TE Vwgh Erkenntnis 2000/6/16 96/21/0936

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Veröffentlicht am 16.06.2000
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Index

22/02 Zivilprozessordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §7 Abs1;
AsylG 1991 §7 Abs3;
AsylG 1991 §7 Abs4;
AVG §45 Abs2;
AVG §47;
AVG §56;
ZPO §292;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des S (geboren am 16. Juli 1963) in Linz, vertreten durch Dr. Gernot Müller, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 27. September 1996, Zl. St 373/96, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 27. September 1996 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß § 15, 17 und 19 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 22. September 1992 versteckt in einem LKW (illegal) nach Österreich eingereist. Sein Asylantrag sei in letzter Instanz mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. April 1996, rechtswirksam erlassen am 6. Mai 1996, abgewiesen worden.

In der niederschriftlichen Einvernahme am 25. Juni 1996 habe der Beschwerdeführer angegeben, es wäre richtig, dass er am 22. September 1992 versteckt in einem LKW illegal nach Österreich gekommen wäre. Durch welche Länder er gefahren wäre, wüsste der Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben nicht. Am 23. September 1992 hätte er in Traiskirchen einen Antrag auf Asyl gestellt.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen habe er angegeben, verheiratet zu sein, jedoch keine Kinder zu haben. Die Ehefrau des Beschwerdeführers wäre in der Türkei wohnhaft, ein Onkel in Linz. Der Beschwerdeführer wäre im Bundesgebiet der Republik Österreich noch nie einer Beschäftigung nachgegangen, seinen Lebensunterhalt würde er von Unterstützungen seines in Linz lebenden Onkels bestreiten. Einen Antrag auf Aufenthaltsbewilligung hätte er ebenfalls noch nicht gestellt.

Zur Rechtslage führte die belangte Behörde aus, dass gemäß § 17 Abs. 1 FrG Fremde mit Bescheid auszuweisen seien, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten; hierbei sei auf § 19 FrG Bedacht zu nehmen. Der Beschwerdeführer halte sich insofern seit seiner illegalen Einreise rechtswidrig im Bundesgebiet auf, als ihm seit diesem Zeitpunkt weder ein Sichtvermerk noch eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz erteilt worden sei.

Eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 7 Abs. 1 i.V.m.

§ 6 Abs. 1 AsylG 1991 komme dem Beschwerdeführer deshalb nicht zu, weil er nicht direkt aus dem Staat eingereist sei, in dem Verfolgung befürchten zu müssen er behaupte. Eine "derartige Bestätigung" sei dem Beschwerdeführer zwar ausgestellt worden, dieser komme jedoch keine konstitutive Wirkung zu. In diesem Licht komme auch der mittlerweile vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres im Asylverfahren eingebrachten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bzw. der Stattgebung seines Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im genannten Beschwerdeverfahren keine Rechtswirkung im Ausweisungsverfahren zu, zumal der Beschwerdeführer im Asylverfahren über keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung verfügt habe, wenngleich ihm diese irrtümlich bestätigt worden sei.

Selbst wenn die nunmehr verfügte Ausweisung einen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers darstellen würde, so halte er sich somit doch seit seiner illegalen Einreise, also seit mehreren Jahren, illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden gefährde aber die öffentliche Ordnung in hohem Maß, die Ausweisung sei demnach zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten. Der Beschwerdeführer habe selbst ausgeführt, dass er im Bundesgebiet noch nie einer Beschäftigung nachgegangen sei und auch noch keinen Antrag auf Aufenthaltsbewilligung gestellt habe.

Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Die öffentliche Ordnung werde schwer wiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich einreisten und die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen stellten. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde; eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 FrG sind Fremde mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 FrG Bedacht zu nehmen. Nach letztgenannter Bestimmung ist die Erlassung einer Ausweisung, mit der in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde, nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 1991 findet § 17 FrG auf Asylwerber mit einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Asylgesetz 1991 keine Anwendung. Eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung steht gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 nur Asylwerbern zu, die gemäß § 6 leg. cit. eingereist sind. Eine Einreise gemäß § 6 leg. cit. liegt vor, wenn der Asylwerber direkt aus dem Staat gekommen ist, in dem Verfolgung befürchten zu müssen er behauptet (Abs. 1) oder wenn er bei seiner Einreise gemäß § 37 FrG nicht zurückgewiesen werden durfte (Abs. 2 zweiter Fall). Gemäß § 7 Abs. 3 Asylgesetz 1991 kommt die vorläufige Aufenthaltsberechtigung einem Asylwerber ab dem Zeitpunkt nicht mehr zu, zu dem das Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen wird oder einem Rechtsmittel gegen eine Entscheidung der Asylbehörden keine aufschiebende Wirkung zukommt. § 7 Abs. 4 leg. cit. sieht vor, dass die vorläufige Aufenthaltsberechtigung unverzüglich von Amts wegen zu bescheinigen ist.

Die vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 tritt bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen ex lege ein. Der Bescheinigung darüber gemäß § 7 Abs. 4 leg. cit. kommt ein Bescheidcharakter nicht zu; sie hat rein deklarative Bedeutung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 96/20/0249, m.w.N.).

Im vorliegenden Fall war im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides der gegen die Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers durch den Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 29. April 1996 erhobenen Beschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Juli 1996 die aufschiebende Wirkung mit der Maßgabe zuerkannt, dass dem Beschwerdeführer "die Rechtsstellung zukommt, die er als Asylwerber vor Erlassung des angefochtenen Bescheides hatte". Die belangte Behörde hatte daher zu beurteilen, ob dem Beschwerdeführer während des Asylverfahrens eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 zugekommen war.

Sie hat zutreffend erkannt, dass die Bescheinigung über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers gemäß § 7 Abs. 4 Asylgesetz 1991 keine konstitutive Wirkung hat. Bei einer Bescheinigung gemäß § 7 Abs. 4 leg. cit., die nach dem in der Anlage zum Asylgesetz 1991 enthaltenen Muster ausgestellt ist, handelt es sich allerdings um eine öffentliche Urkunde, deren Beweiskraft nach § 47 AVG gemäß § 292 ZPO zu beurteilen ist. Letztgenannte Bestimmung sieht in ihrem Abs. 1 vor, dass öffentliche Urkunden vollen Beweis dessen begründen, was darin von der Behörde amtlich verfügt oder erklärt oder von der Behörde bezeugt wird; gemäß § 292 Abs. 2 ZPO ist der Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges oder der bezeugten Tatsache oder der unrichtigen Beurkundung zulässig. § 292 Abs. 1 erster Satz ZPO gilt im Verwaltungsverfahren dem § 47 AVG zufolge mit der Maßgabe, dass inländische öffentliche Urkunden den Beweis auch über jene Tatsachen und Rechtsverhältnisse liefern, die die Voraussetzung für ihre Ausstellung bildeten und in der Urkunde ausdrücklich genannt sind; wenn die Behörde im Hinblick auf die besonderen Umstände des Einzelfalles dagegen Bedenken hat, dass die Urkunde diesen Beweis liefert, kann sie der Partei auftragen, den Beweis auf andere Weise zu führen.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde die Bescheinigung über das vorläufige Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers für unrichtig gehalten, ohne ihm vorher gemäß § 47 AVG aufzutragen, den Beweis über ein ihm zukommendes vorläufiges Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens zu erbringen. Dies führt jedoch deswegen nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, weil weder die Beschwerde Umstände geltend macht noch solche aus den Verwaltungsakten erkennbar sind, die zur Erbringung des Nachweises geeignet wären, dem Beschwerdeführer sei für die Dauer des Asylverfahrens eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung zugekommen. Der - in einem Lastwagen versteckt von der Türkei kommend nach Österreich eingereiste - Beschwerdeführer ist nämlich weder gemäß § 6 des Asylgesetzes 1991 direkt aus einem Gebiet, wo sein Leben oder seine Freiheit im Sinn des Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention - seinen Behauptungen zufolge - bedroht war (Art. 31 Z. 1 der Konvention), noch direkt aus dem Staat, in dem Verfolgung befürchten zu müssen er behauptet (§ 6 Abs. 1 Asylgesetz 1991), nach Österreich eingereist. Der in der Beschwerde geltend gemachte Umstand, der Beschwerdeführer habe jenes Grenzland, von welchem her der LKW die österreichische Grenze passiert habe, nicht anzugeben vermocht, zumal er im LKW versteckt gewesen sei und ihn nur einmal auf seiner Reise verlassen habe, kann daran nichts ändern. Ferner ist der Beschwerde und dem Akteninhalt auch kein Anhaltspunkt für die Annahme zu entnehmen, er hätte gemäß § 37 FrG wegen Vorliegens der dort genannten Gründe nicht in den Staat, aus dem er direkt einreiste, zurückgewiesen werden dürfen, und es wäre ihm die Einreise gestattet worden oder zu gestatten gewesen (§ 6 Abs. 2 zweiter Fall Asylgesetz 1991). (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 96/21/0664.) Dem Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde habe die Bescheinigung über das vorläufige Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers zu Unrecht für unrichtig gehalten, fehlt demnach die Relevanz.

Dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers aus einem anderen Grund als einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung rechtmäßig wäre, wird in der Beschwerde nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Die belangte Behörde durfte den Tatbestand des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz FrG sohin als erfüllt ansehen.

Auch hinsichtlich des § 19 FrG vermag der Verwaltungsgerichtshof keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zu erblicken. Insofern verwies die belangte Behörde zutreffend auf das öffentliche Interesse, das aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten zukommt. Es ist nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass sie die Ausweisung als dringend geboten und somit im Grund des § 19 FrG als zulässig ansah. Mit der Ausweisung ist zwar angesichts des zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides etwa vierjährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich ein Eingriff in sein Privatleben verbunden. Dieser Aufenthalt ist indes nicht so lang, dass er zu einer nachhaltigen Integration im Inland hätte führen können, insofern werden auch in der Beschwerde keine besonderen Umstände geltend gemacht. Das private Interesse der Beschwerdeführer an einem Weiterverbleib in Österreich ist somit nicht so ausgeprägt, dass es das besagte einen hohen Stellenwert aufweisende öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers zu überwiegen vermag.

Nach dem Gesagten war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. Juni 2000

Schlagworte

Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Beurkundungen und Bescheinigungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996210936.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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