TE OGH 2017/12/20 8ObA59/17k

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Veröffentlicht am 20.12.2017
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Stefan Schlick und Günter Hintersteiner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** B*****, vertreten durch Berger Ettel, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei E***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Helmut Engelbrecht, Rechtsanwalt in Wien, wegen 8.000 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. August 2017, GZ 10 Ra 50/17x-14, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 23. Februar 2017, GZ 1 Cga 125/16g-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war 43 Jahre lang bei der Beklagten als Montagemitarbeiter beschäftigt. Er war vor allem im Ausland tätig. Auf das Dienstverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für die Elektroindustrie zur Anwendung. Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete am 29. 2. 2016 durch einvernehmliche Auflösung; in der Folge hat der Kläger die Korridorpension angetreten.

Zur Regelung der lohnsteuerrechtlichen Aspekte im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen schlossen die Geschäftsführung und der Zentralbetriebsrat eine „Betriebsvereinbarung“ über die „Auslandsdelegation bei Montage/Projekttätigkeit“. Pkt 6.2 der „Betriebsvereinbarung“ sieht eine sogenannte „Steuertopfbeteiligung“ vor und weist folgenden Inhalt auf:

„6.2 Steuern

Zur Deckung der ausländischen Steuerlasten haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, sich an einem Umlageverfahren unter den ins Ausland Entsandten zu beteiligen ('Steuertopfbeteiligung').

Hierzu wird vor Entsendung mit den Mitarbeitern, die sich am Umlageverfahren beteiligen wollen, folgende Vorgehensweise vereinbart:

Mit Wirkung zum Beginn der Steuerfreistellung in Österreich (nach DBA, BAO oder § 3 Abs 1 Z 10 EStG) aufgrund des Auslandseinsatzes behält das Unternehmen im Rahmen der Entgeltabrechnung grundsätzlich einen der österreichischen Steuer entsprechenden Betrag vom Entgelt ein. Dieser Betrag wird im Namen und für Rechnung des Mitarbeiters auf ein Treuhandkonto abgeführt. Nach Vorlage des ausländischen Steuerbescheides wird die individuelle Lohnsteuerschuld des Mitarbeiters aus den Mitteln des Treuhandkontos beglichen.

Im Rahmen der Steuerabwicklung hat der Mitarbeiter vor allem folgende Pflichten:

- Melde- und Mitwirkungspflichten bei der Regionalen Einheit, im Projektbüro oder einer benannten Stelle bei Ein- und Ausreise

- Abgabe/Mitwirkung/Unterschriftsleistung bei erforderlichen steuerlichen Erklärungen entsprechend den örtlichen Vorschriften, Nachweis der Erfüllung der steuerlichen Pflichten im Einsatzland

- Bei den Jahressteueranmeldungen/-erklärungen hat diese unverzüglich nach Ablauf des Steuerjahres innerhalb eines Monats, mindestens jedoch fristgerecht, zu erfolgen.

Die Zustimmung der Teilnahme an der Steuertopfbeteiligung muss der Mitarbeiter auf dem vorgegebenen Formblatt erklären (erstmals für Entsendungen ab 1. 7. 2007, beginnend mit diesem Datum). Die Erklärung bindet den Mitarbeiter drei Jahre zum Ende des Kalenderjahres; die Frist endet erstmals jedoch frühestens am 31. 12. 2009. Die Teilnahmeerklärung kann seitens des Mitarbeiters ab dem Jahr 2008 jederzeit widerrufen werden (Formblatt 'Ablehnungserklärung'); die Nachlauffrist beträgt drei Jahre zum Ende des Kalenderjahres.

Dasselbe gilt für den Fall der Ablehnung der Teilnahme an der Steuertopfbeteiligung.

Sofern der Mitarbeiter keine Erklärung bis 30. 11. 2009 abgibt, wird die Teilnahme bzw Nichtteilnahme unbefristet fortgesetzt.

Die Zustimmung oder Ablehnung kann seitens des Mitarbeiters jederzeit widerrufen werden; die Nachlauffrist beträgt in jedem Fall drei Jahre zum Ende des Kalenderjahres gerechnet von der jeweiligen Erklärung.

Im Fall der Ablehnung der Teilnahme an der Steuertopfbeteiligung sind die Steuerzahlungen im Ausland aus den privaten Mitteln des Mitarbeiters zu bezahlen und vom Mitarbeiter ein Nachweis der Versteuerung zu erbringen.“

Der Kläger erklärte am 9. 1. 2009 schriftlich seine Teilnahme an der Steuertopfbeteiligung. Sein letzter Auslandseinsatz endete im Oktober 2013. Ende 2015 erhielt er aus dem Lohnsteuertopf eine Zahlung in Höhe von 8.000 EUR.

Da der Kläger das Dienstverhältnis beenden wollte, um die Korridorpension in Anspruch zu nehmen, übermittelte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 20. 1. 2016 die Beendigungsvereinbarung, die er am 12. 2. 2016 unterfertigte. Danach endete das Dienstverhältnis durch einvernehmliche Auflösung am 29. 2. 2016. Mit Schreiben vom 22. 1. 2016 kündigte der Klagsvertreter die Steuertopfvereinbarung zum 30. 4. 2016 auf und hielt darin fest, dass sich der Kläger die Geltendmachung sämtlicher Ansprüche daraus ausdrücklich vorbehalte. Vor Unterfertigung der Beendigungsvereinbarung teilte ihm die Beklagte dazu mit, dass der Lohnsteuertopf in der (in der Beendigungsvereinbarung angeführten) Abfertigung inbegriffen sei.

Die Beendigungsvereinbarung enthält folgende Klausel:

„Mit der Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle wechselseitigen Ansprüche und Forderungen aus Ihrem Dienstverhältnis zur Gänze beglichen.“

Der Kläger begehrte die Zahlung von 8.000 EUR sA. Dieser Betrag errechne sich auf Basis einer am 18. 4. 2016 erfolgten Rechnungslegung zum Steuertopf unter Annahme einer Beteiligung von 15 Arbeitnehmern und eines Überschusses von 120.000 EUR zum 31. 12. 2016. Die ins Ausland entsandten Arbeitnehmer hätten hinsichtlich der abzuführenden ausländischen Lohnsteuern eine Solidargemeinschaft gebildet. Sein letzter Auslandseinsatz in Griechenland habe bis 30. 10. 2013 gedauert. Er habe einen Anspruch auf Auszahlung aus dem Lohnsteuertopf, weil keine Vereinbarung darüber bestehe, dass ein allfälliger Überhang im Steuertopf endgültig im Vermögen der Beklagten verbleibe. Der Anspruch sei auch nicht verjährt.

Die Beklagte entgegnete, dass der Beendigungsvereinbarung Bereinigungswirkung zukomme. Außerdem habe der Kläger am 9. 1. 2009 ausdrücklich seine Teilnahme an der Steuertopfbeteiligung erklärt. Dabei handle es sich um eine treuhändische Einrichtung für die Mitarbeiter der Beklagten zum Zweck einer Risikoentlastung durch Solidarisierung der Steuerbelastung. Die im Steuertopf liegenden Entgelte würden ausschließlich den Arbeitnehmern zustehen. Dementsprechend habe der Kläger im Jahr 2015 auch eine Ausschüttung aus dem Steuertopf erhalten. Zudem seien die Voraussetzungen für eine Auszahlung nicht gegeben. Für eine Ausschüttung sei ein nachhaltiger Überschuss erforderlich. Zudem bedürfe es einer einvernehmlichen Regelung zwischen der Beklagten und dem Zentralbetriebsrat. Der vermeintliche und auch überhöhte Rückforderungsanspruch sei schließlich auch verjährt, weil der Kläger nach seiner letzten Entsendung im Oktober 2013 aus dem Umlageverfahren ausgeschieden und daher Fälligkeit eingetreten sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die unzulässige Betriebsvereinbarung habe zu einer einzelvertraglichen Ergänzung des Dienstvertrags der betroffenen Arbeitnehmer geführt. Dem Kläger stehe aber kein Anspruch auf Auszahlung aus dem Lohnsteuertopf zu, weil auch ein solcher mit der Beendigungsvereinbarung bereinigt worden sei. Das Klagebegehren sei zudem unschlüssig.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Generalklausel in der Beendigungsvereinbarung stehe der Klagsforderung zwar nicht entgegen, weil mit der Beendigungsvereinbarung kein strittiges oder zweifelhaftes Recht bereinigt worden sei. Die dem Kläger ausgezahlte Abfertigung in Höhe von zwölf Monatsentgelten habe die Beklagte bereits am 20. 1. 2016 zugesagt. Aufgrund der Dauer des Dienstverhältnisses und der Inanspruchnahme der Korridorpension (Alterspension) wäre dem Kläger diese Abfertigung gemäß § 23a AngG selbst im Fall einer Eigenkündigung zugestanden. Der Anspruch des Klägers bestehe aber dennoch nicht zu Recht. Zum einen könne nicht davon ausgegangen werden, dass nach der erfolgten Ausschüttung Ende 2015 bereits wieder ein nachhaltiger Überschuss auf dem Treuhandkonto bestanden habe. Zum anderen stehe dem Kläger kein allgemeiner, also ausschüttungsunabhängiger Anspruch auf Auszahlung eines Steuertopfguthabens zu. Die Regelungen der unzulässigen Betriebsvereinbarung hätten in den Einzelvertrag des Klägers Eingang gefunden. Dies gelte aber auch für den Gestaltungsvorbehalt, wonach eine Ausschüttung aus dem Steuertopf eine Beratung zwischen der Beklagten und dem Zentralbetriebsrat erfordere. Es bestehe kein Hinweis dafür, dass der Gestaltungsvorbehalt nicht nach billigem Ermessen ausgeübt worden sei. Da der Kläger die Steuertopfbeteiligung mit Schreiben vom 22. 1. 2016 „gekündigt“ habe, bleibe er noch bis Ende des Jahres 2019 am Steuertopf beteiligt. Schließlich habe das Erstgericht zutreffend angemerkt, dass der Kläger einen allfälligen Anspruch auf Auszahlung eines ihm zustehenden Steuertopfguthabens derzeit nicht beziffern könne, weshalb er vorerst ein Rechnungslegungsbegehren geltend machen müsse. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Beurteilung der Wirkungen der (unzulässigen) Betriebsvereinbarung und die Frage eines allfälligen Auszahlungsanspruchs eines ausscheidenden Arbeitnehmers in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie ist im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1.1 Die geltenden gemachten Verfahrensmängel liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor.

Mit seinen Ausführungen zu diesem Revisionsgrund möchte der Kläger den Feststellungen entgegentreten, die sich auf die Frage der Bereinigungswirkung der Beendigungsvereinbarung beziehen. Den vom Kläger in dieser Hinsicht in der Berufung bekämpften Feststellungen kommt angesichts der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach kein „Vergleich“ vorliegt, allerdings keine Relevanz zu.

Auf unabdingbare Ansprüche kann ein Arbeitnehmer nach der sogenannten „Drucktheorie“ zwar nicht verzichten. Er kann sich nach der Rechtsprechung während des aufrechten Arbeitsverhältnisses allerdings auch über an sich unverzichtbare Ansprüche wirksam vergleichen, wenn dadurch strittige oder zweifelhafte Ansprüche bereinigt werden. In einem solchen Fall wird die Einbuße bestimmter Rechtspositionen durch andere Vorteile, etwa auch durch die Klärung einer bisher ungeklärten Sach- und/oder Rechtslage, aufgewogen (RIS-Justiz RS0029958; Neumayr in KBB5 § 1380 ABGB, Rz 4). Dem Kläger wurde bereits mit Schreiben vom 20. 1. 2016 die Zahlung von zwölf Monatsentgelten zugesagt. Von der angeblichen Berücksichtigung des Steuertopfes im Rahmen der Abfertigung war erst später die Rede. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass mit der Beendigungsvereinbarung keine nach den bisherigen Verhandlungen strittigen Rechtspositionen bereinigt worden seien und aus Sicht der Beklagten kein Nachgeben bestanden habe, erweist sich als zutreffend.

1.2 Schließlich liegt auch die behauptete Aktenwidrigkeit nicht vor, weil es sich bei den bekämpften Aussagen des Berufungsgerichts nicht um die Wiedergabe konkreter Passagen aus bestimmten Aktenstücken, sondern um Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts handelt (vgl RIS-Justiz RS0043324; RS0043284).

2. In seiner Rechtsrüge vertritt der Kläger die Ansicht, dass Adressat der Regelungen zum Lohnsteuertopf nicht der Zentralbetriebsrat, sondern der Arbeitnehmer sei, weil die Steuertopfvereinbarung aufgrund der unzulässigen Betriebsvereinbarung in die einzelnen Arbeitsverträge Eingang gefunden habe. Für residuale Rechte und Pflichten bzw für ein Tätigwerden des Zentralbetriebsrats gäbe es keine betriebsverfassungsrechtliche Grundlage. Es bestehe daher ein direkter Rückzahlungsanspruch, der nach Ablauf der dreijährigen Nachlauffrist geltend gemacht werden könne.

Die Beklagte tritt dem mit dem Argument entgegen, dass ein in einer freien Betriebsvereinbarung geregelter Gestaltungsvorbehalt ebenfalls in den Einzelvertrag übergehe. Ein nachhaltiger Überschuss im Steuertopf sei nicht festgestellt worden. Außerdem erfasse die Generalbereinigungsklausel in der Beendigungsvereinbarung auch die Steuertopfbeteiligung.

3.1 Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass die zugrunde liegende Betriebsvereinbarung als unzulässige (freie) Betriebsvereinbarung zu qualifizieren ist. Die Rechtswirkungen unzulässiger Betriebsvereinbarungen bestimmen sich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. Die Rechtsprechung und das Schrifttum sehen solche Betriebsvereinbarungen als Vertragsschablonen an, deren Inhalt ausdrücklich oder schlüssig zu einer Änderung bzw Ergänzung des Einzelvertrags führen kann. Regelungen einer unzulässigen Betriebsvereinbarung können daher – in der Regel nach Maßgabe des § 863 ABGB – eine einzelvertragliche Änderung oder Ergänzung des Arbeitsvertrags bewirken. Im Einzelnen kommt es für die Beurteilung der einzelvertraglichen Rechtswirksamkeit einer unzulässigen Betriebsvereinbarung vor allem auf den Wissensstand der Arbeitsvertragsparteien und den Inhalt der unzulässigen Betriebsvereinbarung an (RIS-Justiz RS0018115; 9 ObA 81/99y DRdA 2000, 26 [Jabornegg]; 8 ObS 7/06x; Kietaibl in Tomandl, ArbVG § 29 Rz 38 f mwN; Reissner in ZellKomm2 § 29 ArbVG Rz 21 f). Maßgebend ist, dass die Arbeitsvertragsparteien vom Abschluss und vom Inhalt der unzulässigen Betriebsvereinbarung Kenntnis hatten und (zumindest) schlüssig zu erkennen geben, sich dennoch an die Regelungen halten zu wollen. Dies gilt grundsätzlich für Betriebsvereinbarungen mit für die Arbeitnehmer begünstigenden und/oder belastenden Inhalten. Bei ausschließlicher Belastung der Arbeitnehmer sind jedoch strengere Anforderungen an die schlüssige Annahmeerklärung des Arbeitnehmers zu stellen (Kietaibl aaO, Rz 39).

3.2 Im Anlassfall wurde das Modell der Steuertopfbeteiligung seit vielen Jahren von der Beklagten mit Wissen und Willen der ins Ausland entsandten Arbeitnehmer einschließlich des Klägers gehandhabt. Auf diese Weise wurden die im Ausland anfallenden Steuern der betroffenen Arbeitnehmer beglichen. Dadurch haben die Arbeitsvertragsparteien jedenfalls schlüssig zu erkennen gegeben, sich an die Steuertopfbeteiligung halten zu wollen. Die entsprechenden Regelungen in der unzulässigen Betriebsvereinbarung fanden daher grundsätzlich in die Einzelarbeitsverträge Eingang und bewirkten dementsprechend eine Vertragsänderung oder Vertragsergänzung.

3.3 Nach den angesprochenen Regelungen wurde für die Jahre einer Auslandsentsendung die fiktive österreichische Lohnsteuer auf ein „Treuhandkonto“ gelegt, wobei sämtliche im fraglichen Zeitraum im Ausland tätigen Arbeitnehmer eine Solidargemeinschaft bildeten. Die zu entrichtenden ausländischen Steuern wurden aus dem Lohnsteuertopf beglichen, wobei unterschiedlich hohe Steuerbelastungen in den verschiedenen Gastländern im Rahmen der Risikogemeinschaft ausgeglichen werden sollten.

Ähnlich wie in der Entscheidung 8 ObS 7/06x (ZIK 2007/100, 58) handelt es sich bei der zugrunde liegenden Steuertopfvereinbarung somit um eine die ursprüngliche Bruttolohnvereinbarung der ins Ausland entsandten Arbeitnehmer ändernde Entgeltregelung. Danach wurde die Bruttolohnvereinbarung für die Dauer der Auslandsentsendung dahin modifiziert, dass von den Löhnen der betroffenen Arbeitnehmer die fiktive österreichische Lohnsteuer einbehalten wurde. Die aus diesem Titel einbehaltenen Beträge dienten der Abdeckung der ausländischen Lohnsteuerforderungen gegenüber sämtlichen betroffenen Arbeitnehmern, die eine Solidargemeinschaft bildeten. Demnach trugen jene Mitarbeiter, die in einem Land mit niedrigen Lohnsteuersätzen tätig waren, zur Begleichung der Steuerschulden jener Mitarbeiter bei, deren Auslandseinsätze in Ländern mit höheren Steuersätzen stattfanden. Aus diesem Grund erfolgte keine Zuordnung der einbehaltenen Entgeltbestandteile zu den konkret betroffenen Arbeitnehmern. Die zugrunde liegende Steuertopfvereinbarung bewirkte daher ihrem Charakter nach – so wie in der Entscheidung 8 ObS 7/06x und im Gegensatz zu 14 ObA 81/87 – eine Vertragsänderung in Form einer (besonderen) Nettolohnvereinbarung. Grundsätzlich konnte jeder betroffene Arbeitnehmer davon ausgehen, dass er jedenfalls einen Nettolohn unter Zugrundelegung der österreichischen Lohnsteuer erhält.

4.1 Die Besonderheit dieser Nettolohn-
vereinbarung besteht nun darin, dass – was unstrittig ist – der Überhang im Steuertopf nicht endgültig im Vermögen der Beklagten verbleiben soll. Vielmehr soll dieser unter bestimmten Voraussetzungen an die betroffenen Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Davon ausgehend ist zu unterstellen, dass die Vertragsparteien von einer grundsätzlichen Rückzahlungspflicht nach Ablauf der Bindungsfrist ausgegangen sind.

Nach dem Inhalt der unzulässigen Betriebsvereinbarung soll über die Rückzahlung der Betriebsinhaber (die Beklagte) gemeinsam mit dem Betriebsrat „beraten“. Dabei ist die Ausschüttung an einen nachhaltigen Überschuss geknüpft. Die unzulässige Betriebsvereinbarung enthält damit bestimmte Bedingungen für die „Ausschüttung“ (Rückzahlung) von Überhängen.

4.2 Dazu ist in der Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass im Fall einer schlüssigen Vertragsänderung oder Vertragsergänzung durch eine unzulässige Betriebsvereinbarung die Arbeitnehmer jene Bedingungen gegen sich gelten lassen müssen, die der Arbeitgeber erkennbar für die Gewährung der Leistung (hier Rückzahlung) aufgestellt hat. Die Arbeitnehmer müssen somit auch für sie ungünstige Vertragsbedingungen gegen sich gelten lassen. Dazu ist ebenfalls anerkannt, dass die in der unzulässigen Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelungen zur Änderung oder Beendigung der Betriebsvereinbarung, also Änderungs- oder Widerrufsvorbehalte des Arbeitgebers, maßgebend sind (Kietaibl aaO, Rz 39; Reissner aaO, Rz 30).

4.3 Daraus folgt, dass in einer unzulässigen Betriebsvereinbarung zugunsten des Arbeitgebers vorgesehene Änderungs- und Beendigungsvorbehalte sowie Gestaltungsvorbehalte – im Fall der Einbeziehung in den Einzelarbeitsvertrag – grundsätzlich bestehen bleiben. Der Arbeitgeber muss für die Ausübung derartiger Gestaltungsrechte die allgemeinen arbeitsvertraglichen Schranken, insbesondere die Ausübungsschranke des billigen Ermessens, beachten (Kietaibl aaO, Rz 39 und 46; Binder in Tomandl, ArbVG § 97 Rz 291; 9 ObA 81/99y DRdA 2000, 26 [Jabornegg]). Zudem sind allfällige (sonder-)gesetzliche Schranken zu beachten. In diesem Sinn folgt auch aus der Entscheidung 8 ObA 220/95, dass dem Arbeitgeber in einer unzulässigen Betriebsvereinbarung grundsätzlich auch ein einseitiges Gestaltungsrecht eingeräumt werden kann, das dieser jedoch nur nach billigem Ermessen ausüben darf. Ein solcher Gestaltungsvorbehalt ist gemäß § 914 ABGB im Zusammenhang mit dem Grundsatz von Treu und Glauben dahin auszulegen, dass dem Arbeitgeber nur eine dem Arbeitnehmer nach billigem Ermessen zumutbare Regelungsbefugnis eingeräumt wird.

5.1 Eine andere Frage ist es, wie es sich mit in einer unzulässigen Betriebsvereinbarung dem Betriebsrat eingeräumten Gestaltungs- oder Mitwirkungsrechten verhält.

Reissner (aaO, Rz 30) vertritt dazu die Ansicht, dass ein Gestaltungsvorbehalt oder Widerrufsvorbehalt auch eine Vorgangsweise im Einvernehmen mit dem Betriebsrat ermöglichen könne. Dazu verweist er auf 8 ObA 99/04y DRdA 2005, 443 und 9 ObA 81/99y DRdA 2000, 26 [Jabornegg] = ZAS 2000, 78 [Standeker].

8 ObA 99/04y spricht zwar dafür, dass im gegebenen Zusammenhang eine Absprache zwischen Arbeitgeber und Belegschaftsvertretung grundsätzlich möglich ist, bezieht sich aber nur auf einen Änderungsvorbehalt.

9 ObA 81/99y bezieht sich auf einen Beendigungsvorbehalt und gelangt dazu zum Ergebnis, dass die Unterbrechung der Verlängerungsautomatik dem wahren Vertragspartner, also dem einzelnen Arbeitnehmer (und nicht dem Betriebsrat) gegenüber in der vertraglich vorgesehenen Form erklärt werden muss. Diese Entscheidung spricht somit gegen die Ansicht von Reissner.

5.2 Jabornegg (Glosse zu 9 ObA 81/99y in DRdA 2000, 26) führt im gegebenen Zusammenhang aus:

Wenn die unzulässige Betriebsvereinbarung nur als Vertragsschablone anzusehen ist, die ihren Geltungsgrund allein im jeweiligen Einzelarbeitsvertrag hat, so müssen auch die ursprünglich intendierten Gestaltungsbefugnisse im Verhältnis Betriebsinhaber/Betriebsrat auf das Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer umgestellt werden. […] Dies führt aber sogleich zur Frage, ob es überhaupt zulässig und wirksam ist, wenn die Parteien des Einzelarbeitsvertrags dem Betriebsrat besondere, die einzelvertraglichen Positionen (auch) des Arbeitnehmers unmittelbar gestaltende Befugnisse einräumen. Dem steht entgegen, dass die Mitbestimmungsordnung der gesetzlichen Betriebsverfassung absolut zwingend ist und daher – mangels besonderer gesetzlicher Ermächtigung – auch durch Einzelvertrag Mitwirkungsbefugnisse weder eingeschränkt noch ausgedehnt werden können. Dass man ganz allgemein durch Vertrag Rechtspositionen der Vertragspartner von Gestaltungserklärungen Dritter abhängig machen kann (vgl § 1056 ABGB), ändert nichts an der Unzulässigkeit und Rechtsunwirksamkeit solcher Vereinbarungen, wenn sie darauf abzielen, eine dem ArbVG widersprechende Gestaltung der den Betriebsrat betreffenden Mitwirkungsordnung zu etablieren. Dies gilt im besonderen auch für unzulässige Betriebsvereinbarungen und darin enthaltene Gestaltungsbefugnisse des Betriebsrats, weil andernfalls durch arbeitsvertragsrechtliche Ersatzkonstruktionen eine Quasi-Normwirkung erzeugt werden könnte, die dem die Nichtigkeit unzulässiger Betriebsvereinbarungen bewirkenden Normzweck des § 29 ArbVG unmittelbar widerspricht.“

5.3 Der Oberste Gerichtshof schließt sich diesen Erwägungen von Jabornegg im Prinzip an. In Bezug auf materielle Gestaltungsrechte, die sich auf konkrete Ansprüche der Arbeitnehmer beziehen, bleiben jedenfalls keine Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrats bestehen. Ob solche Befugnisse in Bezug auf formelle Aspekte der unzulässigen Betriebsvereinbarung, wie zB Beendigungs- oder Änderungsvorbehalte, aufrecht bleiben, muss hier nicht geklärt werden.

5.4 Im Anlassfall bewirkt die in der unzulässigen Betriebsvereinbarung enthaltene Ausschüttungsregelung, die eine „Beratung“ zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat vorsieht, eine unzulässige Erweiterung der Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrats in Bezug auf einzelvertragliche Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer. In einem solchen Fall ist eine Umdeutung in einen Gestaltungsvorbehalt des Arbeitgebers vorzunehmen, den dieser aber nur nach billigem Ermessen ausüben darf (Kietaibl, aaO Rz 48).

5.5 Das – unter Zugrundelegung der unzulässigen Betriebsvereinbarung – geradezu beliebige Rückzahlungsrecht des Arbeitgebers nach Maßgabe eines vollkommen unbestimmt definierten Überhangs im Lohnsteuertopf stellt aus Sicht der betroffenen Arbeitnehmer keine zumutbare Regelungsbefugnis innerhalb der dem Arbeitgeber zustehenden Ermessensschranke dar. Vielmehr kann eine billige Ermessensausübung nur darin gesehen werden, dass die betroffenen Arbeitnehmer nach Ablauf der Nachlauffrist einen individuellen Rückzahlungsanspruch derart haben, dass ein Überhang im Lohnsteuertopf für die jeweils maßgebende Zeitperiode im Verhältnis der Einzahlungen der betroffenen Arbeitnehmer zurückzuerstatten ist.

Zu diesem Ergebnis führte auch die ergänzende Vertragsauslegung. Die Arbeitsvertragsparteien hätten nämlich für den von ihnen nicht bedachten Fall der Unzulässigkeit der Mitwirkung des Betriebsrats und der Unbilligkeit des konkreten Gestaltungsvorbehalts eine derartige Regelung im Sinn eines effektiven Rückzahlungsanspruchs der ins Ausland entsandten Arbeitnehmer getroffen.

6.1 Insgesamt ist die zugrunde liegende unzulässige Betriebsvereinbarung somit zum Inhalt des Einzelvertrags des Klägers geworden und hat diesen hinsichtlich der Lohnvereinbarung – im Sinn einer speziellen Nettolohnvereinbarung – abgeändert. Danach wird aus den Lohnsteuerbestandteilen der betroffenen Arbeitnehmer ein Lohnsteuertopf gebildet, hinsichtlich dessen die betroffenen Arbeitnehmer eine Solidargemeinschaft bilden. Allerdings hat jeder betroffene Arbeitnehmer nach Ablauf der dreijährigen Nachlauffrist gegen den beklagten Arbeitgeber einen individuellen Rückzahlungsanspruch. Dieser ist auf die Rückzahlung des jeweiligen Überhangs im Steuertopf für die jeweils maßgebende Zeitperiode im Verhältnis der Einzahlungen der betroffenen Mitarbeiter gerichtet.

6.2 Die vereinbarte Nachlauffrist von drei Jahren soll sicherstellen, dass die ausländischen Lohnsteuerforderungen für die jeweilige Zeitperiode vorliegen und berücksichtigt werden können. Aus der Gesamtheit der Regelungen in der zugrunde liegenden unzulässigen Betriebsvereinbarung ergibt sich bei vernünftiger Betrachtungsweise, dass es sich bei der maßgebenden Zeitperiode jeweils um ein Kalenderjahr handelt. So stellt die unzulässige Betriebsvereinbarung beispielsweise auf „die Anzahl der in einem Kalenderjahr an der Steuertopfbeteiligung teilnehmenden Mitarbeiter“ ab; zudem „beträgt die Nachlauffrist drei Jahre zum Ende des Kalenderjahres“. Die Beklagte hat damit nach Ablauf der Nachlauffrist den auf das jeweilige Kalenderjahr entfallenden Überhang den für dieses Kalenderjahr erfolgten Einzahlungen der betroffenen Arbeitnehmer gegenüberzustellen.

Der Beginn der Nachlauffrist ist in der unzulässigen Betriebsvereinbarung nicht klar geregelt. Nach dem Wortlaut spricht Einiges dafür, dass diese Frist mit dem Widerruf der Teilnahmeerklärung in Verbindung steht. Der Zweck der Steuertopfregelung spricht demgegenüber dafür, den Beginn der Nachlauffrist an den letzten Auslandseinsatz des betroffenen Arbeitnehmers zu knüpfen, zumal ohne Auslandseinsatz eine Teilnahme am Lohnsteuertopf nicht mehr in Betracht kommt. Letztere Ansicht vertritt auch die Beklagte, indem sie der Annahme des Berufungsgerichts, aufgrund der „Kündigungserklärung“ des Klägers ende seine Zugehörigkeit zum Steuertopf erst im Jahr 2019, in ihrer Revisionsbeantwortung ausdrücklich entgegentritt. Außerdem hat sie schon im erstinstanzlichen Verfahren die Ansicht vertreten, dass Fälligkeit bereits eingetreten sei, weil der Kläger nach seiner letzten Entsendung im Oktober 2013 aus dem Umlageverfahren ausgeschieden sei.

Aufgrund dieses teleologischen Gesichtspunkts ist die Nachlauffrist von der Beendigung des Modells der Steuertopfbeteiligung für einen bestimmten Arbeitnehmer zu unterscheiden. Ein Arbeitnehmer kann aus dem Modell durch jederzeitigen Widerruf ausscheiden. Trotz Widerrufs gilt für ihn aber weiterhin die Nachlauffrist, die am Ende des Kalenderjahres des letzten Auslandseinsatzes anknüpft. Spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitnehmer nicht mehr am Modell der Steuertopfbeteiligung teilnehmen. Aus diesem Grund beendet die Beendigungserklärung in Bezug auf das Dienstverhältnis auch die Teilnahme an diesem Modell. Es ist sodann nur mehr die Nachlauffrist zu beachten.

6.3 Im Anlassfall hat der letzte Auslandseinsatz des Klägers im Oktober 2013 stattgefunden. Für dieses Kalenderjahr endete die Nachlauffrist Ende 2016. Der Kläger hat demnach – unter Zugrundelegung des bisherigen Vorbringens – Anspruch darauf, dass die Beklagte den Lohnsteuertopf für das Jahr 2013 abrechnet und den auf ihn entfallenden anteiligen Überhang für dieses Kalenderjahr auszahlt. Dass für dieses Jahr eine gravierende Unterdeckung vorliegen würde, wurde weder behauptet noch bestehen dafür Anhaltspunkte, zumal im Jahr 2015 immerhin eine Auszahlung aus dem Lohnsteuertopf stattfand.

6.4 Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen halten die Entscheidungen der Vorinstanzen der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht Stand. Da zur Höhe des vom Kläger geltend gemachten Rückforderungsanspruchs Feststellungen fehlen, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen in Stattgebung der Revision aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren werden die Grundsätze zur Berechnung des Rückforderungsanspruchs des Klägers mit den Parteien zu erörtern sein. Im Anschluss daran ist die Tatsachengrundlage entsprechend zu verbreitern.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO iVm § 2 ASGG.

Textnummer

E120531

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00059.17K.1220.000

Im RIS seit

06.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

27.12.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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