrags und der Geschäftsbesorgung enthält (RIS-Justiz RS0117125; RS0021714). Im Rahmen der von der Beklagten als Reiseveranstalterin zu erbringenden Gesamtheit von Reiseleistungen schuldete die Beklagte im vorliegenden Fall auch die Luftbeförderung des Klägers und seiner Familie von Wien nach Miami am 27. 3. 2015, und zwar als eigene Leistung (vgl Apathy in Schwimann/Kodek ABGB4 Bd 5a Verbraucherrecht, § 31b KSchG Rz 8 f mwN).

1.2 Der Vertrag über die Luftbeförderung ist als Werkvertrag zu beurteilen (RIS-Justiz RS0026007 [T2]; Kolba/Steurer, Praxishandbuch Reiserecht, 53; zur Beförderung als werkvertragliches Element eines Reiseveranstaltungsvertrags: Apathy in Schwimann/Kodek ABGB4 Bd 5a Verbraucherrecht, § 31b KSchG Rz 3). Der Beförderer schuldet einen Erfolg, und zwar die zu befördernde Person und deren Sachen (unversehrt) an den Bestimmungsort zu bringen (vgl Rebhahn/Kietaibl in Schwimann/Kodek ABGB4 Bd 5 § 1165 Rz 20 mwN; G. Kodek in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1298 Rz 34).

2. In der Nichtbeförderung des Klägers und seiner Familie sowie deren Reisegepäcks durch die Fluglinie A***** liegt eine Nichterfüllung des Reiseveranstaltungsvertrags. An die Nichterfüllung der vertraglichen Hauptleistungspflicht – hier der Luftbeförderung – knüpft die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB (vgl Reischauer in Rummel³ § 1298 ABGB Rz 1; G. Kodek in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1298 Rz 17). Leistet der Werkunternehmer den vertraglich geschuldeten Erfolg nicht, so trifft ihn zufolge § 1298 ABGB die Beweislast dafür, dass ihm (und seine Gehilfen, für die er nach § 1313a ABGB einzustehen hat) kein Verschulden zuzurechnen ist, dass er also die gebotene Sorgfalt – nach dem Maßstab des § 1299 ABGB – eingehalten hat (RIS-Justiz RS0112247).

3. Das Montrealer Übereinkommen, BGBl III Nr 131/2004, (MÜ) regelt die Haftung des Luftfrachtführers bei Personen-, Gepäck- und Verspätungsschäden des Reisenden. Werden Reisende, Reisegepäck oder Güter überhaupt nicht zum Bestimmungsort befördert, stellt dies keinen Fall der Verspätung bei der Luftbeförderung im Sinne von Art 19 MÜ dar (BGH X ZR 126/14; so zur Vorgängerbestimmung des Art 19 Warschauer Abkommen: 6 Ob 11/02z). Für aus der Verspätung entstandene Schäden ist aber nach dieser Bestimmung einzustehen.

4.1 Die Beklagte hat sich zur Erfüllung ihrer Hauptleistungspflicht, also der Beförderung des Klägers und seiner Familie sowie deren Reisegepäcks von Wien nach Miami, ausführender Luftfahrtunternehmen bedient, die ihr daher als Erfüllungsgehilfen nach § 1313a ABGB zuzurechnen sind. Im Wege einer Erfüllungsgehilfenkette hat die Beklagte auch für die von den Fluglinien zur Registrierung, Sortierung und Beförderung des Reisegepäcks, insbesondere zum Durchchecken dieses Gepäcks bei einer Zwischenlandung, beigezogenen Gehilfen einzustehen.

4.2 Nach den Feststellungen teilte das Sicherheitspersonal dem Kläger und seinen Familienmitgliedern, die sich bereits zum Boarding eingefunden hatten, mit, dass ein Koffer fehle. Eine Weiterreise ohne diesen Koffer wurde ihnen nicht gestattet. Der Kläger und seine Familie konnten beobachten, dass ihr Gepäck aus dem Flugzeug wieder entladen wurde. Schließlich wurde ihnen mitgeteilt, dass das Gepäcksstück gefunden worden sei und sie gehen dürften. Zu diesem Zeitpunkt war das Flugzeug allerdings bereits ohne den Kläger und dessen Familie gestartet. Nicht festgestellt werden konnte, dass die Verhinderung der Beförderung ihre Ursache im Verhalten des Klägers oder eines seiner Familienmitglieder hatte.

4.3 Damit hat der Kläger unter Beweis gestellt, dass ihm und seiner Familie wegen eines im Zuge der Zwischenlandung in Barcelona zunächst vermissten, dann aber wieder aufgefundenen Gepäckstücks die Weiterbeförderung nach Miami verwehrt wurde und die Erfüllungsgehilfen der Beklagten daran jedenfalls beteiligt waren. Die Beklagte hat demgegenüber ihre Prozessbehauptung nicht bewiesen, dass die Nichtbeförderung der Fluggäste am Verhalten des Klägers oder eines seiner Familienmitglieder lag, und daher aus einem anderen als dem vom Sicherheitspersonal mitgeteilten Grund unterblieb.

Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass nicht feststeht, aus welchen Gründen der Koffer eines der Reiseteilnehmer fehlte oder als fehlend galt. Die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts geht aber zu Lasten der Beklagten. Ihr ist der Entlastungsbeweis nicht gelungen, dass ihre Erfüllungsgehilfen bei der Handhabung des Reisegepäcks der Familie des Klägers und bei der Zusammenarbeit mit dem Sicherheitspersonal die objektiv gebotene Sorgfalt einhielten und die Verspätung auf einem Fehler eines – hoheitlich einschreitenden – Sicherheitspersonals beruht, für den die Beklagte nicht einzustehen hat.

4.4 Für die von der Beklagten gewünschte Beweislastverschiebung wegen einer „Nähe zum Beweis“ besteht hier kein Raum: Eine Beweislastumkehr nach Sphärengesichtspunkten ist jedenfalls nur dann gerechtfertigt, wenn für die eine Partei mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten bestehen, während der anderen Partei diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihr daher nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben. Allein mit einem Beweisnotstand wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls ist demnach eine Verschiebung der Beweislast aber nicht zu rechtfertigen (zuletzt etwa 4 Ob 115/17s mwN).

Die Hintergründe dafür, warum der Kläger und dessen Familie am Weiterflug gehindert wurden, reichen hier nicht tiefer in die Sphäre des Klägers als in jene der Beklagten. Der Kläger hat die ihm hierzu zur Verfügung stehenden Kenntnisse im Verfahren im Übrigen dargetan.

5. Damit hat das Erstgericht die Haftung der Beklagten für die vom Kläger geltend gemachten Ersatzansprüche zutreffend bejaht.

6. Dem Einwand der Beklagten, der Kläger und seine Familie hätten den nächsten Flug nach Miami am 29. 3. 2015 nehmen müssen, ist zu erwidern, dass nach der Rechtsprechung ein Personenbeförderungsvertrag mittels Luftfahrzeugen mit bestimmten Hin- und Rückflugterminen ein „relatives Fixgeschäft“ im Sinn des § 919 zweiter Satz ABGB ist, weil Natur und Zweck der vereinbarten Flugtermine schon im Allgemeinen erkennen lassen, dass der Gläubiger (Fluggast) an einer verspäteten Leistung kein Interesse mehr hat (RIS-Justiz RS0018434; zur Pauschalreise im Besonderen RS0018434 [T1]; vgl Apathy in Schwimann/Kodek, ABGB4 Bd 5a Verbraucherrecht § 31e KSchG Rz 2 mwN).

Da die vom Kläger und seiner Familie im Rahmen der Pauschalreise gebuchte Kreuzfahrt bereits am 28. 3. 2015 von Miami aus startete, hatten die Reisenden erkennbar kein Interesse an einem Flug nach Miami erst am 29. 3. 2015, sodass der Kläger nicht verpflichtet war, die spätere Erfüllung anzunehmen.

7. Der Revision des Klägers war daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E120895

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00014.18V.0223.000

Im RIS seit

16.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

23.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten