TE Bvwg Erkenntnis 2017/12/28 W239 2138731-1

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Veröffentlicht am 28.12.2017
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Entscheidungsdatum

28.12.2017

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W239 2138731-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.10.2016, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 23.05.2016 im österreichischen Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Zur Person des Beschwerdeführers liegt zu Polen ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 (Asylantragstellung) vom 13.05.2016 vor.

Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.05.2016 gab der Beschwerdeführer zu Beginn über Nachfrage an, dass seine schwangere Lebensgefährtin XXXX , geb. XXXX , die einen Konventionspass besitze, an einer nähere bezeichneten Adresse im Bundesgebiet lebe. Er habe Anfang 2015 den Entschluss zur Ausreise gefasst und sein Zielland sei Österreich gewesen, da seine schwangere Lebensgefährtin hier sei. Anfang Mai 2016 habe er seinen Heimatort verlassen und sei über Weißrussland nach Polen und anschließend vermutlich über Tschechien nach Österreich gelangt. Zu Polen könne er nichts sagen, da er nur einen Tag lang dort gewesen sei. Er habe um Asyl angesucht, habe diesbezüglich aber noch keine Entscheidung erhalten. Sein russischer Reisepass befinde sich bei den polnischen Behörden. Er sei dort nur zur Durchreise gewesen und wolle nun in Österreich bei seiner Lebensgefährtin bleiben.

Zur Frage, ob er in einem anderen Land ein Visum oder einen Aufenthaltstitel erhalten habe, erklärte der Beschwerdeführer, dass er ein deutsches Visum - gültig von 01.02.2016 bis 30.04.2016 - gehabt habe, das am 01.02.2016 jedoch annulliert worden sei. Er sei am 01.02.2016 mit einem Direktflug von Moskau nach München geflogen, sei am Flughafen in München kontrolliert worden und habe nicht einreisen dürfen. Das Visum sei annulliert worden, weil die Informationen des Visums im Zusammenhang mit dem Erwerb unglaubwürdig gewesen seien. Am 02.02.2016 sei er von den deutschen Behörden am Luftweg nach Moskau zurückgebracht worden.

Über Nachfrage erstattete der Beschwerdeführer ein näheres Vorbringen zu seinem (eigentlichen) Fluchtgrund und erklärte, sein zweiter Fluchtgrund sei, dass seine Lebensgefährtin, mit der er traditionell verheiratet sei, in Österreich lebe und ein Kind von ihm erwarte.

In der Folge richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 04.06.2016 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen.

Mit Schreiben vom 15.06.2016 stimmte Polen der Rückübernahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin-III-VO ausdrücklich zu.

Per E-Mail vom 24.08.2016 legte die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers dem BFA die Geburtsurkunde ihres Sohnes, einen Meldezettel und eine Heiratsurkunde vor. Laut Heiratsurkunde des Standesamtes XXXX fand am 28.05.2016 die Eheschließung zwischen dem Beschwerdeführer und XXXX statt. Der Geburtsurkunde des Standesamtes XXXX lässt sich entnehmen, dass am XXXX der gemeinsame Sohn XXXX zur Welt kam. Laut Meldeauskunft lebt der Beschwerdeführer seit 27.05.2016 mit seiner Frau im gemeinsamen Haushalt.

Nach durchgeführter Rechtsberatung fand am 05.10.2016 im Beisein eines Rechtsberaters und im Beisein der Ehegattin des Beschwerdeführers als Vertrauensperson die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu Beginn über Nachfrage an, seine Muttersprache sei Kumucki, er spreche aber auch Russisch und sei damit einverstanden, dass die Einvernahme in dieser Sprache durchgeführt werde; die Verständigung mit dem Dolmetscher sei gut. Er habe sich einer Rechtsberatung unterzogen und fühle sich psychisch und physisch in der Lage, die Befragung zu absolvieren.

Nachgefragt, ob er in Österreich oder dem Bereich der EU Familienangehörige oder Verwandte habe, zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis oder eine besonders enge Beziehung bestehe, erklärte der Beschwerdeführer, er habe hier seine Gattin, die anerkannter Flüchtling sei, und seinen Sohn. Sonst gebe es niemanden. Zur Familiengemeinschaft führte er aus, dass er bei seiner Gattin wohne. Sie seien seit 05.08.2015 traditionell verheiratet; die Heirat habe in Weißrussland stattgefunden. Sie würden sich seit dreieinhalb Jahren kennen. Vor ihrem Familienleben hier in Österreich hätten sie nicht gemeinsam gelebt, nur kurzfristig, als seine Frau zwei bis drei Wochen wegen der traditionellen Heirat in Weißrussland gewesen sei. Der Beschwerdeführer erhalte seit Juli monatlich 215,-- EUR an Grundversorgung. Seine Ehegattin sei in Karenz und bekomme etwa 850,-- EUR Karenzgeld. Sie finanziere den gemeinsamen Unterhalt. Sie würden das Geld aus der Grundversorgung und das Karenzgeld immer zusammenlegen und daraus gemeinsam den Haushalt finanzieren, beispielsweise den Kauf von Lebensmitteln. In der jetzigen Wohnung würden sie seit vier Monaten zusammen leben. Sie hätten sie gemeinsam gefunden und stünden beide im Mietvertrag. Davor habe die Frau des Beschwerdeführers bei ihren Eltern gelebt. Sie sei bereits seit 15 Jahren in Österreich und seit etwa zehn Jahren anerkannter Flüchtling.

Die Ehegattin wurde sodann gefragt, ob sie im Besitz eines Konventionsreisepasses sei und die Möglichkeit habe, den Beschwerdeführer in Polen zu besuchen, und ihn, wenn er sich in Polen aufhalte, finanziell zu unterstützen. Dazu gab sie an, dass die Reise zu schwer sei für sie und ihr Kind. Das sei zu weit und zu kostenintensiv. Dagegen, dass sie ihren Mann finanziell unterstütze, wenn er sich in Polen befinde, spreche nichts.

Über Nachfrage, ob seine Frau wegen der traditionellen Heirat in die Russische Föderation gekommen sei, erklärte der Beschwerdeführer, seine Frau sei nur nach Weißrussland geflogen.

Dem Beschwerdeführer wurde sodann mitgeteilt, dass aufgrund der Zustimmung Polens geplant sei, seine Außerlandesbringung nach Polen zu veranlassen. Dazu brachte er vor, dass er nicht nach Polen zurück könne, da er seine Frau und sein Kind hier in Österreich habe und mit ihnen zusammenleben wolle. Er könne sich nicht vorstellen, ohne seine Familie zu leben. Der Beschwerdeführer sei nur einen Tag in Polen gewesen und sei danach gleich nach Österreich zu seiner Frau weitergereist. Er habe in Polen bereits eine polizeiliche Einvernahme gehabt. Eine Entscheidung sei ihm nicht mitgeteilt worden, da er dies nicht abgewartet habe und gleich weitergereist sei. Seine Frau sei hochschwanger gewesen und deswegen habe er so schnell wie möglich nach Österreich kommen wollen. Zu den aktuellen Länderfeststellungen zu Polen wolle er keine Stellungnahme abgeben, da er sich nicht vorstellen könne, dorthin zurückzukehren. Er hoffe, dass er nicht von seiner Familie getrennt werde; er könne ohne sein Kind nicht leben.

Der anwesende Rechtsberater stellte sodann den Antrag auf Zulassung des Verfahrens aufgrund von Art. 9 Dublin-III-VO, da die Frau des Beschwerdeführers in Österreich anerkannter Flüchtling sei. Der Beschwerdeführer ersuchte abschließend noch einmal darum, nicht nach Polen zurückgeschickt zu werden. Er könne sich nicht vorstellen, von seiner Frau und seinem Kind getrennt zu sein. Er bemühe sich, Deutsch zu lernen, und wolle anfangen zu arbeiten, sobald er eine Arbeitserlaubnis habe. Er wolle nicht von Sozialhilfe oder der Grundversorgung leben. Er hoffe auf Gerechtigkeit.

Der Beschwerdeführer legte im Verfahren folgende Originaldokumente vor, die als Kopie zum Akt genommen wurden:

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Russischer Führerschein

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Russischer Reisepass

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Russische Geburtsurkunde

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.10.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin-III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG gegen den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 und/oder Art. 8 EMRK im Falle einer Überstellung des Beschwerdeführers ernstlich für möglich erscheinen ließe, sei im Verfahren nicht erstattet worden. Der Beschwerdeführer sei gesund; es könne nicht festgestellt werden, dass in seinem Fall eine schwere psychische Störung und/oder schwere oder ansteckende Krankheit bestehe. Er verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich, nämlich über seine Frau und seinen Sohn, welchen beiden der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Festgestellt wurde weiters, dass die standesamtliche Heirat in Österreich erst nach der Asylantragstellung in Polen stattgefunden habe. Art. 9 Dublin-III-VO komme daher nicht zur Anwendung. Vor der Asylantragstellung in Polen hätten keine standesamtlich geschlossene Ehe, kein gemeinsamer Haushalt und kein Familienleben bestanden. Das Familienleben habe erst mit der illegalen Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich begonnen. Außer der Frau und dem Sohn gebe es keine weiteren Verwandten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Es könne nicht festgestellt werden, dass eine besondere Integrationsverfestigung seiner Person in Österreich bestehe. Im Rahmen der durchgeführten Güterabwägung nach Art. 8 EMRK sei die Ausweisung des Beschwerdeführers aus Österreich aus näher dargelegten Gründen gerechtfertigt. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergeben.

3. Gegen den Bescheid des BFA erhob der Beschwerdeführer durch seine Vertretung am 27.10.2016 rechtzeitig das Rechtmittel der Beschwerde und hielt fest, dass der Bescheid vollinhaltlich angefochten werde. Gleichzeitig wurde der Antrag gestellt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Inhaltlich wurde auf das bereits erstattete Vorbringen verwiesen und ausgeführt, hinsichtlich Art. 8 EMRK zusammengefasst ausgeführt, dass die Gattin des Beschwerdeführers als Drittstaatsangehörige aufgrund ihrer Flüchtlingseigenschaft zwar zur visumsfreien Einreise nach Polen berechtigt sei und sich dort 90 Tage aufhalten könne, sie könne in Polen aber keine Niederlassung begründen. Somit sei eine Fortführung des Familienlebens in Polen nicht möglich. Es sei ihr weder finanziell noch hinsichtlich des Aufwandes, mit einem Kleinkind zu reisen, zumutbar, den Beschwerdeführer in regelmäßigen Abständen in Polen zu besuchen. Ebenso sei es nicht zumutbar, die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn, die vor allem körperliche Nähe und nonverbale Kommunikation voraussetze, durch moderne Kommunikationsmittel wie Internat, Skype, Telefon etc. aufrecht zu erhalten. Die belangte Behörde habe das Wohl des Kindes des Beschwerdeführers bei seiner durchgeführten Interessensabwägung gänzlich unberücksichtigt gelassen.

Zudem wurde in der Beschwerde festgehalten, dass die Länderberichte zu Polen mangelhaft und veraltet seien. Auch die rechtliche Beurteilung des Dublin-Sachverhaltes sei mangelhaft, da Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-VO keine zuständigkeitsbegründende Norm sei.

4. Die Beschwerdevorlage der Beschwerde vom 27.10.2016 langte am 03.11.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.11.2016 wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

5. Mit Schreiben vom 12.12.2017 wurde dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Polen (Stand: 14.11.2017) zur Kenntnis gebracht und ihm seitens des Bundesverwaltungsgerichtes im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit gegeben, dazu sowie zum Bestehen seines Privat- und Familienlebens im Sinne von Art. 8 EMRK eine Stellungnahme abzugeben.

In der am 20.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangten Stellungnahme wurde zum Familienleben des Beschwerdeführers zusammengefasst Folgendes ausgeführt: Der Beschwerdeführer sei mit XXXX verheiratet, welche seit 2006 in Österreich asylberechtigt sei und bereits seit 16 Jahren in Österreich lebe. Das Paar sei bereits seit 05.08.2015 traditionell verheiratet und sei die Ehe in Österreich am 28.05.2016 auch standesamtlich geschlossen worden. Am XXXX sei der gemeinsame Sohn XXXX zur Welt gekommen, dem im August 2016 der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei. Die Familie lebe nunmehr seit mehr als 17 Monate im selben Haushalt und führe ein liebevolles und beständiges Familienleben. Der Beschwerdeführer kümmere sich seit der Geburt seines Sohnes fürsorglich um sein Wohlergehen und strebe danach, seinem Kind die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung zu ermöglichen. Er versorge das Kind, pflege es, spiele mit ihm und gehe täglich mit ihm spazieren. Zwischen dem Beschwerdeführer und dem Sohn sei eine besonders enge Beziehung entstanden.

Im österreichischen Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern sei das "Kindeswohlvorrangigkeitsprinzip" fest verankert; dieses sei ein verbindlicher Orientierungsmaßstab für Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung sowie für die Leistungen staatlicher und privater Einrichtungen. Demnach habe jedes Kind Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies stehe seinem Wohl entgegen.

Die Frau des Beschwerdeführers habe vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes in einem näher bezeichneten Geschäft in einem Einkaufzentrum gearbeitet; wenn sie wieder ins Berufsleben einsteigen werde, werde der Beschwerdeführer seine elterlichen Fürsorgepflichten wahrnehmen und sich um das Kind und den Haushalt kümmern. Die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn könne nicht im Wege moderner Kommunikationsmittel wie Skype, Telefon etc. aufrechterhalten werden.

Im Haushalt der Familie werde sowohl Deutsch als auch Russisch gesprochen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers, die Deutsch auf Muttersprachenniveau spreche, lege großen Wert darauf, dass ihre Ehemann und ihr Sohn die deutsche Sprache rasch erlernen würden. Der Beschwerdeführer besuche regelmäßig einen Deutschkurs. Zum Beweis dafür werde eine Teilnahmebestätigung vorgelegt.

Der Beschwerdeführer habe sich darüber hinaus schon gut in der Wohnsitzgemeinde integriert. Da er ausgebildeter Sporttrainer sei, zeige er den ansässigen Jugendlichen oftmals Wege des effektiven Trainings und dies werde von den jugendlichen dankbar angenommen. Dadurch habe sich der Beschwerdeführer bereits ein soziales Umfeld geschaffen, in dem er sich sehr wohl fühle. Eine Außerlandesbringung des Beschwerdeführers stelle daher insgesamt einen unverhältnismäßigen und unzulässigen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK dar.

Betreffend die Länderberichte zu Polen wurde in der Stellungnahme festgehalten, dass Polen den Grundsatz des "Non-Refoulement" weiterhin verletze, die Versorgung von Asylwerbern in Polen nicht gewährleistet sei und, dass administrative Anhaltung - auch von Familien - nicht als letztmögliches Mittel verwendet werde. Der Beschwerdeführer werde im Falle einer Überstellung nach Polen daher auch in seinen Rechten gemäß Art. 3 EMRK verletzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste illegal aus einem Drittstaat kommend (Weißrussland) über Polen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten ein, wo er am 13.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. In der Folge gelangte der Beschwerdeführer illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte hier am 23.05.2016 den nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Das BFA richtete am 04.06.2016 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen; mit Schreiben vom 15.06.2016 stimmte Polen der Rückübernahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin-III-VO ausdrücklich zu.

Das Bundesverwaltungsgericht trifft zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Polen folgende Feststellungen (Stand: 14.11.2017):

Allgemeines zum Asylverfahren

In erster Instanz für das Asylverfahren in Polen zuständig ist das Office for Foreigners (Urzad do Spraw Cudzoziemcow, UDSC), das dem Innenministerium untersteht. Es gibt ein mehrstufiges Asylverfahren mit Beschwerdemöglichkeiten: ( )

(AIDA 2.2017; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle)

Quellen:

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AIDA – Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 3.11.2017

Dublin-Rückkehrer

Es gibt keine Berichte über Zugangshindernisse zum Verfahren für Dublin-Rückkehrer. Personen, die im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Polen zurückkehren, müssen bei der Grenzwache einen Asylantrag stellen oder die Wiedereröffnung eines etwaigen vorherigen Verfahrens beantragen. So eine Wiedereröffnung ist innerhalb von neun Monaten ab dessen Einstellung möglich. Sind diese neun Monate verstrichen, wird ihr Antrag als Folgeantrag betrachtet und auf Zulässigkeit geprüft. 2016 gab es keinen einzigen Fall, in dem ein Verfahren innerhalb der Neun-Monatsfrist wiedereröffnet worden wäre. Viele Rückkehrer zogen hingegen die freiwillige Rückkehr ins Herkunftsland einer Wiedereröffnung ihrer Verfahren vor. Dublin-Rückkehrer sind zu denselben Bedingungen zu Versorgung in Polen berechtigt wie alle anderen Antragsteller (AIDA 2.2017; vgl. EASO 24.10.2017).

Das medizinische Personal der Grenzwache beurteilt den Gesundheitszustand eines Rückkehrers nach seiner Überstellung nach Polen, auch im Hinblick auf seine speziellen Bedürfnisse. Außerdem werden im Einvernehmen mit dem Fremdenamt (UDSC) und dem medizinischen Personal die Möglichkeiten der Anpassung der Aufenthaltsverhältnisse in Polen an die gesundheitliche Situation des Antragstellers bzw. die eventuelle Notwendigkeit, ihn in einer fachlichen medizinischen Einrichtung unterzubringen, abgesprochen. Abhängig von dem Zustand der motorischen Fähigkeit des Ausländers stellt die Grenzwache den Transport eines bedürftigen Rückkehrers zum Aufnahmezentrum, einer medizinischen Einrichtung (falls er einer sofortigen Hospitalisierung bedarf) oder einer fachlichen medizinischen Einrichtung sicher. Personen mit einer vorübergehenden oder dauerhaften motorischen Behinderung, die eines Rollstuhls bedürfen, werden in einem für die Bedürfnisse der motorisch Behinderten angepassten Zentrum untergebracht. Falls der Ausländer einer Rehabilitation bedarf, wird medizinische Ausrüstung sichergestellt. Das medizinische Personal des Flüchtlingszentrums bestimmt die Bedürfnisse des Rückkehrers im Bereich der Rehabilitation und der medizinischen Ausrüstung. Es besteht die Möglichkeit, eine vom Arzt verordnete Diät anzuwenden. Das Fremdenamt garantiert einen Transport zu fachärztlichen Untersuchungen oder Rehabilitation. Der Transport zu ärztlichen Terminen in medizinischen Einrichtungen wird garantiert. Antragsteller, die schwer behindert, pflegebedürftig oder bettlägerig sind, deren Pflege in einem Flüchtlingszentrum nicht gewährleistet werden kann, werden in speziellen Pflegeanstalten oder Hospizen untergebracht. Diese Einrichtungen garantieren medizinische Leistungen samt der notwendigen Rehabilitation für Behinderte rund um die Uhr und professionell ausgebildetes Personal (VB 7.7.2017).

Quellen:

-

AIDA – Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

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EASO – European Asylum Support Office (24.10.2017): EASO Query.

Subject: Access to Procedures and Reception Conditions for persons transferred back from another Member State of the Dublin regulation, per E-Mail

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VB des BM.I in Polen (7.7.2017): Bericht der polnischen Asylbehörde, per E-Mail

Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable

Als vulnerabel gelten in Polen laut Gesetz Minderjährige, Behinderte, Alte, Schwangere, alleinerziehende Elternteile, Opfer von Menschenhandel, ernsthaft Kranke, psychisch Beeinträchtigte, Folteropfer und Opfer psychischer, physischer bzw. sexueller Gewalt. Am Anfang und während des Asylverfahrens sind vom Gesetz gewisse medizinische und psychologische Identifikationsmechanismen vorgesehen und werden auch angewendet, wenn auch die Initiative dazu oft vom Antragsteller ausgehen muss. An der Grenze wendet die Grenzwache eigene Identifizierungsmechanismen für Vulnerable an, die von NGOs als ungenügend kritisiert werden. Einige NGOs behaupten, dass das im polnischen Gesetz vorgesehene Identifikationssystem für Vulnerable in der Praxis nicht funktioniere (AIDA 2.2017).

Die für die medizinische Versorgung von Asylwerbern in Polen zuständige Vertragsfirma Petra Medica ist vertraglich verpflichtet, einen Früherkennungsmechanismus für Vulnerable zu betreiben. Psychologische Versorgung inklusive Übersetzung ist in allen Unterbringungseinrichtungen vorhanden. Verfahren vulnerabler Personen werden priorisiert und alle Beamten im Umgang mit Vulnerablen geschult. Das Verfahren zur Identifizierung Vulnerabler wurde im Zuge eines Projekts mit einer NGO entwickelt. Die Bewertung spezieller Bedürfnisse geschieht durch einen Arzt während der Erstuntersuchung (epidemiologischer Filter). Werden psychische Probleme erkannt, wird der Betreffende zu einem Psychologen überwiesen. Wenn zu einem späteren Zeitpunkt Hinweise auf Vulnerabilität aufkommen, wird ebenfalls eine psychologische Untersuchung veranlasst. Gleiches gilt bei Hinweisen auf Folter. Wenn auch von NGOs behauptet wird, die Identifizierung der Vulnerabilität funktioniere in der Praxis nicht immer, kann Polen dennoch als positives Beispiel genannt werden, da der Identifikationsmechanismus verpflichtend ist, und konkrete Umsetzungsmaßnahmen festgelegt wurden (HHC 5.2017).

In Polen gibt es drei NGOs, die sich auf die psychologische Betreuung von vulnerablen Asylwerbern spezialisieren. Die NGO International Humanitarian Initiative arbeitet in Warschau und besucht nötigenfalls auch geschlossene Einrichtungen. Sie betreiben auch das Projekt "Protect” für Folteropfer. Die NGO Ocalenie Foundation arbeitet auch in Warschau und hat einen Psychologen, der Russisch und Englisch spricht. Die dritte ist die Stiftung Ró?nosfera, welche 2015-2016 ein Projekt mit Grenzwache und Asylbehörde zur Identifizierung von Vulnerablen betrieben hat. Andere NGOs bieten psychologische Hilfe aus finanziellen Gründen nur eingeschränkt und unregelmäßig an (AIDA 2.2017).

Antragsteller mit besonderen Bedürfnissen sind auch entsprechend unterzubringen. Einige der Unterbringungszentren in Polen sind behindertengerecht angepasst. Drei Zentren haben spezielle Eingänge und Bäder für Rollstuhlfahrer, sieben andere Zentren haben gewisse Verbesserungen für diese Gruppe umgesetzt, und es gibt Rehabilitationsmaßnahmen. Traumatisierte Asylwerber (etwa Folteropfer) können in Einzelzimmern untergebracht werden. In Warschau gibt es ein Zentrum, speziell für alleinstehende Frauen mit Kindern. Es gibt spezielle Gegenmaßnahmen der Behörden in Kooperation mit UNHCR und NGOs (sogenannte Local Cooperation Teams) gegen geschlechterbasierte Gewalt in den Unterbringungszentren (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017).

Wenn Zweifel an der Minderjährigkeit eines Antragstellers bestehen, ist, mit Zustimmung des Antragstellers bzw. seines Vertreters, eine medizinische Altersfeststellung vorgesehen. Es gibt drei Möglichkeiten hierfür: allgemeine Untersuchung, Handwurzelröntgen und Zahnuntersuchung, in dieser Reihenfolge. Im Zweifelsfall wird die Minderjährigkeit angenommen. Wird die Zustimmung zur Altersfeststellung verweigert, wird der Betreffende als Erwachsener behandelt. Die Gesetze sehen vor, dass für unbegleitete Minderjährige auf Antrag der Asylbehörde vom lokalen Bezirksfamiliengericht ein Vormund (kurator) bestimmt werden muss, was in der Praxis auch ausnahmslos der Fall ist. Die Frist zur Bestellung beträgt drei Tage. Es gibt keine Berichte zur Einhaltung dieser Regel. Der Vormund ist nur für das Asylverfahren zuständig, nicht für andere Lebensbereiche des UMA. In den letzten Jahren gab es in der Praxis Probleme mit der zu geringen Zahl an Kandidaten für eine Vormundschaft. Meist wurden NGO-Mitarbeiter oder entsprechend engagierte Rechtswissenschaftsstudenten bestellt. Der Vormund soll während des Asylinterviews des unbegleiteten Minderjährigen anwesend sein, ebenso ein Psychologe (AIDA 2.2017).

Unbegleitete Minderjährige (UM) werden nicht in den herkömmlichen Unterbringungszentren für Asylwerber, sondern in verschiedenen Kinderschutzeinrichtungen in ganz Polen untergebracht. Auch die Unterbringung in Pflegefamilien ist möglich. 2016 waren die meisten UM (142 Anträge von UM gab es in jenem Jahr) in Einrichtungen in K?trzyn, in der Nähe des dortigen Unterbringungszentrums untergebracht, andere auch in Przemy?l oder Rzeszów. Wenn das Asylverfahren negativ ausgeht, bleibt der UM in der Unterbringung, in der er sich befindet. 2016 wurden zwölf Verfahren von UM eingestellt, weil sich diese dem Verfahren entzogen (absconded) (AIDA 2.2017). Unbegleitete Minderjährige unter 15 Jahren dürfen nicht in geschlossenen Einrichtungen untergebracht werden (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AIDA – Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017

Non-Refoulement

Gemäß polnischem Asylgesetz gilt ein Asylantrag als unzulässig, wenn ein anderes Land existiert, in dem der Antragsteller als Flüchtling behandelt wird und dort Schutz genießen kann bzw. in anderer Form vor Refoulement geschützt ist (first country of asylum). 2016 gab es in Polen 770 Unzulässigkeitsentscheidungen, aber es gibt keine Daten, wieviele davon auf die genannte Regelung zurückgehen (AIDA 2.2017).

Es gibt Berichte, wonach immer wieder potentiellen Antragstellern an der Grenze zu Weißrussland die Einreise nach Polen und der Zugang zum Asylverfahren verwehrt wird (AIDA 2.2017). Stattdessen werden sie nach Belarus zurückgeschickt. Die Grenzwache sagt, dass jene, denen die Einreise verweigert wurde, Wirtschaftsmigranten ohne Visa gewesen seien, die lediglich nach Westeuropa weiterreisen wollten (USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017). NGOs kritisieren, dass die Grenzwache diese Erkenntnis aus lediglich rudimentären zwei- bis dreiminütigen Befragungen (pre-screening interviews) gewinne. Das polnische Außenministerium wiederum sagt, dass das Gebiet, auf dem diese pre-screening interviews stattfinden, nicht polnisches Territorium sei (HRW 15.6.2017). Es wird weiter kritisiert, dass Belarus über kein funktionierendes Asylsystem verfüge, und daher die hauptsächlich tschetschenischen bzw. zentralasiatischen Schutzsuchenden einem Risiko ausgesetzt seien, in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt zu werden und dort Opfer von Folter oder Misshandlung zu werden. Diese Praxis dauert angeblich trotz mehrerer interim measures des EGMR weiter an (AI 5.7.2017).

Quellen:

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/336602/479283_de.html, Zugriff 10.11.2017

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AI - Amnesty International (5.7.2017): Public Statement: Poland:

EU Should Tackle Unsafe Returns to Belarus, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1499329689_eur3766622017english.pdf, Zugriff 10.11.2017

-

AIDA – Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

-

HRW - Human Rights Watch (15.6.2017): Poland Ignores European Court Over Return of Asylum Seeker, https://www.ecoi.net/local_link/341960/485286_de.html, Zugriff 10.11.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017

Versorgung

Asylwerber müssen sich binnen zwei Tagen ab Antragstellung in einem Erstaufnahmezentrum registrieren, ansonsten wird das Verfahren eingestellt. Ab Registrierung im Erstaufnahmezentrum sind sie während des gesamten Asylverfahrens sowie ohne Unterschied zu materieller Unterstützung berechtigt, auch im Zulassungs- und im Dublinverfahren sowie bei Folgeanträgen und während laufender erster Beschwerde. Wenn Antragsteller nach einer erfolglosen Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid den Beschwerdeweg weiter beschreiten (Beschwerde an den Voivodeship Administrative Court in Warschau; 2. Beschwerdeinstanz), wird ihnen das Recht auf Versorgung aberkannt. Wenn das Gericht die angefochtene Entscheidung suspendiert, wird dem Beschwerdeführer das Recht auf Versorgung wieder zuerkannt. Jedoch hat der Voivodeship Administrative Court dies im Jahr 2016 meist nicht getan, was dazu führte, dass die betroffenen Beschwerdeführer ohne staatliche Versorgung blieben (AIDA 2.2017).

Generell werden Unterbringung, materielle Hilfe und Gesundheitsversorgung bis zu zwei Monate nach der endgülitigen Entscheidung im Asylverfahren (positiv wie negativ) gewährt. Wird das Verfahren allerdings schlicht eingestellt (z.B. in der Zulassungsphase), verkürzt sich dieser Zeitraum auf 14 Tage. Da Antragsteller mit einer abschließend negativen Entscheidung Polen binnen 30 Tagen zu verlassen haben und keine Versorgung mehr gewährt wird, wenn sie diese Frist zur freiwilligen Ausreise verstreichen lassen, werden sie in der Praxis nur für 30 Tage weiterversorgt. Einzelne Asylwerber berichten jedoch, dass ihnen sogar ein längerer Verbleib im Zentrum gestattet wurde als rechtlich vorgesehen. Versorgung wird in Polen auch ohne Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des AW gewährt. Für AW, die außerhalb des Zentrums wohnen, gibt es eine Zulage (AIDA 2.2017).

Quellen:

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AIDA – Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

Unterbringung

Asylwerber, die in einem Zentrum leben, erhalten Unterkunft, medizinische Versorgung, Mahlzeiten (oder PLN 9,-/Tag für Selbstverpflegung), Taschengeld (PLN 50,-/Monat), Geld für Hygieneartikel (PLN 20,-/Monat), eine Einmalzahlung für Bekleidung (PLN 140,-), einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten) und Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Asylwerber, die außerhalb der Zentren leben, erhalten eine finanzielle Beihilfe (von PLN 25,-/Tag für eine Einzelperson; bis hin zu PLN 12,50/Tag und Person für Familien mit vier oder mehr Familienmitgliedern), einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten), Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung. 2016 erhielten durchschnittlich 1.735 Asylwerber Versorgung innerhalb der Zentren und 2.416 außerhalb der Zentren. Die Höhe der Unterstützungen liegt unter dem sogenannten "sozialen Minimum” und wird als zu gering kritisiert, um in Polen außerhalb der Zentren einen angemessenen Lebensstandard führen zu können. Vor allem Mieten in Warschau, wo die meisten AW ihr Asylverfahren abwickeln, sind damit schwer abzudecken. Dies trage dazu bei, dass AW oft zu mehreren in beengten Wohnungen oder unsicheren Verhältnissen lebten und oft illegaler Beschäftigung nachgehen müssten. Selbst für Familien reiche die Unterstützung gerade einmal für die Miete (AIDA 2.2017).

In Polen gibt es elf Unterbringungszentren mit insgesamt 2.331 Plätzen. Zwei der Zentren dienen der Erstaufnahme. Mit Überbelegung gibt es keine Probleme. Alle Zentren unterstehen der polnischen Asylbehörde UDSC, sieben der Zentren werden von Vertragspartnern geführt. Die Unterbringungsbedingungen in den Zentren sind unterschiedlich. Gewisse Grundlagen müssen erfüllt werden, der Rest ist abhängig vom Willen und den finanziellen Möglichkeiten des Vertragspartners. Es gibt keine speziellen Zentren für AW im Grenzverfahren oder in Transitzonen (AIDA 2.2017).

Antragsteller dürfen sechs Monate nach Antragstellung arbeiten. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist wegen mangelnden Sprachkenntnissen usw. in der Praxis aber potentiell schwierig (AIDA 2.2017).

Es gibt spezielle Gegenmaßnahmen der Behörden in Kooperation mit UNHCR und NGOs (sogenannte Local Cooperation Teams) gegen geschlechterbasierte Gewalt in den Unterbringungszentren (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017). UNHCR und NGOs berichten über keine größeren oder anhaltenden Probleme von Missbrauch in den Zentren (USDOS 3.3.2017).

Polen verfügt außerdem über sechs geschlossene Unterbringungszentren (guarded centers) in Bia?a Podlaska, Bia?ystok, Lesznowola, K?trzyn, Krosno Odrza?skie, und Przemy?l mit zusammen 510 Plätzen (AIDA 2.2017).

Quellen:

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AIDA – Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017

Medizinische Versorgung

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Asylwerber in Polen mit laufendem Asylverfahren haben bezüglich medizinischer Versorgung, mit der Ausnahme von Kurbehandlungen, dieselben Rechte wie polnische Staatsbürger. Aufgrund einer Vereinbarung mit der polnischen Asylbehörde ist die Firma Petra Medica für die medizinische Versorgung von Asylwerbern verantwortlich, genauer medizinische Basisversorgung, Spezialbehandlung, Zahnbehandlung, Versorgung mit Medikamenten und psychologische Betreuung. Die psychologische Betreuung steht sowohl in den Asylzentren, wenn Asylwerber dort wohnhaft sind, aber auch in den Beratungsstellen der Asylbehörde in Warschau, für die diejenige, die außerhalb der Zentren wohnen, zur Verfügung. Die folgenden Leistungen werden im Rahmen der psychologischen Betreuung angeboten:

psychologische Unterstützung, Bildungsaktivitäten, Psychotherapie in Form einer kognitiven Verhaltenstherapie und Krisenintervention. Die erwähnten Maßnahmen basieren auf Standards der polnischen Psychologischen Vereinigung. Wenn die Notwendigkeit einer fachärztlichen Behandlung festgestellt wird, wird der Patient entsprechend seines Alters in eine Klinik für psychische Gesundheit für Kinder oder Erwachsene eingewiesen (UDSC 19.6.2017).

Asylwerber in Polen haben ab Antragstellung das Recht auf medizinische Versorgung, das auch dann weiterbesteht, wenn die materielle Versorgung, aus welchen Gründen auch immer, reduziert oder eingestellt wird. Gesetzlich garantiert ist medizinische Versorgung im selben Ausmaß wie für versicherte polnische Staatsbürger. Die medizinische Versorgung von AW wird öffentlich finanziert. Seit 1.7.2015 wird die medizinische Versorgung von AW durch die Vertragsfirma Petra Medica gewährleistet. Sie umfasst in jedem Unterbringungszentrum auch psychologische Versorgung. Pro 120 AW sind vier Stunden Zuwendung durch einen Psychologen vorgesehen. Das umfasst Identifizierung von Vulnerablen und grundlegende Behandlung. AW können aber auch an Psychiater oder psychiatrische Einrichtungen überwiesen werden. NGOs zeigen sich damit nicht zufrieden, beklagen den Mangel an PTSD-Behandlungen und einige NGOs meinen sogar, die spezialisierte Behandlung von traumatisierten AW und Folteropfern wäre in Polen nicht möglich. Zusätzlich bieten NGO-Psychologen in Unterbringungszentren ihre Dienste an, in manchen Zentren aber nicht regelmäßig. Die Psychologen in den Unterbringungszentren sprechen in der Regel auch Russisch. Darüber hinausgehende Übersetzung wird durch die zuständige Abteilung der Petra Medica gewährleistet. Manchmal ist bei der medizinischen Behandlung die Übersetzung bzw. mangelnde interkulturelle Kompetenz des medizinischen Personals ein Problem. Ebenfalls ein Problem ist, dass einige der Spitäler, die mit Petra Medica in der Behandlung von Asylwerbern zusammenarbeiten, weit von den Unterbringungszentren entfernt liegen, während die nächstgelegenen medizinischen Einrichtungen von Asylwerbern nur im Notfall frequentiert werden dürfen (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017).

Petra Medica ist aufgrund einer Vereinbarung mit der polnischen Asylbehörde verantwortlich für die medizinische Versorgung von Asylwerbern in Polen. In den Empfangszentren wird ein Gesundheits-Check, darunter auch der sogenannte epidemiologische Filter auf Tuberkulose, Infektionskrankheiten, Geschlechtskrankheiten und parasitäre Erkrankungen, vorgenommen. In den Unterbringungszentren wird ambulante medizinische Versorgung, darunter medizinische Grundversorgung, Zahnbehandlung, psychologische Betreuung und Versorgung mit Medikamenten geboten. Wenn nötig, werden Patienten für Tests oder Spezialbehandlung in medizinische Einrichtung der Petra Medica oder andere Vertragseinrichtungen überwiesen. Psychologische Betreuung findet im Zentrum statt, in Spezialfällen kann auch in spezialisierte Kliniken überwiesen werden. Rehabilitationsmaßnahmen sind mit Genehmigung der Abteilung Sozialwohlfahrt der UDSC möglich. Wenn AW außerhalb der Zentren leben, erhalten sie die Behandlung ebenfalls in den oben genannten Einrichtungen oder in relevanten Einrichtungen in den Hauptstädten der Woiwodschaften (Verwaltungsbezirke, Anm.). Wenn nötig, kann eine Überweisung in das nächstgelegene Krankenhaus erfolgen, das mit Petra Medica zusammenarbeitet. Außerhalb des Zentrums konsumierte Leistungen werden über Petra Medicas Patient Registration Coordinator serviciert (werktags zu den Bürozeiten). Wenn ein Patient sich dorthin wendet und er die nötigen Daten bereitstellen kann, wird die Behandlung genehmigt, Einrichtung und Datum für die Durchführung der Leistung ermittelt und dem Betreffenden mitgeteilt. Bei Akutfällen, in der Nacht und an Feiertagen, stehen entweder die übliche landesweite Versorgung bzw. medizinische Notdienste zur Verfügung. Um in den Unterbringungszentren und beim Foreigner Service Team Medikamente zu erhalten, ist eine entsprechende Verschreibung nötig. Wer außerhalb der Zentren lebt und Sozialhilfezahlungen erhält, kann verschriebene Medikamente erhalten, indem er das Rezept an Petra Medica schickt oder diese selbst kauft und sich die Kosten hinterher ersetzen lässt (UDSC 12.12.2016; vgl. PM o.D.).

Quellen:

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AIDA – Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017

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MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016):

Auskunft MedCOI, per E-Mail

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PM – Petra Medica (o.D.): Opieka medyczna dla Cudzoziemców, http://www.petramedica.pl/nasza-oferta/oferta-dla-pacjentow-indywidualnych/opieka-medyczna-dla-cudzoziemcow, Zugriff 10.11.2017

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UDSC - Urz?d do Spraw Cudzoziemców (12.12.2016): Auskunft der polnischen Asylbehörde, per E-Mail

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UDSC – Urz?d do Spraw Cudzoziemców (19.6.2017): Auskunft der polnischen Asylbehörde, per E-Mail

Schutzberechtigte

Internationaler Schutz wird unbefristet erteilt. Die Aufenthaltskarte, welche die Nutznießer erhalten, ist aber immer nur für drei Jahre gültig (verlängerbar). Subsidiärer Schutz sowie Humanitärer Schutz werden ebenfalls unbefristet erteilt. Die Aufenthaltskarte, welche die Nutznießer in beiden Fällen erhalten, ist aber immer nur für zwei Jahre gültig (verlängerbar). Nach frühestens fünf Jahren legalen Aufenthalts in Polen können Fremde unter bestimmten Voraussetzungen eine Langzeitaufenthaltsberechtigung beantragen (AIDA 2.2017).

Schutzberechtigte dürfen nach Erhalt der Entscheidung noch für max. zwei Monate in der Unterbringung für Asylwerber bleiben. Sie genießen volle Niederlassungsfreiheit in ganz Polen. Der Staat bietet keine eigenen Unterbringungsmöglichkeiten für Schutzberechtigte, nur einige Gemeinden bieten spezielle Wohnungen zu diesem Zweck an (z.B. fünf pro Jahr in Warschau). Innerhalb des zwölf Monate dauernden Individual Integration Program (IPI), erhalten Schutzberechtigte jedoch eine Zulage für das Anmieten einer Wohnung. Berichten zufolge vermieten aber viele Vermieter nicht gerne an Flüchtlinge bzw. verlangen höhere Mieten. Manche NGOs meinen, Flüchtlinge würden sich in Polen Obdachlosigkeit und Armut gegenübersehen. Schutzberechtigte haben in Polen vollen Zugang zum Arbeitsmarkt wie polnische Bürger, jedoch sind in der Praxis Sprachkompetenz und Qualifikation der Flüchtlinge oft ein Problem. Schutzberechtigte haben Zugang zum allgemeinen polnischen Sozialsystem wie polnische Bürger auch. Humanitär Aufenthaltsberechtigte oder Geduldete (tolerated stay) haben lediglich Zugang zu Unterbringung, Verpflegung, Kleidung und speziell gewidmeten Leistungen. Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte müssen sich krankenversichern und haben dann Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem wie polnische Bürger. Innerhalb des zwölf Monate dauernden Individual Integration Program (IPI), wird die Krankenversicherung noch von der öffentlichen Hand übernommen, danach muss diese entweder von einem etwaigen Arbeitgeber oder vom Schutzberechtigten selbst übernommen werden. Kinder unter 18 Jahren haben immer Zugang zu medizinischer Versorgung, die in ihrem Fall voll vom Staat übernommen wird. Die Krankenversicherung in Polen deckt die meisten medizinischen Behandlungen ab, lediglich einige Zahnbehandlungen, Medikamentenkosten und einige Heilbehelfe sind nicht umfasst. Das Polish Centre for Rehabilitation of Torture Victims der Foundation International Humanitarian Initiative bietet Folteropfern und Traumatisierten im Rahmen von Projekten Hilfe (AIDA 2.2017).

Quellen:

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AIDA – Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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