TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/30 W205 2140247-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.2017
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Entscheidungsdatum

30.11.2017

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W205 2140247-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA über die Beschwerde der XXXX alias XXXX, geb. XXXX alias XXXX, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.08.2016, Zahl:

1113354602/160616044-EAST Ost, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Nigeria, gelangte in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 01.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Nach den vorliegenden EURODAC-Treffermeldungen wurde die Beschwerdeführerin am 20.07.2015 in Italien erkennungsdienstlich behandelt und stellte am 04.08.2015 in Italien einen Asylantrag.

Eine VIS- und CVIS-Abfrage ergaben, dass die Beschwerdeführerin im Besitz eines italienischen Visums ist, ausgestellt am 25.03.2016 in Lagos (Nigeria), gültig 15 Tage im Zeitraum von 29.03.2016 bis 27.04.2016.

Im Verlauf ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 02.05.2016 brachte die Beschwerdeführerin vor, an keinerlei Krankheiten oder gesundheitlichen Beschwerden zu leiden, die diese Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen könnten. Sie habe keine Familienangehörigen in Österreich oder einem anderen EU-Staat. Sie habe Nigeria Mitte des Jahres 2014 verlassen, sei durch Niger gereist und habe sich danach ca. drei Monate lang in Libyen aufgehalten. In weiterer Folge sei sie nach Italien gelangt, wo sie von Sommer 2014 bis 30.04.2016 aufhältig gewesen sei. Dann sei sie schließlich nach Österreich gekommen. Zu Italien führte sie aus, dass sie keine Hilfe bekommen habe und sich dort keiner um sie kümmern würde. Sie müsse auf der Straße leben und habe keine Dokumente. Um Asyl habe sie in Italien nicht angesucht. Befragt, ob etwas gegen eine Rückkehr sprechen würde, gab sie an, dass sie nicht nach Italien zurück wolle, da sie dort auf der Straße leben müsse. Ein Visum oder einen Aufenthaltstitel habe sie nicht bekommen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") richtete am 02.06.2016 ein auf Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien. In dem Schreiben wies das BFA auf die zu Italien vorliegenden EURODAC-Treffermeldungen (erkennungsdienstliche Behandlung am 20.07.2015 und Asylantragstellung am 04.08.2015) hin. Zudem führte das BFA die von der Beschwerdeführerin in ihrer Erstbefragung angegebene Reiserroute an. Das BFA teilte der italienischen Dublin-Behörde zudem mit, dass die Beschwerdeführerin laut der vorliegenden VIS-Abfrage, über ein italienisches Visum (gültig von 29.03.2016 bis 27.04.2016, ausgestellt am 25.03.2016 in Nigeria) verfüge. Aufgrund dieser Tatsache stehe unzweifelhaft fest, dass die Beschwerdeführerin das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nach ihrer Asylantragstellung in Italien im Jahr 2015 wieder verlassen habe. Aus diesem Grund sei Italien gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zur Aufnahme der Beschwerdeführerin verpflichtet. Dem Schreiben wurden die Fingerabdrücke, und ein Foto der Beschwerdeführerin sowie die EURODAC-Ergebnisse und das Ergebnis der VIS-Abfrage beigefügt.

Mit Schreiben vom 21.07.2016 stimmte Italien dem Aufnahmeersuchen und der Übernahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO ausdrücklich zu.

Am 26.08.2016 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem BFA im Beisein eines Rechtsberaters nach durchgeführter Rechtsberatung. Hierbei gab sie zu Protokoll, sich psychisch und physisch dazu in der Lage zu fühlen Angaben zum Verfahren zu machen. Sie habe in Österreich oder der sonstigen EU keine Verwandten und lebe mit keinen sonstigen Personen in einer Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Sie sei am 01.05.2016 mit dem abgelaufenen italienischen Visum nach Österreich gereist. Sie habe am 04.08.2015 einen Asylantrag in Italien gestellt. Das Visum habe sie in Nigeria bekommen. Sie sei im Jahr 2014 nach Italien gekommen und noch im selben Jahr nach Nigeria abgeschoben worden. Dann habe sie das Visum in Nigeria beantragt. Nach Vorhalt, dass sie aufgrund der Fingerabdrücke im Jahr 2015 einen Asylantrag in Italien gestellt habe, sie aber nun etwas anderes sage, gab sie an, dass sie nach ihrer Ankunft in Italien "später" nach Nigeria abgeschoben worden sei. In Italien sei sie drei und vier Monate lang aufhältig gewesen, aber sie könne sich nicht mehr genau daran erinnern. Nach Vorhalt der Zuständigkeit Italiens gab sie an, dass sie nicht nach Italien zurückgehen werde. Als sie damals Hilfe gebraucht habe, habe ihr Italien nicht geholfen. Sie sei aufgegriffen und in ein Schubhaftlager gebracht worden. Befragt, ob sie eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen abgeben wolle, gab sie an, dass sie nicht nach Italien zurückgehen könne, da sie in Nigeria weder Vater noch Mutter habe. Ihr Leben sei dort in Gefahr und deshalb sei sie nach Italien geflüchtet. In Italien sei sie schlecht behandelt worden und man habe ihr weder Essen noch Kleidung gegeben. Sie sei wie eine "Sklavin" behandelt worden. Befragt, wo sie untergebracht worden sei, gab sie an, dass sie in Rom vier Monate lang in Schubhaft genommen worden sei. Man habe ihr dort kein gutes Essen (nur Brot) gegeben und ihr nur "Lumpen" bzw. "Fetzen" zum Anziehen gegeben. Leute von der Kirche hätten ihnen dann Kleidung gegeben. Sie sei dann direkt vom Schubhaftlager wieder nach Nigeria zurückgebracht worden. Ein Anwalt habe ihr gesagt, dass man sie in diesem Land nicht brauche. Zudem führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie hier im Lager einen Deutschkurs in einer Schule besucht habe und im Lager auch Reinigungsarbeiten verrichtet habe.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Italien wurden im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert durch das Bundesverwaltungsgericht):

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 23.8.2016, Unterbringung und Asylstatistik (relevant für Abschnitte 2/Allgemeines zum Asylverfahren und 6.1/Unterbringung)

Mit Stand 16.8.2016 waren in Italien 144.988 Personen in Flüchtlingsunterkünften untergebracht, davon 964 in Hotspots, 13.259 in Erstaufnahmezentren, 110.249 in temporären Strukturen (meist durch NGOs und Private mit staatlicher Förderung zur Verfügung gestellt) und 20.516 in staatlicher Betreuung (SPRAR):

...

(ÖB 19.8.2016)

Statistiken der italienischen Asylbehörde zur Zahl der Asylanträge mit Stand 19.8.2016:

...

(VB 22.8.2016)

Sowie Statistiken der italienischen Asylbehörde zu Asylwerbern und der Zahl der Asylentscheidungen mit Stand 19.8.2016:

...

(VB 22.8.2016)

Quellen:

-

ÖB - Österreichische Botschaft Rom (19.8.2016): Auskunft des ital. Innenministeriums, per E-Mail

-

VB des BM.I Italien (22.8.2016): Statistiken der ital. Asylbehörde, per E-Mail

KI vom 2.8.2016, Unterbringung (relevant für Abschnitt 6.1/Unterbringung)

Mit Stand 27.7.2016 waren in Italien 139.207 Personen in Flüchtlingsunterkünften untergebracht, davon 1.016 in Hotspots,

13.572 in Erstaufnahmezentren, 104.248 in temporären Strukturen (meist durch NGOs und Private mit staatlicher Förderung zur Verfügung gestellt) und 20.371 in staatlicher Betreuung (SPRAR):

...

(ÖB 29.7.2016)

Quellen:

-

ÖB - Österreichische Botschaft Rom (29.7.2016): Auskunft des ital. Innenministeriums, per E-Mail

KI vom 18.5.2016, Asylstatistik Mai 2016 (relevant für Abschnitt 2/Allgemeines zum Asylverfahren)

Statistiken der italienischen Asylbehörde zu Asylanträgen, Asylantragstellern und Asylentscheidungen mit Stand 13. Mai 2016:

...

(VB 17.5.2016)

...

(VB 17.5.2016)

Quellen:

-

VB des BM.I Italien (17.5.2016): Statistiken der ital. Asylbehörde, per E-Mail

2. Allgemeines zum Asylverfahren

 

Antragsteller 2015

Italien

84.090

Die Daten werden auf die Endziffern 5 oder 0 auf- bzw. abgerundet.

(Eurostat 3.3.2016a)

Erstinstanzliche Entscheidungen

Gesamt

Flüchtlings-status

Subsidiärer Schutz

Humanitäre Gründe

NEGATIV

1. Qu. 2015

10.625

705

2.175

2.595

5.145

2. Qu. 2015

13.760

770

2.280

3.410

7.300

3. Qu. 2015

19.645

1.005

2.520

4.325

11.795

4. Qu. 2015

27.310

1.090

3.290

5.440

17.490

GESAMT

71.340

3.570

10.265

15.770

41.730

Die Daten werden auf

die Endziffern 5 oder 0 auf- bzw. abgerundet.

(Eurostat 18.9.2015a; Eurostat 18.9.2015b; Eurostat 10.12.2015; Eurostat 3.3.2016b)

Die Zahl der Migranten, die nach Italien kommen, ist weit größer als die Zahl derer, die dort bleiben (UNHRC 1.5.2015).

Für das erstinstanzliche Asylverfahren in Italien zuständig sind die sogenannten Territorialkommissionen für internationalen Schutz (Commissioni Territoriali per il Riconoscimento della Protezione Internazionale). Es gibt ein mehrstufiges Asylverfahren und Beschwerdemöglichkeiten:

...

(AIDA 12.2015; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle)

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles and the Italian Council for Refugees (12.2015):

National Country Report Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_update.iv_.pdf, Zugriff 8.4.2016

-

Eurostat (3.3.2016a): Statistics explained, File: Asylum applicants (including first time asylum applicants), Q4 2014 - Q4 2015.png,

http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:Asylum_applicants_(including_first_time_asylum_applicants),_Q4_2014_%E2%80%93_Q4_2015.png, Zugriff 31.3.2016

-

Eurostat (18.9.2015a): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 1st quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_1st_quarter_2015.png, Zugriff 11.2.2016

-

Eurostat (18.9.2015b): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 2nd quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_2nd_quarter_2015.png, Zugriff 11.2.2016

-

Eurostat (10.12.2015): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 3rd quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_3rd_quarter_2015.png, Zugriff 22.2.2016

-

Eurostat (3.3.2016b): Statistics explained, File: First instance decisions by outcome and recognition rates, 4th quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_4th_quarter_2015.png, Zugriff 31.3.2016

-

UNHRC - UN Human Rights Council (1.5.2015): Report by the Special Rapporteur on the human rights of migrants, François Crépeau. Addendum. Follow-up mission to Italy (2-6 December 2014), http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1432736395_a-hrc-29-36-add-2-en.doc, Zugriff 27.4.2016

3. Dublin-Rückkehrer

Die meisten Dublin-Rückkehrer landen am Flughafen Rom-Fiumicino, einige auch am Flughafen Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Questura für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab.

1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in IT gestellt hat, kann er dies tun, wie jeder andere auch.

2. Ist das Verfahren des AW noch anhängig, wird es fortgesetzt und er hat dieselben Rechte wie jeder andere AW.

3. Hat er beim ersten Aufenthalt in Italien eine negative Entscheidung erhalten und dagegen keine Beschwerde eingelegt, kann er zur Außerlandesbringung in ein CIE gebracht werden.

4. Wurde das Verfahren des Rückkehrers negativ entschieden, dieser aber nicht informiert (weil er etwa schon weg war), kann er Beschwerde einlegen.

5. Hat der AW Italien vor seinem persönlichen Interview verlassen und erging folglich eine negative Entscheidung, kann der Rückkehrer ein neues Interview beantragen (AIDA 12.2015).

Im Falle einer 8-köpfigen afghanischen Familie, welche über Italien nach Österreich und weiter in die Schweiz gereist ist und welche im Rahmen der Dublin-Verordnung von der Schweiz nach Italien rückzuüberstellen war, hat der EGMR am 4.11.2014 festgestellt, dass eine Überstellung nach Italien das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 3 EMRK) verletzen würde, falls die Schweiz nicht vorab von Italien Einzelfallzusicherungen für eine altersgerechte Betreuung der Kinder und für die Wahrung der Einheit der Familie einholt (sogen. Tarakhel-Urteil) (EGMR 4.11.2014; vgl AIDA 12.2015).

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellte IT im Juni 2015 in einem Rundbrief eine Liste von SPRAR-Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind (AIDA 12.2015). Im Februar 2016 wurde in einem neuen Rundbrief diese Liste aktualisiert. Sie umfasst 23 SPRAR-Projekte mit zusammen 85 Unterbringungsplätzen für Familien mit Kindern (MdI 15.2.2016).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles and the Italian Council for Refugees (12.2015):

National Country Report Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_update.iv_.pdf, Zugriff 12.4.2016

-

MdI - Ministero dell Interno (15.2.2016): Circular Letter, per -E-Mail

-

EGMR - Europäischer Gerichtshof für Menschenechte (4.11.2014):

Grand Chamber. Case of Tarakhel vs. Switzerland. Application no. 29217/12. Judgement,

http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-148070#{"itemid":["001-148070"]}, Zugriff 27.4.2016

4. Non-Refoulement

Grundsätzlich bietet Italien Schutz gegen Abschiebung oder Rückkehr von Flüchtlingen in Länder, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit aufgrund Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischer Gesinnung bedroht wäre (USDOS 25.6.2015).

Italien bringt gegebenenfalls Antragsteller im Rahmen der Dublin-VO außer Landes oder schiebt in sichere Herkunftsstaaten ab. Zwischen Jänner und August 2015 schob Italien 8.497 Migranten in ihre Heimatländer ab, hauptsächlich Tunesien, Ägypten und Nigeria (USDOS 4.2016).

Von Problemen wird von den ital. Adriahäfen (sogen. "offizielle Grenzpunkte") berichtet, wo im Rahmen bilateraler Abkommen direkte und informelle Rückschiebungen von Italien nach Griechenland stattfinden, welche die Betroffenen einem Refoulement-Risiko aussetzen können. Für diese Praxis wurde Italien am 21.10.2014 vom EGMR verurteilt (Sharifi and Others v. Italy and Greece). Zuletzt nahm die Zahl der blinden Passagiere auf den Fähren aber ab, was an geänderten Migrationsrouten liegen dürfte. (AIDA 12.2015).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles and the Italian Council for Refugees (12.2015):

National Country Report Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_update.iv_.pdf, Zugriff 27.4.2016

-

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (3.2015): Submission by the United Nations High Commissioner for Refugees For the Office of the High Commissioner for Human Rights' Compilation Report - Universal Periodic Review: Italy, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1430987595_5541e115d.pdf, Zugriff 27.4.2016

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Italy, http://www.ecoi.net/local_link/306380/443655_de.html, Zugriff 14.4.2016

-

USDOS - US Department of State (4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Italy,

http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/#wrapper, Zugriff 15.4.2016

5. Versorgung

5.1. Unterbringung

Mit LD 142/2015 wurde ein 2-Phasen-Unterbringungssystem eingeführt, das im Wesentlichen dem davor Üblichen entspricht. Die erste Phase bilden die Ersthelfer- und Unterbringungszentren CPSA, Erstaufnahmezentren CPA und Notfallzentren CAS, sowie Unterbringungszentren CARA. In diesen Einrichtungen sollen AW nur temporär untergebracht werden, bis Verlegung in SPRAR möglich ist. Das SPRAR bildet die 2. Phase der Unterbringung. Fremde sind zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen und wenn eine Bedürftigkeit besteht, welche auf Basis von Eigendeklaration festgestellt wird. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung (bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist). Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht das Recht auch bis zur Entscheidung des Gerichts (AIDA 12.2015).

Die Praxis, dass der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der Verbalizzazione (formelle Registrierung des Antrags) gegeben ist, anstatt sofort nach Fotosegnalamento (erkennungsdienstliche Behandlung), bestand laut AIDA aber zumindest bis Ende September 2015 fort. Zwischen diesen beiden Schritten waren, abhängig von Region und Antragszahlen, vor allem in den großen Städten Wartezeiten von Wochen oder gar Monaten möglich. Betroffene AW waren daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es drohte ihnen Obdachlosigkeit. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Auch ist nicht bekannt, wie sich die Situation momentan darstellt. Betroffen waren außerdem nur Personen, die ihren Antrag im Land stellten, keine auf See geretteten AW (AIDA 12.2015).

CPSA, CDA, CARA und CAS

CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza), CDA (Centri di Accoglienza) und CARA (Centri d'Accoglienza Richiedenti Asilo) umfassen 13 Zentren. Diese Zentren der Erstaufnahme bieten im Vergleich zum SPRAR eher grundlegende Versorgung mit Essen, Kleidung, Basisinformation, Rechtsberatung und medizinischer Notversorgung. Es handelt sich um große Zentren mit vielen Unterbringungsplätzen. Die CAS (Centri di accoglienza straordinaria) dienen hauptsächlich zur Unterbringung von Bootsflüchtlingen, ihre Zahl wird je nach Bedarf angepasst und ist daher nur schwer festzumachen. Die Zahl der Unterbringungsplätze lag im Oktober 2015 bei 7.290 (CPSA, CDA und CARA) und 70.918 (CAS). Es ist geplant, dass bis Ende 2016 die Erstaufnahmestrukturen zu Regionalzentren (Regional Hubs) umgewandelt werden, in denen die ASt. zur Formalisierung ihrer Anträge 7-30 Tage bleiben und dann weiterverlegt werden. Es sollen so bis Mitte 2016 14.750 Plätze zur Verfügung stehen, bzw. 15.500 bis Ende 2016. Am Ende soll es ein derartiges Zentrum in jeder Region des Landes geben. Die Zentren sind offen und dürfen tagsüber verlassen werden. Auf individuelle Bedürfnisse der ASt. (Geschlecht, Alter, Vulnerabilität) ist Rücksicht zu nehmen. In CARA erhalten Untergebrachte EUR 75/Monat Taschengeld, die Höhe des Taschengeldes in CAS ist nicht bekannt (AIDA 12.2015). In der Praxis unterscheiden sich die Unterbringungsbedingungen zwischen den Zentrumstypen und je nach Region zum Teil erheblich. Überbelegung ist oft ein Problem. Da ASt. überall in Italien untergebracht werden können, wo gerade Platz ist, viele es jedoch bevorzugen in Rom zu leben, verlassen viele von ihnen das CARA-System (AIDA 12.2015).

SPRAR

Die SPRAR-Projekte der Gemeinden (Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati) sind hauptsächlich Wohnungen oder kleine Zentren. Im Mai 2015 bestand das SPRAR aus 430 Einzelprojekten. Die Zahl der Unterbringungsplätze Ende 2015 bei 19.715, aber die Schaffung von 10.000 weiteren Plätzen wurde angekündigt. SPRAR-Projekte bieten Übersetzungsleistungen, linguistisch-kulturelle Mediation, rechtliche Beratung, medizinische Versorgung, sozio-psychologische Unterstützung, Unterstützung Vulnerabler, Integrationsberatung, und Freizeitaktivitäten. Die Unterbringungsbedingungen sind besser als in CARA-Zentren. Es gibt eigene Projekte im Rahmen des SPRAR für UM bzw. geistig oder körperlich Behinderte, welche spezialisierte Leistungen bieten. Im SPRAR Untergebrachte erhalten EUR 60-75 Taschengeld. Das SPRAR verfügt über standardisierte Integrationsprogramme für AW und Schutzberechtigte, die auch Jobtrainings und Praktika umfassen. Auch wenn es Unterschiede zwischen den einzelnen Projekten gibt, werden die Integrationsmaßnahmen in den italienischen Zentren dennoch als unzulänglich kritisiert. Die max. Aufenthaltsdauer im SPRAR liegt bei 6 bis 12 Monaten (AIDA 12.2015; vgl. AIDA 12.3.2016).

Für Mitte Februar 2016 wird von insgesamt 105.248 Unterbringungsplätzen (alle Formen) in Italien berichtet. Die meisten davon (wie oben) sind CAS-Plätze (AIDA 12.3.2016).

Darüber hinaus existiert außerhalb der staatlichen Strukturen noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben etwa von Kirchen und Freiwilligenorganisationen. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen. Interessant sind sie im Notfall oder für die Unterbringung von Familien (AIDA 12.2015).

Gemäß LD 142/2015 dürfen AW bereits 2 Monate nach Antragstellung arbeiten, wobei es in der Praxis bürokratische Schwierigkeiten bei der Ausübung dieses Rechtes gibt. Die Sprachbarriere ist ebenfalls ein erschwerender Faktor. Sind AW im SPRAR untergebracht, haben sie auch Zugang zu den dortigen Jobtrainings (AIDA 12.2015).

Ist in keiner der beiden Strukturen Platz für einen AW vorhanden, wäre für den Zeitraum in dem der AW nicht untergebracht wird, eigentlich ein Taggeld vorgesehen. In der Praxis wird dieses aber nicht ausbezahlt, sondern der AW trotzdem untergebracht und eine gewisse Überbelegung in Kauf genommen (AIDA 12.2015).

CIE

Zusätzlich sind noch die Schubhaftkapazitäten zu nennen. Italien verfügt über 7 CIE (Centro di identificazione ed espulsione) mit einer Kapazität von 955 Plätzen (AIDA 12.2015).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles and the Italian Council for Refugees (12.2015):

National Country Report Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_update.iv_.pdf, Zugriff 27.4.2016

-

AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles and the Italian Council for Refugees (12.3.2016): Wrong counts and closing doors. The reception of refugees and asylum seekers in Europe, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/shadow-reports/aida_wrong_counts_and_closing_doors.pdf, Zugriff 14.4.2016

5.2. Hotspots

In Italien sind bisher 3 Hotspots eröffnet worden (Lampedusa, Pozzallo, Trapani). Geplant sind 6 Hotspots mit insgesamt 2.500 Plätzen. Deren Zweck ist es, dort zusammen mit Personal der europäischen Asylunterstützungsagentur EASO die mixed migration flows zu kanalisieren und Migranten von Asylwerbern zu trennen. Letztere werden in die Regionalzentren überstellt (AIDA 12.2015; UNHCR 18.2.2016). Bestimmte Nationalitäten kommen für Relocation in andere EU-Länder in Frage (AI 24.2.2016).

Die Hotspots ernteten Kritik von NGOs, da es sich um geschlossene Zentren handelt. Auch sollen die Bedingungen zum Teil schlecht sein, sodass sich die NGO Médécins Sans Frontières (MSF) aus dem Hotspot Pozzallo zurückzog (AIDA 12.3.2016)

Quellen:

-

AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Italy, https://www.ecoi.net/local_link/319839/459035_de.html, Zugriff 14.4.2016

-

AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles and the Italian Council for Refugees (12.2015):

National Country Report Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_update.iv_.pdf, Zugriff 14.4.2016

-

AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles and the Italian Council for Refugees (12.3.2016): Wrong counts and closing doors. The reception of refugees and asylum seekers in Europe, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/shadow-reports/aida_wrong_counts_and_closing_doors.pdf, Zugriff 14.4.2016

-

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (18.2.2016): Europe's Refugee Emergency Response Update #23; 12-18 February 2016, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1456926739_56cd6e0f4.pdf, Zugriff 14.4.2016

5.3. Dublin-Rückkehrer

Als größtes Problem für Rückkehrer wird die Unterbringungssituation betrachtet. Dublin-Rückkehrer (AW oder Schutzberechtigte), die zuvor in Italien nicht untergebracht waren, haben bei Rückkehr Zugang zu Unterbringung. Eine Aussage darüber, wie lange es dauert bis auch tatsächlich ein Platz gefunden ist, ist nicht möglich. Berichten zufolge ist es in der Vergangenheit zu Fällen gekommen, in denen Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden konnten und sich selbst unterbringen mussten, mitunter in Behelfssiedlungen. (AIDA 12.2015).

Gleichzeitig besagen ältere Berichte, dass ein AW, der dem Unterbringungszentrum ohne Genehmigung über eine bestimmte Frist fernbleibt, seinen Unterbringungsplatz verliert und danach nicht wieder in derselben Struktur untergebracht werden kann (AIDA 1.2015). Angeblich gilt dieses Verbot der erneuten Unterbringung für 6 Monate nach dem Verlassen der Unterbringung (SFH 5.2011).

Um die Unterbringungssituation von Dublin-Rückkehrern zu verbessern, wurden ab 2011 im Rahmen des Europäischen Flüchtlingsfonds (FER) Projekte nahe der Flughäfen finanziert, an denen diese am häufigsten ankommen (ARCO, ARCA, ASTRA am Flughafen Rom-Fiumicino; STELLA, ALI, TERRA am Flughafen Mailand-Malpensa; und weitere in Venedig, Bari und Bologna) (AIDA 1.2015). Informationen aus dem ital. Innenministerium zufolge, sind diese Projekte mittlerweile alle ausgelaufen und wurden von der EU nicht nachfinanziert. Die Betroffenen sind derzeit durchweg in den national unterhaltenen Zentren untergebracht (CPSA, CDA, CARA, CIE, SPRAR). Die genaue Aufteilung auf die diversen Arten von Einrichtungen ist nicht bekannt, jedoch die Aufteilung nach Region (siehe Grafik). Am 29.2.2016 waren insgesamt 107.387 Personen in den diversen Einrichtungen untergebracht.

...

(VB 10.3.2016)

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellte Italien im Juni 2015 in einem Rundbrief eine Liste von SPRAR-Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind (AIDA 12.2015). Im Februar 2016 wurde in einem neuen Rundbrief diese Liste aktualisiert. Sie umfasst 23 SPRAR-Projekte mit zusammen 85 Unterbringungsplätzen für Familien mit Kindern (MdI 15.2.2016).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles and the Italian Council for Refugees (1.2015):

National Country Report Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_italy_thirdupdate_final_0.pdf, Zugriff 27.4.2016

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AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles and the Italian Council for Refugees (12.2015):

National Country Report Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_update.iv_.pdf, Zugriff 27.4.2016

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MdI - Ministero dell Interno (15.2.2016): Circular Letter, per -E-Mail

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SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (5.2011): Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, https://www.ecoi.net/file_upload/6_1309862586_110524-bericht-italien-sfhjussbuss-deutsche-uebersetzung.pdf, Zugriff 27.4.2016

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VB des BM.I Italien (10.3.2016): Auskunft des ital. Innenministeriums, per E-Mail

5.4. Medizinische Versorgung

Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen Nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann dieselben Rechte und Pflichten in Bezug auf medizinische Versorgung wie italienische Staatsbürger. AW haben dieses Recht ab Registrierung ihres Asylantrags. Das gilt sowohl für untergebrachte, wie für nicht untergebrachte AW. Die Anmeldung erfolgt in den Büros der lokalen Gesundheitsdienste (Aziende sanitaria locali, ASL). Im Zuge der Registrierung wird eine Gesundheitskarte (tessera sanitaria) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.);

Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung;

kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Asylwerber und Schutzberechtigte können sich auf Basis einer Eigendeklaration bei der ASL als bedürftig registrieren lassen. Sie werden dann arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr ("Ticket") bezahlen. In einem Zentrum Untergebrachte erhalten bei diesem Schritt Hilfe von ihren Betreuern. Nach Ablauf der ersten 6 Monate müssen sich AW offiziell arbeitslos melden, um die Ticketbefreiung behalten zu können. Zum effektiven Zugang zu medizinischer Versorgung für Asylwerber und Schutzberechtigte erklärt AIDA, dass bei den Mitarbeitern im Gesundheitsbereich Desinformation und Mangel an Erfahrung in der Behandlung von Migranten häufig sind. Die Sprachbarriere ist aber das größte Zugangshindernis (AIDA 12.2015).

AW und Schutzberechtigte mit psychischen Problemen (z.B. Folteropfer) haben das Recht auf dieselbe Behandlung wie italienische Staatsbürger. In der Praxis können sie von spezialisierten Dienstleistungen profitieren, die im Rahmen des Nationalen Gesundheitsdienstes und von spezialisierten NGOs und Privaten angeboten werden. Verschiedene medizinische Zentren und Ärzte, die früher im sogenannten NIRAST (Italian Network for Asylum Seekers who Survived Torture) organisiert waren, arbeiten unter verschiedenen Finanzierungen weiter in der Unterstützung von Folteropfern (AIDA 12.2015).

Irreguläre Migranten haben das Recht auf medizinische Notversorgung und präventive Versorgung zum Schutz der individuellen und kollektiven Gesundheit. Damit haben sie dieselben Rechte wie italienische Staatsbürger (AIDA 12.2015).

Illegal aufhältige Personen können von medizinischen Notdiensten usw. Gebrauch machen. Die Gesetze verbieten es dem medizinischen und Verwaltungspersonal die Polizei bezüglich illegaler Migranten zu informieren (UNHRC 21.7.2014).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles and the Italian Council for Refugees (12.2015):

National Country Report Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_update.iv_.pdf, Zugriff 27.4.2016

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UNHRC - United Nations Human Rights Council (21.7.2014): National report sub

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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