TE OGH 2017/11/29 7Ob53/17w

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Veröffentlicht am 29.11.2017
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** W*****, vertreten durch Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte-GmbH in Zell am See, gegen die beklagte Partei A***** SE, *****, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 25.000 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2016, GZ 3 R 134/16w-15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 22. Juli 2016, GZ 10 Cg 78/15a-11, teilweise abgeändert und teilweise bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.253,88 EUR (darin 208,98 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 2003 (ARB 2003) zugrunde, die auszugsweise lauten:

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

1.4. alles zu vermeiden, was die Kosten unnötig erhöht oder die Kostenerstattung durch Dritte ganz oder teilweise verhindert;

2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehend genannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß § 6 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei.

...

Am 26. 2. 2011 haben drei Personen den Kläger zusammengeschlagen und schwer verletzt. Das Landesgericht Salzburg erkannte die Täter mit Urteil vom 15. 5. 2012 des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB schuldig.

Der damalige Rechtsanwalt des Klägers übersandte der Beklagten mit Schreiben vom 20. 7. 2011 eine Kopie des Strafaktes, informierte diese dahin, dass aufgrund des eindeutigen Sachverhalts ein weiteres Zuwarten mit einer Klage gegen die Täter nicht sinnvoll erscheine und bat um Genehmigung eines Klagsentwurfs. In der folgenden umfangreichen Korrespondenz zwischen dem seinerzeitigen Rechtsanwalt des Klägers und der Beklagten kam es zu Meinungsverschiedenheiten über die Erfolgsaussichten eines Begehrens auf Ersatz des Verdienstentgangs aus selbstständiger Arbeit in der Höhe von 50.000 EUR. Letztlich erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 5. 12. 2012 Kostendeckung für den Klagsentwurf (ua) mit einem Begehren auf Ersatz eines Verdienstentgangs von 50.000 EUR vorerst bis zur ersten diesbezüglichen Zeugeneinvernahme verbunden mit dem Ersuchen um Berichterstattung unmittelbar nach diesem Zeitpunkt.

In dem der Beklagten übermittelten Klagsentwurf war zum Verdienstentgang aus selbständiger Arbeit 2011 in der Höhe von 50.000 EUR vorgebracht: „… hat der Kläger einen massiven Verdienstentgang aus seiner zum Vorfallszeitpunkt gerade in Gründung befindlichen Einzelfirma 'E*****'. Der Kläger hat drei Klein-LKW zu Barwägen mit Barmarkisen, Musikanlagen etc. umgebaut, welche bei diversen Aktivitäten entweder mit oder ohne Personal vermietet werden. Durch seine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit konnte der Kläger für das Jahr 2011 für keine ausreichende Auslastung seiner Fahrzeuge sorgen. Mehrere fix gebuchte Aufträge wurden storniert. Der Kläger erleidet aus diesem Sachverhalt alleine für das Jahr 2011 einen Verdienstentgang von EUR 50.000,00.“

Das Erstgericht im Haftpflichtprozess erteilte dem Rechtsanwalt des Klägers einen Verbesserungsauftrag und trug ihm (ua) auf, binnen 10 Tagen den behaupteten Verdienstentgang aus selbstständiger Erwerbstätigkeit zu substanziieren. Der Rechtsanwalt ergänzte daraufhin das Vorbringen zum Verdienstentgang aus selbstständiger Arbeit dahin, dass er sieben mündlich fix erteilte Aufträge nach Datum Auftraggeber und Auftragssumme aufgliederte, woraus sich ein Gesamtbetrag von netto 56.230 EUR errechnete, dem keine nennenswerten ersparten Aufwendungen entgegenstünden, sodass der Verdienstentgang mit den geltend gemachten 50.000 EUR jedenfalls eingetreten sei. Zum Beweis berief sich der Kläger auf „PV der klagenden Partei, einzuholendes Sachverständigengutachten“. Der Rechtsanwalt des Klägers übersandte der Beklagten sowohl den Verbesserungsauftrag als auch den ursprünglichen und den verbesserten Klagsentwurf.

In der vorbereitenden Tagsatzung am 13. 1. 2014 und in der Tagsatzung am 1. 7. 2014 erörterte der Richter mit den Parteien des Haftpflichtprozesses, dass das Tatsachenvorbringen zu den Verdienstentgangsansprüchen des Klägers bisher nicht ausreichend substanziiert sei. Der Klagevertreter berichtete der Beklagten im Anschluss an die Tagsatzungen weder vom Umstand, dass der Richter das Vorbringen zum Verdienstentgang nach wie vor für substanzlos erachtete, noch dass hierauf keine umgehende Reaktion geplant sei. Es steht nicht fest, dass der Kläger erkannte, dass die Unterlassung der diesbezüglichen Berichterstattung die Beurteilung der Leistungspflicht der Beklagten fehlleiten könnte, und er sich damit abfand.

Am 19. 11. 2014 brachte der seinerzeitige Klagevertreter einen Schriftsatz ein, in dem er eine Bestätigung eines Steuerberaters über die zu erwartenden Gewinne betreffend das Unternehmen „E*****“ für die Jahre 2011 bis 2014 vorlegte, als weitere Beweise die Parteienvernehmung sowie die Einholung eines buchhalterischen Sachverständigengutachtens anbot und sich weitere Beweise vorbehielt. Diesen Schriftsatz wies das Erstgericht als im Sinn des § 257 Abs 3 ZPO unzulässig zurück. Zur Tagsatzung am 3. 12. 2014 wurde der Kläger zu seiner Parteieneinvernahme geladen, erschien jedoch ohne Begründung nicht. Sein Rechtsanwalt erstattete bei diesem Termin das bereits im Schriftsatz vom 19. 11. 2014 enthaltene, ergänzende Vorbringen mündlich in der Tagsatzung. Dieses Vorbringen wies der Richter zurück und nahm von jeder weiteren Beweisaufnahme Abstand. Sodann erging im Haftpflichtprozess das erstinstanzliche Urteil, mit dem das Begehren auf Ersatz des Verdienstentgangs aus selbstständiger Arbeit zur Gänze abgewiesen wurde, weil die Parteieneinvernahme des Klägers aufgrund seines unbegründeten Nichterscheinens präkludiert und das Vorbringen unschlüssig geblieben sei.

Die Beklagte erteilte Kostendeckungszusage für die Einbringung der Berufung gegen dieses Urteil, verwies aber darauf, dass bezüglich der Verdienstentgangsansprüche Obliegenheitsverletzungen (ua) durch die Nichtmitwirkung des Versicherungsnehmers im Raum stünden. Auch das Berufungsgericht beurteilte das Vorbringen zum Verdienstentgang aus selbstständiger Arbeit als zu wenig substanziiert und unschlüssig.

Die Beklagte erklärte „grundsätzliche Kostendeckung für die Einbringung der außerordentlichen Revision, wies aber auf ihre vermeintliche Leistungsfreiheit hinsichtlich des Verdienstentgangs hin (Nichtmitwirkung des Versicherungsnehmers, Unschlüssigkeit des Klagebegehrens), weshalb das Rechtsmittel letztendlich maßgeblich auf eigenes Kostenrisiko des Versicherungsnehmers erfolge. Die außerordentliche Revision blieb letztlich erfolglos.

Der Kläger begehrte im vorliegenden Verfahren die Zahlung von 25.000 EUR sA an gegnerischen Verfahrenskosten und der Pauschalgebühr für die Einbringung der außerordentlichen Revision im Haftpflichtprozess sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für eigene Verfahrenskosten. Er brachte – soweit noch wesentlich – vor, dass er der Beklagten alle erforderlichen Informationen erteilt und sie über alle Verfahrensschritte im Haftpflichtprozess in Kenntnis gesetzt habe. Eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit habe somit nicht vorgelegen. Dass sein Rechtsanwalt das Klagebegehren nicht schlüssig gestellt habe, könne dem Kläger als juristischem Laien nicht als grobe Fahrlässigkeit angelastet werden, habe er doch davon ausgehen können, dass dieser sämtliche notwendigen Schritte zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung setzen werde. Selbst eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers führe nicht zur Leistungsfreiheit, weil eine allfällige Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht der Versicherung Einfluss gehabt habe.

Die Beklagte bestritt dieses Vorbringen und beantragte Abweisung der Klagebegehren. Sie habe den Vertreter des Klägers mehrfach darauf hingewiesen und ausdrücklich gewarnt, dass das Begehren nach Verdienstentgang von 50.000 EUR überhöht sei. Die Kostendeckungszusage für die Klagsführung sei unter Hinweis auf diese Bedenken nur aufgrund der bis dahin angebotenen Beweismittel mit der Einschränkung erfolgt, dass sich die Deckungszusage zu dieser Position vorerst nur bis zur ersten diesbezüglichen Zeugeneinvernahme verstehe. Dem Kläger und seinem Vertreter sei vorzuwerfen, dass trotz eines Verbesserungsauftrags die Behauptungen zum Verdienstentgang nicht aufgeschlüsselt und trotz einer neuerlichen Erörterung durch das Gericht das Vorbringen nicht substanziiert worden sei. Insbesondere sei nicht vorgebracht worden, welche fix gebuchten Aufträge aufgrund der unfallkausalen Arbeitsunfähigkeit storniert worden seien. Ein diesbezüglicher Zeugenbeweis sei nicht angetreten worden. Der Kläger habe sein Vorbringen grob schuldhaft zu spät erstattet und sei zu seiner eigenen Parteienvernehmung nicht erschienen. Der Kläger habe seine Obliegenheiten nach Art 8.1.1., 8.1.2. und 8.1.4. ARB 2003 verletzt. Kunstfehler oder eine Falschberatung durch seinen Rechtsanwalt müsse sich der Kläger zurechnen lassen. Die Beklagte sei daher leistungsfrei.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte
– rechtskräftig – zur Zahlung von 11.945,19 EUR sA und stellte fest, dass die Beklagte für sämtliche weiteren derzeit nicht bekannten Kosten aus dem Haftpflichtprozess hafte, soweit diese Kosten nicht aus der Geltendmachung von Verdienstentgangsansprüchen aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 50.000 EUR resultierten. Das Mehrbegehren wies das Erstgericht ab. Es führte rechtlich aus, dass der Kläger die Obliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 2003 verletzt habe, weil er der Beklagten nicht davon berichtet habe, dass er trotz Anleitung durch den Richter sein Vorbringen zum Verdienstentgang aus selbstständiger Arbeit nicht weiter konkretisiert und dazu keinen Zeugenbeweis angeboten habe. Damit habe er der Beklagten die von ihr angestrebte Möglichkeit einer neuerlichen Überprüfung der Erfolgschancen genommen. Da „dolus coloratus“ nicht anzunehmen sei, stehe dem Kläger der Kausalitätsgegenbeweis offen, doch habe die Verletzung der Auskunftsobliegenheit betreffend die Unschlüssigkeit des Vorbringens zum Verdienstentgang aus selbstständiger Arbeit sowie der Umstand, dass der richterlichen Anleitung nicht unmittelbar nachgekommen worden sei, insofern Einfluss auf die Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten gezeitigt, als ihr die Möglichkeit genommen worden sei, die dadurch weiter verschlechterten Erfolgschancen dieser Klagsposition richtig zu beurteilen und sodann die Kostendeckung für die weitere Klagsführung zu versagen. Die Obliegenheitsverletzung sei daher für die diesbezüglich zu ersetzenden Verfahrenskosten kausal gewesen, während die Prozesskosten für die Geltendmachung der übrigen Klagspositionen davon nicht beeinflusst worden seien. Folglich sei die Beklagte auch nur in jenem Ausmaß der gegnerischen Kosten leistungsfrei, das aufgrund des Unterliegens mit den Verdienstentgangsansprüchen aus selbstständiger Arbeit vom Kläger zu ersetzen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise und zwar (nur) dahin Folge, dass es die Beklagte – wegen der Höhe nach geringfügig geänderter Deckungspflicht für das Berufungsverfahren im Haftpflichtprozess – insgesamt zur Zahlung von 12.294,09 EUR sA verpflichtete, während es im gesamten übrigen Umfang bei der Klagsabweisung blieb. Das Berufungsgericht war der Rechtsansicht, dass die Beklagte wegen Verletzung der Obliegenheit nach Art 8.1.4. ARB 2003 leistungsfrei sei. Im Haftpflichtprozess habe der Kläger keinen einzigen Zeugen namhaft gemacht, trotz eines Verbesserungsauftrags und zweier mündlicher Erörterungen durch den Richter, sein Verdienstentgangsbegehren aus selbstständiger Arbeit nicht schlüssig gestellt und erst verspätet ein Vorbringen erstattet, das zurückgewiesen worden sei. Gerade vor dem Hintergrund der von der Beklagten im Vorfeld des Prozesses angemeldeten Bedenken sei die Missachtung richterlicher Anleitungen und Erörterungen durch einen Rechtsanwalt als grobe Fahrlässigkeit zu werten. Jedenfalls die Gesamtheit der Missachtungen der Aufforderungen des Richters im Haftpflichtprozess begründet den Vorwurf grober Fahrlässigkeit. In Bezug auf die Verletzung der Obliegenheit nach Art 8.1.4. ARB 2003 habe der Kläger den strikt zu erbringenden Kausalitätsgegenbeweis in erster Instanz nicht angetreten. Dazu hätte er – im Gegensatz zu seinem vor dem Haftpflichtprozess gegenüber der Beklagten eingenommenen Standpunkt – vorbringen müssen, er wäre mit seinem Verdienstentgangsbegehren aus selbstständiger Tätigkeit auch nach (rechtzeitiger) Schlüssigstellung und der Aufnahme angebotener Beweismittel unterlegen, weil er den Beweis eines solchen Vorbringens (durch Zeugen, einen Sachverständigen und seine Parteienvernehmung) nicht erbringen hätte können. Auf die Frage einer Obliegenheitsverletzung nach Art 8.1.1. ARB 2003 komme es daher nicht mehr entscheidend an.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision zulässig sei, weil Art 8.1.4. ARB 2003 im Zusammenhang mit einer Obliegenheitsverletzung während des Haftpflichtprozesses noch nicht Gegenstand höchstgerichtlicher Judikatur gewesen sei.

Gegen den klagsabweislichen Teil des Urteils des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass seinen Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde. Hilfsweise stellt der Kläger auch einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte erstattete eine ihr freigestellte Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurück-, jedenfalls aber abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

A. Der Oberste Gerichtshof hat die vom Kläger behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geprüft; sie liegt nicht vor. Die behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens betreffen allesamt die Nichterledigung bestimmter Berufungsausführungen des Klägers im Zusammenhang mit einer allfälligen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 2003. Diese ist aber deshalb nicht entscheidungswesentlich, weil das Berufungsgericht die Leistungsfreiheit der Beklagten im noch strittigen Umfang der Kosten für die Geltendmachung des Verdienstentgangs nach Art 8.1.4. ARB 2003 zutreffend bejaht hat. Die Verfahrensrüge ist daher nicht berechtigt, was keiner weitergehenden Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).

B. Der Kläger vertritt in seiner Rechtsrüge den Standpunkt, dass ihm jedenfalls keine grob fahrlässige Verletzung der Obliegenheit nach Art 8.1.4. ARB 2003 anzulasten sei. Die Beklagte habe ihm keine bis zum ersten Zeugenbeweis wirksam befristete Deckungszusage erteilen können, sondern hätte bei zweifelhafter Prozessführung von Anfang an Deckung ablehnen müssen. Die Fehler seines früheren Vertreters dürften nicht als grob fahrlässige Verletzung seiner eigenen Aufklärungsobliegenheit gewertet werden. Schließlich sei auch vom Gelingen des Kausalitätsgegenbeweises auszugehen, weil selbst die Schlüssigstellung des Vorbringens nicht zwingend zum Prozesserfolg hätte führen müssen. Mit diesen Ausführungen zeigt der Kläger keine unrichtige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts betreffend die Obliegenheit nach Art 8.1.4. ARB 2003 auf:

1. Die Zusage der Deckung „bis zur ersten Zeugeneinvernahme“ betraf den Wunsch der Beklagten nach einer anschließenden Berichterstattung und damit die Aufklärungsobliegenheit, nicht aber jene nach Art 8.1.4. ARB 2003.

2. Dass die Beklagte die Deckung schon ursprünglich hätte verweigern müssen, trifft nicht zu. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist auf Grund einer Prognose – im Fall eines bereits laufenden Haftpflichtprozesses auf Grund einer nachträglichen Prognose – nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen (RIS-Justiz RS0124256 [T1]). Dabei ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0081929). Es können die zur Prozesskostenhilfe entwickelten Grundsätze übernommen werden (RIS-Justiz RS0081929 [T1]). Demnach hat hier bei Einleitung des Haftpflichtprozesses Deckungspflicht bestanden. Eine laufende Verpflichtung der Beklagten, die Verfahrensgestion des Klagevertreters zu überwachen und einzelne Verfahrenschritte zu verlangen, bestand dagegen nicht.

3. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall, wie jene nach Art 8.1.4. ARB 2003, dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Der Versicherer braucht nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung nachzuweisen, während es Sache des Versicherungsnehmers ist, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe. Dass – bei grob fahrlässiger Begehung einer Obliegenheitsverletzung – die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hat, ist vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0081313). Leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RIS-Justiz RS0043728 [T4]). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RIS-Justiz RS0116979).

4. Das Berufungsgericht ist von der ständigen Rechtsprechung ausgegangen, dass ungeachtet der Ablehnung der Repräsentantentheorie dem Versicherungsnehmer auch in Bezug auf Obliegenheiten das Verhalten des von ihm zur Abwicklung des gesamten Versicherungsverhältnisses Bevollmächtigten zuzurechnen ist (RIS-Justiz RS0019473). Ob dies (uneingeschränkt) auch für die Prozessführung des beauftragten Rechtsanwalts im Haftpflichtprozess gilt, muss hier nicht geprüft werden, weil der Kläger eigenes grob fahrlässiges Verhalten zu vertreten hat:

5. Dass die Unterlassung der Mitwirkung im Haftpflichtprozess (Nichterscheinen bei Gericht) eine Obliegenheitsverletzung begründen kann (so zum Nichterscheinen zur Parteienvernehmung auch Kronsteiner/Lafenthaler/Soriat ARB 2007 92; Buschbell in Buschbell/Hering, Handbuch Rechtsschutzversicherung5 § 9 Rz 110; Armbrüster in Prölss/Martin VVG29 ARB 2010 § 17 Rz 29; Bauer in Harbauer ARB8 § 17 Rz 71), hat der Fachsenat bereits in seiner Entscheidung 7 Ob 7/94 als möglich geprüft, dort allerdings grob fahrlässiges Verhalten verneint.

6. Hier ist der Kläger im Haftpflichtprozess unentschuldigt nicht zu seiner Einvernahme als Partei erschienen, obwohl ihm aufgrund der Vorgeschichte (Korrespondenz betreffend den Verdienstentgangsanspruch) klar gewesen sein musste, dass diesem Beweismittel entscheidende Bedeutung zukommen werde. Dies begründet jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers, musste doch in dieser Situation auch einem Laien klar sein, dass ohne diese Beweisaufnahme der behauptete Nachweis eines Verdienstentgangs mangels anderer naheliegender Beweismittel äußerst fraglich sein würde. Die unterbliebene Parteieneinvernahme wurde dann im Haftpflichtprozess auch entscheidungswesentlich, weil das in der letzten Verhandlung erstattete Vorbringen zur Schlüssigstellung des Verdienstentgangs wegen der präkludierten Einvernahme des Klägers nicht sogleich unter Beweis gestellt werden konnte und folglich nach § 179 ZPO zurückgewiesen wurde. Damit hat der Kläger selbst durch sein unentschuldigtes Fernbleiben und die daraus resultierende Abweisung seines Begehrens auf Verdienstentgang verhindert, dass die Prozessgegner (auch) in diesem Umfang kostenersatzpflichtig werden. Damit liegt eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung nach Art 8.1.4. ARB 2003 vor.

7. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Versicherungsnehmer den Kausalitätsgegenbeweis strikt zu führen hat und es daher nicht genügt, nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs darzutun (RIS-Justiz RS0079993). Dazu hätte der Kläger behaupten müssen, dass er auch im Fall seiner möglichen Parteieneinvernahme bei der letzten Verhandlung im Haftpflichtprozess mit seinem Begehren auf Verdienstentgang erfolglos geblieben wäre. Ein solches Vorbringen wird aber durch den bloßen Verweis auf die Unwägbarkeiten des Verfahrensausgangs nicht erstattet.

8.1. Im Ergebnis ist die Beklagte somit betreffend die Kosten für das Begehren auf Verdienstentgang nach Art 8.1.4. ARB 2003 leistungsfrei. Die Revision muss daher erfolglos bleiben.

8.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E120281

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00053.17W.1129.000

Im RIS seit

10.01.2018

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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