TE Lvwg Erkenntnis 2018/2/27 LVwG-2017/14/0818-7

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Veröffentlicht am 27.02.2018
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Entscheidungsdatum

27.02.2018

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
19/05 Menschenrechte;

Norm

VStG §22
VStG §45 Abs1 Z2
MRK Art4 Abs1 ZP7

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Dollenz über die Beschwerde des AA, Z, vertreten durch Rechtsanwälte BB, CC, DD, Adresse 1, Y, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft X vom 01.03.2017, GZ ****, nach Durchführung der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 14.02.2018, betreffend Übertretung nach dem Arbeitnehmerschutzgesetz,

zu Recht:

1.       Der Beschwerde wird Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit dem Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer nachstehendes zur Last gelegt:

Herr AA, geb. xx.xx.xxxx, wh. Z, Adresse 2, ist als Inhaber des Einzelunternehmens „AA“ mit Sitz in W, Adresse 3, für folgende Verwaltungsübertretung verantwortlich, die von Herrn EE vom Arbeitsinspektorat Innsbruck am 06.12.2016 auf der Baustelle „Fam. F in V, Adresse 4 – Dachwärmepumpe“ anlässlich der Erhebungen zum Arbeitsunfall vom 03.12.2016 festgestellt wurde:

Am 03.12.2016 um ca. 07.45 Uhr wurde auf der oben genannten Baustelle durch den Arbeitnehmer GG, geb. xx.xx.xxxx, das Vordach (Verkehrsweg) ungesichert für Montagearbeiten der Dachwärmepumpe auf dem dortigen Giebeldach betreten, wobei die Dachneigung ca. 20° Grad und die Absturzhöhe ab der Traufe bis zu 5 m betrug. Der Arbeitnehmer stürzte dabei ab und verletzte sich schwer.

Dadurch wurde § 7 (1) und (2) iVm § 6 (2) zweiter Satz Bauarbeiterschutzverordnung verletzt, wonach bei Abgrenzungen nach § 9 BauV oder Schutzeinrichtungen nach § 10 BauV anzubringen sind und bei vereisten Sand- und Verkehrsflächen geeignete Vorkehrungen getroffen werden müssen, durch die eine Gefährdung der Arbeitnehmer verhindert wird.

Dadurch hat der Beschuldigte eine Verwaltungsübertretung nach § 7 (1) und (2) iVm § 6 (2) zweiter Satz Bauarbeiterschutzverordnung – BauV, BGBl. Nr. 340/1994 idgF, iVm § 130 (5) iVm § 118 (3) ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, StF: BGBl. Nr. 450/1994 (ASchG) idgF, begangen.

Über den Beschuldigten wird deshalb gemäß § 130 (5) ASchG eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.000,-- verhängt.

Im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 100 Stunden.

Der Bestrafte hat gemäß § 64 (2) VStG als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens 10 % der verhängten Strafe, mindestens jedoch € 10,--, zu bezahlen; das sind € 100,--.

Somit ergibt sich ein Gesamtbetrag von € 1.100,--.“

Das Straferkenntnis wurde den Beschwerdeführer und dem Arbeitsinspektorat am 07.03.2017 zugestellt.

Innerhalb offener Frist wurde nachangeführte Beschwerde erhoben:

Das Straferkenntnis wird seinem gesamten Inhalt bzw. Umfang nach angefochten.

Als Beschwerdegründe warden Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtige Sachverhaltsfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht.

Im Einzelnen wird hierzu ausgeführt wie folgt:

1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Beschuldigte für schuldig erkannt, er sei als Inhaber des Einzeluntemehmens „AA“ mit Sitz in U, Adresse 3, dafür verantwortlich, dass am 03.12.2016 um ca. 07.45 Uhr auf der Baustelle „Farn. F in V, Adresse 5 - Dachwärmepumpe“ durch den Arbeitnehmer GG, geb. xx.xx.xxxx, das Vordach „Verkehrsweg“ ungesichert für Montagearbeiten der Dachwärmepumpe auf dem dortigen Giebeldach betreten wurde, wobei die Dachneigung ca. 20 Grad und die Absturzhöhe ab der Traufe bis zu 5 m betrug. Dabei stürzte der Arbeitnehmer ab und verletzte sich schwer.

Der Beschuldigte habe dadurch § 7 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 2 zweiter Satz der Bauarbeiterschutzverordnung verletzt, da bei Absturzgefahr an Verkehrwegen bei mehr als 2 m Absturzhöhe Absturzsicherungen nach § 8 BauV, Abgrenzungen nach § 9 BauV oder Schutzeinrichtungen nach § 10 BauV anzubringen sind und bei vereisten Stand- und Verkehrsflächen geeignete Vorkehrungen getroffen werden müssen, durch die eine Gefährdung der Arbeitnehmer verhindert wird. Letztlich wurde über den Beschuldigten aufgrund der Übertretung nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 2 zweiter Satz BauV i.V.m. § 130 Abs. 5 i.V.m. 118 ABs. 3 ASchG eine Geldstrafe in Höhe von € 1.000,— verhängt, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 100 Stunden.

2. Zunächst ist darauf zu verweisen, dass es sich beim Verunfallten GG, geb. xx.xx.xxxx, um einen sehr erfahrenen Mitarbeiter im Betrieb des Beschuldigten handelt. Herr G war zunächst beim Installationsuntemehmen J in T und sodann bei der Fa. K Installationen als Installateur beschäftigt, bevor er in das Unternehmen des Beschuldigten wechselte. Während zumindest der letzten 10 Jahre war Herr G ausschließlich im Installationsgewerbe tätig, weshalb konstatiert werden kann, dass er über große Erfahrung und Praxis verfügt.

Beweis: - wie bisher

3. Auf der virulenten Baustelle der Farn. F in V war das Unternehmen des Beschuldigten mit der Errichtung einer Dachwärmepumpe beauftragt. Gewöhnlicher Weise werden derartige Wärmepumpen an der Außenseite bzw. -wand von Gebäuden angebracht, beim gegenständlichen Bauvorhaben war es jedoch aufgrund von schallschutztechnischen

Gegebenheiten notwendig, die Pumpe am Hausdach anzubringen.

Sowohl im Zeitraum vor dem 3.12.2016 als auch an diesem Tag war das Dach der Bauherrschaft schneefrei. Geplant und vereinbart war eigentlich, dass der Beschuldigte selbst die Wärmepumpe am Dach anbringt. Am 30. November 2016 führte der Beschuldigte mit der Bauherrschaft (nämlich MM, LM und NN) ein Gespräch hinsichtlich des genauen Ablaufs der Anbringung der Wärmepumpe. Dabei wurde von der Bauherrschaft zugesagt, dass die Wärmepumpe vom Nachbargrund aus mit einem dem Nachbarn gehörigen Autokran auf das Dach der Fam. F gehoben wird. Nachdem der Nachbar während des Tages berufstätig war, wäre es erforderlich gewesen, die Pumpe abends auf das Dach zu heben, was der Beschuldigte keinesfalls wollte.

Sodann einigte man sich - in Anwesenheit von Herrn G - darauf, dass die Wärmepumpe am (für den Nachbarn arbeitsfreien) Samstag, den 3.12.2016, im Laufe des Vormittags auf das Dach gehoben wird. Der Beschuldigte teilte – wiederum in Gegenwart von Herrn G - mehrmals mit, dass diese Arbeiten frühestens ab 10:00 Uhr durchgeführt werden dürfen, da bis zu diesem Zeitpunkt allfälliger Raureif am Dach abgeeist sein sollte. In dieses Gespräch war Herr G eingebunden. Des Weiteren verwies der Beschuldigte darauf, dass - sollte auch noch um diese Zeit Raureif bestehen und deshalb die Besteigung des Daches nicht gefahrlost möglich sein - jedenfalls noch weiter zugewartet, bis eben das Dach ohne Gefährdung begangen werden kann. Sollte die Situation wetter- bzw. temperaturbedingt überhaupt kein Besteigen zulassen, sollten die Arbeiten überhaupt unterbleiben.

Beweis: - ZV MM, Adresse 4, V

- ZV LM, Adresse 4, V

- ZV NN, Adresse 4, V

- wie bisher 

- weitere Beweise vorbehalten

4. Am Freitag, den 2.12.2016, erkrankte der Beschuldigte, weshalb er sich an diesem Tag ins Spital (Krankenhaus „O“) begeben musste. Der Beschuldigte rief daraufhin Herrn G an und informierte ihn, dass die Arbeiten nicht durchgeführt werden, bis er eben wieder einsatzbereit sei.

Wie der Beschuldigte im Nachhinein in Erfahrung brachte, hatte Herr G sodann - in Absprache mit der Bauherrschaft - vereinbart, die Pumpe dennoch in Eigenregie auf das Dach zu heben. Dabei hatte Herr G den Termin auch noch auf 07:30 Uhr vorverlegt. Davon hatte der Beschuldigte keine Kenntnis. Letztlich wurden die Arbeiten um diese Uhrzeit aufgenommen, obgleich das Dach noch merklich und unübersehbar mit Raureif bedeckt und

daher rutschig war.

Damit ist belegt, dass Herr G den ausdrücklichen Anweisungen des Beschuldigten als dessen Arbeitgeber nicht nachgekommen ist.

Die gesamte Sicherheitsausrüstung gemäß BauV befindet sich im Betrieb des Beschuldigten. Sämtliche Arbeitnehmer (einschließlich des Verunfallten) wurden entsprechend unterwiesen. Es wurde ihnen verpflichtend aufgetragen, bei sämtlichen Einsätzen diese bereitgestellten Utensilien auch zu verwenden. Auch dies erfolgte gegenständlich nicht.

Beweis: - wie bisher

- weitere Beweise vorbehalten

5. Zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beschuldigten:

Der Beschuldigte hat sein Installationsuntemehmen im März 2012 eröffnet. Er hat erhebliche Verbindlichkeiten (insbesondere bei der kreditfinanzierenden Bank), die ihn beim Eintritt in die Selbständigkeit finanziell unterstützt hatte. Insgesamt belaufen sich die betrieblichen- und privaten Verbindlichkeiten des Beschuldigten auf zumindest ca. € 220.000,—.

Der Beschuldigte ist für zwei Kinder, nämlich die mj. PP, geb. xx.xx.xxxx, und den volljährigen QA, geb. xx.xx.xxxx, unterhaltspflichtig. PP besucht die Handelsakademie in X, QA das Bundesoberstufenrealgymnasium in X und ist deshalb nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschuldigte ist mit RA verheiratet. Diese ist arbeitslos, weshalb der Beschuldigte auch ihr gegenüber voll unterhaltspflichtig ist.

Der Beschuldigte bezieht aus seiner selbständigen Tätigkeit ein Einkommen (nach Steuern) von monatlich € 1.500,—. Hiervon sind die vorgängigen Unterhaltsansprüche der vorangeführten Personen zu bezahlen, des Weiteren sind die Kreditverbindlichkeiten zurückzuführen.

Beweis: - Schulbestätigungen

- Bestätigung des Steuerberaters

- Bestätigung des AMS hinsichtlich RA

6. Aufgrund des Vorangeführten kann gesagt werden, dass den Beschuldigten jedenfalls kein schweres Verschulden am Zustandekommen des gegenständlichen Arbeitsunfalls trifft, immerhin wurden seitens des Arbeitnehmers klare Vorgaben und Aufträge missachtet, des Weitem wurde die zur Verfügung gestellte Schutzausrüstung nicht verwendet.

Vor dem Hintergrund kann nur von einem leichten Verschulden des Beschuldigten ausgegangen werden, an welchem sich auch eine allfällige Geldstrafe zu orientieren hat. Dem gegenüber geht die Erstbehörde von einem zumindest grob fahrlässigen Verhalten des Beschuldigten aus, und lehnt an diesem Verschuldensgrad auch die über ihn verhängte Strafe an.

Darüber hinaus gilt es, die Einkommens-und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten zu berücksichtigen, die es - verbunden mit den beträchtlichen Unterhaltsverpflichtungen - rechtfertigen, eine Strafe jedenfalls nochmals massiv zu reduzieren.

An dieser Stelle wird festgehalten, dass dem verunfallten Mitarbeiter des Beschuldigten sämtliche Schutzwerkzeuge bzw -maßnahmen zur Verfügung standen, die geeignet gewesen wären, den Absturz zu vermeiden. Der verunfallte Arbeitnehmer wurde auch in den Gebrauch und die Handhabung dieser Vorkehrungen eingewiesen und aufgefordert, diese bei sämtlichen Tätigkeiten auch zu verwenden. Es ist bedauerlich, dass sich der Verunfallte über diese Arbeitsanweisung des Beschuldigten hinweggesetzt hat.

Dieser Umstand, verbunden mit der Tatsache, dass der Beschuldigte die Weisung erteilt hat, das Dach erst dann zu betreten, wenn allfälliger Raureif jedenfalls abgeeist ist, belegt, dass dem Beschuldigten - wenn überhaupt - nur ein geringfügiges Verschulden am Zustandekommen des gegenständlichen Arbeitsunfalls angelastet werden kann.

Dies ist und muss bei der Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes entsprechend berücksichtigt werden.

Beweis: - wie bisher

- weitere Beweise vorbehalten

6. Das jedenfalls geringfügige Verschulden des Beschuldigten im Zusammenhalt mit seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen rechtfertigen jedenfalls die Ansiedlung einer Geldstrafe im untersten Bereich der Strafnorm. Darüber hinaus erscheint es angezeigt, es mit einer Ermahnung bewenden zu lassen.

Es darf an dieser Stelle auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich der Beschuldigte über mehrere Monate hinweg im Krankenstand befunden hat, da er an einer erst spät als solcher diagnostizierten Krankheit leidet und deshalb über mehrere Monate arbeitsunfähig war.

Auch dies schlägt sich natürlich in den Umsatzzahlen des Beschuldigten

nieder.

Beweis: - wie bisher

- weitere Beweise vorbehalten

Es wird daher gestellt der

Antrag:

Das Landesverwaltungsgericht in Tirol möge der gegenständlichen Beschwerde Folge geben und das angefochtene Straferkenntnis der BH X vom 01.03.2017:

ersatzlos beheben und das gegen den Beschuldigten geführte Verwaltungsstrafverfahren einstellen;

in eventu

beheben und zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an die Erstbehörde zurückverweisen;

in eventu:

das angefochtene Straferkenntnis dahingehend abändem, als über den Beschuldigten nur eine Ermahnung ausgesprochen wird;

in eventu:

das angefochtene Straferkenntnis dahingehend abändern, als die über den Beschuldigten verhängte Geldstrafe schuld- und tatangemessen sowie unter Berücksichtigung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse herabgesetzt wird und

eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen und den Beschuldigten sowie deren Vertreter sowie die angebotenen Zeugen hierzu zu laden.

Y, am 30.03.2017                                                                AA“

Infolge der erhobenen Berufung wurde am 14.02.2018 die öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, bei der der Beschwerdeführer sowie, als Zeugen GG, SF, TF einvernommen wurden. Von Seiten der Parteien wurde auf die Einvernahme der erschienen Zeugin Frau NN verzichtet. Ferner wurde Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den Kopien des Aktes Staatsanwaltschaft Innsbruck **** sowie in den Akt der Bezirkshauptmannschaft X mit der Zahl ****.

Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer betreibt unter der Adresse W, Adresse 3, das Einzelunternehmen AA, in welchem 4 bis 6 Personen angestellt sind. Einer der Beschäftigten ist Herr GG, der in der Firma des Beschwerdeführers als Installateur tätig ist. Der Beschwerdeführer war von der Familie F (SFund TF V Hagau) beauftragt worden, eine Heizungsanlage zu installieren. Unter anderem sollte dort auf dem Dach des Hauses eine Dachwärmepumpe angebracht werden. Mit dem Auftraggeber war ursprünglich vereinbart, dass die Dachwärmepumpe durch den Beschwerdeführer selbst montiert hätte werden sollen. Der Termin für dieses Vorhaben wäre um den 03.12.2016 gewesen. Der Beschwerdeführer konnte diese Arbeiten selbst nicht durchführen, da er zu dem Zeitpunkt im Spital gewesen ist. Aus diesem Grund kam es dazu, dass Herr GG am 03.12.2016 gegen 07.45 Uhr, bei V Adresse 4 kam, um zu sehen, ob die Montage der Dachwärmepumpe möglich ist. Zu diesem Zeitpunkt war am Dach in V vom Zimmermann ein Podest angefertigt und von Seiten des Beschwerdeführers ein Gestell montiert gewesen. Die Wärmepumpe sollte mittels Kran hinaufgehoben werden und wären danach 4 Schrauben anzuziehen gewesen. Es war vereinbart, dass die Montage nur dann vorgenommen werden kann, wenn dies aus sicherungstechnischen Gründen möglich ist. GG ging deshalb in das Dachgeschoss zu einem Fenster, von dem er dann weiter zu der Stelle gegangen wäre, an der die Dachwärmepumpe hätte befestigt werden sollen. Diese lag auf der anderen Seite des Daches. Er stand bei dem Fenster auf dem Dach und hielt sich mit einer Hand an der darüber liegenden Dachrinne fest. In der anderen Hand hatte er eine Flex. Wie er auf dem Dach war stellte er fest, dass es dort – infolge Morgenreifes – viel zu glatt war und wollte wieder durch das Dachfenster ins Haus steigen. In diesem Moment fiel ihm die Flex aus der Hand, er versuchte sie reflexartig festzuhalten, wodurch es dazu kam, dass er ausrutschte und in Richtung Dachkante schlitterte. Dort konnte er sich noch an der Dachrinne festhalten, er hing jedoch 4-5 Meter über den Boden. Er rief nach TF – dem Auftraggeber – der herkam und zu dem er sagte, dass er schnell eine Leiter holen sollte, die sich hinter dem Haus befand. Herr F brachte eine, die jedoch zu kurz war. Er lief nochmals ums Haus, um eine längere zu suchen. Als er eine solche fand, musste Herr GG die Dachrinne loslassen und fiel hinunter, wobei er noch versuchte, auf seinem linken stärkeren Bein zu landen. Den Aufprall hatte er nicht mehr in Erinnerung. Durch den Sturz erlitt er ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Fersenbeinfraktur links, ein Felsenbeinfraktur links und ein Querfortsatzfraktur LWK rechts. Er wurde am linken Fuß operiert und wurden mehrere Schrauben und Platten in der Ferse eingesetzt.

Anlässlich seiner Einvernahme vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol gab GG an, dass er 3 Wochen in der Klinik stationär sich aufgehalten hat und insgesamt 4 Monate im Krankenstand befand.

Der Arbeitsunfall wurde von Arbeitsinspektorat Innsbruck, Adresse 6, S durch Ing. EE am 06.12.2016 überprüft und von diesem sowohl eine Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft X als auch eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft Innsbruck erstattet.

Offenbar wurde im Auftrag der Staatsanwaltschaft Herr GG als Zeuge (Opfer gemäß § 65 Z 1 lit c StPO) einvernommen. Nach Erhalt der Einvernahme wurde vom Bezirksanwalt das Strafverfahren gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt wobei als Begründung angegeben wurde, dass kein Fremdverschulden vorliegt. Hievon wurde GG, sowie die Polizeiinspektion V und das Arbeitsinspektorat Innsbruck verständigt.

Das Landesverwaltungsgericht Tirol ist der Ansicht, dass den Beschwerdeführer kein fahrlässiges Verhalten angelastet werden kann, da er sich einerseits zum Zeitpunkt des Unfalls sich im Spital aufgehalten hat, andererseits aus der Schilderung des GG ergibt, dass der Arbeitsunfall auf eine Verkettung von mehreren unglücklichen Umständen zurückzuführen ist.

Hinzu kommt noch, dass auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29.05.2015, Zl **** hinzuweisen ist, der ausgeführt hat, dass die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 190 ff StPO eine vom Staatsanwalt in Ausübung eines Anklagemonopols nach Art 90 Abs 2 B-VG getroffene Entscheidung darstellt. Sie ist zwar nicht als Gerichtsentscheidung zu qualifizieren, dennoch ist sie eine das Strafverfahren, welche mit dem Ermittlungsverfahren als integrierenden Bestandteil des Strafverfahrens beginnt, beendende Entscheidung. Das gemäß § 195 StPO angerufene Gericht fungiert zwar als Rechtschutzorgan gegen die Einstellung, kann aber die Staatsanwaltschaft nur zur Durchführung weiterer Ermittlungen verhalten, nicht aber zur Einbringung einer Anklage. Vielmehr obliegt es dem Staatsanwalt aufgrund des ihm zukommenden Verfügungsrecht über die Anklage, das Verfahren auf Durchführung der angeordneten Ermittlungen (neu) einzustellen.

Art 4 Abs 1 7. ZP-EMRK besagt, dass niemand wegen einer strafbaren Handlung wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden darf. In diesem Sinne ist gemäß der hiesigen Rechtsprechung zu prüfen, ob die strafgerichtlich verfolgte Handlung einerseits und die verwaltungsstrafrechtliche Übertretungshandlung andererseits dieselbe strafbare Handlung iSd Art 4 Abs 1 7. ZP-EMRK betreffen.

Das Landesverwaltungsgericht Tirol ist der Auffassung, dass infolge eingangszitierten und vom Zeuge G geschilderten Vorfall, ein Verschulden des Beschwerdeführers nicht abgeleitet werden kann, da dieses auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen ist. Zum anderen ist nach Ansicht des Landesverwaltungsgericht Tirol im Gegenstandsfall keine Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörde gegeben, da dem Beschwerdeführer eine Übertretung nach § 130 Abs 5 Arbeitnehmerschutzgesetz iVm der Bauarbeiterschutzverordnung angelastet wird und zwar begangen am 03.12.2016 um ca. 07.45 Uhr welche vom Schuldvorwurf nach § 88 Abs 1 StGB (mit) umfasst ist.

Nach dieser Gesetzesstelle (§ 88 Abs 1 StGB) ist mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätze zu bestrafen, wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt.

Nach Abs 2 leg cit ist der Täter nach Abs 1 nicht zu bestrafen, wer nicht grob fahrlässig handelt und der Verletzte mit dem Täter in auf- und absteigender Linie verwandt oder verschwägert oder seinen Ehegatten, sein eingetragener Partner, sein Bruder oder seine Schwester oder nach § 72 Abs 2 ein Angehöriger des Täters zu behandeln,

2. aus der Tat keine Gesundheitsschädigungen oder Berufsunfähigkeit keiner anderen Person von mehr als 14-tägiger Dauer erfolgt oder

3. der Täter ein Angehöriger eines gesetzlich geregelten Gesundheitsberufes und die Körperverletzung in Ausübung seines Berufes zugefügt worden ist.

Aus den vorgelegten Akten ergibt sich, dass Herr GG eine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit von mehr als 14 Tagen Dauer (3 Wochen stationär in der Klinik, 4 Monate Krankenstand) erlitten hat, woraus sich ohne Zweifel ergibt, dass bei einem Verschulden (des Beschwerdeführers) ein gerichtlicher Strafvorwurf gegen diesen – aus der Unterlassung von Absturzsicherung zu machen gewesen wäre, was zur Folge hat, dass ein Gerichtstatbestand vorliegen würde. In diesem Zusammenhang ist ferner auf § 22 Abs 1 VStG zu verweisen, der anordnet, dass eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar, soweit die Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmen, ist, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.

Nach Ansicht des Landesverwaltungsgericht Tirol hätte infolge der Bestimmung des § 22 VStG und Art 4 Abs 1 7. ZPEMRK das verfahrensgegenständliche Straferkenntnis nicht ergehen dürfen, sodass die Beschwerde berechtigt ist und spruchgemäß zu entscheiden war.

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Dollenz

(Richter)

Schlagworte

Zuständigkeit; keine Verwaltungsübertretung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2018:LVwG.2017.14.0818.7

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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