TE Vwgh Erkenntnis 2000/5/3 99/01/0043

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Veröffentlicht am 03.05.2000
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Index

41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

SPG 1991 §65 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der A I, zuletzt in W, vertreten durch Dr. Richard Soyer und Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 23. Juni 1998, Zl. B 10/hg/98 Fie, betreffend erkennungsdienstliche Behandlung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides verpflichtete die belangte Behörde die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf eine näher bezeichnete Anzeige an die Strafverfolgungsbehörde gemäß § 77 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz 1991 (SPG), an ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung mitzuwirken. In Spruchpunkt II. wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, sich zur erkennungsdienstlichen Behandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt im Bezirkspolizeikommissariat H. persönlich einzufinden, widrigenfalls ihre zwangsweise Vorführung veranlasst werde. Begründend führte die belangte Behörde aus:

"§ 65 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) ermächtigt die Sicherheitsbehörden, Personen, die im Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff (§ 16 Abs. 2 SPG) begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln. Gemäß § 65 Abs. 4 SPG haben Personen, die erkennungsdienstlich zu behandeln sind, an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

Sie haben einer Ladung für den 17.6.1998, sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen, nicht Folge geleistet, sodass ihnen diese Verpflichtung nunmehr gemäß § 65 Abs. 4 SPG bescheidmäßig aufzuerlegen war. Die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen, die am 25.2.1998 zu ihrer Anzeige wegen des Verdachtes gemäß § 148 StGB an die Strafverfolgungsbehörde (Staatsanwaltschaft Wien) geführt haben, gelten hiebei als Ermittlungsverfahren."

Gegen dieses Bescheid wendet sich die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 28. September 1998, B 1238/98, ihre Behandlung ab und trat die Beschwerde mit Beschluss vom 25. Jänner 1999 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahren vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte. Die Beschwerdeführerin replizierte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerdeführerin wendet unter anderem ein, die belangte Behörde habe die Frage der Zulässigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht geprüft. Der der Anzeige zu Grunde liegende Sachverhalt - der Beschwerdeführerin wird darin Einmietbetrug vorgeworfen - sei der belangten Behörde spätestens seit Erstattung der Anzeige am 25. Februar 1998 bekannt. Bis zum Ladungstermin für die erkennungsdienstliche Behandlung seien somit mehr als vier Monate vergangen, in denen die belangte Behörde in keiner Weise Kenntnis von Umständen erlangt habe, die die Annahme der Gefahr der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe durch die Beschwerdeführerin hätten rechtfertigen können. Der angefochtene Bescheid sei auch nicht gesetzeskonform begründet. Dem Bescheid könne nicht entnommen werden, aus welchen Gründen die belangte Behörde die Aufforderung an die Beschwerdeführerin an ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung mitzuwirken, für zulässig erachtete.

Gemäß § 65 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. Nr. 566/1991 (SPG), sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, Menschen, die im Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln. Hievon kann so lange abgesehen werden, als nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof dazu in ständiger Rechtsprechung (vgl. unter anderem das hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0034, m.w.N.) ausgesprochen hat, räumt § 65 Abs. 1 SPG der Behörde jedenfalls insoweit Ermessen ein, als sie trotz Vorliegens der Voraussetzungen hiefür von der erkennungsdienstlichen Behandlung absehen kann, wenn und so lange nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen. Der der Behörde eingeräumte Ermessensspielraum für die Anordnung oder das Absehen von erkennungsdienstlichen Maßnahmen ist dann gegeben, wenn nach den Umständen des Einzelfalles eine vergleichsweise nur geringe Gefahr der Begehung weiterer Angriffe besteht. Hiebei ist auch zu beachten, dass ein Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung dann eher in Betracht kommt, wenn die Gefahr der Begehung weiterer Delikte eher hinsichtlich solcher Delikte gegeben ist, für deren Aufklärung aus erkennungsdienstlichen Daten nichts oder nur wenig gewonnen werden kann. Da § 65 Abs. 1 SPG auf den Verdacht der Begehung eines gefährlichen Angriffes abstellt, ist davon auszugehen, dass die gemäß dem zweiten Satz dieses Absatzes zu treffende Prognose hinsichtlich der Frage des Begehens weiterer gefährlicher Angriffe jedenfalls auch dann zu treffen ist, wenn lediglich der Verdacht der Begehung eines solchen Angriffes vorliegt. Auch in einem solchen Verdachtsfall müssen die genannten Ermessenskriterien - hiebei kommt insbesondere der Frage, ob sich aus der Art des vermutlich begangenen Deliktes eine Wiederholungsgefahr ergibt, besondere Bedeutung zu - von der Behörde geprüft werden, um entscheiden zu können, ob von der erkennungsdienstlichen Behandlung abgesehen werden kann.

Wie die Beschwerdeführerin zutreffend rügt, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid in keiner Weise dargetan, dass sie ein Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung der Beschwerdeführerin überhaupt in Erwägung gezogen hätte. Vielmehr ist der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen, dass sie der Auffassung war, die Beschwerdeführerin sei schon deshalb jedenfalls zur erkennungsdienstlichen Behandlung zu verpflichten gewesen, weil sie im Verdacht stehe, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, und der formlosen Aufforderung zur Mitwirkung an der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht nachgekommen sei. Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt und ausgehend von dieser unzutreffenden Rechtsansicht die Prüfung der Frage, ob im Fall der Beschwerdeführerin von der Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung abgesehen werden könne, unterlassen bzw. keine Ausführungen zu den dargestellten Ermessenskriterien in die Begründung des angefochtenen Bescheides aufgenommen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Von der Abhaltung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 3. Mai 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999010043.X00

Im RIS seit

27.02.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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