TE OGH 2017/12/14 7Bs182/17i

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Veröffentlicht am 14.12.2017
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Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Gföllner als Vorsitzende, Dr. Henhofer und Mag. Kuranda in der Strafsache gegen M***** A***** wegen des Vergehens der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche gegen das Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichtes Steyr vom 24. Juli 2017, 11 Hv 59/17g-12a, nach der in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts Mag. Zentner, des Privatbeteiligtenvertreters Mag. Habinger (für E***** A*****), des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Loos durchgeführten Berufungsverhandlung am 14. Dezember 2017 zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

M***** A***** wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe in Steyr und andernorts ab 3. Mai 2017 (Tag nach Rechtskraft des Verfahrens 15 Hv 88/16z LG Steyr) bis 24. Juli 2017 seine beiden minderjährigen Kinder I***** A*****, geboren am *****, und Y***** A*****, geboren am *****, vor der seit 6. März 2014 alleine obsorgeberechtigten Mutter E***** A***** verborgen gehalten, indem er die beiden minderjährigen Kinder bereits im November 2012, damals noch als Obsorgeberechtigter, ohne Zustimmung der ebenfalls obsorgeberechtigten Mutter in Ägypten an einen der Mutter unbekannten Ort verbrachte und sie seither verborgen hält, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Gemäß § 366 Abs 1 StPO wird die Privatbeteiligte E***** A***** mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 14. Juli 1963 geborene M***** A***** des Vergehens der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 195 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt. Im Adhäsionserkenntnis wurde er zur Zahlung eines Teilschmerzengeldbetrages von EUR 1.000,00 sowie eines Schadenersatzbetrages von EUR 750,00 an die Privatbeteiligte E***** A***** verpflichtet.

Nach dem Schuldspruch hat M***** A***** in Steyr und andernorts ab 3. Mai 2017 (Tag nach Rechtskraft des Verfahrens 15 Hv 88/16z LG Steyr) bis 24. Juli 2017 seine beiden minderjährigen Kinder I***** A*****, geboren am *****, und Y***** A*****, geboren am *****, vor der seit 6. März 2014 alleine obsorgeberechtigten Mutter E***** A***** verborgen gehalten, indem er die beiden minderjährigen Kinder bereits im November 2012, damals noch als Obsorgeberechtigter, ohne Zustimmung der ebenfalls obsorgeberechtigten Mutter in Ägypten an einen der Mutter unbekannten Ort verbrachte und sie seither verborgen hält.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 3, Z 4, Z 5, Z 9 lit a, Z 9 lit b und Z 11), Schuld und Strafe sowie wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche, mit der er primär einen Freispruch und die Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg, in eventu die Verhängung einer milderen Strafe begehrt (ON 19).

Die Oberstaatsanwaltschaft Linz beantragte in ihrer Stellungnahme vom 17. November 2017, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Schon die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützte Berufung wegen Nichtigkeit ist, soweit sie fehlende Verfolgungsermächtigung reklamiert, berechtigt.

Gemäß § 195 Abs 3 StGB ist der Täter nur mit Ermächtigung (§ 92 StPO) des Erziehungsberechtigten zu verfolgen. Die Strafverfolgungsbehörden haben unverzüglich beim Erziehungsberechtigten anzufragen, ob die Ermächtigung erteilt wird. Wird sie verweigert, ist jede weitere Ermittlungstätigkeit unzulässig (und das Verfahren einzustellen). Die Ermächtigung gilt als verweigert, wenn die berechtigte Person sie nicht binnen vierzehn Tagen nach Anfrage erteilt. Sie ist spätestens bei Einleitung diversioneller Maßnahmen oder bei Einbringung der Anklage nachzuweisen und kann bis zum Schluss des Beweisverfahrens zurückgezogen werden (Markel in WK2 StGB § 195 Rz 27). Die Erklärung, als Privatbeteiligter am Verfahren mitzuwirken (§ 67 StPO) gilt gemäß § 92 Abs 2 letzter Satz StPO als Ermächtigung.

Zwar geht das Erstgericht in US 11 davon aus, dass die Ermächtigung zur Strafverfolgung des Angeklagten durch die Erziehungsberechtigte E***** A***** vorliegt. Doch ergibt sich aus der Aktenlage (vgl RIS-Justiz RS0100178), dass bei Einbringung des diesem Verfahren zugrunde liegenden Strafantrages am 19. Juni 2017 keine Ermächtigung zur Verfolgung dieser „neuen“ Tat erteilt worden war.

M***** A***** wurde mit Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 19. Jänner 2017, rechtskräftig seit 2. Mai 2017, zu 15 Hv 88/16z des Landesgerichtes Steyr des Vergehens der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt (die er bis 17. Oktober 2017 verbüßte). Dem Schuldspruch zufolge hat er in Steyr und andernorts ab August 2014 bis 19. Jänner 2017 seine beiden minderjährigen Kinder I***** A*****, geboren am *****, und Y***** A*****, geboren am *****, vor der seit 6. März 2014 alleine obsorgeberechtigten Mutter E***** A***** verborgen gehalten hat, indem er die beiden minderjährigen Kinder bereits im November 2012, damals noch als Obsorgeberechtigter, ohne Zustimmung der ebenfalls obsorgeberechtigten Mutter in Ägypten an einen der Mutter unbekannten Ort verbrachte und sie seither verborgen hält (ON 63 iVm ON 80 in ON 2). In diesem Verfahren hat E***** A***** bei Anzeigeerstattung am 17. August 2015, als Zeugin vernommen, ausdrücklich die Ermächtigung zur Strafverfolgung des M***** A***** erteilt (S 15 in ON 2 in ON 2).

Im gegenständlichen Strafverfahren wurde der Angeklagte über Auftrag der Staatsanwaltschaft Steyr vom 17. Mai 2017 (S 19 in ON 3) durch Beamte der PI Tomitzstraße/Steyr am 16. Juni 2017 in der Justizanstalt Garsten erneut als Beschuldigter zum Vorwurf der Kindesentziehung einvernommen (S 11 ff in ON 3). Noch am selben Tag erhob die Staatsanwaltschaft Steyr zu 2 St 79/17d (einen neuen) Strafantrag gegen M***** A***** wegen des Vergehens der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB mit einem Tatzeitraum ab 3. Mai 2017. Dies, ohne vorher die Erziehungsberechtigte zu fragen, ob sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Deren Einvernahme erfolgte (erst) in der Hauptverhandlung vom 24. Juli 2017, in der sie sich auch dem Strafverfahren mit Schadenersatzansprüchen als Privatbeteiligte anschloss (S 4 in ON 12) und über Befragen erklärte, dass sie die bereits erteilte Ermächtigung zur Strafverfolgung so lange aufrecht erhalte, „bis die Kinder wieder da sind“ (S 8 in ON 12).

Ein angeklagtes Ermächtigungsdelikt ohne vorliegende Ermächtigung bei Einbringung der Anklage führt zu einer Verfahrenseinstellung, wenn die Akten nur Indizien enthalten, die die Subsumtion des angeklagten historischen Sachverhaltes als derart vorgegebenen Prozessgegenstand lediglich unter das in Frage kommende Ermächtigungsdelikt ermöglicht (vgl RIS-Justiz RS0126520). Die Ermächtigung muss sich auf die Verfolgung einer bestimmten Person wegen einer bestimmten Tat beziehen und kann weder generell erteilt noch an Bedingungen geknüpft werden (Vogl in WK-StPO, § 92 Rz 5).

Die Tathandlung des § 195 Abs 1 StGB besteht im Entziehen, Verborgenhalten oder entsprechenden Verleitungs- oder Hilfeleistungshandlungen. Die Tat ist vollendet, sobald die Person unter sechzehn Jahren dem Erziehungsberechtigten und damit seiner Möglichkeit, erzieherischen Einfluss auszuüben, entzogen ist. Insofern ist ein Zustandsdelikt gegeben, wird die Tat durch Verborgenhalten begangen, wird ein Dauerdelikt begründet (vgl Fabrizy StGB12 § 195 Rz 3; Markel in WK2 § 195 Rz 22).

Auch wenn es sich beim hier inkriminierten Verborgenhalten der Kinder um ein Dauerdelikt handelt, umfasst das aktuelle Strafverfahren einen Tatzeitraum ab 3. Mai 2017 (Rechtskraft des Urteils im Verfahren 15 Hv 88/16z des Landesgerichtes Steyr), mithin einen anderen „neuen“ Zeitraum der Deliktsverwirklichung. Trotz rechtskräftiger Verurteilung des Angeklagten mit Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 19. Jänner 2017, 15 Hv 88/16z-62, wegen des Vergehens der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB (Tatzeit: August 2014 bis 19. Jänner 2017) stehen – dem Berufungsvorbringen zuwider - werde „res iudicata“ noch das Doppelbestrafungsverbot einer weiteren Verurteilung wegen eines unterschiedlichen Tatzeitraums entgegen.

Wird ein weiteres, „neues“ Verfahren angestrebt, muss dafür auch eine sich auf die „neue“ Tat beziehende Ermächtigung erteilt werden. Ist eine Ermächtigung doch immer nur für das konkrete Verfahren maßgeblich. Im Übrigen kann selbst bei einem Dauerdelikt nicht ohne weiteres angenommen werden, dass der Berechtigte die einmal erteilte Ermächtigung für weitere (neue) Strafverfahren aufrecht hält.

Schon der nicht durchgehende, erst einige Monate nach der vom ersten Urteil umfassten Deliktszeit beginnende Tatzeitraum zeigt, dass dem gegenständlichen Strafantrag ein eigenständiges Geschehen zugrunde gelegt wurde. Davon ist offensichtlich auch der öffentliche Ankläger bei Erhebung des Strafantrages ausgegangen, weil er ansonsten - dem Grundsatzes „ne bis in idem“ folgend - Anklage nicht hätte erheben dürfen. Wenn aber, wie hier, von einer ab 3. Mai 2017 (neuerlichen) strafbaren Handlung der Kindesentziehung ausgegangen wird, so ist für diesen historischen Sachverhalt vor Anklageerhebung wiederum die Ermächtigung vom Berechtigten einzuholen. Entgegen der Ansicht der Oberstaatsanwaltschaft wirkt die im ersten – rechtskräftig abgeschlossenen - Verfahren erteilte Ermächtigung nicht auch für das nunmehrige Verfahren fort.

Bei Einbringung des „neuen“ Strafantrages lag keine „neue“ Ermächtigung der Erziehungsberechtigten vor. Dieses im materiellen Strafrecht (§ 195 Abs 3 StGB) statuierte Verfolgungshindernis begründet Nichtigkeit des Urteils gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO (RIS-Justiz RS0096043) und hat die Aufhebung des Schuldspruchs wegen des Vergehens der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB sowie den sofortigen Freispruch des Angeklagten und die Verweisung der Privatbeteiligten mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg zur Folge.

Auf das weitere Berufungsvorbringen des Angeklagten war daher nicht mehr einzugehen.

Textnummer

EL0000268

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0459:2017:0070BS00182.17I.1214.000

Im RIS seit

06.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

06.03.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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